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Die Stimme von Hauptkommissar Becker war in den letzten Minuten immer lauter geworden, und er rang sichtlich um Fassung.

»Warum habe ich niemals etwas davon erfahren, dass seit 1973, vielleicht sogar schon länger, eine Gruppe von Islamisten damit beschäftigt war, einen Mord an dem prominenten Professor Dr. Stein in Deutschland zu planen?«

Mit eindeutigen Gesten machte er seinem Ärger Luft. Doch seine engsten Mitarbeiter wussten, dass der Höhepunkt seines Zornausbruchs noch keineswegs erreicht war.

»Seit 1982 liegt Interpol eine Videoaufzeichnung vor, mit einem eindeutigen Mordaufruf gegen die gesamte Familie des Professors. Eine Kopie wurde mir erst gestern, ich wiederhole, erst gestern, von einem Mitarbeiter dieser Behörde übergeben. Schon 1982 wurde es dieser Behörde vom Mossad zugespielt! Es verschwand somit fünfundzwanzig Jahre auf irgendeinem Abstellgleis von Interpol!

Ich kann einfach nicht begreifen, dass mir, dem Leiter einer Sonderkommission in solch einem brisanten Fall, der die innere Sicherheit dieses Landes bedroht, eine Information vorenthalten wird, die es uns vielleicht ermöglicht hätte, den unerwarteten Tod eines der besten Wissenschaftler dieses Landes zu verhindern. Eines jüdischen Wissenschaftlers. Obwohl es doch angeblich zur deutschen Staatsräson gehört, Juden zu schützen!«

Er wischte sich mit einem Taschentuch die Schweißperlen von der Stirn. »Und denken sie ja nicht, dass wäre das erste Mal, dass uns Interpol nicht informiert hätte. Ich scheue mich hier nicht, zu sagen, dass Interpol eine Nazivergangenheit hat. Der Präsident von Interpol in den Jahren 1968-1972, Paul Dickkopf, war ein ehemaliger SS-Angehöriger, er hat nach dem Krieg mit anderen ehemaligen Offizieren das Bundeskriminalamt in Wiesbaden aufgebaut.

Wissen sie, wer während des Krieges die Vorläuferorganisation von Interpol leitete? Kein geringerer als SS-General Reinhard Heydrich. Der damalige Hauptsitz der ›Internationalen Kriminalpolizeilichen Kommission‹ war Berlin-Wannsee.

In demselben Haus fand 1942 die berüchtigte Wannseekonferenz statt. Wenn man nun noch weiß, dass eine der vier Arbeitssprachen von Interpol Arabisch ist, und das bedeutet eine massive Dominanz arabischer Staaten angesichts der 182 Mitgliedsstaaten von Interpol, dann ist das alles sehr bedenklich, und diese Fakten lassen gewisse Schlussfolgerungen zu!

Ich sage es offen:

Faschismus bildete zusammen mit dem Islam schon immer eine unheilige Allianz gegen alles Jüdische. Ich erinnere nur an die rege Mitarbeit eines Mohammed Al-Husseini, Obermufti von Jerusalem. Von ihm stammt das Zitat:

›Was Hitler nicht gelang, werden wir vollenden‹.

Wussten sie, dass er der Großonkel von Jassir Arafat gewesen sein soll?

Ein gemeinsames Ziel, ein gemeinsamer Hass!«

Er blickte angespannt in die Runde seiner zehn engsten Mitarbeiter. Er wusste, dass er sich weit vor gewagt hatte. Aber er konnte seine Gedanken nicht länger für sich behalten.

Es waren gute Leute, bewährte Leute. Persönlich von ihm ausgesucht. Geprüft auf Loyalität und Verschwiegenheit. Auf Letzteres setzte er nun.

»Ich habe gestern mit dem Polizeipräsidenten ein ausführliches Gespräch über diese Situation gehabt. Er sicherte mir volle Rückendeckung zu, da dies nicht das erste Mal ist, dass das BKA und somit alle Landeskriminalämter, von Interpol nicht in vollem Umfang von konspirativen Operationen, die eindeutig krimineller Art sind, und die sich gegen bekannte Persönlichkeiten unseres Landes richten, informiert werden. Dies geht sicherlich nicht von höchster Stelle aus, wir vermuten vielmehr, die Informationen ›versickern‹ auf der mittleren Führungsebene. Der BKA-Präsident wird ebenfalls über diese Nachlässigkeit von Interpol informiert werden, und ich hoffe, dieser Konflikt wird zu einem Präzedenzfall.

