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„So nah und doch so fern.“

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Sprichwort

Tag 5

Strecke: Woolacombe bis Braunton

24,2 km – 375 hm – 2,72 km/h

am Pfad: 101 km

Unterkunft: Holmsleigh Guest House, £ 80,– → akzeptabel

drückend schwül, dann brennend heiß

Wir können uns gar nicht wegreißen von unserem großartigen Quartier. Das Frühstück ist sagenhaft lecker und wir tauschen uns mit den Gastgebern über den SWCP aus. Dies ist die erste Unterbringung, die wir aufgrund der Empfehlung der South West Coast Path Association gebucht haben. Diese Organisation kümmert sich tagein tagaus um alle Anliegen rund um den Trail und wirbt nicht nur unter den Wanderern um Mit­glieder, sondern auch bei Unterkünften jeglicher Art. Daher bitten sie ­natürlich die wandernden Abenteurer, die es sich leisten können oder ­wollen, auch darum, diesen Übernächtigungsmöglichkeiten den Vorzug zu geben. Heute hatten wir mit dieser Entscheidung großes Glück.

Der Himmel zeigt sich von seiner grauen Seite, aber dies soll sich im Laufe des Tages ändern. Auch die Strecke soll moderat bis einfach sein, also steht im Grunde einem großartigen Wandertag nichts im Wege.

Woolacombe ist ein verhältnismäßig großer Badeort mit einer herr­lichen Esplanade, die wir jetzt entlanglaufen. Außer ein paar Gassigehern und uns ist hier noch niemand unterwegs und die Hunde genießen es sichtlich, den Strand und das Wasser für sich zu haben. Sie tollen herum, laufen Bällen nach, egal wo diese landen, und freuen sich ihres Lebens. Auch wenn ich keine große Hundefreundin bin, sehe ich gerne zu und beneide sie um ihre sagenhafte Lebenslust und ihr unbändiges Vertrauen in ihre Bezugsperson. Ist es noch so anstrengend, kommt meine Lebenslust dieser Tage auch nicht zu kurz, und so stapfen wir kurz darauf durch die Dünenlandschaft Woolacombe Warren. Erst später lesen wir im Reiseführer, dass es auch eine offizielle Alternativroute über eine Straße und einen Pfad gibt, womit man das anstrengende Wandern durch den tiefen Sand hätte vermeiden können. Unsere Unwissenheit führt uns auf einen Höhenweg, der einen unglaublichen Blick zurück nach Woolacombe bietet und uns sprachsowie ratlos am Plateau stehen lässt. Hier gehen etwa fünf schmale Wege in unterschiedliche Richtungen weiter, aber kein einziger ist mit der Eichel für den SWCP markiert. Ein Paar, das etwas weiter vor uns geht, entscheidet sich für den linken Weg in Richtung Croyde Bay, das schon von hier aus zu ­sehen ist, aber das kommt mir komisch vor. Wieder einmal sind wir dankbar für Google Maps, das uns verrät, dass wir einen Weg rechter Hand wählen sollten. Diesem folgend erreichen wir auch kurze Zeit später Baggy Point mit seiner herrlichen Aussicht. Vor allem die seltenen schwarzen Hornschafe, die „Hebridean Black Sheep“, bilden einen großartigen Kon­trast zu dieser Landschaft. Beeindruckend.


Kilometerlanger Sandstrand.

Mittlerweile brennt die Sonne unbarmherzig auf unsere fast schon durchtrainierten Körper. Das Vorankommen wird dadurch immer schwieriger und zerrt an unseren Kräften. Für jede kleine Brise sind wir unheimlich dankbar und jedes noch so kleine Stück Weg im Schatten wird ausgenützt. Wir begegnen einem Paar aus Norfolk, das wir die letzten Tage immer wieder gesehen haben, und nehmen uns heute die Zeit, um ein wenig zu plaudern. Ich erzähle über die Benefizwanderung und zu meiner großen Überraschung entschließen sie sich spontan, ebenfalls Meilen­paten zu werden. Da freue ich mich natürlich sehr und verspreche ihnen – wie jedem anderen auch – mich zu melden, wenn ich ihre Meile ge­wandert bin. Kurz darauf treffen wir am Strand von Croyde Bay ein, gönnen uns ein kleines Eis und füllen unsere Wasservorräte auf. Frisch gestärkt und immer noch motiviert, treffen wir die vermutlich dümmste Entscheidung des ganzen Weges. Wir entschließen uns dazu, die knapp sechs Kilometer lange Route über den flachen, weitläufigen Sandstrand von Saunton Sands zu wählen. Wer träumt nicht davon, Hand in Hand lange Strandspaziergänge mit seinem Liebsten zu unternehmen? In meiner Vorstellung klingt das unglaublich romantisch, doch die Fantasie hat nur wenig mit der Realität zu tun. Anfangs lässt sich der Weg noch recht gut gehen, aber nach etwas mehr als einem Kilometer versinken wir nur so im Sand. Wir laufen zickzack, um irgendwie festeren Untergrund zu finden, aber wir scheitern ­jedes einzelne Mal und addieren so gleich noch mehr Weg zu unserer ­Tagesstrecke. Menschen sind durch das ungewohnte Schauspiel zwischen Sonne, Meer und Sand auch nur schemenhaft in der Ferne zu erkennen. Das Ende ist ­irgendwie in Sicht und doch nicht, quasi „so nah und doch so fern“ und insgeheim warte ich schon darauf, dass sich vor mir eine Fata Mor­gana auftut, denn diese Sze­nerie wäre die perfekte Gelegenheit dazu. Der Sand rieselt fast bei jedem Schritt in un­sere knöchelhohen Wanderschuhe; wir kommen unverhofft und wenig begeistert in den fraglichen Genuss eines Fußpeelings. Kleine Sandkörnchen werden uns auch noch in den nächsten Tagen immer wieder zum Anhalten und Ausleeren der Schuhe zwingen.


