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„Auch der weiteste Weg beginnt mit einem ersten Schritt.“

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Konfuzius

Tag 1

Strecke: Minehead nach Porlock Weir

15,3 km – 556 hm – 3,18 km/h

am Pfad: 15,3 km

Unterkunft: Locanda on the Weir, £ 100,–  empfehlenswert

Wolken, Regen, Sonne

Die Sonnenstrahlen kitzeln meine Nase und nach einer wunderbaren, erholsamen Nacht erwache ich völlig ausgeruht und topfit aus meinem Dornröschenschlaf neben dem Menschen, der bereits seit 27 Jahren mein Prinz ist, um nun auch tatsächlich mit meinem großen, lebensverändernden Abenteuer zu starten. Genau so habe ich es mir gewünscht und genau so habe ich es mir auch viele Male in meiner Fantasie ausgemalt. Jetzt ­allerdings kommt die Realität dazwischen. Sie gibt mir bereits am ersten Tag einen Vorgeschmack dessen, was mir in den kommenden zwei Mo­naten immer wieder begegnen wird. Meine romantischen Vorstellungen vom Path haben nur in den seltensten Fällen etwas mit der Wirklichkeit zu tun. Auch diese Nacht habe ich mehr wachend als schlafend verbracht. Wenig motiviert suche ich im Rucksack nach meinen Kinesio-Tapes. Das jahrzehntelange „Ich bin nicht dick, sondern nur zu klein für mein Gewicht“ hat großen Schaden an meinen Knien und Knöcheln hinter­lassen, der irreversibel ist und ich somit ein wenig tricksen muss, um die lange Zeit, die nun vor mir liegt, möglichst schmerzfrei zu erleben. Dazu gehört einerseits, dass ich im Vorfeld schon fleißig Physiotherapie gemacht und das richtige Anbringen von ­kinesiologischen Tapes erlernt habe und andererseits, dass mich mein Nachbar die Woche vor der Ab­- reise komplett niedergespritzt hat. Gut, das hört sich schlimmer an, als es ist und heißt nichts anderes, als dass ich das Glück habe, dass mein Nachbar, ein Facharzt der Orthopädie, meine Knie infiltriert hat, um mir so die größten Schmerzen zu nehmen. Diesbezüglich bin ich also wunderbar vorbereitet.


Der erste von 4.000 Wegweisern – immer der Eichel nach.

Als es endlich Zeit fürs Frühstück wird, sind wir die ersten Gäste und machen Bekanntschaft mit dem hier so typischen „Full English Breakfast“. Es besteht aus mehreren Gängen und die Bezeichnung „Kalorienbombe“ würde dem Ganzen nicht annähernd gerecht werden. Es beginnt mit ­einem Orangensaft und/oder einer Grapefruit, gefolgt von Porridge, das auch auf die Namen Oatmeal, Haferbrei oder Frühstücksflocken hört. ­Danach wird ein reich gefüllter Teller mit gebratenem Schinkenspeck, Würstchen, einer halben gegrillten Tomate, Baked Beans, gebratenen Champignons und Spiegel- oder Rührei serviert. Je nach Region kommen auch noch Hash Browns, also Kartoffelecken, und ein Black Pudding hinzu, bei uns vor allem unter dem Begriff „Blunzn“, also Blutwurst, bekannt. Den krönenden Abschluss bildet dann ein Toast mit gesalzener Butter und Zi­trusmarmelade, meistens aus Orangen, ab und an auch aus Zitronen oder Limetten. Selbstverständlich gibt es auch Unmengen an Tee, aber so gut wie nie Kräuter- oder Früchtetee, sondern grünen, schwarzen und ­weißen, die allerdings in Hülle und Fülle. Der klassische Frühstückstee wird hier mit Milch getrunken, wobei die Frage, in welcher Reihenfolge man Tee und Milch in die Tasse gießt, das gesamte Königreich in TIF – Tea In First – und MIF – Milk In First – spaltet. Damit ich mich hier nicht ­einer Fraktion anschließen muss, wähle ich lieber Kaffee, wobei ich gleich darüber informieren möchte, dass die Engländer das Kochen von Kaffee ganz ­bestimmt nicht erfunden haben. Trotzdem steigt der Kaffeekonsum der Briten seit dem Ende des letzten Jahrtausends jährlich an: Im Jahr 2018 wurden 95 Millionen Tassen Kaffee pro Tag getrunken. Aber noch hat der traditionelle Tee keinen Grund zur Sorge, denn davon werden täglich 165 Millionen Tassen getrunken.

