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2. Die spirituelle Betrachtungsweise: Unsere Organisation ist ein Gefäß für den Geist

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Jede christliche Organisation ist letztlich ein geistliches Gefäß, eine Plattform, wo der Heilige Geist wirkt. Wir könnten auch von einem Tempel sprechen, in dem Gott wohnt. Die Form des Gefäßes kann sehr verschieden sein, der Tempel mag die Form eines schlichten Holzkirchleins oder einer Kathedrale aufweisen, inhaltlich geht es immer um das eine: Gefäß sein für Gottes Präsenz: »Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.«3 In seinem Namen versammelt sein bedeutet: Wir sind unter seiner Autorität, seinem Schutz, seiner Wegweisung und seinem Segen zusammen. Wir ringen um eine gemeinsame Schau für unsere Sendung in seinem Namen. Wir lassen Nähe und Intimität vor Gott zu und horchen auf seine Stimme, wie der Schuster in seiner Werkstätte auf den Engel hört.

Wie fing das Unternehmen Kirche genau an? Lukas berichtet uns, wie Jesus seinen Jüngern den Auftrag gab: »Verlasst Jerusalem nicht! Bleibt so lange hier, bis in Erfüllung gegangen ist, was euch der Vater durch mich versprochen hat. Ihr werdet bald mit dem Heiligen Geist getauft werden.«4 Die Jünger Jesu sollen also noch in Warteposition verharren, bis sie die nötigen Ressourcen für ihre Aufgaben bekommen werden, obschon sie die beste dreijährige theologische Ausbildung mit Leiterschaftstraining beim fähigsten Mentor erlebt haben. Ihr werdet dann schon expandieren, sagt ihnen Jesus: »Ihr werdet den Heiligen Geist empfangen und durch seine Kraft meine Zeugen sein in Jerusalem und Judäa, in Samarien und auf der ganzen Welt«.5 Aber zunächst heißt es den Zeitpunkt abwarten. Führen umfasst auch die Kunst, die richtigen Tempi vorzugeben. Folgerichtig lesen wir weiter: »Sie kamen im oberen Stockwerk des Hauses zusammen, wo sie sich auch sonst immer trafen, und beteten miteinander.«6 Im Erdgeschoss lagen Läden und Werkstätten. Über den Produktionsstätten waren im Obergeschoss die Wohn- und Schlafräume, die jetzt zur Gebetsstätte wurden.

Das Herzstück einer christlichen Organisation ist die »geistliche Stubete«. »Stubete« ist ein Ausdruck aus Graubünden, der Landschaft mit den vielen Tälern und Bergen. Man stelle sich eine verschneite Winterlandschaft in den Bündner Bergen vor. Der Specksteinofen wärmt. Jemand hat Geburtstag und man lädt zu einer »Stubete« ein. Leute kommen zu Besuch, nehmen und geben Anteil an ihrem Leben, man trinkt eine Tasse Kaffee oder ein Glas Veltlinerwein und tauscht Segenswünsche aus.

»Sie kamen im oberen Stockwerk zusammen, wo sie sich sonst auch immer trafen, und beteten miteinander.« Hier formiert sich eine weltweit tätig werdende christliche Organisation. Die Trennung von Geistlichem und Weltlichem ist von allem Anfang an vermieden. Jedes Mahl ist ein Abendmahl. Das Obergeschoss ist der Kern und wird zum Gefäß für eine geistliche und sozial tätige Kirche, die das Antlitz der Erde verändern wird.

Was für ein Menschenbild kommt bei diesem geistlichen Ansatz zum Ausdruck? Der Mensch ist Geschöpf Gottes. Er ist dazu bestimmt, im Austausch mit und in der Ver-Antwortung vor seinem Gott zu leben. Der Mensch atmet nicht nur, er kennt nicht nur Respiration, sondern weiß auch um das Geheimnis der Inspiration, wo er von Gottes Geist berührt, angehaucht und erfüllt wird. Der Mensch ist empfänglich für Gottes Liebe, Kraft, Wegweisung und Versöhnung. Er kann Gottes Reden vernehmen und ist selber zum Gespräch mit Gott befähigt. Der Mensch ist »ein Pfeil der Sehnsucht nach dem anderen Ufer« (Friedrich Nietzsche) und ist empfänglich für das göttliche Wort von jenseits.

