Читать книгу HIMMELSKRIEGER - Daniel León - Страница 5
ОглавлениеProlog
Das Universum, vor 2.000 Jahren
Als der Fürst Gottes in das flammende Meer blickte, das den Planeten umgab, ihn bekleidete wie ein blutgetränktes Gewand, packte ihn blankes Entsetzen. Aber nach kurzem inneren Kampf schloss er die Augen, umfasste Ruach, sein Schwert fester, und durchschritt die feurige Atmosphäre. Rauch benebelte seine Sinne, Feuer verbrannte sein Herz, und Vergessen hüllte ihn ein.
Doch in seinem Geist erblickte er die Gipfel der Erde, deren ewiges Eis wie Diamanten im Morgenlicht funkelt; auch schaute er die leuchtend grünen Täler, deren schweigende Wälder den Schmerz der Menschen umarmen …
»Nun werde ich leben!«, flüsterte er mit letzter Kraft.
Während er benommen seine Augen öffnete, erblickte er eine schier endlose Fläche riesiger Sandberge. Spitze Felszacken erhoben sich drohend am flimmernden Horizont, und ihn schwindelte vor Entsetzten:
Gefängnis der gefallenen Geister, so wurde dieser Ort schon seit Urzeiten genannt. Er blinzelte, und schüttelte seinen Kopf, um sich Mut zu machen, und vielleicht, um sich zu vergewissern, wie sich Leben anfühlt. Der Turm aus porösem Fels, auf dem er sich befand, war jedenfalls hoch genug, um nach ihm Ausschau zu halten, der da kommen sollte.
Nur mit größtem Widerwillen sah er sich um.
Eine glühende Sonne brütete über über der Oberfläche aus rissigem Granit; heißer, träger Wind bedeckte ihn mit einer feinen Staubschicht. Diese Wüste war öde und leer.
Ihn schauderte. Leerer noch als die wirren Visionen, die ihn in letzter Zeit geplagt hatten. Aber nicht die Abwesenheit des Lebens war das Grauenhafte, sondern die Anwesenheit des Todes. Denn der süßliche Gestank verwesenden Fleisches kroch aus der Ebene herauf und machte jeden Atemzug zu einer quälenden Überwindung. Er spürte, wie ihn etwas Geisterhaftes belauerte, er fühlte sich gefangen wie eine Fliege in einem kunstvoll gesponnenen Netz. Nur, er sah die Spinne nicht.
Und doch war ein Teil seines Wesens fasziniert:
Das also ist das Zauberwerk des Widersachers, dachte er dumpf, bis ihn rasende Wut ergriff:
Warum nur dieser verfluchte Planet? Sollte er elend zu Grunde gehen, wie alle vor ihm, die hierher gekommen waren?
Urplötzlich zerriss ein Schrei die Stille, so dass er heftig zusammenzuckte. Ein Krächzen, dicht über seinem Kopf. Ein dunkler Schatten glitt aus dem Nichts über ihn hinweg, nur um mit heiserem Gelächter am weiten Horizont zu verschwinden. Ein Gefallener, ein Nephil.
Als wäre er aus einem düsteren Traum erwacht, wusste Dor wieder, warum er hier war, und wer ihn gesandt hatte. Triumphierend blickte er sich um, und der Hass über seinen Feind verlieh ihm neue Kraft. Sein Wille bäumte sich auf, und er brüllte in rasendem Zorn und ohnmächtigem Schmerz.
Tausendfach hallte dieser Schrei von den fernen Bergen zurück, ein gewaltiges Echo, und die einzig mögliche Antwort auf eine tödliche Herausforderung.
Wie sehr sehnte er sich nach seiner Heimat! Seligkeit durchströmte ihn, als er sich daran erinnerte, und er trank vom Jubel des Geistes wie von einer sprudelnden Quelle, und die mächtigen Worte erklangen tosend in den lichten Hallen seiner Seele:
Dor, Geliebter!
Du bist gesandt an den Ort des Vergessens.
Durchbrich das Tor des Todes, und Leben ist dein Lohn!
Alleine sende ich dich, vereint kehrst du wieder.
Warte dort auf den Sterblichen, den ich erwählt habe!
Warte! Verzage nicht, sei kühn, sei stark, bis aufstrahlt der
Morgenstern, leuchtend in den Tiefen der Nacht!
Aber dann überlegte er: Ich soll auf den Sohn des abtrünnigen Geschlechts warten? Jeder in den himmlischen Welten weiß doch, wie schwach diese Geschöpfe sind! Wie sollte ausgerechnet ein Sterblicher in dieser Hölle überleben können, wenn schon ich, ein Mächtiger in Raum und Zeit, bedrängt werde?
