Читать книгу Kartellrecht und Ökonomie - Dirk Uwer, Daniel Zimmer - Страница 32
II. Preisgestaltung auf Plattformmärkten
ОглавлениеIn diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie eine solche Plattform die Preise für die verschiedenen Nutzergruppen festlegen sollte. So ist zum Beispiel eine Auktionsplattform für Käufer nur wenig attraktiv, wenn es dort nur eine kleine Zahl von Verkäufern gibt, die dort ihre Produkte anbieten, denn dann ist es für einen potentiellen Käufer vergleichsweise unwahrscheinlich, dass er das gesuchte Objekt hier findet. In gleicher Weise ist die Plattform für potentielle Verkäufer uninteressant, wenn es nur wenige Käufer gibt, denn dann ist die Chance gering, die eigenen Produkte verkaufen zu können. Die Plattform wird daher eine Preisstruktur wählen, bei der eine möglichst große Zahl an Transaktionen stattfinden kann, denn sie verdient an jeder Transaktion. Beide Marktseiten müssen also einen Anreiz haben, die Plattform zu nutzen. Dabei kann es sich für die Plattform als optimal erweisen, auf einer Marktseite einen Preis in Höhe von null zu verlangen.117 Dies ist zum Beispiel bei Suchmaschinen der Fall, bei denen der Suchende zumindest keinen monetären Preis für eine Suchanfrage zu entrichten hat. Lediglich die Werbung treibenden Unternehmen müssen an die Plattform bei der Platzierung einer Anzeige eine Zahlung leisten. In vielen Fällen wird die Plattform eine Preisstruktur wählen, die man als zweiteiligen Tarif bezeichnet. Dieser besteht aus einer fixen Grund- bzw. Teilnahmegebühr und einem Preis pro Einheit, z.B. des Schaltens einer Werbeanzeige (pay per impression) oder wenn ein Nutzer auf eine eingeblendete Werbeanzeige klickt (pay per click). Andere Plattformen hingegen verlangen nur einen Preis pro Einheit.118
In einem zwei- oder mehrseitigen Markt führt eine Änderung der Preisstruktur dazu, dass sich die Größe aller Nutzergruppen verändert. In der Regel führt eine Erhöhung des Preises auf einer Marktseite dazu, dass ein negativer Effekt auf die andere Marktseite wirkt, da die Nachfrage der Mitglieder der ersten Gruppe zurückgeht. Aufgrund der indirekten Netzwerkeffekte wird die Plattform auch für die andere Marktseite weniger attraktiv und daher wird auch die Nachfrage dort zurückgehen. Daher sind die Preise, die von den beiden Gruppen verlangt werden, stark davon abhängig wie groß und in welche Richtung die indirekten Netzwerkeffekte wirken. Diejenige Gruppe, die einen größeren indirekten Netzwerkeffekt verursacht, zahlt in der Regel einen geringeren Preis als die Gruppe, die nur einen geringen Netzwerkeffekt ausübt. Der Grund besteht darin, dass bei einem geringen Preis, mglw. einem Preis von Null oder, in einigen Fällen auch bei einem negativen Preis, möglichst viele dieser Nutzer auf der Plattform aktiv sind und sie dadurch attraktiv für die Nutzer der „zahlenden“ Marktseite macht. Da diese Rückkopplungseffekte die Fähigkeit einer Plattform reduzieren, ihre Preise zu erhöhen, kann dies zur Folge haben, dass auf einer Seite der gewinnmaximierende Preis deutlich über den Grenzkosten auf dieser Marktseite liegt. Auf der anderen Marktseite hingegen kann der Preis unterhalb der Grenzkosten liegen und in Extremfällen sogar negativ werden.
Von juristischer Seite wurde bis vor einiger Zeit mitunter argumentiert, dass bei einem Preis von Null auf einer Marktseite kein Markt vorliege, da es sich um eine unentgeltliche Leistungsbeziehung handele.119 Bei zweiseitigen Märkten ist jedoch eine separate Betrachtung nur einer Marktseite nicht sinnvoll, denn ein solcher Plattformmarkt kann nur dann funktionieren, wenn beide Marktseiten zusammengebracht werden. Die optimale Preisstruktur kann dabei so aussehen, dass nur auf einer Seite ein positiver Preis gezahlt wird. Es ist jedoch verfehlt, nur diese eine Seite als Markt im eigentlichen Sinne aufzufassen, denn ohne die andere Seite würde auch dieser „Markt“ nicht existieren. Aus einem Preis von Null auf einer Marktseite zu schließen, es gäbe hier keinen Markt, ist aus ökonomischer Sicht nicht richtig und führt zu falschen Ergebnissen.120 Es handelt sich um einen Fall „einseitigen Denkens“ auf einem zweiseitigen Markt.121
In einem solchen Fall wäre es daher verfehlt, wenn man sich bei einer wettbewerblichen Analyse nur auf die Marktseite beschränkt, auf der ein hoher Preis verlangt wird, denn dies würde auf das Vorliegen von Marktmacht hindeuten, auch wenn eine solche Marktmacht tatsächlich nicht besteht. Daher ist die Tatsache, dass im Fall eines zweiseitigen Marktes einer Marktseite ein sehr hoher Preis abverlangt wird, nicht notwendigerweise ein Indikator dafür, dass Marktmacht vorliegt. In gleicher Weise ist auch ein Preis unterhalb der Grenzkosten kein Anzeichen für eine Kampfpreissetzung. Auch Wettbewerb zwischen Plattformen würde nicht zu einer Änderung der Preisstruktur führen.122
Weiterhin wird die Preisstruktur einer zweiseitigen Plattform auch davon bestimmt, ob die Nutzer nur auf einer Plattform aktiv sind oder auf mehreren gleichzeitig. Sind die Nutzer simultan auf verschiedenen Plattformen aktiv, zum Beispiel indem ein Unternehmen Werbung auf mehreren Plattformen schaltet, dann wird dies als Multi-Homing bezeichnet. Ein solches Multi-Homing schränkt die Möglichkeiten einer Plattform deutlich ein, die Preise über das Wettbewerbsniveau zu erhöhen.123
Wenn es keine Substitution für die angebotenen Dienstleistungen auf der Marktseite A gibt, aber intensiver Wettbewerb auf der Marktseite B herrscht, dann wird jeder Versuch, die Gewinne durch eine Preiserhöhung auf der Marktseite A zu steigern, durch den Wettbewerb auf der Marktseite B konterkariert. Dabei können die Wettbewerber einer Plattform entweder andere Plattformen sein, die ähnliche Güter oder Dienstleistungen anbieten, aber auch Unternehmen, die nur eine Marktseite bedienen. Anders ausgedrückt, die Marktmacht einer zweiseitigen Plattform wird sowohl durch die Rückkopplungseffekte zwischen den verschiedenen Nutzergruppen als auch durch den Wettbewerb mit Konkurrenten auf jeder Marktseite beschränkt. Preise oberhalb der Grenzkosten auf irgendeiner Marktseite sind daher kein verlässlicher Indikator für Marktmacht, denn beide Marktseiten müssen berücksichtigt werden.