Читать книгу HIMMELSKRIEGER - Daniel León - Страница 12
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Aufgeregt und zornig durchschritt Dennis das kleine Zimmer. Es war ein schwüler Abend im Juni 2007, und obwohl er die Fenster weit geöffnet hatte, war es heiß und stickig.
Voller Interesse verfolgte er die Berichte im Fernsehen:
»(…) In Gaza-Stadt gibt es heftige Unruhen. Reihenweise werden Mitglieder der Fatah auf die Straße geschleppt, und öffentlich exekutiert. Denn die Hamas, der militante Arm der ›Gotteskrieger‹ hatte sich gestern mit Waffengewalt den Weg in das ›Preventive Security Force‹, dem Hauptquartier des Fatah kontrollierten Geheimdienstes, sowie in das Büro von Präsident Abbas gebahnt. Zwei Drittel des Gaza-Streifens befinden sich nun unter Kontrolle der Hamas. (…) Es war eine politisch motivierte Säuberungsaktion von brutaler Gewalt, und es sind bürgerkriegsähnliche Zustände, die wir hier erleben …«
Dennis war wütend aufgesprungen.
Er hatte es kommen sehen, er hatte es genau so kommen sehen. Er war wütend auf die Medien. Sahen sie denn nicht, mit welcher Präzision sich nun genau das ereignete, was eine Handvoll israelischer Politiker des rechten Likudflügels schon früher mit geradezu prophetischem Weitblick gesagt hatten? Hastig suchte er nach einem Zeitungsartikel, in dem er einige Abschnitte angestrichen hatte:
(…) falls der Gazastreifen unter ›palästinensische‹ Verwaltung fällt, werden sich Fatah und Hamas gegenseitig bekriegen, und nur noch Chaos und Blutvergießen werden regieren. Der Gazastreifen wird eine neue Front gegen Israel eröffnen, denn von dort könnten Raketen in kurzer Entfernung auf unser kleines Land abgefeuert werden. Neben der Bedrohung aus Syrien, dem Libanon (...) Die arabische Welt wird sich nun einig sein in dem Bestreben, Israel zu vernichten (...) Unruhen werden toleriert, und Chaos bewusst gesät, um die radikale Hamas als Front gegen Israel in Stellung zu bringen … Die Palästinenser werden sich dabei gegenseitig bekriegen, aber ein großes Ziel wird sie schließlich einen: Die Vernichtung unseres Staates.
Das entsprach auch seinen Überlegungen, und er war kein Israeli; aber es war doch so offensichtlich! Den Anfang machte Ministerpräsident Ariel Scharon, der im August 2005 in einem grandiosen Anfall von Großzügigkeit den Palästinensern die Oberhoheit über den Gazastreifen zusicherte. Und das, ohne eine einzige Gegenleistung zu verlangen!
Dass tausende Siedler, die in Jahrzehnten der Entbehrungen diesen Wüstenstreifen fruchtbar gemacht hatten, und durch deren entscheidende Unterstützung er Ministerpräsident geworden war, nun Heimat und Boden verloren, war ihm egal. Eine absurde Geste seiner Friedensabsicht der Welt gegenüber war ihm wichtiger als die Sicherheit und Existenz tausender seiner Landsleute. Seine krisengeschüttelte Amtszeit sollte doch ein politischer Erfolg krönen, damit die Welt ihn als Friedensboten feiern könne!
So hatte sich Ariel Scharon als Verräter seines Volkes erwiesen, und sogar die eigenen Militärstrategen warfen ihm die Preisgabe des Staates vor, der so klein und bedroht war, dass er sich keinen Verlust an Fläche leisten konnte. Denn von welchem Fleckchen Erde aus sollten sie sich dann noch verteidigen?
Dass dieser Scharon fünf Monate danach einen Gehirnschlag erlitten hatte, und seitdem aus dem Koma nicht mehr erwacht war, nun, das war vielleicht ein glücklicher Zufall, dachte Dennis voller Zynismus, während er noch immer laut schimpfend im Zimmer auf und ab ging.
