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„Everywhere is walking distance, when you have the time.“

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Steven Wright, Comedian

Tag 4

Strecke: Combe Martin nach Woolacombe

20,3 km – 1.011 hm – 2,32 km/h

am Pfad: 76,8 km

Unterkunft: Marine House, £ 90,–  wunderschön

unfassbar heiß

Mittlerweile haben wir schon so etwas wie ein Morgenritual entwickelt, das im Wesentlichen aus duschen, packen, frühstücken, einkaufen und losgehen besteht. Doch zwischen dem Aufwachen und dem Frühstücken liegt meist recht viel Zeit, denn das Leben in England beginnt deutlich später als bei uns zu Hause. Heute allerdings dürfen wir uns bereits um 8.30 Uhr den kulinarischen Genüssen hingeben. Mittlerweile verzichtet auch Peter schon auf das „Full English Breakfast“, da es sich mit vollem Bauch wirklich sehr schlecht wandern lässt.

Die erste Station danach ist der Supermarkt, der auch in Combe Martin nicht größer als eine Greißlerei ist. Allerdings gibt es sie hier ­wenigstens noch, bei uns zu Hause sucht man diese meist vergeblich. Als ich noch ein Kind war, gab es in jedem Dorf einen Greißler, doch mittlerweile sind sie fast ausnahmslos verschwunden und selbst den lokalen ­Geschäf- ten in den Städten droht durch Internetshopping und Großkonzernen das gleiche Schicksal. Nach uns bezahlt ein Paar, deren Sprache wir nicht ­richtig zuordnen können. Deutsch scheint es irgendwie nicht zu sein, doch während ich eher auf Niederländisch tippe, glaubt mein Mann, das typische Schwitzerdütsch herauszuhören. Die Verkäuferin versucht ge- rade mühevoll, ihnen die einzelnen Wertestufen der britischen Münzen zu erklären. Dieses Problem kennen wir nur zu gut; auch wir drehen jede Münze zwei- bis dreimal um, bevor wir eine Ahnung haben, welche es möglicherweise sein könnte. Dies wird sich auch bis zum Ende unserer Reise nicht wesentlich bessern, das kann ich an der Stelle schon verraten.


Rastbänke sind nur dann da, wenn wir sie nicht brauchen.

Wir starten auf der Straße und steigen viele Stufen hinab, nur um diese hundert Meter später hinaufzugehen, um auf die gleiche Straße zu kommen. Für mich fällt das in die Kategorie „unnötige Anstrengung“. Der Path rühmt sich damit, so nah wie möglich am Meer entlang zu gehen, und durch diese Wegführung brachte er uns tatsächlich dem Meer zwei Meter ­näher. Wieder oben auf der Straße wartet verlockend eine kleine Bushütte auf uns. Spaßeshalber sage ich zu meinem Mann: „We could take the bus“, und wir kommen so mit einem älteren Pärchen, das hier tatsächlich auf den Bus wartet, ins Gespräch. Viel Zeit zum Plaudern gibt es leider nicht, denn wir müssen weiter. Der nächste Abschnitt ist nicht wirklich spektakulär: Wir wandern über Campingplätze, durch Stauden und auf kurzen, steinigen Stränden, haben aber immer einen großartigen Blick aufs Meer. In Ilfracombe angekommen, entschließen wir uns zu einer ­kurzen Pause, da mich von weitem schon eine kleine Bäckerei magisch anzieht, vielleicht gibt es dort ein Kipferl. Ich betrete das schnuckelige Geschäft und wer kauft dort auch gerade ein? Das nette Pärchen von der Bushaltestelle. Man sieht sich wohl tatsächlich immer zweimal im Leben. Kipferl haben sie trotzdem keines, immer nur Croissants, aber die haben halt deutlich mehr Kalorien. Daher entscheide ich mich für ein kleines Chelsea Bun, das irgendwie wie eine Zimtschnecke aussieht und doch ­keine ist. Wikipedia meint, dass es eine Art Johannisbeer-Brötchen sei, aber bei mir haben sich die Johannisbeeren als Rosinen getarnt. Egal, ­lecker ist es auf jeden Fall.

Ilfracombe an sich ist ein Städtchen, in das ich gerne noch einmal reisen möchte. Sowohl den Hafen als auch die High Street fand ich faszinierend und ich denke, dass es da noch vieles zu ent­decken gäbe. Heute allerdings nicht. Während das Pärchen sich wieder auf den Weg zum Bus macht, bleiben wir tapfer und folgen weiterhin den Weg­weisern des SWCP. Diese führen uns nach dem Hafen rund um den ­Capstone Point und zum Torrs Walk. Hier ist wirklich alles großartig ­ausgeschildert und so können wir die Stadt recht bald verlassen und ­kommen verhältnismäßig schnell in Lee Bay an.

Jetzt wartet die anstrengendste, aber auch schönste Teilstrecke des heutigen Tages. Wir durchqueren zwei tiefe Täler, die uns einen Vorgeschmack dessen geben, was wir ab jetzt fast täglich überwinden werden: Stufen! ­Stufen hinunter, Stufen hinauf. Erdstufen, Holzstufen, Steinstufen, Grasstufen, lose Stufen … einmal 20 Zentimeter hoch, dann 80, dann 40. Ohne Stufen wäre es einfach zu steil, mit ihnen ist es allerdings irrsinnig anstrengend für Knie und Hüften. Aber wir müssen den Weg ohnehin so nehmen, wie er ist, und es wird sich zeigen, dass Runtastic in den Teilen, in denen Stufen zu überwinden sind, die langsamste Durchschnittsgeschwindigkeit aufzeichnet.

