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Die Wissenschaft

der Achtsamkeit

Die großen Neurowissenschaftler unserer Geschichte hatten keine bildgebenden Technologien. Also saßen sie still da und beobachteten die vorbeiziehenden Phänomene von Geist, Körper und Herz. Eine der klassischen Achtsamkeits-Techniken, der Bodyscan, ist so eine Art inneres Abtasten. Während des Bodyscans lassen wir unsere Aufmerksamkeit vom Kopf bis in die Zehenspitzen wandern und beobachten dieselben Phänomene wie die Neurowissenschaftler auf ihren Bildschirmen. Als ich begann den Bodyscan zu üben, stellte sich sehr bald eine tiefe Entspannung ein, es fiel mir leichter mich zu konzentrieren und ich fühlte mich emotional ausgeglichener. Ich brauchte keinen Wissenschaftler, um mir zu erklären was da passierte. Ich konnte die Veränderungen durch eine Art inneres Auge wahrnehmen.

Achtsamkeit ist eine „innere Wissenschaft“ und wir nutzen unseren Geist, unser Herz und unseren Körper für diese Forschung. Statt einer kalten wissenschaftlichen Studie untersuchen wir unser Innenleben mit Mitgefühl und Zartheit. Diese Erkundigung unseres Inneren kann persönliche Einsichten und mehr Selbstliebe zur Folge haben.

Die andere Form wissenschaftlicher Forschung, die in Labors und akademischen Institutionen betrieben wird, kommt ganz objektiv zu denselben Ergebnissen, die Praktizierende seit tausenden von Jahren beobachten. Neurowissenschaftler, Ärzte und Genetiker zeigen auf, dass Achtsamkeit zu mehr Aufmerksamkeit, Mitgefühl, Zufriedenheit und Entspannung führt und Impulsivität, Angst und andere schwierige Emotionen reduziert.

Im folgenden finden Sie eine kurze Zusammenfassung der für unsere Untersuchung von Achtsamkeit in der Schule relevanten, wissenschaftlichen Forschung. Ich hoffe, dass diese Forschungsergebnisse Sie inspirieren werden Ihre eigene Achtsamkeitspraxis zu entwickeln und Ihr Wissen gegebenenfalls mit Ihren Kollegen zu teilen.

Nachgewiesene Effekte

Die Anzahl wissenschaftlicher Artikel über Achtsamkeit hat sich in den letzten 30 Jahren von einem einzigen im Jahr 1982 zu 397 im Jahr 2011 vervielfacht (Mindfulness Research Guide, 2013).

Als Jon Kabat-Zinn 1979 seine Stress Reduction Clinic im Massachusetts Medical Center eröffnete, fand sich der Begriff Achtsamkeit in keinem medizinischen Lexikon. Kabat-Zinn entwickelte an dieser Klinik ein Programm mit dem Namen „Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion“ (Mindfulness-Based Stress Reduction – MSBR), das zu Beginn als unwissenschaftlich abgetan wurde. Wie konnte einfaches Atmen und Selbstliebe für Patienten hilfreich sein?

Kabat-Zinn überredete einige Ärzte, ihre behandlungsresistenten Patienten zu ihm an die Klinik zu schicken. Mit anderen Worten, alle Patienten, bei denen die westliche Medizin am Ende ihrer Weisheit angelangt war, landeten in der Stress Reduction Clinic. Nachdem sie acht Wochen lang Achtsamkeit praktiziert hatten, konnte man bei diesen „behandlungsresistenten“ Patienten bemerkenswerte Veränderungen feststellen. Die MBSR-Patienten verzeichneten einen dramatischen Rückgang der Symptome bei Erkrankungen wie Bluthochdruck, Psoriasis und Fibromyalgie. Chronische Schmerzzustände verbesserten sich „wie von Zauberhand“ und die Patienten berichteten ganz allgemein über ein gesteigertes Wohlbefinden.

Nach Schätzung der Ärzte kommen 60 bis 80 Prozent ihrer Patienten wegen stressbedingten Problemen in ihre Praxis (Rosch, P., 1997). Migräne, Schlaflosigkeit, Angstzustände, Depressionen und eine breite Palette von Beschwerden sind heutzutage stressbedingt. Trotzdem werden nur drei Prozent der Patienten von ihren Hausärzten in Bezug auf Stress-Management beraten (Nerurkar, Yeh, Birdee und Phillips, 2011).