Doch plötzlich fing das Bild des Fernsehers an, zu flimmern.
Eine Übertragungsstörung, dachte er, doch ein seltsames Kribbeln erfasste ihn. Das Flimmern legte sich, und ein Bild wurde sichtbar, nicht scharf, aber noch gut zu erkennen.
Rechts oben im Bild las er: RIAD, 1973
Der Film eines Amateurs, schoss es ihm durch den Kopf, aber sein Mund war trocken und ihn fröstelte.
Er starrte in ein kahles Zimmer, nur wenige Stühle standen dort, aber zumindest einen der versammelten Männer kannte er aus Berichten über radikale Islamisten. Und seinen Recherchen.
Ein Schauer lief über seinen Rücken.
Der Mann öffnete den Mund. Er sprach mit tiefer, melodischer Stimme, in langsamen, schlechten Englisch, so, als solle es ein Vermächtnis für die Nachwelt sein.
Der Ton erinnerte an alte Tonbandaufzeichnungen, und rauschte stark.
Du erhältst Auftrag, diese Familie zu liquidieren. Die Familie von Prof. Dr. Stein.
Diesen Namen intonierte der Mann langsam, fast genüsslich.
Seine ganze Familie. Dann wirst du das Netzwerk aufbauen. Das Netzwerk Allahs. Seine Armee zum Gericht über Europa!
Dennis kannte den Mann!
Beinahe drohend starrte der verstorbene Obermufti von Riad einer verschleierten Frau in die Augen. Sie murmelte etwas auf arabisch, was er nicht verstand. Er konnte sehen, wie sie zitterte, doch sie nickte gehorsam, und er meinte, böses Feuer in ihren Augen zu erkennen.
Dann flimmerte der Bildschirm, und er hörte wieder die sonore Stimme des Nachrichtensprechers von NTV zur aktuellen Problematik im Gazastreifen.
Diese Hitze bringt einen noch um, dachte er.
Mein Gott, der Professor ist doch in Israel, schoss es ihm durch den Kopf. Musste er ihn warnen? War es wirklich sein Professor? Aber dann wäre er bestimmt schon tot!
Die Gedanken überfluteten ihn. Schwindel erfasste ihn, doch er konnte sich nicht rühren.
Was war das gewesen? Kein Logo irgendeines Senders war auf dem Bildschirm zu sehen gewesen, dafür war sein Auge zu geschult.
Fast zehn Minuten lang saß er bewegungslos in dem schattiger werdenden Zimmer. Dann stand er mit einem Ruck auf, schaltete den Fernseher aus, und verließ fluchtartig die kleine Wohnung.
Die Hitze holte ihn schlagartig in die Realität zurück.
Der glühende Asphalt der Straße und die stehende Luft raubten ihm fast den Atem.
Er sehnte sich nach Ruhe und Natur und nach kühlem Wasser, und er litt darunter, dass er hier leben musste, wie er sich immer wieder einredete. Er war kein Stadtmensch, und liebte die Einsamkeit und die Schönheit der Natur, und doch hatte es ihn in eine enge Mietwohnung in den Osten Berlins verschlagen. Aus beruflichen Gründen, aber hauptsächlich, wie er sich selber gestehen musste, weil er vor seinem Schmerz geflohen war.
Esther hatte ihn vor fünf Jahren verlassen.
Warum, wusste er nicht, sie hatte es ihm nie mitgeteilt.
Er wusste nur, dass der Schmerz immer noch so stark war, dass er sich manchmal wie betäubt fühlte, unfähig etwas zu tun, geschweige denn, soviel Geld zu verdienen, um diese gehasste Stadt zu verlassen.
Er war freiberuflicher Journalist, und man hatte ihm damals versichert, zu Beginn einer journalistischen Karriere wäre es von Vorteil, nach Berlin zu gehen, der wiedervereinigten Hauptstadt und dem Medienzentrum des Landes. Es wäre zwar – gerade im Osten – zwischen rechten und linken Radikalen, inmitten von hoher Kinderarmut, der höchsten Arbeitslosenquote des Staates, sozialen Missständen; unter Schulen, deren Lehrer fluchtartig das Weite suchen, da sie den Schülern hilflos ausgeliefert sind, nun, es wäre sicherlich ein hartes Pflaster, aber diese fünf Jahre müsse er seiner Laufbahn zuliebe überstehen. Denn vor den Erfolg hatten die Götter bekanntlich den Schweiß gesetzt.
