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3. Die organische Betrachtungsweise: Unsere Organisation ist ein Leib
ОглавлениеHier stellt man sich die Organisation als Organismus vor. Sie ist etwas Lebendiges wie eine Pflanze. Die eine Organisation gleicht der Rosskastanie:
»Wie trägt sie bloß
Ihr hartes Los
In Straßenhitze und Gestank?
Und niemals Urlaub, keinen Dank!
Bedenk, Gott prüft sie ja nicht nur,
Er gab ihr auch die Rossnatur.« 14
Mit starker Konstitution nimmt eine Organisation härteste Frontarbeit auf sich und erweist sich dabei als äußerst belastbar.
Eine andere Arbeitsgemeinschaft ähnelt einer Fleisch fressenden Pflanze. Da findet ein unheimlicher Verschleiß und Wechsel an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern statt, Pfarrer oder Prediger kommen und gehen bald wieder. Im Vorstand hält es niemand länger als ein Jahr aus.
Eine dritte Organisation kommt klein und unscheinbar daher, dabei ist sie schön wie der stengellose Enzian in seinem Tiefblau:
»Bist du verzagt,
Weil dich so vieles überragt?
Schau in dies holde Angesicht
Und merk: Am Stengel liegt es nicht.« 15
Und dann gibt es noch die ganz sensiblen, die vor lauter Berührungsängsten oder Exklusivität kaum in Erscheinung treten. Sie gleichen dem Rührmichnichtan:
»Vom Kräutchen Rühremichnichtan
Im tiefsten Hinterhindostan
Wächst eine Art,
Die ist so zart,
Dass dieses Wesen sich bis heute
Schlechthin zu existieren scheute.
(Der Fall ist für die Wissenschaft Ganz rätselhaft.)« 16
Der Versuch lohnt sich, einmal seine eigene Gemeinde oder Organisation spielerisch mit einem Bild aus dem organischen Leben wie zum Beispiel mit einer Pflanze oder einem Tier zu vergleichen. Das ist nicht nur spannend, es wird uns lustig oder nachdenklich stimmen, und wir werden, wenn wir es gemeinsam als Team tun, unsere Vorstellungen von unserer Arbeitsgemeinschaft austauschen können.
Beim organischen Ansatz denken wir aber auch unwillkürlich an das klassische Bild des Leibes, der verschiedene Glieder hat: Hände, Augen, Füße, ein Gehirn, das Geschlecht. Alles ist miteinander verbunden und voneinander abhängig. Leidet ein Glied, leiden alle mit. Geht es dir gut, geht es mir letztlich auch gut.17
Welches Menschenbild liegt diesem Ansatz zugrunde? Hier wird der Mensch nicht so sehr in seiner Gottbezogenheit gesehen, sondern seine Beziehungsfähigkeit gegenüber dem Mitmenschen tritt in den Vordergrund. »Es ist nicht gut, dass der Mensch allein lebt.«18 Das Schwergewicht wird auf die Kooperation zwischen dem Ich und dem Du gelegt. Kommunikation als Anteilnehmen und Anteilgeben wird groß geschrieben. Der Mensch als Beziehungs- und Austauschwesen bringt sich in seine Arbeit ein. Das Motto lautet: Ich lebe in Beziehung, also bin ich. Wichtiges Werkzeug in der Organisation ist das Herz, die Herzlichkeit der Menschen.
Beschreiben wir die typischen Gesetzmäßigkeiten: Hier spricht das Herz mit seinen Schönheiten und Abgründen. Hier gelten alle Gesetze, die für Beziehungen gelten. Hier spielen Sympathie und Antipathie. Das flüchtige Fluidum des Eros tröpfelt oder trieft auch immer mit. Die Gefühle spielen eine große Rolle. Freude und Stolz, Eifersucht und Neid, Angst und Traurigkeit, Zufriedenheit oder Wut prägen das Miteinander. Unsere persönliche und emotionale Reife, aber auch Verletzungen und Kränkungen gestalten das Miteinander.
In der Kommunikation arbeiten unsere Sender und Empfänger präzise oder projektiv, wir agieren und reagieren angemessen oder völlig daneben – meist irgendwo dazwischen.
Wie in der geistlichen Dimension, so ist auch in der zwischenmenschlichen des Nehmens und Empfangens nicht alles mach- und steuerbar, und manches lässt sich auch hier nicht erzwingen. Dinge müssen reifen.
Welche Chancen und Gefahren gilt es zu berücksichtigen? Dieser Ansatz wird unserem Bedürfnis nach Austausch, Anerkennung und Beziehung gerecht. Hier werden wir als Menschen wahr- und ernstgenommen und nicht einfach als Produktionsfaktor oder als Gefäß, das Gott füllen möchte. Das Zusammenarbeiten ist nicht nur vom Leistungsausstoß oder von der geistlichen Ebene her bestimmt, das Miteinander hat Qualität. Man geht freundlich miteinander um, ist höflich, berühren ist erlaubt, Mann und Frau gewinnen Mut, persönlich zu werden und sagen danke. »Verlassen Sie das Büro nie im Zorn auf Ihre Kollegen!«,19 raten Vertreter dieses Ansatzes, wo die seelischen Regungen einer Organisation wichtig sind.
Eine erste Gefahr sehe ich darin, wenn dieser Ansatz auf Kosten der anderen Aspekte absolut gesetzt wird und daraus die Forderung entsteht, dass die Organisation für ihre Mitglieder das Paradies zu schaffen hätte. Der Arbeitsplatz wird hier religiös überhöht und verklärt, als ob er nicht auch der Ort wäre, wo du einfach schlicht im Schweiße deines Angesichts dein Ein- und Auskommen verdienst. »Wir schaffen einen sicheren Ort in einer ansonsten unsicheren Welt – einen einzigartigen Ort, dass wir morgens voller Eifer aus dem Bett springen, um in diesem Schutzraum zu weilen. Ein Heiligtum ist ein Ort der Heiterkeit, Inspiration, Liebe und persönlichen Entwicklung. Ein Ort, der uns einlädt, weil er direkt die Seele anspricht.«20 Das Organische einer Organisation wird idealisiert und der mechanische Ansatz im selben Atemzug madig gemacht: »Traditionelle Manager unterdrücken durch gezielten Einsatz von Macht jede Kreativität.«21
Eine zweite Gefahr bei der Überbetonung des Gemeinschaftlichen sehe ich darin, dass um der Harmonie willen und dem faulen Frieden zuliebe ein Schonklima entsteht, wo wir uns gegenseitig in falscher Art und Weise in Schutz nehmen. Wir sprechen dann Fehler und Schwachstellen nicht oder nicht deutlich genug an, weil man es ja so gut miteinander hat. Diese »Familiaritätsfalle« wirkt sich auf die Qualität des auszuführenden Auftrags negativ aus. Wohl denen, die unbestechlich unbequeme Fragen stellen! In Tat und Wahrheit schadet Liebkindseinwollen von Mitarbeitenden einer Organisation sehr, im Gegensatz zum Kritiker, der oft eine undankbare Rolle in einer Organisation übernimmt, obwohl er zur Klärung und Läuterung von viel Unausgesprochenem beiträgt.