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Gut für sich selbst sorgen

Ein erheblicher Teil der von mir geleiteten Lehrerkurse besteht aus einer stillen Achtsamkeitspraxis, im Sitzen, im Gehen, ziehen wir unsere Aufmerksamkeit vom hektischen äußeren Treiben ab und wenden uns der Stille und der Innenschau zu. Ob es nun zwei Stunden der Stille im Rahmen eines eintägigen Trainings sind, oder ein fünftägiges Schweige-Retreat als Teil einer einjährigen Ausbildung. Ich will, dass die Lehrer Achtsamkeit am eigenen Leib erleben. Wenn Sie selbst Achtsamkeit und Mitgefühl entwickeln, wird sich das unausweichlich auf Ihre Arbeit mit Kindern auswirken. Das ist das schönste Geschenk, das Sie ihnen machen können: sie mit mitfühlender Achtsamkeit wahrzunehmen.

Susan, eine Teilnehmerin meines einjährigen Achtsamkeitsprogramms, kam am zweiten Tag des Schweige-Retreats zu mir, sie war nervös und bat mich um ein Gespräch. Wir machten einen Spaziergang zwischen den Eichen in der kalifornischen Sommersonne. „Ich glaube Nancy macht eine schwere Zeit durch“, sagte sie über eine andere Teilnehmerin.

„Eigentlich möchte ich zu ihr hingehen und sie fragen, ob alles in Ordnung ist. Es fühlt sich nicht richtig an, einfach sitzen zu bleiben.“

„Wie würde es sich anfühlen“, fragte ich, „wenn Du Nancy ihre Traurigkeit einfach lässt und es nicht zu Deiner Aufgabe machst, ihr diese Traurigkeit abzunehmen?“

Als ich das sagte, schossen Susan die Tränen in die Augen und sie begann zu weinen. „Es würde sich so traurig anfühlen. Nancy quält sich, meine Schüler zu Hause sind in solch einer fürchterlichen Situation, ich habe das Gefühl, völlig die Kontrolle zu verlieren.“

Während sie weinte, half ich ihr dabei, ihre eigenen Gefühle zu spüren, statt sich auf den Kummer anderer zu konzentrieren. Ich bat sie, ihrem eigenen Herzen Fürsorge und Unterstützung zukommen zu lassen. „Kannst Du Dich in diesem Moment mit all Deiner Fürsorge Deiner eigenen Traurigkeit und Angst zuwenden?“, fragte ich. Tränen rannen ihr übers Gesicht, als sie ihre Hände an ihr Herz hielt und insgesamt weicher zu werden schien.

Am Ende des Retreats kam Susan mit tiefer Ruhe in ihren Augen zu mir und sagte, dass sie sich seit dieses Augenblicks zwischen den Bäumen vorstelle, dass sie ihr Herz wie ein Baby halten würde. „Sobald wir die Stille beendet hatten, sprach ich mit Nancy und sie sagte mir, sie sei gar nicht traurig. Ich nehme an, da war einfach so viel Traurigkeit in mir, dass ich sie auf sie projiziert habe. Es ist ein wunderbares Gefühl, mir selbst all die Fürsorge entgegenzubringen, die ich normalerweise für andere aufbringe. Es ist, als ob ich mir selbst den Apfel aufs Pult legen würde, den ich mir immer von den Kindern gewünscht habe.“

Wenn wir unsere chaotischen Klassenzimmer unbedingt in Zimmer voller engelsgleicher Kinder verwandeln wollen, die uns jeden Morgen knackige Äpfel aufs Pult legen, dann werden wir uns auf eine lange frustrierende Zeit des Wartens gefasst machen müssen. Es ist großartig, eine Vision von Frieden und Harmonie zu haben, doch wir müssen alle dort beginnen, wo wir sind. Wir geben alles, weil wir unseren Kindern helfen wollen, und merken dabei nicht einmal, wie angespannt und erholungsbedürftig wir selbst sind. Welcher Lehrer würde eine Mathematikstunde geben, wenn er selbst nicht multiplizieren kann?

Viele Lehrer, Therapeuten und Eltern kommen mit großem Enthusiasmus zu mir und fragen, wie sie Achtsamkeit einsetzen können, um ihre Kinder zu retten. Wenn wir sehen, wie unsere Kinder in dieser Welt leiden und einen ersten Eindruck von Achtsamkeit als Gegenmittel bekommen, dann sind unsere mitfühlenden Herzen nicht zu halten. „Vielleicht kann ich damit ja alles in Ordnung bringen!“ Falls das der Grund ist, warum Sie dieses Buch gekauft haben, dann ist das sehr lobenswert, doch zunächst bitte ich Sie, Ihr Tempo ein wenig zu drosseln und tiefer in ihr eigenes Herz hinein zu lauschen. Wann immer jemand seine Begeisterung über Achtsamkeit in der Schule zum Ausdruck bringt, frage ich ihn: „Praktizieren Sie selbst Achtsamkeit?“

