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Dennis Meyer war achtunddreißig Jahre alt, und nicht sehr erfolgreich nach den Maßstäben der Menschen, die ihn kannten. Er hatte keine besondere berufliche Karriere vorzuweisen, und war auch sonst nicht allzu ehrgeizig, was ihm eine gewisse Flexibilität verlieh, wirklich das zu tun, was ihm wichtig war.

Doch diese Haltung hatte schon in der Schule den Ärger und die Verachtung anderer erregt, die seine Unbekümmertheit nicht verstanden, und daher mit einer subtilen Art von Spott belegten, den er sehr wohl wahrnahm.

Weil es ihn verletzte, und er sein Herz verschloss, um den Schmerz zu ertragen, weinte er sich oft in den Schlaf.

Da er also in vielen Dingen ungebundener war als viele, die nach Erfolg und Anerkennung strebten, hatte er in langen, harten Jahren – in der Auseinandersetzung mit sich selbst und seinen Mitmenschen, was ihn oft an sich selbst hatte verzweifeln lassen –, gelernt, auf seine innere Stimme zu hören, und, was noch wichtiger war, zu erkennen, dass er geführt wurde.

Er war auserwählt, wobei ihm nicht klar war, warum und wofür.

Er wusste in seiner kindlichen Einfalt nur, das dies so war.

Da er dies erkannt hatte, und dieses Wissen schon immer, erst unbewusst, dann Stück für Stück klarer, in seinen Geist gelegt wurde, lernte er Dor kennen.

Und nur wenige seiner Zeit kannten ihn so, wie Dennis, da nur wenige die Schmerzen ertrugen, die er ertrug, und nur wenige kämpften wie er kämpfte.

Damals begann er, ihn zu sehen:

Als seine Not am größten war.

Denn in seinem Schmerz hatte er von den mächtigen Adlern gehört, hoch oben, über den höchsten Gipfeln, nahe der ewigen Sonne, die allein ihm in seiner Angst helfen konnten. In seiner kindlichen Phantasie hatte er alles begierig aufgesogen, was andere darüber gesagt hatten, obwohl er weder wusste, wer sie waren, noch woher sie kamen.

So hatte er ihren Fürsten kennen gelernt. Seinen verborgenen Namen kannte er nicht, noch auf welche Weise er zu ihm kam, doch spürte er stets den tiefen Frieden, der ihn begleitete, und die verborgene Kraft, die ihn ankündigte.

Dann weinte er oft in seinem Bett vor Erleichterung, wenn seine aufgewühlte Seele nach langen Kämpfen endlich Ruhe fand.


Und so berichtete er später:

Ab dem Alter von zehn Jahren besuchte ihn der dunkle Herrscher regelmäßig des Nachts in seinen Träumen. Eine laute Stimme war in seinem Kopf, die unerbittlich und kalt immer dies Eine forderte:

Bete mich an, falle nieder vor mir!

Dennis ahnte damals mehr, als dass er verstand, dass er dieser Stimme nicht nachgeben durfte, um keinen Preis, denn sonst würde er in das Reich der Schatten sinken, und seinen Auftrag und sein Schicksal verleugnen, sowie denjenigen, von dem er ahnte, er stünde hinter allem.

Wenn so der dunkle Herrscher ihn rief, und Dennis ihm mit einem hilflosen ›Nein‹ entgegentrat, dachte er, wahnsinnig zu werden. Die Grenzen der Realität verschoben sich, bizarre Ängste flößten ihm Furcht ein, und blankes Entsetzen umgab ihn. Er dachte, zu ertrinken, und Grauen marterte sein wild klopfendes Herz.

Übelkeit überfiel ihn, und er zitterte wie ein dürrer, blattloser Baum in einem Orkan.

In seiner Angst lud er Schuld auf sich, weil der Schmerz so groß war, doch das verdoppelte nur sein Leid und verdreifachte seine Qual.

Doch das Erbarmen des Himmels war über ihm, und der Segen des Geistes ruhte auf ihm.


Aber das konnte er damals nicht sehen, denn sein Herz war gebunden in Verzweiflung, und gefangen in Sklaverei.

Das waren die Nächte, doch die Tage waren ebenso schlimm:

Es begann in frühester Kindheit, und vielleicht, so meint er heute, wurde damals die Gabe in ihn hineingelegt, die ihn vorbereiten sollte auf das Kommende. Das aber sein Leben zerstört werden sollte, war offensichtlich.

Denn wenn er mit seinen Eltern im Auto fuhr, sah er oft abseits gelegene Bauernhäuser. Bei diesem Anblick erfasste ihn tiefes Grauen, das mit einem eigenartigen Gefühl von Einsamkeit und Melancholie einherging.

Es war etwas durch und durch irrationales. Seine Wahrnehmung veränderte sich – bei vollem Bewusstsein und wachem Verstand – und er meinte in einer ›verwunschenen‹ Welt zu sein.

Einer Welt voller Dämonen, Hexen und Geister.

Er spürte das Nichtige und Böse, das Giftige und Hässliche, und es verwirrte seine Gefühle und beeinflusste sein Denken. Dann fragte er sich voller Bangen, ob er gerade in eine fremde Welt eintauchte, die andere nicht wahrnehmen konnten.