Auf dem Gebiet des Spirituellen lassen sich typische Gesetzmäßigkeiten beschreiben: Hier gilt das Gesetz: »Und es begab sich.«7 Hier wirkt Gottes Vorsehung und Führung. (Interessant ist, dass in der Leidensgeschichte Jesu, wo andere Kräfte als Gott das Heft übernahmen, das »es begab sich« aufhört.) Ein Tagebucheintrag des ersten Generalsekretärs der UNO, Dag Hammarskjöld (1905–1961), bringt es so auf den Punkt: »Der Einsatz sucht uns, nicht wir den Einsatz. Darum bist du ihm treu, wenn du wartest und dich bereit hältst. Und handelst, wenn du vor der Forderung stehst.« Auf der spirituellen Ebene wirken die Regeln und Gesetzmäßigkeiten des Geistes. Der Mensch – auch der Manager, wie wir noch sehen werden – ist hier passiv. Er übt sich in aufmerksamer Gelassenheit. In diesem geistlichen Bereich werden Machomanager marianisch, indem sie sich einüben, empfänglich zu werden. Das kann man nur, wenn man alles Eigene aus den Händen gibt, wie es eben Maria tat. »Ich will mich Gott ganz zur Verfügung stellen. Alles soll so geschehen, wie du es mir gesagt hast.«8

Hier entsteht Frucht. Mit diesem organischen Bild tritt das Unverfügbare in den Mittelpunkt. Frucht lässt sich nicht machen. Wir können wohl düngen, begießen, beschneiden und Schädlinge bekämpfen. Das Geheimnis des Wachsens lässt sich dennoch nicht managen. Manchmal wächst die Frucht sogar von selbst. Da gibt es geheimnisvolle Prozesse ohne unser Dazutun. In unseren Bündner Bergen begegne ich auf meinen Touren gelegentlich dem Steinbrech, jener unscheinbaren, gelbblühenden Pflanze, die mit ihrem Wurzelwerk fähig ist, Fels zu sprengen. Karl Heinrich Waggerl dichtete:

»Wir wissen nicht,

Womit der Steinbrech Steine bricht.

Er übt die Kunst auf seine Weise

Und ohne Lärm. Gott liebt das Leise.« 9

Frucht ist also Zu-Gabe von oben. Sie wächst in einer christlichen Organisation heran als Folge der Verbindung aller mit Christus. »Denn so wie eine Rebe nur dann Früchte tragen kann, wenn sie am Weinstock ist, so werdet auch ihr nur Frucht bringen, wenn ihr mit mir verbunden bleibt.«10 Wir befinden uns hier am Ort der Lilien und der Vögel, wo man sich nicht zu sorgen braucht, wo man nicht nach Essen, Trinken oder Kleidung fragen soll: »Gebt nur Gott und seiner Sache den ersten Platz in eurem Leben, so wird er euch auch alles geben, was ihr nötig habt.«11 – Es gelten die Gesetzmäßigkeiten des Unverfügbaren und des Überraschenden. Da gibt es geheimnisvolle Vermehrungen von wenigem. Hier sind wir Zeugen von Übernatürlichem und Überlogischem (nicht Unlogischem!).

Ich habe einmal auf sehr schmerzliche Art und Weise erfahren müssen, wie abwegig es war, dass ich meiner Logik und unseren organisatorischen pfarramtlichen Abmachungen mehr traute als der Stimme des Geistes:

Als junger Pfarrer ging ich einst ins Nachbardorf zur Sekretärin, die den »Kirchenboten«, unsere örtliche Kirchenzeitung, redigierte. Als ich unterwegs an einem Haus vorbeikam, sagte mir eine innere Stimme: »Kehr da ein und mach einen Hausbesuch.« Ich aber dachte: »Jetzt muss ich doch den Artikel für den ›Kirchenboten‹ abgeben, es ist Redaktionsschluss. Überhaupt, das ist nicht dein Gemeindegebiet, du weißt nicht, ob die Leute reformiert sind, und als Pfarrer haben wir abgemacht, dass jeder für sein Gebiet verantwortlich ist.« So ging ich weiter. Ungefähr einen Monat später übernahm ich als Pfarrer die Ferienvertretung für eben dieses Gemeindegebiet.

Der Zivilstandsbeamte bot mich für eine Beerdigung auf. Er gab mir die Adresse. Da stand ich wieder vor dem besagten Haus! Eine Frau bat mich herein. Ich stellte mich vor. »Seltsam«, sagte sie, »dass gerade Sie die Abdankung halten. Mein Mann sagte in letzter Zeit manchmal, vielleicht könnte ihm der Pfarrer Zindel noch helfen. Er hat sich letzte Nacht vor den Zug gestürzt.«

Ich hatte gehört und nicht gehorcht. Ich hatte den menschlichen Regelungen mehr Gewicht gegeben als der Stimme des Heiligen Geistes. – Was Gott im Folgenden aus diesem Scherbenhaufen bei mir, bei jener Frau und ihren Kindern gemacht hat, wäre eine weitere Erzählung wert.

Wo der Geist wirken kann, gibt es neues Leben, wo unter Umständen überhaupt keine Anknüpfungspunkte und Ressourcen mehr da sind. Zugleich kann bei seinem Wirken unerschütterlich in sich gegründete Selbstsicherheit in Staub zerfallen. Der dänische Philosoph Søren Kierkegaard (1813–1855) sagte über das geheimnisvolle Wirken des Geistes: »Gott schafft alles aus dem Nichts; was Gott nutzen will, reduziert er zuerst auf ein Nichts.« Wohlgemerkt: Die Reduktion auf ein Nichts ist allein Gott vorbehalten!