In seinen achtsamkeitsbasierten Stress-Reduktions-Retreats fragt Jon Kabat-Zinn oft: „Warum sind Sie hier?“ Dann hakt er nach und fragt: „Warum sind Sie wirklich hier?“ Und sicherheitshalber noch einmal: „Warum sind Sie wirklich, ich meine wirklich hier?“ Sie mögen wahrheitsgemäß antworten: „Ich bin hier, weil so viele Kinder ADHS haben und Achtsamkeit ihnen dabei helfen kann, sich besser zu konzentrieren“, oder: „Ich wünsche mir für meine Kinder die inneren Ressourcen, um mit den brutalen Computerspielen und anderen schädlichen Medien besser umgehen zu können.“ Das sind gute, ehrliche Antworten, doch wenn Sie sich fragen, warum Sie dieses Buch wirklich, ich meine wirklich wirklich wirklich lesen, dann bitte ich Sie, nach Ihren eigentlichen Motiven zu suchen.

Was wollen Sie an sich selbst verändern, um die jungen Menschen, die sich in Ihrer Obhut befinden, besser führen zu können? Wenn Sie hoffen, dass Ihre Kinder sich zu einer bestimmten Art von Mensch entwickeln, was hält Sie davon ab, selbst zu solch einem Menschen zu werden? Jedes mal wenn Sie sich selbst solch eine Frage stellen, ist das ein Geschenk an Ihre Schüler, ein wesentlich wertvolleres Geschenk als jegliche Information, die Sie ihnen anbieten könnten. Information ist im Unterricht unerlässlich, doch Transformation ist es, aus der Reife und Weisheit entsteht. Wenn Sie sich auf dem Pfad des persönlichen Wachstums befinden, dann leben Sie Ihren Studenten die eigentliche Bedeutung von Achtsamkeit vor.

Um Kindern Achtsamkeit beizubringen, müssen wir das tun, was Susan tat. Sie begann bei sich selbst. Sobald wir aufhören, alles nach außen zu projizieren, und bei uns selbst beginnen, dann ist das bereits vorgelebte achtsame Erziehung.

Als Ehe- und Familientherapeut führe ich oft Gespräche mit Eltern, die ihren Sohn oder ihre Tochter mitbringen und sagen: „Mein Kind ist verhaltensauffällig. Können Sie das in Ordnung bringen?“ Ich frage dann nach der Beziehung der Eltern und anderen Faktoren aus der Familie. In der Regel wird sehr schnell klar, dass dieses Kind der „identifizierte Patient“ der Familie ist, und es sich eigentlich um ein systemisches Problem handelt. Etwas in der Familiendynamik läuft falsch und das „Problemkind“ bringt es lediglich zum Ausdruck. Wenn die Eltern Eheprobleme haben, sage ich normalerweise: „Der beste Weg, um Ihrem Kind zu helfen, ist, wenn Sie beide zur Paartherapie gehen.“ Die Eltern sind dann oft erstaunt, wie schnell die Probleme des Kindes gelöst sind, sobald sie sich den zugrundeliegenden Konflikten in ihrer Ehe stellen. Sobald diese Strukturen gestärkt sind, kann das Kind sich entspannen und aufhören durch sein Verhalten Alarm zu schlagen. Wie innerhalb der Familie werden emotionale Probleme und Verhaltensauffälligkeiten auch in Schulen verschärft, wenn wir Erwachsene nicht für uns selbst sorgen und auf die zwischenmenschliche Dynamik an unserem Arbeitsplatz achten.

Achtsame Erziehung zieht unsere Aufmerksamkeit ab von allem, was wir in dieser Welt verändern möchten, und richtet sie nach innen. Statt die enorme und unlösbare Aufgabe auf uns zu nehmen, die Welt um uns herum zur Ruhe zu bringen, lernen wir, das wilde Geplapper in unserem eigenen Kopf wahrzunehmen und damit umzugehen. Unseren Geist zu beruhigen ist zwar auch keine leichte Sache, doch trotzdem noch wesentlich machbarer, als die Welt um uns herum zum Stillstand zu bringen. Statt die Kinder auf dem Spielplatz zu einem friedlichen Zusammenspiel bewegen zu wollen, beginnen wir damit, wahrzunehmen, wie nervös uns dieses Chaos macht. Wenn wir lernen, die Spannung in unserem Körper bewusst zu erleben und die Enge in unserer Brust und den beschleunigten Atem wahrzunehmen, dann können wir auch eine Achtsamkeitspraxis erlernen, um uns zu entspannen und gut für uns selbst zu sorgen. Dann wird es uns gelingen, die Stille inmitten des Sturms zu finden, selbst wenn am Spielplatz wieder mal gestritten wird und in der Klasse weiterhin Chaos herrscht (und das wird es). Ohne dass sich irgend etwas im Außen verändern muss, können wir die Orientierungshilfe sein, die unsere Schüler brauchen. Statt auf den Frieden in der Welt zu warten, können wir uns einfach entspannen und die Welt um uns herum mit unserer inneren Ruhe anstecken.

Die achtsame Schule

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