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4. Die mechanische Betrachtungsweise: Unsere Organisation ist eine Maschine

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Hier stellt man sich die Organisation leblos vor. Sie gleicht einem Uhrwerk, in dem ein Rädchen ins andere greift. Alles tickt präzise aufeinander abgestimmt, effizient und ohne Reibungsverlust im gleichen Takt. Ursache und Wirkung bilden die Grunddynamik des Unternehmens. Entscheidungen und ihre Ausführung, Zielsetzung und ihre Erfüllung sind Glieder in einer klar und übersichtlich geregelten Aufbau- und Ablauforganisation. Man kann Input, Prozesse und Output kontrollieren wie bei einer Maschine. Reglemente und Formulare, klare Strukturen, sauber definierte Schnittstellen und Informationsflüsse prägen die Organisation. Es ist klar, wer entscheidet. Es ist klar, wer ausführt. Es ist klar, wer welche Kompetenzen hat.

»Geleitet von der Newtonschen Logik stützen sich mechanistische Unternehmen auf dieselbe Art von Befehls- und Kontrollstrukturen, die ihren Ursprung im römischen Heer hatten und von der römisch-katholischen Kirche vervollkommnet wurden. Diese maschinenähnlich strukturierten Gebilde stellen Verfahrenshandbücher, Hierarchien, Stellenbeschreibungen und Titel bereit und geben Ziele vor. Es ist typisch für mechanistische Unternehmen, dass sie finanzielle Erfolgsmaßstäbe und Kriterien der Leistungsbewertung, strategische Planungsmodelle zum Zweck der Kontrolle entwickeln.«22 So beschreibt ein Unternehmensberater den mechanistischen Ansatz.

Wir sind dabei die Macher. Wir stellen ein Produkt her. Der Ausdruck Produkt lenkt unseren Blick horizontal auf das rein menschlich Mach- und Messbare. Wir produzieren einen messbaren »Output«, wobei wir Aufwand und Ertrag gegeneinander abwägen können. Wir produzieren zum Beispiel Dienstleistungen: ein biblisches Seelsorgeangebot, Sonderschulung für verhaltensauffällige Kinder, ein Ausbildungsprogramm für zukünftige Pastoren, ein Leistungsangebot im christlichen Hotel, ein Gottesdienstangebot für Jugendliche, Hilfen zur persönlichen Bibellese. Das Produkt ist quantifizierbar. Du kannst Kriterien aufstellen, anhand derer du die Qualität misst (»höchstens drei Reklamationen über die Nachtessen innerhalb von zwei Wochen«). Das Produkt hat seinen Aufwand und seinen Preis. Buchungen, Verkäufe, Besucherzahlen und Gabeneingänge werden zu Kennzahlen. »Etwa 3 000 Menschen wurden an diesem Tag in die Gemeinde aufgenommen. «23 Lukas kann durchaus auch die empirisch messbare Seite des Gemeindebaus erwähnen.

Welches Menschenbild steht hinter dieser Vorstellung? Der Mitarbeiter ist reiner Arbeiter. Der Mensch ist Leistungsträger. »Im Schweiße deines Angesichts sollst du dir das Brot verdienen.« Im Vordergrund steht die Transpiration, das mit der Inspiration ist eher eine unsichere Sache. (Konspiration ist in einem rein mechanisch geprägten Arbeitsklima mit Sicherheit anzutreffen.)

Mensch sein heißt hier bloß, ein Teil der »human resources« darzustellen. Wir wollen keine Erlebnisse miteinander, sondern produzieren Ergebnisse miteinander. Es muss der Job getan werden. Dabei macht die Arbeit nicht unbedingt Freude, aber deren Ergebnis. Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen. Das Motto lautet: Ich leiste, also bin ich. Wichtige Werkzeuge sind Kopf und Hand des Menschen.

Welches sind typische Gesetzmäßigkeiten auf der mechanischen Ebene? Hier herrscht das Machen vor: Wir planen, analysieren, organisieren und arbeiten mit Führungswerkzeugen, die uns jederzeit zur Verfügung stehen – wie Hammer und Nagel dem Schuster. Wir sind die Aktiven. Wir setzen Ziele und arbeiten rational und digital. Es gilt der »Instanzenweg« – und nicht der »Weg des Herzens«.

Welche Chancen und Gefahren verbinden sich mit diesem Ansatz?

Dieser Ansatz betont, dass eine Organisation wirkungs- und leistungsorientiert geführt werden muss. Im Zentrum steht der Ausstoß an guten Produkten, nicht der Mitarbeitende. Vertreter dieses Ansatzes sagen, man müsse die Mitarbeiter nicht zuerst glücklich machen, damit sie dann motiviert arbeiten. Der »Pursuit-of-Happiness-Approach« sei doch ein Trugschluss. »Mache Menschen zufrieden und dann werden sie leisten«, sei der größte Irrtum. Menschen sollten leisten und dann seien sie müde und zufrieden. Saure Wochen – frohe Feste. Und überhaupt, was für ein regressives Getue. Das Baby komme inputorientiert auf die Welt (»Was schuldet mir die Welt?«) und wir sollen endlich erwachsen werden (»Was bin ich der Welt schuldig?«). Die Frage: »Stimmt’s für mich und geht es mir gut?«24 sei nicht wichtig.