Eljon ist zu erhaben. Zu naiv. Ich werde ihn aufklären müssen: Da sendet er seinen höchsten Feldherrn, um eines der geringsten Geschöpfe zu retten!
Sie hatten es sich doch selbst gewählt.
Niemand war grundlos hier, jeder der Geächteten verdiente den Tod!
Doch ungeachtet dieser kalten Gedanken verharrte Dor, Fürst der weißen Adler, für Stunden in der trägen Glut, und blickte unverwandt in die Leere, bis der weite Horizont zu einem Meer aus Tränen verschwamm.
Langsam wurden die Schatten der steinernen Türme länger, um bald darauf bizarre Muster auf den rotglühenden Wüstenboden zu werfen.
Mit Entsetzten nahm er wahr, wie Betäubung ihn beschlich. Todesangst packte ihn, und er fühlte sich so unendlich müde. Einem weiteren Kampf war er nicht gewachsen.
Endlich!
Nur ein kleiner Fleck jenseits der schmalen Linie des Horizontes. Dort, wo Himmel und Erde im Dunst verschwammen. Aber es genügte.
Der Schatten war weit entfernt, vielleicht fünfzig Meilen, doch es war ein Sterblicher. Minuten wurden zu Stunden, denn er humpelte, und kam nur langsam voran.
Es war eine zerlumpte Gestalt, ausgezehrt und dürr, ein Gebannter. Abergläubische Furcht befiel Dor.
Einer derer, die sich des ewigen Todes schuldig gemacht hatten.
Doch was für eine elende, was für eine geschundene Gestalt! Langsam wankte sie vorwärts. Zögernd setzte er einen Fuß vor den anderen, um nicht in den Bergen aus Sand zu versinken, was seinen sicheren Tod bedeutet hätte. Wie ein Schilfrohr im Sturm, der mörderischen Wut seiner Peiniger schutzlos ausgeliefert.
Hautfetzen hingen von seinem Gesicht. Lippen, die nicht mehr als solche bezeichnet werden konnten. Blutige Linien im Gesicht.
Mitleid regte sich in ihm.
Er sah auf die Schwärme von Geiern, von Nephilim, die hoch über der einsamen Gestalt kreisten, und wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie niederstießen, um das tote Fleisch zu zerreißen.
Trotzdem – er musste einen Ausruf des Erstaunens unterdrücken - eine geheimnisvolle Kraft schien von dem Adamssohn auszugehen, denn sie wagten sich nicht näher heran.
Das war ungewöhnlich, denn die Verbannten stellten die Hauptnahrung dieser Kreaturen dar.
Ohne das er es verhindern konnte, drängten sich Bilder in sein Bewusstsein. Erinnerungen an eine zurückliegende Epoche.
Dor hasste die Nephilim aus tiefstem Herzen. Dass sie und er einst den gleichen Ursprung besaßen, vermochte er nicht zu begreifen. Einst waren sie mächtige Engel, gewaltige Wesen, nur untertan dem Herrn der Mächte, und sie waren seine Brüder.
Dann kam die große Finsternis; der lange und schreckliche Bruderkrieg, der die Zeiten überdauerte, und an dessen Ende die Welten für immer verändert waren.
Davor – Seligkeit.
Doch nur flüchtige Ahnungen davon durchbrachen manchmal die
Zeit, wie die Sonne, wenn sie den Nebel zerreißt.
Das waren seine schönsten Erinnerungen.
Nach 3.000 Jahren hatte die Armee des Lichts den Sieg errungen, und der Feind wurde hinabgeworfen in das Herz der Dunkelheit.
Aber es war ein bitter erkämpfter Sieg gewesen, und seit dieser Zeit, dem Beginn der adamitischen Epoche, kämpften Dor und seine Streitmächte um die Sicherung des Reiches. Denn obwohl der Feind empfindlich getroffen war, vernichtet war er nicht. Immer wieder hatte er sich erhoben, und jedes Mal war er zurückgeschlagen worden. Doch in letzter Zeit waren die Angriffe anders geworden.
Exakter, und – tödlicher.
Und so wurde in den Winkeln des Reiches von einer tödlichen Bedrohung geflüstert, die sich erhob – und von einem Ereignis, das die Fundamente von Allem für immer verändern sollte.
Um was es sich dabei handeln sollte, wusste er nicht. Doch die Leute redeten viel, wenn die Zeiten finsterer wurden. Ja, je dunkler die Nacht, desto verworrener das Gerede. Es war weise, nicht auf alles zu hören, sagte er sich immer, wenn ihn diese Gedanken beschlichen. Aber nicht zuletzt dieser Angelegenheit wegen, die nur Unruhe in die Herzen vieler säte, war er hier.
