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Der Engel und der Schuster – geistesgegenwärtig führen (I)

Mir ist die gegensätzliche Spannung und zugleich tiefe Einheit von Spiritualität und Management nirgends so eindrücklich vor Augen gemalt worden wie im Bild »Der Engel und der Schuster« von Max Hunziker. Betrachten Sie das Bild auf der Karte, die diesem Buch beiliegt. Ein bärtiger Schuster sitzt an seiner Arbeit im Halbdunkel seiner Werkstatt. Er ist nicht mehr der Jüngste. Sorgfältig hält er mit seiner Linken einen Nagel; seine Rechte treibt den Stift energisch in die Ledersohle. Schuster, den wievielten Nagel in deinem Leben hämmerst du in eine Schuhsohle? Als Meister seines Fachs beherrscht er seine Arbeit im Schlaf. Schuhmacher, ist das nicht langweilig, Tag für Tag in der halbdunklen Werkstatt zu sitzen und Schuhe zu flicken?

Der Mann arbeitet ruhig und ist ganz bei der Sache. Der Schuster bleibt bei seinem Leisten. Er misstraut jenen, die sagen: »Schön ist es anderswo, hier bin ich sowieso.« Er weiß, dass er am richtigen Platz ist: »Hier ist nicht anderswo, schön ist es sowieso.« Er muss keinen Rekord im Nageln aufstellen, um seine repetitive Arbeit als etwas Besonderes darzustellen. Er versinkt aber auch nicht in Selbstmitleid wegen seiner Routinearbeit.

Der Schuster scheint ganz konzentriert. Worauf? Dass er sich mit dem Hammer nicht auf den Daumen schlägt? Kaum! Seine gesammelte Haltung mit dem leicht zur Seite geneigten Kopf deutet vielmehr auf etwas anderes hin:

Von oben her neigt sich ein Engel zu ihm herab. Der Bote ist ganz in Weiß gekleidet. Der Schuhmacher aber schaut nicht hin, sein Blick ruht auf seiner Arbeit; doch er hört auf die Stimme, die zu ihm spricht, ihm etwas zuflüstert oder zuruft, die lauten Hammerschläge übertönend. Er hört gut zu, wach und gesammelt. Er horcht auf eine höhere Eingebung. Er »passt auf, was man droben sagt« (Johann Christoph Blumhardt). Er nimmt die unsichtbare Wirklichkeit Gottes wahr. Und er ist bereit zu gehorchen.

Wer nichts hört, bleibt auch stumm. Lateinisch: surdus bedeutet »taub«, aber auch »lautlos«. Wo überhaupt nicht mehr aufgehorcht, sondern einfach gemacht wird, herrscht das Absurde, das Widersinnige. Es fehlt der Sinn, wenn sich alles rein diesseitig abspielt. Führen, das sich allein an stummen Marktmechanismen orientiert, ist absurd. Ziele erreichen, die sich rein aus dem horizontalen Managen ergeben, macht Leitende vielleicht erfolgreich, aber nicht sinnerfüllt. Sinnvoll Verantwortung tragen und sinnvoll Menschen leiten kann nur, wer horchen kann und gehorsam ist. –

»Rede Herr, dein Knecht hört«,1 das heißt, zuerst hingegeben hören ist wichtiger als gleich zum Wettlauf antreten, wo es dann heißt: »Rede Herr, dein Knecht läuft schon.«

Im Bild herrscht Spannung und zugleich tiefe, fast zärtliche Einheit:

Der Handwerker und der Engel bedeuten für mich: Alltagsarbeit und Erleuchtung sind Zwillinge. Transpiration und Inspiration gehören zusammen wie Schale und Kern einer Frucht. Berufliches Können und begnadete Kunst durchdringen sich. Professionalität und Spiritualität sind Freunde. Du bist im Alltag ganz bei der Sache und zugleich geistesgegenwärtig offen für den Gedankenblitz von oben. Wer an der irdischen Institution baut, traut der göttlichen Inspiration. Umgekehrt fehlen der Inspiration, die nicht in eine Institution mündet, die Hände. Sie wird nicht Fleisch. Sie bleibt schwebend und verpufft, weil der Heilige Geist immer auf Verleiblichung aus ist. Was wäre, wenn der Engel spräche und es wäre kein Schuster da, der Nägel mit Köpfen macht?

Institution ohne Inspiration bleibt flach, technisch und leblos. Sie verfehlt in bester Absicht vielleicht Gottes Absicht. Sie perfektioniert ihre Form ohne Inhalt. Anstatt dass sie ein Feuer hütet, bewahrt sie Asche auf. Man tut in ihr vielleicht viele Dinge richtig, aber nicht die richtigen Dinge. »Als sie die Orientierung endgültig verloren hatten, verdoppelten sie ihre Anstrengungen« (Mark Twain).

Managergebet

Lebendiger Gott,

der Schuhmacher ist Macher – wie ich. Ich mache gerne Nägel mit Köpfen. Ich schlage sie gerne ein, damit sichtbar etwas entsteht. Ich kann gut mit dem Hammer umgehen. Vergib mir, dass ich dann manchmal alles in der Welt für einen Nagel halte.

Ich will wirken, bewegen, damit ein tauglicher Schuh entsteht, ein aufbauendes Buch, ein heilendes Heim, eine Leben fördernde Gemeinde, ein guter Cashflow – damit dein Reich komme.

Lass mich, den Beweger, bewegt werden. Sprich dein das Ohr und das Herz öffnendes Wort, dass es den Rahmen meiner kleinen, dunklen Werkstatt sprengt. Lass mich über meinem kleinen Ziel dein großes, kommendes Reich im Auge haben. Sprich mich aus der Ewigkeit an, damit ich stets modern bleibe. Wecke mein Ohr mit Himmelsmusik, damit ich gute und sinnvolle Alltagsprodukte hervorbringe. Flüstere mir zärtlich das Geheimnis deiner Wachstumskräfte ins Ohr, damit durch mein gutes Hämmern und Nageln nicht nur ein Werk, sondern deine Frucht entsteht.

Amen

Geistesgegenwärtig führen

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