Bei dieser Betrachtungsweise lassen sich folgende Chancen und Gefahren beschreiben.

Dieser Ansatz nimmt die spirituelle Dimension einer Gemeinschaft ernst. Er rechnet mit der Wirklichkeit und Wirkkraft des Heiligen Geistes. Vor aller menschlichen Leistung steht das Geheimnis des schenkenden Gottes, der dem Menschen unantastbare Würde und einen unverlierbaren Wert vermittelt.

Eine Gefahr besteht dort, wo der geistliche Aspekt absolut gesetzt wird. Die beiden anderen Aspekte, der organische und der mechanische, werden dann abgewertet und gering geachtet.

Das könnte dann vielleicht so klingen: »Alles was Not tut, ist zu den Füßen Jesu zu sitzen. Maria hat das bessere Teil erwählt.12 Geh in die Stille. Nur die Stille stillt. Bete. Übe dich im Nichtstun vor Gott, dann bleibt nichts ungetan. In der Stille vor Gott wird dein Führungsinstrumentarium geschärft. Was mühst du dich den ganzen Tag mit ungeschliffener Säge ab, dabei wärst du siebzig mal sieben mal effizienter, wenn du sie in der Stille schliffest! Raus aus der operativen Hektik, die mit geistlicher Windstille verbunden ist, und rein in die aufmerksame Gelassenheit vor Gott.«

Das sind alles absolut zentrale Führungsmaximen, wenn es um spirituelles Management geht. Aber es wird dort problematisch, wo diese geistliche Grundhaltung absolut gesetzt wird und dabei die anderen Aspekte disqualifiziert werden. Dann wird das Geistliche eine Art Ersatzhandlung, weil wir nicht willens oder fähig sind, Dinge zielführend und ergebnisorientiert anzugehen. Wo dies fehlt, kommen mir Zweifel, ob wirklich der Heilige Geist an der Arbeit war oder unsere hausgemachte Frömmigkeit, die wir künstlich pflegen und kulinarisch genießen möchten.

»Dadurch nämlich, dass sie (die Mönche) die Körper- und Geisteskräfte zugleich üben, gleichen sie die Pflichten des äußeren Menschen mit den Anstrengungen des inneren in der Weise aus, dass sie an die flüchtigen Regungen des Herzens und das unstete Schwanken der Gedanken das Gewicht der Arbeiten wie einen starken und unbeweglichen Anker legen. «13 So beschreibt Johannes Cassianus, genannt Cassian (um 360 bis etwa 435), ein Seelsorger und Menschenkenner mit tiefenpsychologischem Gespür, wie dringend als Ausgleich zum geistlichen Leben die (Hand)arbeit gehört.

Wir haben mit einem Team, das aus schweizerischen und ugandischen Mitarbeitenden zusammengesetzt war, in Uganda/Ostafrika für Aidswaisen drei Kinderheime und ein Platzierungsprogramm in noch intakten Familien aufgebaut. Wir taten das zusammen mit unseren einheimischen Partnern, die der reformierten Kirche angehören. Meine schwarzen Brüder sind meine geistlichen Lehrmeister, wenn es darum geht, für das Wirken des Heiligen Geistes, zum Beispiel für die Gabe des Heilens, offen zu sein. Und doch: Mehr als einmal bin ich relativ frustriert von einer Inspektionsreise aus Afrika heimgekehrt mit dem bösen Spruch auf den Lippen »Sie haben einfach wieder ihren ›Godi‹ (engl. God = Gott) hervorgeholt«. Dieser etwas zynische Ausspruch soll verdeutlichen, dass ich mehrmals in heiklen Situationen, wo Abmachungen nicht eingehalten und Ziele nicht erreicht wurden, wo Konfliktlösungen oder einfach harte Knochenarbeit anstanden, dass in solchen Momenten der liebe Gott aus der Trickkiste gezogen wurde (»Gott hat uns gesagt«, »Der Heilige Geist hat es uns verwehrt«), weil man nicht fähig oder willens war, sauber zu arbeiten. Im selben Atemzug möchte ich weiterfahren: In unserer europäischen christlichen Führungskultur sind wir umgekehrt versucht, strukturelle, finanzielle oder gesetzliche Aspekte vorzuschieben, weil wir nicht fähig oder willens sind, sauber auf die Stimme des Heiligen Geistes zu hören.

Gelegentlich wird das Geistliche so absolut betont, dass damit das Kreatürliche abgewertet wird und auf der Strecke bleibt. Geistlich übersensibel und menschlich unspontan und unterkühlt muss man sich dann Heinrich Bölls scharfsinnige Analyse gefallen lassen: »Die Kinder der Finsternis sind oft herzlicher als die Kinder des Lichts.«

Geistesgegenwärtig führen

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