Denn die Aufgabe und Funktion dieser Behörde besteht schlicht und ergreifend in der umfassenden Unterstützung der nationalen kriminalpolizeilichen Stellen. Und hier hat Interpol schon seit Jahrzehnten kläglich versagt – oder versagen wollen.«

Der letzte Halbsatz hing wie eine Drohung im Raum, wie eine Großoffensive gegen alle Halbwahrheiten, und es schien, die Atmosphäre in dem schäbigen Berliner Büro balle sich zusammen, wie die Gewitterwolken dieses schwülen Augustnachmittags.


Er wischte sich erneut den Schweiß von der Stirn, der nun in kleinen Bächen seine Schläfen hinunter rann.

***

Die Spannung in dem stickigen Büro war knisternd und dicht, und Dor spielte nervös mit seinem Schwert. Er nahm als Einziger die Bosheit wahr, die sich jenseits der Gewitterwolken erhob.

Dieser Mann war sicherlich mutig, doch war er nicht auch leichtsinnig? War es nicht gefährlich, über Dinge zu sprechen, die der Wahrheit zu nahe kamen? Denn Wahrheit gehörte zum Bereich des Lichts, und wenn sie auf Lüge und Zwielicht traf, war Kampf unvermeidlich. Und dieser kleine, verlorene Planet im riesigen All war die Kampfzone. Es mutete lächerlich an. Doch das, was hier geschah, war in Wirklichkeit sehr viel bedeutender als das, was die meisten glaubten.

Aus diesem Grund war er gesandt – um der Wahrheit zum Sieg zu verhelfen. Um jene zu unterstützen, die bereit waren, die Wahrheit aufzurichten. Doch das konnte nur in menschlichen Herzen geschehen. Dor verstand nicht, warum und wie, er wusste nur, das dies so war. Wenn auch die Wahrheit oft mit Füßen getreten wurde, war sie doch mächtiger als jede Lüge, nicht, weil die Menschen so stark wären, sondern … Er wurde jäh aus seinen Überlegungen gerissen, denn ein gewaltiges Donnergrollen ließ die Glasfenster des Gebäudes vibrieren. Als sei dies ein geheimes Signal gewesen, formierten sich langsam, dann immer schneller unzählige dunkle Schatten, und bald hatte sich ein Drittel des Himmels verfinstert.

***

Auf einmal drehte sich alles in seinem Kopf. Eine Welle von Übelkeit, plötzlich und ohne jede erkennbare Ursache durchlief ihn. Er musste sich setzen, und atmete in regelmäßigen Atemzügen ein und aus. Ein und aus. Besorgtes Stimmengemurmel erhob sich:

»Herr Becker, ist alles in Ordnung mit ihnen?« –

»Es ist einfach zu stickig hier, kein Wunder, dass der Kreislauf spinnt.«; »sie arbeiten einfach zu viel, ruhen sie sich einmal richtig aus«; »vielleicht sollten sie einmal länger Urlaub nehmen.«

Mit schweißnassem Gesicht nahm er das alles zur Kenntnis und konnte nur nicken. Sabine Lange, seine Sekretärin brachte ihm ein Glas Wasser, dass er dankbar trank, während er sich noch einmal für eine letzte Ansage wappnete. Seine Stimme zitterte:

»Meine Damen und Herren, ich danke ihnen aus ganzem Herzen für ihren beispiellosen Einsatz in den letzten Wochen. Dies ist in der Tat ein ungewöhnlicher Fall, und ich möchte ihnen persönlich meine Wertschätzung für die vielen Überstunden ausdrücken, die geleistet wurden.«

»Offensichtlich«, er versuchte, zu lächeln, »brauche ich selbst etwas Ruhe. Ich danke für ihre Aufmerksamkeit, und wünsche ihnen allen ein ruhiges, erholsames Wochenende.«

Schnell verließen die Mitarbeiter das Büro, um noch vor dem zu erwartenden Unwetter bei ihren Familien zu sein.

Als er allein zurückblieb, noch immer von Übelkeit geplagt, musste er daran denken, das alles an diesem Fall merkwürdig war.

Die Haltung und Stärke von Dennis Meyer, der, obwohl knapp dem Tod entronnen, und weiterhin von Unbekannten bedroht, noch lächeln konnte. Die merkwürdigen ›Visionen‹, die er hatte. Das Geflecht von Halbwahrheiten und eisernem Schweigen, das ihm auf Schritt und Tritt begegnete, sobald er in diesem Fall recherchierte. Das ignorante Schweigen seiner Vorgesetzten, ja der komplette Informationsstop von Interpol, der auf seine Nachfrage angeblich von höheren Entscheidungsträgern legitimiert war.