Nachdem wir also ein Frühstück verspeist haben, das eher danach schreit, sich keinen Zentimeter mehr zu bewegen, holen wir doch unsere Rucksäcke und machen uns endlich auf den Weg. Die letzten 70 Meter von unserem Inn bis zur Startskulptur legen wir am West Somerset Coast Path zurück. Auch dieser gilt als Fernwanderweg, ist aber „geringfügig“ kürzer als der SWCP. Er startet in einem kleinen Dorf in der Grafschaft Somerset namens Steart und nach 25 Meilen, also rund 40 Kilometern, endet er auch schon wieder, nämlich genau hier in Minehead. Genau wie der SWCP wird er 2020 in den English Coast Path implementiert werden, der die ganze englische Küste umspannen wird. Mit seinen 2.795 Meilen wird er nicht nur unseren Wanderweg als längsten Fernwanderweg Großbritanniens ablösen, sondern sich überhaupt unter die längsten Fernwanderwege der Welt reihen.

Nach den ersten 70 recht flachen Metern kommen wir also kurz nach 9.00 Uhr am Startpunkt an. Zum Glück haben wir gestern schon ein paar sonnige Fotos gemacht, denn heute ist der Himmel wolkenverhangen und es riecht irgendwie nach Regen. So gut sind meine Riechorgane allerdings nicht ausgeprägt und ich hoffe, dass sie sich, wie schon so oft, täuschen. Wir schießen auch heute noch das eine oder andere Bild und machen dann endlich den ersten Schritt auf dem SWCP. Wie sagte Konfuzius so schön: „Auch der weiteste Weg beginnt mit einem ersten Schritt“, und der Weg ist wirklich verdammt weit.

In unserem Reiseführer wird die heutige Etappe als „moderat, gefühlt: anstrengend“ beschrieben und die 15,3 Kilometer sollten in 4,5 Stunden erledigt sein. Wir laufen am Kai entlang und sehen kurz darauf unseren ersten Wegweiser, dem weitere 3.999 folgen sollen. Er bescheinigt uns, dass wir bereits 1/4 Meile hinter uns haben und die Distanz nach Poole nur mehr schlappe 629 3/4 Meilen beträgt. Wir schlängeln uns den North Hill hinauf und stehen vor der ersten schwierigen Entscheidung. Die ­offizielle Route läuft am Grat entlang, etwas abseits vom Meer, soll dafür die besseren Ausblicke bieten. Die Alternativroute wird als „rugged path“ beschrieben, soll aber dennoch leicht zu bewältigen sein und ganz entlang der Küste führen. Während wir überlegen, welche Streckenführung für uns wohl die idealste ist, kreuzt plötzlich wie aus dem Nichts eine Herde Wildpferde unseren Weg. Wir wussten zwar, dass diese im Exmoor Nationalpark gelegentlich zu beobachten sind, dachten aber nicht, dass wir das Glück haben würden, sie auch tatsächlich zu sehen. Es ist ein magischer Moment, als die Gruppe dieser fantastischen, edel anmutenden Tiere an uns vorüberzieht; doch so schnell, wie sie da waren, sind sie auch schon wieder weg.


Nur wir sind heute nicht mit’n Radl da.

Wir entscheiden uns schließlich für den offiziellen Weg, denn die Alternative würde eine Stunde länger dauern und die Wolken am Himmel werden immer dichter und dunkler, da wollen wir lieber früher als später am Etappenziel sein. Kurz darauf stellt sich heraus, dass das wohl zumindest heute die ereignisreichere Strecke ist, denn im Moment findet hier der große Exmoor Radmarathon mit einer Länge von insgesamt 70 Kilo­metern statt. Ein paar dieser Kilometer führen über den SWCP und wir erleben zum ersten Mal die Freundlichkeit der Briten. „Good morning, hello, hi“ geht es unentwegt und natürlich grüßen wir jedes Mal zurück, etwa eintausend Mal. Der Vorteil ist, dass wir kein einziges Gatter selbst öffnen müssen, denn überall stehen junge Leute, die diese jedes Mal für die Biker öffnen, und sie tun es auch allesamt für uns. Teilweise ist der Weg aber derart schmal und die Radfahrer sind so schnell unterwegs, dass wir uns nur mehr mittels Hechtsprung in die Büsche retten können. Ganz schön was los hier. Die höchste Startnummer, die wir sehen, trägt die Aufschrift 3.544, dann allerdings trennen sich unsere Wege und wir marschieren in Richtung Bossington Hill, wo sich die beiden Routen des SWCP wieder treffen sollen. Hier begegnen wir noch einer Schulklasse, die sich auf einer Schnitzeljagd befindet. Die jungen Menschen scheinen allerdings wenig angetan zu sein von den Aufgaben, die ihnen zugeteilt wurden, denn allesamt ziehen sie eine Miene wie sieben Tage Regenwetter. Kaum habe ich den Gedanken fertig gedacht, ich sie auch schon, die ersten Regentropfen.