Kaputte Boote werden hier sich selbst und den Gezeiten überlassen.

Die vielen Muscheln, die hier angespült werden, lenken uns ein bisschen ab und wir entscheiden uns zu einer kurzen Rast. Peter trägt unterschiedliche ehemalige Meerestierbehausungen zusammen und beginnt, damit Türme, Männchen und Fantasiebilder zu legen. Normalerweise sind wir nach einer Pause sehr gut ausgeruht und konnten Kraft für die nächste Etappe sammeln, aber heute schleppen wir uns nur mühsam weiter. Als wir endlich nach einer gefühlten Ewigkeit – und nach über zwei Kilo­metern in der realen Welt – am Ende des Strandes angelangt sind, finden wir nicht hinaus. Google Maps zeigt einen Weg, den es faktisch nicht gibt, und uns und die Straße trennt ein recht hoher Hügel. Ein ein­ziges Pärchen sonnt sich am Strand, aber da es dort so liegt, wie Gott es schuf, haben wir doch gewisse Berührungsängste und trauen uns nicht so richtig nach dem Weg zu fragen. Also laufen wir querfeldein und plötzlich taucht wie aus dem nichts ein Wegweiser des SWCP auf. Die Erleichterung ist groß, doch zwischen uns und unserem Quartier für die Nacht liegen immer noch gut vier Kilometer. Mittlerweile kommen wir an einem Parkplatz vorbei, von wo aus hier immer wieder Autos hin und her fahren, vielleicht würde jemand aufhalten, wenn wir nur leidend genug aussehen. Irgendwie vermitteln wir aber wohl das Bild, dass wir wandern WOLLEN, und so erbarmt sich keiner und bietet uns eine Fahrgelegenheit an. Allerdings könnte uns von hier aus auch ein Taxi holen, das würde gehen. Im Reiseführer steht sogar eine Empfehlung drin. Ich muss zugeben, dass die Versuchung noch nie so groß war wie genau in diesem einen Augenblick, aber dann denke ich wieder daran, dass ich Meilenpaten für genau diese Strecke habe und dass ich versprochen habe, die Meilen extra für sie zu gehen. Also schnalle ich den Rucksack, den ich zuvor achtlos ins Gras geschmissen habe, wieder auf den Rücken und weiter geht’s. „Durchhalten, geht schon noch, ist ja nicht mehr so lange“, motiviere ich mich selbst und versuche, die letzten Meilen zwischen dem Ästuar auf der einen Seite und dem trockengelegten Marschland auf der anderen doch noch ein bisschen zu genießen. Je näher die Stadt kommt, desto einfacher wird es wieder und so sind wir eine knappe Stunde später endlich beim Tesco Superstore. Wir entscheiden uns für einen sehr tiefen Einkaufswagen, nicht weil wir vor­haben, so viel einzukaufen, aber weil hier unsere Rucksäcke sehr gut ­hineinpassen und wir endlich unsere Rücken erlösen können. Zugegeben, wir sind die einzigen, die den Einkaufswagen dafür zweckentfremden, und ein paar Leute schauen uns schon irgendwie komisch an, aber wen interessiert’s? Das Heikle an der Sache ist, dass sich der Rücken plötzlich so leicht anfühlt und man dann mehr kauft, als eigentlich für den Abend nötig wäre. Nach dem Bezahlen wiegt jeder Rucksack um mindestens vier Kilo mehr und wir haben noch eine knappe Meile zu unserem B&B.

Google Maps bringt uns zur angegebenen Adresse, nur ist dort weit und breit keine Unterkunft zu finden. Ein großer Tennisplatz ist genau da, wo unser B&B stehen sollte und ich habe ehrlich gesagt nicht vor, hier mein nicht vorhandenes, weil viel zu schweres, Zelt aufzustellen. Wir fragen ­Passanten und Leute, die auf der nahegelegenen Bushaltestelle auf ihr Verkehrsmittel warten, aber niemand hat je von Holmsleigh Guest House gehört. Zum Glück zeigt unser Telefon einen Strich Empfang an, etwas, das nicht selbstverständlich ist hier am Path, und so können wir ­unsere Gast­geberin anrufen. Wir stehen tatsächlich davor, nur befindet sich das Haus hinter dem Tennisplatz und die Sicht ist von den Sträuchern davor verstellt. Damit wir uns ja nicht verlaufen, holt uns die Gastgeberin persönlich von der Straße ab. „So nah und doch so fern“, heißt es also zum zweiten Mal an diesem Tag; aber schließlich haben wir es auch heute wieder trotz einiger Herausforderungen geschafft und freuen uns sogar irgendwie schon auf morgen, denn morgen soll es dann wirklich einfach werden.

Schritt für Schritt – Unterwegs am South West Coast Path

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