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„I’m walking on sunshine!“

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Katrina and the Waves

Tag 3

Strecke: Lynton nach Combe Martin

21,4 km – 1.148 hm – 2,19 km/h

am Pfad: 56,5 km

Unterkunft: Poplars, £ 80,– → akzeptabel

immer noch unfassbar heiß

Puh, gibt es einen einzigen Knochen in meinem Körper, den ich nicht ­spüre? Ich versuche, mich langsam im Bett herumzudrehen, doch vom ­Nacken bis zu den Unterschenkeln spüre ich Muskeln, von denen ich bis jetzt noch nicht einmal wusste, dass ich sie habe. Aber schließlich habe ich schon zwei Wandertage hinter mir. Wenn man es richtig betrachtet, dann ist das für sich allein genommen ohnehin eine großartige Meisterleistung – immer nur eine Frage der Definition und des Blickwinkels. Aber so recht mag ich mich selbst nicht davon überzeugen können. Daher beschließe ich, heute mal präventiv eine kleine Wunderpille in Form von Naproxen einzunehmen. Ich habe ein ganzes Schmerzmittelarsenal in den Rucksack gepackt und damit man mich beim Zoll nicht als hoffnungslosen Junkie festnimmt, habe ich die Hälfte davon heimlich meinem Mann ins Gepäck geschmuggelt. Wenn sie uns schon hopsnehmen, dann können wir so ­wenigstens zusammenbleiben.


Mit der Natur auf du und du.


Unabsichtlicher Abstecher ins Hinterland.

Nachdem diese kleinen blauen Pillen ihre großartige Wirkung entfal­teten – ich spreche immer noch von Naproxen – geht es mir deutlich ­ besser und ich binde meine Schuhe fast schon mit Vorfreude. Beim nahe gelegenen Costcutter versorgen wir uns mit viel Wasser und ein wenig Schokolade, denn es soll wieder ein heißer Tag werden.

Los geht es in Richtung Valley of Rocks, einem der ganz großen landschaftlichen Sehenswürdigkeiten rund um Lynton. Doch obwohl die Gegend wirklich herrlich ist, begeistert uns etwas ganz anderes wesentlich mehr: die wilden Lynton Steinböcke. Der Weg zu ihnen ist noch dazu asphaltiert und schnürlgerade, somit starten wir heute mit vier herrlich einfachen Kilometern. Mir fällt eines meiner Lieblings­lieder der 80er ein und ich beginne lauthals zu singen: „I’m walking on sunshine, I’m walking on sunshine and don’t it feel good?“ Die Steinböcke nehmen trotz meiner Grammy-verdächtigen Performance nur unwesentlich Notiz von uns, aber natürlich sind sie Menschen gewöhnt und lassen sich durch deren oft komischen Anblick nicht aus der Ruhe bringen. Noch ganz überwältigt von diesem Erlebnis wandern wir locker-flockig weiter und ver­gessen irgendwie, auf die Wegweiser zu achten. Natürlich ist es dann ganz schnell passiert: Wir haben uns verlaufen. Mitten im Wald gibt es drei Wege, die alle in unterschiedliche Richtungen führen, allerdings ist keiner davon beschildert, was vermuten lässt, dass wir hier falsch sind, aber so richtig falsch. Doch Dr. Google mit seiner interaktiven Landkarte weiß Rat und bestätigt unsere Vermutung: Zum Glück sind es nur etwa 300 Meter, die wir zurückmüssen, das hält sich in Grenzen und wir sind immer noch hochmotiviert. Wir laufen vorbei an Lee Abbey, ­einer ökumenischen christlichen Gemeinschaft, die hier einen Landsitz verwaltet und Platz für christlich motivierte Ferien und Kongresse anbietet. Wie die meisten Gebäude, die wie kleine Schlösser oder Herrensitze aussehen, ist auch ­dieses denkmalgeschützt. Kurze Zeit später treffen wir in Woody Bay ein, in einer kleinen Bucht am Rande des Exmoor Nationalparks, die aus nicht viel mehr als einem Hotel und zwei, drei weiteren ­kleinen Ferien­unterkünften besteht. Leider sehen wir sehr wenig, denn wir sind mal ­wieder von dichtem Wald umgeben. Recht bald kommen wir dort an, wo der Reiseführer begeistert von der „dramatischen Schlucht Heddon’s Mouth“ spricht, ich hingegen sehe nur einen dramatischen Abstieg, der von einem dramatischen Aufstieg gefolgt wird. Wir gönnen uns eine kurze Rast und das deutsche Paar von gestern, das so mühevoll ­versucht hat, mich ein wenig aufzurichten, läuft mit einem kurzen Gruß an uns ­vorbei.


Blick zurück zu den bereits bewältigten Klippen.