Denn es war so, dass sich die Wirklichkeit auf groteske Art und Weise verzerrte. So, als gäbe es keine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, als hörten ihre Grenzen auf, zu existieren, und lösten sich auf. Als würden sie ineinander fließen.

Da waren Fetzen der Vergangenheit, die von Geisterhand erschienen, Sorgen über die Zukunft, die ihn quälten, und die Nichtigkeit des Augenblicks, die ihn quälte.

So stand er schutzlos vor dem Meer der Zeit, und die Ebbe der Welt entzog ihm jeden Boden, jede Identität, und zog ihn unerbittlich hinaus auf die stürmische See seiner Zwänge und Ängste.

Diese Zustände kamen immer wieder, manchmal dauerten sie einen Tag, oft jedoch waren es nur kurze Augenblicke, in denen er das Gefühl hatte, alle Sicherheit, die er kenne, löse sich auf in Chaos. Wenn diese Momente ihn erfassten, fürchtete er, den Verstand zu verlieren. So kämpfte er mit der Kraft eines zehnjährigen Jungen einen einsamen und aussichtslosen Kampf.

Als aber die Nacht am dunkelsten war, und die Schatten am größten, da war auch der Morgen nicht mehr fern, und er erinnerte sich an ein Lied, dass er im Haus seiner Eltern gehört hatte. Dieses Lied war überaus machtvoll und tröstend, ein König hatte es vor langer Zeit einmal geschrieben. Es handelte vom Herrn aller Herren, und König aller Könige, und Dor selbst, der es durch Raum und Zeit aus dem Mund dieses Jungen hörte, durchschritt die großer Leere, um sich ihm zu offenbaren.

Und der weiße Adler kämpfte mit erhobenem Arm und der Stärke seines Geistes. Er durchbohrte die dunklen Schatten mit Ruach, seinem Schwert, und er löste den mächtigen Bann, der die Seele des Jungen gefangen hielt.

Dann legte er Frieden um sein Herz wie eine schützende Festung, und stellte Wachen um seinen Geist.

Denn er sagte sich:

Der Feind der Menschheit will den Jungen vernichten, denn er sieht sein Herz, und fürchtet sich sehr vor ihm. Gerade darum liebe ich ihn schon jetzt und will ihm helfen, soweit ich kann. Ich werde ihn behüten und bewahren, und ihn lehren, der Wahrheit zu folgen, sie zu lieben und zu begehren, mehr als alle Schätze dieser Welt. Denn wer sie findet, findet Leben.

Seit dieser Zeit wurde ihre Beziehung tiefer.

Es gab Jahre, gerade am Anfang, da sahen sie sich oft.

Aber je älter Dennis wurde, je weniger suchte er ihn. So sahen sie sich oft nur noch in seinen dunkelsten Stunden, denn die Intensität ihrer Gemeinschaft hatte Dennis zu bestimmen.

Aber letzten Endes hielt ihre Freundschaft, durch alle Wirren und Stürme des Lebens.


Dor lehrte ihn das Kämpfen:

Wie man das Schwert ergreift, und es gebraucht.

Wie man den Bogen spannt, und das Ziel nicht verfehlt.

Er lehrte Dennis, wie man den schützenden Schild erhebt, gerade, wenn die Hiebe des Feindes am härtesten waren, und offenbarte ihm das Herz eines Kämpfers:

Denn der Charakter des Kriegers ist das Wichtigste.

Er allein entscheidet darüber, ob die Waffen ihr Ziel erreichen. Dennis hörte ihn, durch Raum und Zeit:

»Daher gürte dich mit Wahrheit, denn sie macht dich unverwundbar; bewahre dein Herz vor den Pfeilen des Bösen durch dein Festklammern an ihr. Denn nur diese Art von Vertrauen wird dir Kühnheit im Kampf verleihen, Furchtlosigkeit in der Schlacht, und du hast die Gewissheit, auf der Seite des Lichts zu stehen.«

***

Dor jedoch lernte von Dennis nur Eines, doch das war überaus bedeutend, und erfüllte ihn mit Bewunderung:

Den Menschen war eine gewichtigere Rolle zugedacht, als die meisten es jemals ahnten, und selbst er spürte nur dunkel die Fülle der Herrlichkeit, die noch ruhte.

Doch als oberster Befehlshaber einer großen Streitmacht, reich an Weisheit und begabt mit Geisteskraft, bekannt mit vielen Wesen im Himmel und der Erde, spürte er, dass eine gespannte Erwartung über den Hoffenden lag.

Etwas Außergewöhnliches würde geschehen, etwas nie Dagewesenes. Die Wurzeln dieses kommenden Ereignisses reichten vom Beginn der Zeiten bis hin zur Erfüllung von Allem, ja bis weit in die Grenzenlosigkeit. Etwas würde anders werden, das Gefüge der Welt würde sich verändern … doch Weiteres vermochte auch er nicht zu sagen, denn es war ihm verborgen.

Und so wuchs in Dor eine große Zärtlichkeit für den, der ihm anvertraut war.

HIMMELSKRIEGER

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