Der Adamit war jetzt nahe genug für seine Augen, und er sah das Blut, das hinter ihm auf den Sand sickerte.
Fasziniert starrte er darauf. Langsam, als wehre es sich dagegen, den Mann zu verlassen. Träge in dieser Hitze, aber stetig. So rann es auf den glühenden Sand, aus unzähligen Wunden; und zerklumpte, als es sich mit ihm verband, und teilte sich auf in viele kleine Rinnsale, so dass es aussah, als flösse ein winziger Strom durch die Wüste, der mit der roten Sonne zu konkurrieren schien. Ein blutroter Bach, der lebendig war, und der doch ahnen ließ, dass ein Mensch nicht lange überleben konnte in dieser feindlichen Welt.
Lange und nachdenklich blickte der Adler auf die klebrige Spur, und Barmherzigkeit erfüllte ihn. Denn dieses Blut schien direkt in sein Herz zu tropfen, und mit einem plötzlichen Schrei ohnmächtiger Wut schoss er in die Höhe, und tötete Dutzende Geier mit seinen Klauen, und Hunderte mit den gewaltigen Schlägen seiner Schwingen.
Doch es mussten wohl Tausende und Abertausende sein, wie Schwärme von Heuschrecken hatten sie bald einen großen Teil des Himmels verfinstert, und er wusste, dass es aussichtslos war. So glitt er in weitem Bogen zurück, und betrachtete den Menschensohn noch eingehender als zuvor: Kräftig musste er einst gewesen sein, und etwa 1,80 Meter groß. Eher noch größer, denn er ging sehr gekrümmt. Das schwarze, lockige Haar war blutverkrustet.
Er trug nur Lumpen am Leib. Auch die Füße waren in dieses grobe Tuch gewickelt, doch hier und dort fehlten Stücke, wie mit roher Gewalt herausgerissen; und da, wo man bloßes Fleisch erwartete, sah er getrocknetes Blut. In der rechten Hand hielt der Mann den einfachen Stab eines Hirten. Blut rann über ihn auf den Boden; seine Hände mussten ebenfalls blutig sein.
Auf diesen Stab stützte er sich bei jedem Schritt, und diese Krücke war das Einzige, was ihn an einem raschen Tod hinderte.
Warum bin ich hier, fragte sich er sich erneut.
Warum hatte Eljon ihn auf diesen sterbenden Planeten gesandt, um einem halbtoten Menschen beim Sterben zusehen zu müssen?
Wäre es nicht sinnvoller, zu kämpfen, die Pläne des Feindes zu vereiteln, die Finsternis zurück zu drängen? Sie hatten nicht mehr viel Zeit!
Doch sofort tadelte er sich für diese Gedanken. Stolz war überall gefährlich, hier konnte er tödlich sein.
Und überhaupt – ob er seine Titel wirklich verdiente, wusste er nicht genau, denn meist war sein Leben nicht durch eigene Kraft gerettet worden.
Entscheidend war, dass er die große Schlacht überlebt hatte, und auf wessen Seite, und dies war mehr als genug.
Weil er so viel Totes gesehen hatte, wusste er auch, wie stark das Lebende war. Dies hatte er erwählt – unfassbare Schmerzen hatte er dafür auf sich genommen; mit der ganzen Kraft seines Wesens hatte er darum gerungen, um die ›Krone des Lebens‹.
Und angesichts der tiefen Einsamkeit, die ihn jetzt umgab, erneuerte er noch einmal den Bund mit Eljon.
Wenn er sterben würde, gut, dann würde er sterben. Für das Reich, für die Auserwählten.
Diese Hingabe öffnete seinen Blick für das Eigentliche in diesem Mann. Auch wenn dessen Hülle verfiel. Das wirkliche Leben, das Leben dahinter, versuchte er, zu beschützen. Und in diesem einzigartigen Augenblick erkannte er alles deutlicher als je zuvor. Er war nicht nur hier, um die Pläne des Feindes zu erkunden, er war nicht hier, um das Reich zu sichern – er war ein Bote des Lebens selbst!
Heller Jubel erfüllte ihn, als er das begriff.
Doch warum nur erinnerte er sich daran, wer er war, wenn er diesen Mann betrachtete?
Dieser ungewöhnliche Gedanke beschäftigte ihn, als der Mensch plötzlich stehen blieb, und seinen Kopf hob, was ihn sichtliche Kraft kostete. Er hatte ihn bemerkt, denn er blickte in seine Richtung.