Der Aufstieg ist unglaublich steil; ich vermute insgeheim 90 Grad, vielleicht auch mit Überhang, und mein Rucksack und ich quälen uns Schritt für Schritt hinauf. Oben angekommen, fegt mich der Wind beinahe wieder hinunter, aber zum Glück habe ich dem einiges an Gewicht entgegenzusetzen. Langsam und sicherheitshalber immer ein wenig nach links geneigt umrunden wir die Klippe. Die Aussicht ist wirklich spektakulär. Das hat sich auch unser deutsches Pärchen gedacht und sitzt gemütlich beim Mittagessen, die Schuhe fein säuberlich neben sich gestellt. Nun ist es ja eine der ersten Wanderregeln, dass man beim Wandern nie die Schuhe ausziehen soll, aber wer bin ich, dass ich mich dazu äußere? Wir nicken kurz und düsen vorbei. Es geht ein wenig landeinwärts und dann durch die schöne Heidelandschaft von Holdstone Down. Der Holdstone Hill ist vor allem bei UFO-Anhängern sehr beliebt. Auf diesem „Heiligen Berg“ ­finden regelmäßig Treffen statt, denn schließlich ist hier Jesus höchst­persönlich einmal in einem Raumschiff gelandet – zumindest, wenn man der Aetherius-Gesellschaft Glauben schenken mag. Diese Gesellschaft wurde 1955 genau hier in England gegründet und zählt zu den Neuen ­Religiösen Bewegungen mit einer Zuordnung zum Ufoglauben. Wir sehen allerdings weder Jesus noch ein Ufo, das uns zur nächsten Stadt bringen könnte, ­dafür aber einen jungen Mann in gefakter Militärkleidung, der noch langsamer unterwegs ist als wir. Ich spreche ihn an und frage, ob alles in Ordnung ist. Ist es nicht. Er hätte üble Schmerzen in den Füßen und könne nicht glauben, wie anstrengend dieser Abschnitt des SWCP ist. Letztes Jahr sei er vom Midway Point nach South Haven gewandert und hatte die vier Wochen nicht einmal annähernd solche Schmerzen wie ­dieses Mal am dritten Tag. Er schreibt das dem unmenschlich harten ­Boden zu und träumt sich schon nach Combe Martin. Wir gehen ein Stück des Weges gemeinsam, dann entschließt er sich doch zu einer Pause, notfalls würde er sein Zelt hier aufschlagen, wenn es gar nicht anders gehe. Wir vergewissern uns noch einmal, dass wir bestimmt nicht helfen können und wandern dann weiter.

Es ist schon später Nachmittag und die größte Herausforderung liegt noch vor uns – der „Great Hangman“, die höchste Erhebung des gesamten Weges. Bevor wir allerdings mit dem mühsamen Aufstieg beginnen können, müssen wir zuerst natürlich mal wieder ins Tal hinunter, dieses Mal nach Sherrycombe. Der Abstieg ist extrem steil und feucht, was ihn auch noch rutschig macht. Genauso steil geht es auf der nächsten Seite auch wieder bergauf. Es sind zwar nur 318 Meter hinauf, aber die haben es in sich. Eigentlich sind nur die ersten 200 Meter schlimm, danach geht es eher gleichmäßig bis zum wenig spektakulären Gipfelkreuz. Davor sitzt ein Australier, der mal wieder auf seine Frauen wartet: Wir beobachten das schon den ganzen Tag. Er läuft eine nicht unwesentliche Strecke vor und wartet dann immer, bis zwei Frauen nachkommen. Jetzt blockiert er das beste Foto und macht auch keine Anstalten, sich fortzubewegen, als wir den Fotoapparat auspacken. Auch gut, dann gehen wir gleich weiter zum Little Hangman, der gemeinsam mit dieser Erhebung die „Hangman Hills“ bildet. Die Klippe des Great Hangman ist mit ihren 244 Metern übrigens die höchste Klippe Englands. Darunter können wir also auch ein Häkchen setzen.

Der Weg in die Stadt zieht sich ein wenig und wem begegnen wir auf den letzten Metern? Unserem unfreundlichen älteren Pärchen von ­gestern, das mal wieder grußlos an uns vorüberzischt. Es sollten die einzig unfreundlichen Wanderer bleiben, die uns während unserer Zeit hier ­begegneten.

Der kleine Badeort Combe Martin, in dem wir heute übernachten, hat nicht wirklich viel zu bieten und besteht aus höchstens drei kleinen und einer ewig langen Straße. Auch gut, zumindest können wir uns nicht verlaufen. Für Royalisten ist der Ort vor allem deshalb interessant, weil aus dem Silber, das hier abgebaut wurde, Teile der Kronjuwelen entstanden. Außerdem hält Combe Martin den Weltrekord für die längste Straßenparty. Ich kann mir gut vorstellen, wie diese Party das kleine, ruhige Fischerdorf in Aufruhr versetzt haben muss. Heute allerdings ist hier tote Hose und nach dem obligatorischen Supermarkteinkauf gehen wir in unser Hotel, das natürlich wieder den Hügel hinauf liegt. Es hätte sogar einen Pool, doch wir sind zu müde, um jetzt auch noch schwimmen zu gehen. Außerdem haben sich in der letzten Stunde die Wolken ziemlich verdichtet, da zieht mich nichts ins Wasser. Dann lieber E-Mails beantworten, Fotos hochladen und ein wenig fernsehen. Obwohl es ein langer Tag mit über 1.000 Höhenmetern war, haben wir ihn gut gemeistert und können uns auf die Schulter klopfen. Vielleicht verleihen meine blauen Wunderpillen ja sogar kleine Flügel.


So nah am Meer wie möglich.

Schritt für Schritt – Unterwegs am South West Coast Path

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