Diese fünf Jahre neigten sich nun dem Ende entgegen, doch beruflich konnte man kaum von Karriere sprechen.
Es war vielmehr so, dass er mit einem Berg von Schulden, und ohne Frau oder Kinder in Berlin fest saß. Das war die bittere Realität, und so würde es wohl eine Weile bleiben.
Mit diesen trüben Gedanken kam er seinem Ziel, der öffentlichen Bibliothek der Humboldt Universität, immer näher.
Er überquerte gerade den Alexanderplatz, als er von der lauten Parole ›Nieder mit Israel, Sieg der Hamas‹ aus seinen Grübeleien gerissen wurde. Dieser Slogan war zwar eindeutig antisemitisch und fiel unter den Straftatbestand der Volksverhetzung, doch die Polizei in Berlin war nicht immer ganz Herr der Lage. Aus diesem Grund skandierten die Stimmen dumpf und voller Hass weiter.
Es gab also wieder einmal eine pro-palästinensische oder antizionistische Demonstration – das kam ganz auf den Blickwinkel an – und gerade sah er einen arabischen Vater nebst Söhnen, die sich Sprengstoffattrappen um den Leib geschnallt hatten. Dazu war jeweils ein grünes Tuch der um ihre Köpfe geschlungen:
›Sieg der Hamas‹, stand darauf.
Dennis bekam Magenkrämpfe. Das war die Art seines Körpers, mit psychischen Spannungen umzugehen.
Erleichtert betrat er das klimatisierte Foyer der Bibliothek. An der Garderobe gab er Jacke und Tasche in die Obhut der mürrisch blickenden Angestellten.
Bei dieser Arbeit muss man ja grimmig schauen, dachte er, während er dem Wachmann am Eingang des Lesesaales ein mechanisches »Guten Tag«, zu murmelte, nur um hastig zwei Treppenabsätze zu erklimmen, und nach dem Buch zu suchen, an das er sich erinnert hatte.
Er bemerkte einen Mann in der linken Ecke, der gelangweilt Zeitschriften durchblätterte; ein anderer Besucher fragte lautstark an nach einem Buch, dass sich wohl in dieser Abteilung befinden sollte, nachdem er aber vergeblich gesucht hatte. Darüber war er etwas ungehalten, doch als die ersten Rufe nach Ruhe ertönten, senkte er schuldbewusst den Kopf.
Eine drückende Atmosphäre, dachte Dennis, passt zum Wetter, während er sich mit dem gesuchten Buch an einen freien Tisch setzte.
Gedämpft drangen die rassistischen Slogans durch die gekippte Fensterfront.
Bedauerlicherweise war es zu heiß und stickig, um sie zu schließen, denn hier oben gab es aus unverständlichen Gründen keine Klimaanlage. Er seufzte, und widmete seine Aufmerksamkeit dem Buch, das auf dem Tisch lag.
Die Zweistaatenlösung – Segen oder Fluch?
Plötzlich geschah etwas.
Eine volle Stimme drang in sein Bewusstsein:
Der Film zeigt Verborgenes. Sei unbesorgt. Wenn die Zeit kommt, wirst du es wissen!
Eine Zeitlang saß er mit geschlossenen Augen da, und genoss die himmlische Atmosphäre.
Er hatte keine Fragen. Noch nicht.
Dann öffnete er das das Buch.
Aufgeregt begann er, die ersten Seiten zu überfliegen. Es war ungemein spannend geschrieben.
Der Titel war natürlich Polemik in Form einer rhetorischen Frage. Der Autor erörterte in dieser Abhandlung, ob wirklich Friede im Nahen Osten herrschen könne, und wenn, welche Hindernisse dem im Wege ständen. In vielem, was er schrieb, war Dennis einer Meinung mit ihm.