Es war so absurd. Auf der einen Seite redeten alle von der Gefahr, die vom internationalen Terrorismus ausgehe, und ja, von offiziellen Stellen wurde zu einem entschiedenerem Kampf gegen Terrorismus in jeder Form aufgerufen.

Aber sobald man etwas Handfestes hatte, entglitt es einem wieder.

Auf einmal fühlte er sich sehr einsam.

So musste sich Don Quichotte gefühlt haben, als er allein gegen die Windmühlen kämpfte, dachte er bitter. Er war hilflos, erschöpft, und es wäre wohl das Beste, diesen Fall abzugeben.

Doch er kam nicht dazu, diesen Gedanken zu Ende zu denken, denn zu der Übelkeit gesellten sich bohrende Kopfschmerzen, die ihn endgültig davon überzeugten, nach Hause zu gehen.


***

Als sich auf der Erde ein einsamer Mann krampfhaft an seinen Stuhl klammerte, um einer Übelkeit zu entkommen, deren Ursache er nicht kannte, fing der Himmel an, zu weinen.

Dicke Tropfen, die erst langsam, dann immer schneller zur Erde fielen, bedeckten rasch den grauen Beton der tristen Metropole. Sturzbäche ergossen sich von den Dächern der Häuser. Die Kanalisation konnte die Wassermengen nicht mehr fassen, so dass ganze Straßenzüge überflutet wurden, und der abendliche Verkehr fast völlig zum Erliegen kam.

Als wenn dies nicht schon genug an Chaos wäre, peitschten nun orkanartige Windböen durch die Straßen der Metropole. Gewaltige Blitze zuckten zur Erde, dicht gefolgt von krachendem Donner, der in den engen Häuserschluchten widerhallte wie Artilleriefeuer.


Aber allein Dor sah, dass mit dem Regen noch etwas anderes, Unsichtbares zur Erde fiel: Eine Macht, mit dem Verstand nicht wahrnehmbar:

Betäubung.

Betäubung für die Menschen dieser Stadt. Sie machte sich bemerkbar in Form von Vergesslichkeit, denkerischer Ignoranz, Trägheit; als mangelnde Ausdauer und Schläfrigkeit. Vor allen Dingen machte es sie (je nachdem, wie stark der Wille des Einzelnen war), immun gegen die Wahrheit. Wenn sie bewusst dagegen ankämpften, dauerte es eine Weile, bis die Betäubung wirkte. Jene, die sich ihr sofort ergaben, aus Desinteresse oder Genusssucht oder Angst, schläferte sie sofort ein.

Doch alles in allem bewirkte dieser Geist eine Illusion:

Ein Zerrbild der Wirklichkeit, dass es den Menschen ermöglichte, über Dinge hinweg zu sehen, die einfach zu bedrohlich waren. Eine Parallelwelt also, eine Flucht aus der Realität mit ihren Kriegen, ihrem Hass, ihrer Lüge. Alles wurde angenehm, zwar nicht besonders aufregend oder abwechslungsreich, aber angenehm.

Die Wirkung lag in dem Empfinden von subjektiver Sicherheit. Wohlgemerkt subjektiv, denn die tatsächliche Bedrohung konnte riesengroß sein, die Menschen nahmen es nicht mehr wahr, und fühlten sich sicher. Ein wenig wie ein Kuschelclub, sinnierte Dor, in dem sich alle lieb hatten, die Welt heil war, und nichts Böses eindringen konnte. Man ahnte, dass die Wahrheit möglicherweise etwas anders aussah, aber was war denn überhaupt Wahrheit? In allem steckte doch schließlich ein Körnchen Wahrheit! War dieses Gerede von Wahrheit nicht anmaßend und lächerlich?

In der Welt, aus der er kam, gab es jedoch einen Namen für diese Haltung: Verblendung.

Er wusste, wie stark Betäubung selbst für ihn war, denn jedes Mal, wenn er das verborgene Tor zur Welt der Menschen passierte, befiel ihn sofort diese lähmende Schwere, und er musste Kraft und Glauben aufwenden, um wieder in die Klarheit seines Geistes zurückzukehren.

So freute er sich jedes Mal, wenn er zurück ins Ewige Reich durfte. Dort sog er die Atmosphäre von Wahrheit und Licht ein, wie ein Verdurstender, der in der Wüste eine Quelle entdeckt. Ebenso stellte er dann fest, dass er viel weiter sehen konnte, als in der Menschenwelt, und auch besser hören.

Ja, in gewissem Sinn erneuerte sich sein gesamtes Wesen.