Ich habe im Pfarramt gelegentlich an mangelnder Ergebnisorientierung gelitten. Wie oft hatten wir Sitzungen und Treffs aller Art bei uns zu Hause. Meine Frau sorgte für das leibliche Wohl. Die Teammitglieder trudelten ein – ich war ja froh, dass ich diese ehrenamtlichen Mitarbeitenden in ihrer Treue überhaupt hatte. Tagesneuigkeiten wurden ausgetauscht, Beziehungen verstärkt, man verlor sich in Nebensächlichkeiten, während ich doch dringend Resultate für den nächsten Gottesdienst oder die Gemeindeferienwoche erreichen wollte. Als man dann am Schluss fragte, wer was bis wann erledigen werde, waren die ersten schon wieder gegangen. Mein Führen war in diesem Fall zu stark organisch geprägt.

Wie hilfreich sauberes Arbeiten auf der technischen Ebene ist, zeigt folgendes Beispiel:

Als Geschäftsleitung überprüfen wir jährlich jeweils nach den Sommerferien unsere Stellenbeschreibungen. (Dies ist dann auch gerade der Ausgangspunkt für ein qualifizierendes Standortgespräch.) Dieses Jahr musste eine Anpassung meiner Stellenbeschreibung vorgenommen werden. Die Verantwortung für die Einführungsretraite für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die im Kalenderjahr neu angestellt werden, wurde vom Verantwortungsbereich des Finanz- und Personalchefs in den Bereich des Gesamtleiters verschoben, weil wir in der Einführung unseren neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber viel mehr unsere Unternehmensphilosophie, also unsere gemeinsame Berufung, die wir als Werk wahrnehmen wollen, betonen wollen. Damit ist geklärt, wer die Tagungen terminiert und zuhanden des Leitungsteams inhaltlich vorspurt.

Als ein Beispiel, wie die mechanische Betrachtungsweise dominierend und zerstörend wirken kann, greife ich ein Votum meines Lehrers und väterlichen Freundes Hans Bürki auf, der 1960 wie ein Seher schrieb: »Unsere Zeit könnte mit Recht das Jahrhundert der Organisation genannt werden; das heißt aber: das Zeitalter der falschen Bewegung und der falschen Gestalt zusammen. Auch religiöse Bewegung kann organisiert werden von außen. Man muss dazu nicht auf Gott und seinen Wink warten. Ein guter Manager besorgt das rascher und zuverlässiger. Man kann auch die religiöse Form organisieren, imponierend sogar, dem Leben täuschend ähnlich, täuschend für Millionen. In der Nur-Organisation spricht nicht mehr das Herz, sondern das Prinzip, die Regel, der Paragraph, der Apparat, das Pragmatische (gut ist, was nützt). Es gilt nicht mehr der Weg des Herzens, sondern der Instanzenweg. Man möchte todsicher gehen. So sicher wie der Tod arbeitet die Organisation, auch die christliche, die das Leben flieht. Ein erschreckender Machtapparat, eine Formherrschaft breitet sich aus.«25

Wie entmutigend eine zu starke Betonung des Mechanischen in einer christlichen Organisation sein kann, habe ich in meinem ersten Jahr als Leiter erlebt. Unsere Organisation verstand ich bis dahin als Lebens-, Glaubens- und Arbeitsgemeinschaft. Die geistliche und die beziehungsmäßige Dimension in der Mitarbeiterschaft wurde stark betont, gelebt und gefördert. Als neues, junges Leitungsteam wollten wir in das kommunitäre Miteinander mehr Strukturen, Effizienz und Professionalität hineinbringen.

Wieder war ein Schulungstag für die Betriebsleitenden angesagt, an dem es um Arbeitsteilung und Organigramm ging. Jeder Betriebsverantwortliche musste den anderen das Organigramm seines Heimes vorstellen. Die jungen Betriebsleiter taten das gekonnt mit schönen Computergraphiken. Ein älterer Leiter eines Altersund Pflegeheimes entrollte einen unendlich großen Papierbogen, griff dann zu einem langen, dünnen Stock und erklärte das kaum überschaubare Organigramm, das einem auf den Kopf gestellten, weit verästelten Apfelbaum glich. Seine Stimme wurde beim Erläutern der Linien immer unsicherer und leiser – dabei war er eine Kapazität in Sachen Sterbebegleitung, längst bevor das Thema gesellschaftsrelevant wurde. Am Schluss sagte er. »Ich habe halt ein Leben lang das getan, was mir vor die Hand kam. Das mit dem Organigramm verstehe ich nicht ganz. Ich habe nach dem Motto gearbeitet: ›Denkt bei allem daran, dass ihr für Gott und nicht für die Menschen arbeitet. Als Lohn dafür wird Gott euch geben, was er versprochen hat. Das wisst ihr ja. Ihm allein, eurem Herrn Jesus Christus, dient und keinem anderen!‹«26

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