Schließlich erreichen wir Bull Point und den dazugehörigen Leuchtturm. Er liegt so romantisch, dass er eine großartige Kulisse für einen ­Rosamunde Pilcher Film abgeben würde. Bis jetzt haben Filmcrews dieser Reihe dieses wunderschöne Fleckchen Erde noch nicht entdeckt, das mag aber auch daran liegen, dass wir immer noch in Devon unterwegs sind und Cornwall deren bevorzugter Drehort ist.


Camper gibt es etwa genauso viele wie Schafe.

Der Weg führt uns weiter um den Morte Point herum. Die zerklüfteten Schieferfelsen ragen hier spektakulär aus dem Meer und erinnern mich irgendwie an den Rücken eines Dinosauriers. Vielleicht habe ich ja gerade ein gigantisches Fossil entdeckt und gehe mit diesem Fund in die Weltgeschichte ein. Wer weiß … Jetzt allerdings erregt etwas ganz ­anderes meine Aufmerksamkeit. Unten auf den Felsen liegen zwei Robben und lassen den lieben Gott einen guten Mann sein. Eine weitere chillt genüsslich im Wasser und schmeißt sich kurz darauf auch auf den Gemeinschaftsfelsen. Naturbeobachtungen zählen zu den großartig­sten Erlebnissen bei einer Weitwanderung, doch Robben in ihrer natür­lichen Umgebung zu beobachten, gehört dann zumindest für mich noch einmal eine Kategorie höher eingeordnet. Wir können uns gar nicht satt­sehen und während wir den Anblick genießen, kommt auch wieder unser deutsches Pärchen von gestern und vorgestern vorbei. Dieses Mal nehmen wir uns ein wenig mehr Zeit zum Plaudern, erfahren, dass sie Sylvia und Fabian heißen und dass für die zwei bereits morgen der letzte Wandertag ist. Wahnsinn, sie haben es schon fast geschafft, wir haben da noch deutlich länger in der Gegend zu tun. Ich erzähle, dass sie uns gerne auf Facebook folgen können und wir erzählen, dass wir doch etwas ängstlich auf eine Etappe nächste Woche blicken. „Ah, das war, wo du so im Arsch warst“, meint Sylvia zu ihrem Mann. Ich könnte nicht behaupten, dass mich das auch nur im Entferntesten beruhigt hätte, im Gegenteil. Wenn das für die zwei, die einen sehr gut durchtrainierten Eindruck machen, bereits schwierig war, wie soll das dann für mich werden? Fabian versucht, das Ganze ein wenig abzuschwächen, indem er meint, dass er die drei Biere zu Mittag besser nicht getrunken hätte, aber da war der Schaden schon angerichtet. Jetzt habe ich wirklich mehr als nur Respekt vor diesem Abschnitt, aber auch das nützt nichts, denn er gehört halt zum Weg dazu.

Sylvia und Fabian müssen weiter, denn sie können nur bis 17.00 Uhr in ihr B&B. Diesen Stress haben wir zum Glück nicht, wir haben Zeit. „Everything is walking distance, when you have the time“, sagte der ­Comedian Steven Wright und damit hat er gerade für Weitwanderer einen treffenden Satz formuliert. Wir gehen langsam weiter und schlendern unterhalb der Klippen an kleinen sandigen Buchten bis nach Woolacombe. Allerdings schlendern wir nicht, weil wir den Weg so genießen, sondern weil wir mittlerweile wirklich müde sind. Die Stadt ist zwar schon von weitem zu sehen, aber es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis wir endlich da sind. Das liegt auch daran, dass wir versuchen, so gut wie möglich den Hinterlassenschaften der hier grasenden Schafe auszuweichen, was wohl aus der Entfernung wie ein Spießrutenlauf aussieht. Kurz vor dem Anstieg in die Stadt sehen wir auch unser altes Pärchen wieder. Nun stelle ich mich den beiden fast direkt in den Weg und grüße herzlich und unüberhörbar. Die Frau sieht mich an, als ob ich den Verstand verloren hätte, und würdigt mich keiner Antwort, vom Mann kommt zumindest ein kaum verständ­liches „Hello“ zurück. Es sollte das letzte Mal sein, dass wir die zwei sehen, wir werden aber noch oft von ihnen erzählen und dabei den Kopf verständnislos schütteln.


Zuerst hinunter wandern, um gleich darauf wieder hinauf zu gehen.

In Woolacombe angekommen und im Supermarkt mit Essbarem eingedeckt, suchen wir etwas verloren unser B&B, es versteckt sich in einem Hinterhof und ist daher nicht so einfach zu finden. Schließlich schaffen wir es doch und werden ganz herzlich von Jo und Andy begrüßt. Das ­ junge Paar hat hier ein wunderbares kleines Gästejuwel mit allen Annehmlichkeiten geschaffen. Hier ist es so herrlich, dass ich mich weigere, das Zimmer auch nur für ein paar Minuten zu verlassen; ich muss Peters Vorschlag, uns den romantischen Sonnenuntergang am Strand anzusehen, ausschlagen. Wie er nur daran denken kann, nach über 21 Kilometern und fast 1.100 Höhenmetern auch abends noch eine Runde drehen zu wollen, bleibt mir – vorerst – unverständlich; aber so haben wir wenigstens traumhaft schöne Abendstimmungsfotos, von denen ich später natürlich erzählen werde, dass ich sie geschossen hätte. Heute genügt es mir allerdings vollkommen und ohne schlechtes Gewissen, vom Sonnenuntergang einfach nur zu träumen.

Schritt für Schritt – Unterwegs am South West Coast Path

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