So wirkungsvoll sich unsere westliche Medizin erweist, wenn wir eine Infektion mit Antibiotika bekämpfen, die uns unter anderen Umständen das Leben gekostet hätte, so kann sie bei vielen ganzheitlicheren Gesundheitsproblemen nicht wirklich helfen. Genau wie unser Schulsystem behandelt unser Gesundheitssystem in den seltensten Fällen den ganzen Patienten. Doch genau wie im Schulsystem können wir auch hier große Veränderungen beobachten. Die medizinische Wissenschaft erkennt langsam, dass die Gesundheit des Patienten von einem Zusammenspiel von Geist, Körper und Herz abhängt.

Die nun folgenden Beispiele zeigen nur einige wenige der bemerkenswerten positiven Effekte von Achtsamkeit auf, die durch Forschungsergebnisse untermauert sind.

• Körper: Achtsamkeit hat eine direkte positive Wirkung auf unsere Gesundheit, sie verringert Schmerzzustände und Bluthochdruck und verbessert die Symptome von Krankheiten wie Psoriasis und Fibromyalgie. Bei einer langfristigen Achtsamkeitspraxis konnte sogar eine erhöhte Aktivität der Telomerase festgestellt werden, ein Enzym in unserer DNA, das mit verzögerter Zellalterung, Langlebigkeit und anderen Gesundheitsfaktoren in Verbindung gebracht wird (Jacobs T. L. u. a., 2011).

• Geist: Die Hirnforschung zeigt einen positiven Effekt von Achtsamkeit auf die Struktur und Funktionsweise unseres Gehirns und somit auch auf Aufmerksamkeitsspanne, räumliches Vorstellungsvermögen, Arbeitsgedächtnis und Konzentration. (Jha, A. P. u. a., 2007; Chambers, R. u. a., 2008; Zeidan, F. u. a., 2010). Achtsamkeit zu praktizieren kann zur vermehrter Durchblutung und Kräftigung von Arealen der Großhirnrinde führen, die für Aufmerksamkeit und emotionale Integration zuständig ist (Davidson, R. J. u. a., 2003). Eine Reduktion von grauer Substanz in der Amygdala und damit einhergehend eine Verringerung von Stress und Angst konnten beobachtet werden (Hölzel, B. K. u. a., 2011).

• Herz: Achtsamkeit fördert das Gefühl von Sicherheit, die Fähigkeit, gehaltvolle Beziehungen eingehen zu können, Erfahrungen anzunehmen ohne die Fakten zu verleugnen, mit schwierigen Emotionen umzugehen und ruhig, belastbar und empathisch zu bleiben (Salmon, P. u. a., 2004) Achtsamkeit als psychologische Intervention ist bewiesenermaßen wirkungsvoll bei Drogenmissbrauch, Stress, Angst, wiederkehrenden depressiven Symptomen und Schlafproblemen. (Baer, R. A. 2003). Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR) reduziert depressive Symptomatik und steigert das Wohlbefinden wirkungsvoller als Antidepressiva (Kuyken, W. u. a., 2008)

• Verbundenheit: In einer Studie wurden die mitfühlenden Reaktionen beobachtet, als man die Probanden bat, sich eine Szene mit einem Schauspieler auf Krücken anzusehen. Im Beobachtungszeitraum reagierte die Kontrollgruppe während 15 %, die achtsamkeitsgeübten Teilnehmer während 50 % der Zeit mitfühlend. Es scheint, dass Achtsamkeit die Menschen sogar netter macht! (Condon, P. u. a., 2013). Zu guter Letzt verbessert Achtsamkeit auch die Fähigkeit zuzuhören und Musik zu genießen (Diaz, F., 2013). Achtsamkeit macht uns also nicht nur zu liebenswürdigeren Menschen, sie hilft uns auch, unser Leben zu genießen.

Positive Auswirkungen auf Lehrer, Eltern und Betreuungspersonen

Lehrer, Eltern und Erzieher sind in überdurchschnittlichem Maß von Stress und Burnout betroffen. „Mitgefühlserschöpfung“ (Compassion fatigue) ist ein Begriff, der beschreibt, was passiert, wenn wir uns in unserer Betreuungstätigkeit überfordern, ohne adäquate Unterstützung zu erhalten. Wir versuchen ständig, anderen zu helfen und vergessen dabei, auf uns selbst zu schauen, wir brennen aus, wir sind erschöpft, und das wirkt sich nicht zuletzt auf unsere Leistungsfähigkeit aus.