Es wurden Faktoren genannt, die den Friedensprozess in unguter Weise beeinträchtigten, und die zum Teil – und hier schmunzelte Dennis, musste er doch dem Autor recht geben – in dumpfer und selbstherrlicher Art von den Medien (vor allen den westlichen) bis zum Erbrechen wiedergekäut wurden.
Da war von journalistischer Ignoranz die Rede, die sich dem humanistischen Zeitgeist und der vorherrschenden politischen Meinung anbiedert, und so ihre Objektivität einer unbestritten antisemitischen Umwelt opfert.
Damit seien sie unfähig, die tatsächlichen Hintergründe einer Bildkampagne oder eines Interviews aufzudecken.
Viele Medienleute, so dieser Abschnitt weiter, seien korrumpiert worden (durch Wettbewerbsdruck, durch die öffentliche Meinung, aber auch durch offizielle Regierungsvertreter), bzw. stigmatisierten sich selbst derart, dass sie – meist unbewusst – die Position der weltanschaulichen Neutralität, eine grundlegende Voraussetzung für professionellen Journalismus, verlassen.
Das Beunruhigende aber war, dass nun zahlreiche Beispiele und Widersprüche in bestimmten Medien aufgeführt wurden, über die Dennis bei seinen Nachforschungen schon selbst gestolpert war, die er aber stets als journalistische Schwächen oder emotionale Überreaktionen einiger Kollegen in Stresssituationen – wie zum Beispiel der Kriegsberichterstattung – verharmlost hatte. Dass eine Systematik dahinter lag, hätte er nie vermutet.
In diesem Buch wurde die These vertreten, und sie wurde stichhaltig und anhand zahlreicher Beispiele aus seriösen Quellen begründet, dass in der gesamten westlichen Medienlandschaft größtenteils antisemitische Positionen vertreten würden.
Er las bereits drei Stunden, und näherte sich langsam dem hinteren Drittel des Buches. Zugleich näherte er sich auch der Grenze seines Aufnahmevermögens.
Der Mann in der linken Ecke blätterte immer noch in diversen Zeitschriften. Hat der eine Ausdauer, dachte Dennis.
Als er mit dem Gedanken spielte, eine Pause zu machen und bei Burger King Essen zu gehen, sah er aus den Augenwinkeln, wie der ›Zeitschriftenmann‹, sein Handy aus der Tasche fingerte, und eine Nummer tippte.
Arabisches Gesicht, notierte Dennis in seinen Gedanken. Ende vierzig, Marke Türsteher. Kein Akademiker, Bauernhände. Er stellte fest, dass ihn seine berufliche Routine einholte.
Es würde nichts mehr bringen, jetzt weiter zu lesen.
Mit einem Seufzer klappte er das Buch zu. Der Mann sprach jetzt so laut auf arabisch in sein Handy, dass Dennis ärgerlich seinen Kopf hob. Er blickte ihm direkt in die Augen. Dennis war verwirrt von dem hasserfüllten Blick, der ihn traf. Spöttisch grinste der Mann ihn an …
Ein glühender Schmerz in seiner Brust war das letzte, was Dennis bewusst wahrnahm. Dann nur noch undeutlich, wie in einem schallgedämpften Raum: Wildes Rufen, Schreien. Das schrille Kreischen einer Alarmanlage. Dann wurde es Schwarz um ihn.
***
Souverän, mit großer Schnelligkeit und ruhiger Konzentration, was er seiner langjährigen Routine verdankte, zerlegte Pierre sein Gewehr und legte die Einzelteile in den maßgeschneiderten Metallkoffer.
Dann verließ er eilig, doch ohne Hast, das Flachdach des leerstehenden Wohnblocks, der sich zweihundert Meter entfernt der Universitätsbibliothek befand.
Im allgemeinen Tumult achtete niemand auf den roten Fiat, der sicher durch das Chaos hupender Autos, durch Polizei-, Feuerwehr- und Krankenwägen stadtauswärts steuerte.
***
Auch der Adler, der reglos zugesehen hatte, hielt ihn nicht auf.