Wir versuchen, so schnell wie möglich nach Bossington zu kommen, denn den steilen Abstieg ins Dorf möchte ich nicht so gerne im Regen überwinden. Es dauert ziemlich lange, bis wir wieder flachen Boden unter den Füßen haben, doch als wir uns gerade dazu entschlossen haben, eine kleine Pause am hiesigen Campingplatz einzulegen, beginnt es, wie aus Eimern zu schütten. Wir holen schnell unsere Regenkleidung aus ihrem Versteck und verschieben das Mittagessen auf später. Bei strömendem Regen wandern wir weiter durch die Salzwiesen von Porlock und kommen bereits um 14.00 Uhr in Porlock Weir an, nur eine halbe Stunden später als die Prognose gelautet hat. Hier in Porlock Weir ist großes Remmidemmi, denn das „Porlock Weir Real Ale Festival“, kurz Weir Fest, ist in vollem Gange. Die Leute sitzen unter großen Regenschirmen und lauschen der dargebotenen Musik. Die Kellnerin des Ship Inns, dem Veranstalter dieser Sause, meint zwar, dass dieses Fest jedes Jahr am ersten Juli-Wochenende stattfindet, ich bin aber eher geneigt zu glauben, dass Porlock Weir dies extra für meinen Geburtstag auf die Beine gestellt hat. Heute ist nämlich tatsächlich mein Geburtstag, der 42., und somit angeblich die beste Zeit, um etwas Neues zu beginnen. Angeblich wird ja jeder von uns alle sieben Jahre zu einem neuen Menschen und wie könnte man diesen Start in die nächsten sieben Jahre besser feiern als mit einer groß angelegten Wanderung und natürlich mit einem riesigen Bierfest zu meinen Ehren?

Wir checken in unser B&B ein, dem frisch renovierten „Locanda“, und freuen uns über das Upgrade, das die netten Besitzer uns zukommen lassen. Von unserem Zimmer aus sehen wir nicht nur aufs Meer, sondern auch direkt auf die Bühne und können so die Musikgruppen im Trockenen beobachten. Die Qualität ist wirklich beachtlich und wir sind fasziniert von der Tatsache, dass das Wetter den Leuten hier so gar nichts auszumachen scheint, denn die Stimmung ist ausgelassen und fröhlich. Kurze Zeit später verdrängt die neugierige Sonne die grauen Gewitterwolken und lässt die vielen Regentropfen auf Bänken und Tischen verschwinden. So zieht es auch uns noch einmal auf die Straße, doch die Erkundungstour des kleinen Dörfchens Porlock Weir endet sehr schnell, denn es gibt nicht wirklich viel zu entdecken, ein kleiner Hafen und ein paar angeblich his­torische Cottages, dann ist man auch schon durch. Selbst im hiesigen Grocery Shop, der nicht einmal das Sortiment eines österreichischen Greißlers aufweisen kann, gibt es keine offiziellen Öffnungszeiten. Je nach Wetterlage und Laune sperrt er auf, erklärt uns der Verkäufer. Da uns das zu gefährlich ist für unseren Wasservorrat morgen, decken wir uns gleich heute mit dem Nötigsten ein; das Risiko, morgen vor verschlossenen Türen zu stehen, wollen wir lieber nicht eingehen. Damit unser Vermieter auch noch ein wenig Geschäft macht, bestellen wir uns eine Pizza aufs Zimmer und lassen den Tag noch einmal gemütlich Revue passieren. Wir sind uns einig: Das haben wir gut hinbekommen.

Schritt für Schritt – Unterwegs am South West Coast Path

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