Es gibt viele Fortbildungen, die die Lehrer in ihrer Achtsamkeitspraxis und Selbstfürsorge unterstützen sollen. Das Stress Management and Resilience Training (SMART), Cultivating Awareness and Resilience in Education (CARE) und eine wachsende Zahl anderer achtsamkeitsbasierter Programme für Lehrer zeigen vielversprechende Ergebnisse. Eine Gruppe von Lehrern, die sich an der University of California einem achtwöchigen Achtsamkeitstraining unterzog, stellte fest, dass sich ihre Angst, ihr Stress und ihre Depressionen verringert und ihr Mitgefühl und andere positive Gemütszustände vermehrt hatten. Diejenigen, die regelmäßig weitergeübt hatten, konnten diese Effekte auch noch fünf Monate nach Ende des Trainings beobachten. Margaret Kemeny, die führende Autorin der Studie, sagt: „Wir konnten feststellen, dass die Intervention, Gefühle und Verhalten in provokanten Situationen verändern konnte, was wirklich aufregend ist. Es ist wunderbar, wenn jemand sich in einer positiven Situation mitfühlend verhält, doch wenn jemand mit Mitgefühl und weniger Wut reagiert, selbst wenn er provoziert wird, dann ist das noch wesentlich bedeutungsvoller“ (Kemeny, M. u. a., 2012). Die Ergebnisse dieser Studie scheinen aufzuzeigen, dass die Lehrer, die das Training absolviert hatten, angesichts der unvermeidlichen Stressoren des Lehrerberufs ihre emotionale Ausgeglichenheit leichter bewahren konnten und empathischer und weniger impulsiv auf schwierige Situationen reagierten.

Die positiven Auswirkungen eines achtsamen Umfelds

Die neuesten Forschungsergebnisse der Neurowissenschaft, Genetik, Bindungsforschung und Entwicklungspsychologie stimmen darin überein, dass Liebe, Zuwendung und Beständigkeit das Wichtigste für die Entwicklung eines Kindes sind. Die Menge und Qualität der empathischen Zuwendung, die ein Kind erhält, lenkt die Entwicklung seines Gehirns entweder in eine gesunde oder in eine destruktive Richtung. Ein gut funktionierendes, schützendes Umfeld fördert die exekutiven Funktionen des Kindes.

Wie Alison Gopnik in The Scientist in the Crib aufzeigt, „beeinflusst alles, was ein Säugling hört, sieht, schmeckt, berührt und riecht, die Vernetzung seines Gehirns“ (Gopnik, A. u. a., 2000). Die Umgebung unsere Kindheit nimmt Einfluss darauf, welche unserer Nervenbahnen zusammen „feuern“, und somit auch auf den Weg, den wir in unserem Leben einschlagen. Die Forschungsergebnisse zeigen klar, dass ein stark belastendes Umfeld, z. B. durch Vernachlässigung oder Missbrauch, Defizite beim Arbeitsgedächtnis, bei Aufmerksamkeit und Impulskontrolle des Kindes zur Folge hat (Maughan, A. und Cicchetti, D., 2002; O’Connor, T. G. u. a., 2000). Ein Baby ist ein Beziehungswesen. Es braucht die Gesten, die unterschiedlichen Gesichtsausdrücke, das Geplapper und andere Interaktionen, um die zwischenmenschlichen Funktionen seines Gehirns auszubilden. Das Wechselspiel mit den Menschen, die sich um es kümmern, beeinflusst nachhaltig die Architektur seines Gehirns. Wenn Eltern oder Institutionen die grundlegenden zwischenmenschlichen Bedürfnisse des Säuglings vernachlässigen, kann das ernsthafte Schäden des Gehirns, ja sogar eine Störung von Körperfunktionen zur Folge haben. Wie der National Scientific Council on the Developing Child feststellt: „Es besteht ein Zusammenhang zwischen schwerer Vernachlässigung in Familie oder institutionalisiertem Setting und einem erhöhten Risiko für Probleme emotionaler, verhaltensbedingter und zwischenmenschlicher Natur im späteren Leben“ (National Scientific Council on the Developing Child, 2012).