Er zuckte zusammen, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. Eine leuchtende Gestalt stand neben ihm in der Finsternis. Talmon, der Fürst des Nordens lächelte ihn an. »Gerade bin ich aus dem äußersten Norden gekommen. Ich habe die Anweisung, dir beizustehen. Gegen das hier.«

Er deutete auf die Dunkelheit in weiter Entfernung vor ihnen, die in wellenartigen Bewegungen um ein Zentrum aus rotglühendem Feuer rotierte.

Er sah Dor mit hellen Augen an, in denen eine andere Glut brannte. »Schalom. Wie freue ich mich, dich zu sehen,« rief Dor voller Freude über den Besuch seines Bruders.

Wesensgleich mit ihm. Wächter des Lebens.

»Ich komme gerade vom Berg des geheimen Rates. Nicht wenige der Wächter sind besorgt. Denn die Zeiten auf der Erde werden dunkler. Ja, die Finsternis wird dichter. Der Feind, so sagen die Propheten, fordere nun das zurück, was ihm einst abgerungen wurde. Darum wurdest du auserwählt, Dor. Denn du als Einziger bist ihm ebenbürtig.«

Dor, der still zugehört hatte, sah mit den Augen ins Nichts. Er mochte es nicht, wenn seine Stärken so betont wurden. War sein Rang etwa sein Verdienst?

Nein, Eljon allein gebührt die Ehre dafür, dachte er aus ehrlichem Herzen, und sein Geist jubelte.

Talmon betrachtete ihn lächelnd.

»Siehst du den Mann dort unten durch die nächtlichen Straßen irren? Er hat auch einen Auftrag. Ein Mann, der nach Wahrheit dürstet. Ein besonderer Mann, jemand der nicht so schnell aufgibt. Du sollst ihn beschützen und ermutigen. Das ist meine Anweisung vom Geheimen Rat für dich.«

Dor spürte, wie ein sanftes Wehen für diesen Mann seinen Geist ergriff. Er wehrte sich nicht dagegen.

»Die Freunde meines Königs sind auch meine Freunde«, rief er laut und dröhnend in die ewige Stille hinein, während Kraft ihn erfüllte.

***

Becker war verzweifelt.

Mit gesenktem Kopf schleppte er sich durch die nächtlichen, regennassen Straßen Berlins. Heute Abend spürte er stärker als sonst die Verantwortung, die er trug, das Wissen, durch seine Ermittlungen Leute aufgeschreckt zu haben, die in Ruhe gelassen werden wollten. Und weil er sie nicht in Ruhe ließ, wurden sie gefährlich. Zu gefährlich und zu mächtig für einen kleinen Berliner Kriminalbeamten. Er gefährdete mit seinem Instinkt und seinem Empfinden für Gerechtigkeit nur die, die er liebte. Nicht nur Dennis, für den er beinahe väterliche Gefühle entwickelt hatte.

Auch seine Frau. Er spürte, dass sie es auf ihn abgesehen hatten. Und somit auf Helga. Er hatte Angst.

Zitternd vor Schwäche steckte er den Schlüssel ins Schloss, und öffnete die Tür.

Als er das Trümmerfeld erblickte, dass einmal seine Wohnung gewesen war, sank er auf die Knie. Trotz seiner Vorahnungen traf ihn dies hier unerwartet, wie ein gezielter Hieb in den Magen.

Sie hatten ganze Arbeit geleistet.

Einige Minuten kniete er auf dem Boden, unfähig, sich zu bewegen, und betrachtete mit weiten Augen das Chaos.

Dann erhob er sich, widerwillig fast, und hastete mit entsicherter Waffe durch jeden Raum. In seinem Arbeitszimmer hatten sie am schlimmsten gewütet. Aktenordner waren von den Regalen gerissen, lagen halb am Boden, und eine zwei Zentimeter dicke Schicht aus Zeitungsartikeln und Personalakten bedeckte den Boden.

Gut, dass Helga bei ihren Eltern ist, schoss es ihm durch den Kopf.

Glücklicherweise hatte er die die wichtigsten Dinge in einem Safe im Keller verwahrt. Vor allem das Video, dass ihm erst vor Kurzem von einem Kontaktmann von Interpol übergeben worden war. Es war ihm ein großes Rätsel, wie Dennis es gesehen haben konnte.

Dann war da noch ein dicker Aktenordner über diese kleine terroristische Splittergruppe, die sich Ende der 70-Jahre im Schatten von Jassir Arafats Geheimdiensten zu formieren begann. Sie nannten sich ArmDesJihad.

Natürlich hatte er sowohl vom Video wie auch von den Akten Kopien in seinem Büro.

Er stürzte die Kellertreppe hinunter. In der hintersten Wand, dort, wo der Safe sein sollte, klaffte ein Loch.

Nun wusste er, dass sein Leben bedroht war.

HIMMELSKRIEGER

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