Als hätte ihn ein Blitz getroffen, taumelte Dor zurück.
Feuer verzehrte seine Seele, ein rasendes, alles verbrennendes Feuer. Der Funke sprang über, auf seinen Geist, bis er die Flamme nicht mehr ertrug.
Um einer Ohnmacht zu entgehen, wandte er seine Augen ab.
Denn etwas unsagbar Großes verbarg sich in diesem Blick, der ihm mit stiller Autorität gebot, ihn erneut anzublicken. Und mit welcher seltsamen Mischung aus Freude und Schmerz der Mann ihn jetzt ansah! Es war Dor, als blicke er hinter den Vorhang seiner Seele, ja, als hätte er ihn schon immer gekannt. Das war nicht schlimm; vielmehr löste es eine unerklärliche und freudige Erregung in ihm aus.
Was aber das Seltsamste war – da war keinerlei Überraschung in diesen Augen, es schien fast, als hätte der Mann ihn – erwartet! Furcht ergriff ihn bei diesem Gedanken – doch konnte er seinen Blick nicht lösen. Er zwang sich zu mehr Nüchternheit, er benötigte einen klaren Verstand, und so versuchte er verzweifelt, dieses Gesicht einzuordnen.
Die Augen des Menschen ruhten still und klar in einem männlichen Antlitz, dass ihm nun markant und kühn erschien. Dor studierte es, er las darin wie in einem Buch, und erblickte eine Weisheit, die lange Zeitalter zurückreichte. Sogar vor alle Zeit, meinte er. Doch das war natürlich unmöglich.
Diese Weisheit war eingemeißelt, sichtbar, und doch verborgen in jedem einzelnen dieser Züge, und selbst Schmerz und Mangel hatten daran nichts ändern können. Vielleicht, überlegte er in dem kläglichen Versuch, dies Geheimnis zu begreifen, vielleicht hatte der Schmerz genau das Gegenteil bewirkt.
Dann musste er wider Willen lächeln:
Da versuchte er, einen halbtoten Menschen zu retten, in der entsetzlichsten aller Welten – und dann erfrischte ein Blick aus dessen Augen ihn mehr als ein klarer Gebirgssee nach einer heißen Schlacht; dieser Gedanke hatte etwas Erheiterndes inmitten aller Trostlosigkeit.
Dann dachte er nichts mehr.
Denn Liebe bannte sein Herz.
Und Augen, die vor Freude strahlten, weil sie ihn nach langer Trennung erblickten. Das wusste er.
Ein Blick voller Schönheit und Anmut hieß ihn willkommen, vergleichbar nur mit wildem Schäumen der Brandung an felsiger Küste. Freude und Stärke, aber auch eigenartige Trauer verschmolzen in diesen Augen, und das erinnerte ihn an etwas, was er nicht fassen konnte, so sehr er sich auch bemühte.
Dann war da noch etwas. Beinahe hätte er es nicht beachtet, denn es wirkte so fehl am Platz: Hoffnung und Zuversicht leuchteten ihm aus diesem Gesicht entgegen.
Das endlich zerbrach alles in ihm, und mit einem Mal hatte er das lächerliche Bedürfnis, sich einem Menschen vor die Füße zu werfen, und zu weinen.
Aber nun fing der Mann an zu laufen, ja, zu rennen. Ein verzweifeltes Rennen war es, ein irrwitziger Lauf.
Mit letzter Anstrengung öffnete er den Mund:
»Befreie meine Braut«, schrie er mit heiserer, sich überschlagender Stimme. »Befreie meine Auserwählte«, brüllte er wie ein Tier, während verzweifelte Tränen seine hohlen Wangen hinunterliefen.
Er stand still. Er spürte nicht, wie etwas Nasses seine weiße, gefiederte Brust hinunterlief.
Nur ein Schmerz brannte in ihm.
Der Schmerz des Menschensohnes.
Voller Verlegenheit senkte er den Blick vor ihm, er sah ihn laufen wie in Zeitlupe, unfähig, sich zu bewegen.
Jetzt erstürmte er den steinigen Pfad. Es waren nur noch hundert Meter. Fünfzig. Er sah seine Beine. Dors Kopf dröhnte, alles drehte sich. Bald würde er ihn erreichen, und dann …
Die Beine des Mannes knickten einfach weg.
Im Delirium nahm Dor es wahr, und für einen qualvollen Augenblick meinte er, zu ersticken: Vor seinen Füssen brach der Mensch zusammen, und mit einem peitschenden Geräusch fiel sein Körper leblos in den glühenden Sand der Wüste.