Wenn die frühen Jahre eines Kindes von Geborgenheit, Verlässlichkeit und Fürsorge geprägt sind, kann ein Kind vertrauensvoll und optimistisch in die Welt blicken. Ist das nicht der Fall, wird die Welt zu einem gefährlichen, unberechenbaren Ort, dem man nur mit Misstrauen begegnen kann. In erster Linie ist es das Ausmaß an liebevoller Zuwendung und Fürsorge, die uns als Kind entgegengebracht wird, die uns zwei grundverschiedene Wege einschlagen lässt. Und welcher dieser Wege für uns, für unsere Kinder, ja für die ganze Welt wünschenswert ist, steht außer Frage.

Wenn es uns gelingt, Achtsamkeit, Mitgefühl und Emotionsregulation zu verinnerlichen, erhalten die uns anvertrauten Kinder vielleicht die zwischenmenschliche Nahrung, die sie brauchen, um zu gesunden, glücklichen Erwachsenen heranzuwachsen. Wir kennen das alle: ein Kind fällt hin und sieht fragend zu uns auf, denn es weiß nicht, welche Reaktion wir für angemessen halten. Blicken wir erschrocken zurück, wird das Kind zu weinen beginnen, reagieren wir aufmerksam fokussiert aber ruhig, dann merkt das Kind, dass nichts passiert ist und spielt einfach weiter.

Um noch einen Schritt weiter zu gehen, führte Joe Campos vom University of California Berkeley Infant Studies Center ein Experiment durch, in dem Kleinkinder ihre Mütter sehen konnten und auf sie zu krabbelten, bis sie eine visuelle Klippe erreichten (Campos, J. u. a., 1970).

Tatsächlich war die Vertiefung mit einer Glasplatte bedeckt, über die die Kinder ganz einfach krabbeln konnten, doch es sah aus wie ein gefährlicher Abgrund. Einige Mütter sollten das Kind lächelnd und voll Zuversicht anblicken, andere kalt und ausdruckslos bleiben. Die Kinder, deren Mütter ausdruckslos geblieben waren, erstarrten vor dem „Abgrund“, während die Kinder, die in das ermunternde Gesicht ihrer Mutter blickten, einfach über das Glas krabbelten – wie auf Wolken.

Stellen Sie sich vor, wie schön es gewesen wäre, wenn Ihre Eltern und Lehrer keine ihrer irrationalen Ängste oder unerfüllten Bedürfnisse auf Sie übertragen hätten. Stellen Sie sich vor, Ihre Freunde und Ihre Familie könnten Sie genau so sehen, wie Sie sind, ohne Sie verändern zu wollen oder ihre Ängste und Wünsche auf Sie zu projizieren. Nehmen Sie einen Augenblick lang wahr, wie Ihr Körper auf eine Welt voller Ermutigung und Vertrauen reagieren würde. Nun stellen Sie sich vor, wie sich so eine Welt für Ihre Kinder und Ihre Schüler anfühlen würde.

Welche Auswirkungen Achtsamkeit

auf unsere Schüler hat

Mit Hilfe neurowissenschaftlicher und entwicklungspsychologischer Erkenntnisse können wir die Auswirkungen und den Nutzen eines Achtsamkeitstrainings auf das Leben unserer Kinder besser verstehen. Betrachten wir zu Beginn einmal die Dreiteilung unseres Gehirns: das instinktive Reptiliengehirn, das emotionale limbische System oder Säugetiergehirn und den kreativen und logischen Neocortex. Die Weiterentwicklung unseres Gehirns erfolgte jeweils auf dem Gerüst der vorherigen evolutionären Entwicklungsstufe. Es gibt tatsächlich auch heute noch einen Teil in uns, dem es, wie einer Eidechse, in erster Linie ums Überleben geht, einen Teil, der einem hochentwickelten sozialen Wesen entspricht, wie es z. B. ein Hund ist, und diesen relativ jungen Teil des Gehirns, der die New York Times liest, während er an einem Espresso nippt. Sogar kleine Kinder können dieses Konzept verstehen. Im Rahmen ihres Achtsamkeitstrainings lernen sie, wie die Neurowissenschaft ihr Verhalten und ihre Entscheidungen beeinflusst.

Das ältere Reptiliengehirn und das Säugetiergehirn motivieren uns durch Lustgefühle und Angst und haben seit Jahrtausenden zu unserem Überleben beigetragen. Durch die Evolution sind wir nun an einen Punkt angelangt, an dem der Neocortex unser Gehirn umhüllt und mittlerweile 80 Prozent seines Volumens umfasst. Obwohl der Neocortex mittlerweile einen Großteil unserer Gehirnmasse ausmacht, übt der alte Teil immer noch einen erheblichen Einfluss aus. Ihr rationales Gehirn mag sehr wohl wissen, dass eine Tüte Eis nicht gesund ist, doch wie oft übernimmt das Reptiliengehirn gerne die Kontrolle und Sie essen das Eis trotzdem? Unser Gehirn hat etwas von einem Familienausflug. Wenn wir wütend oder verstimmt sind, ist es oft der Babyanteil in uns, der hinterm Steuer landet, und der Erwachsene in uns dreht auf dem Rücksitz durch. Es ist überhaupt nicht notwendig diesen Babyteil loszuwerden; wir müssen nur lernen, unseren Erwachsenenanteil ans Steuer zu setzen und das Baby sicher in seinem Autositz zu verstauen. Wir können keinen dieser Teile loswerden, das wollen wir auch gar nicht, denn sie alle zusammen sind es, die uns zu einem vollständigen, gesunden menschlichen Wesen machen.

Daniel Siegel, der Co-Autor von „The Mindful Brain“, schrieb ausführlich über die Rolle von Achtsamkeit in der Integration des Gehirns eines Kindes. In „Achtsame Kommunikation mit Kindern“ schreibt er:

„Wir wollen unseren Kindern dabei helfen, integrierter zu werden, damit sie ihr ganzes Gehirn in einer koordinierten Weise nutzen können. Wir wollen z. B. dass sie horizontal integriert sind, damit die Logik der rechten Gehirnhälfte gut mit den Emotionen der linken Gehirnhälfte zusammenarbeiten kann. Wichtig ist auch, dass sie vertikal integriert sind, damit die höheren, weiter entwickelten Teile ihres Gehirns, durch die sie ihr Handeln überdenken können, gut mit den niedereren Teilen zusammenarbeiten, denen es eher um Instinkt, Bauchgefühl und Überleben geht“ (Siegel, D. und Bryson, T., 2013).

Indem wir Achtsamkeit praktizieren, können wir lernen, diese verschiedenen Teile des Gehirns zu integrieren und innere Konflikte zu schlichten. Es gibt ein grundlegendes neurowissenschaftliches Prinzip: „Nervenzellen, die zusammen feuern, verbinden sich.“ Auf Grund neuester Erkenntnisse über neuronale Plastizität – das ist die Fähigkeit der Verbindungen in unserem Gehirn, sich im Laufe unseres Lebens zu verändern und anzupassen – wissen wir jetzt, dass unser Gehirn durch gesunde mentale Gewohnheiten stärkere und gesündere neuronale Verbindungen bilden kann. Achtsamkeit trainiert unser Gehirn darin, so zu reagieren, wie wir es wollen, statt auf eine vorgegebene, reflexartige, vom Reptiliengehirn bestimmte Weise. Besonders hartnäckig sind solche Reaktionen in Situationen, die mit Stress oder Konflikten zu tun haben. Wenn ein Kind zum Beispiel gelernt hat auf Angst mit Gewalt zu reagieren, kann Achtsamkeit ihm dabei helfen, sich seines gewohnheitsmäßigen Verhaltens und der zugrundeliegenden Gefühle bewusst zu werden und schließlich die Reaktion auf eine positive, konstruktive Weise zu verändern.

Studien zeigen, dass langjährige Achtsamkeitspraktizierende tatsächlich einen dickeren präfrontalen Kortex besitzen, das ist die Gehirnregion, die für die exekutiven Funktionen (EF) zuständig ist. Entwicklungsneurowissenschaftler, die die Auswirkungen von Achtsamkeit auf die exekutiven Funktionen untersucht haben, sagen: „Achtsamkeitsbasierte Interventionen, die darauf abzielen, uns unserer Gedanken, Emotionen und Handlungen bewusster zu werden, verbessern nachweislich bestimmte Aspekte exekutiver Funktionen, wie Aufmerksamkeit, kognitive Kontrolle und emotionale Regulation“ (Tang, Y. u. a., 2012). Das heißt, dass Schüler durch Achtsamkeit lernen können, während des Unterrichts besser aufzupassen, ihre Emotionen zu regulieren und größere Sozialkompetenz zu entwickeln. Durch achtsames Atmen, Gehen und Übungen, die das Mitgefühl fördern, können Kinder die neuronalen Verbindungen bilden, die ein gesundes Leben begünstigen.

Obwohl Achtsamkeit in der Schule ein sehr junges Gebiet ist, gibt es eine Vielzahl von Studien über die Auswirkungen von Achtsamkeit im Klassenzimmer, in Jugendstrafeinrichtungen und anderen Jugendzentren. Ein Großteil dieser Forschung steckt noch in den Kinderschuhen, doch die Ergebnisse weisen in die vielversprechende Richtung, die wir alle erhoffen. Positive Eigenschaften, wie emotionale Selbstregulation, Mitgefühl, Aufmerksamkeit und die exekutiven Funktionen verbessern sich, während destruktive Tendenzen, wie Impulsivität, Gewalt und Stress reduziert werden. Es bedarf noch vieler Studien, um herauszufinden, welche Praktiken für welches Alter am wirksamsten sind, doch hier ist eine Auswahl dessen, was wir bereits wissen:

• Ein 24-wöchiges Achtsamkeitstraining mit einer Gruppe von Erst-, Zweit- und Drittklässlern führte zu verbesserter Aufmerksamkeit und einer signifikanten Verbesserung von ADHS-Symptomen (Napoli, M. u. a., 2005).

• Ein in Belgien abgehaltenes Achtsamkeitstraining für Schüler zielte darauf ab Depressionen zu verringern. Die Ergebnisse legen nahe, dass Achtsamkeits-Programme in der Schule dazu beitragen können, Depressionen bei Jugendlichen zu verringern und zu verhindern (Raes, F. u. a., 2013).

• Ein für Jugendliche adaptiertes achtsamkeitsbasiertes Stressreduktionsprogramm führte bei den Teilnehmern nach Eigenangaben zu einer Reduktion von Angst, Depressionen und körperlicher Stresssymptomatik, sowie zu mehr Selbstvertrauen und verbesserter Schlafqualität (Biegel, G. M. u. a., 2009).

• In Jugendstrafeinrichtungen ergab eine Studie eine signifikante Reduktion von Feindseligkeiten und emotionalem Unbehagen bei den Inhaftierten nach einem Achtsamkeitstraining. Diese inhaftierten Jugendlichen konnten nach dem Training ihre zwischenmenschlichen Beziehungen und ihre schulischen Leistungen verbessern und ihren Stress reduzieren (Sibinga, E. u. a., 2011).

• Eine bahnbrechende Studie zeigte, dass „das Achtsamkeitstraining sowohl das Leseverständnis (um etwa 16 %) wie auch die Arbeitsgedächtniskapazität verbesserte, und gleichzeitig das Auftreten störender Gedanken während des Lesetests und der Messung des Arbeitsgedächtnisses verringerte“ (Mrazek, M., 2013).

Diese Ergebnisse erlauben erste Schlüsse darauf, in welchem Ausmaß Achtsamkeit zu einem glücklichen, gesunden und erfolgreichen Leben unserer Schüler beitragen kann. Von einem ergebnisorientierten Standpunkt aus freut es uns natürlich, dass praktizierte Achtsamkeit schulische Leistungen verbessern und Verhaltensauffälligkeiten verringern half. Was mich jedoch noch mehr begeistert, ist, dass Kinder durch Achtsamkeit lernen, sich wohl in ihrer eigenen Haut zu fühlen, sich selbst zu vertrauen und Mitgefühl mit der Welt um sie herum zu haben. Noch mehr als auf bessere schulische Leistungen, hoffe ich auf eine Generation von Schülern, die Mitgefühl mit sich selbst und anderen entwickeln. Wenn die Beziehungen zu unseren Bezugspersonen unsere Entwicklung als Kind ausschlaggebend beeinflussen, dann könnten unsere Kinder ja noch integriertere Persönlichkeiten werden als wir, und deren Kinder wiederum integrierter und wir befänden bereits auf dem Weg zu einer friedlichen, integrierten Gesellschaft.

Die achtsame Schule

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