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Der Knutschfleck

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Ich habe eine Freundin mit einer langen Leitung: Erst in ihren späten Dreißigern erkannte sie, dass sie in einer Beziehung lieber zu zweit menstruiert als allein, und wurde lesbisch. Vor dieser Zeit hatte sie eine Tochter geboren, nennen wir sie Nina. Dieses Mädel ist jetzt dreizehn und hat nur eines im Kopf: Jungs.

Die Pubertät verwirrt bekanntlich so manchen Geist.

Einmal traf ich Nina an einem Sommernachmittag, als es dreißig Grad heiß war. Sie trug Hotpants, Sommerschuhe, T-Shirt und einen Schal. Da ich nicht groß darauf achte, was jemand trägt, habe ich mich nicht gefragt, warum Nina bei dieser Hitze einen Schal trägt. Es gehört zu den Aufgaben der Jugend, sich unmöglich zu kleiden – ich erinnere mich mit Vergnügen und Schamesröte an meine Teenagerkleidung: Pluderhose, Jesus-Sandalen, riesiges Bauernhemd, gestricktes Mützchen und Brottasche. Also warum nicht bei dreißig Grad ein Halstuch tragen?

Am Abend schickte mir Ninas Zweitmutter ein Foto, das enthüllte, was der Schal verhüllt hatte – einen Knutschfleck.

Als zarter Teenager fand ich Knutschflecken wahnsinnig aufregend, denn offenbar hatten zwei Menschen Wildes miteinander getrieben: Bestimmt ist man besinnungslos vor Leidenschaft, wenn man des anderen Haut blau saugt und noch besinnungsloser, wenn man zulässt, dass jemand einem die Haut malträtiert. Ich fragte mich sehnsüchtig: Wann würde ich diese Trophäe tragen, diesen Beweis, dass ich Feuer unter dem Hintern habe? Würde ich stolz einen Schal um den Hals tragen? Würde jemand den blauen Fleck trotzdem entdecken, dämlich grinsen und spotten: So, so! Na, war’s heiß? Ho ho!

Die traurige Wahrheit ist: Ich habe kein Feuer unterm Hintern. Ich mache mittlerweile im Bett mehr als nur schlafen und Kreuzworträtsel lösen – mein Hals jedoch ist blütenweiß geblieben.

Ich habe immer mal wieder zu meinen Bettgefährtinnen gesagt: Mach mir einen Knutschfleck, ich will endlich einen Knutschfleck, ich will, dass alle sehen: Bei mir geht’s im Bett voll ab. Die Gefährtinnen haben gesaugt, aber entweder waren sie lausig darin, oder es begann zu schmerzen, und da wollte ich nicht mehr. Die Leidenschaft währenddessen war heiß wie tiefgekühlte Heringe.

Und trotzdem stürzte mich jetzt Ninas Knutschfleck in eine sexuelle Krise: Ich durchforstete meine Erinnerungen nach einem Erlebnis, das man der Produktion von Knutschflecken gleichsetzen könnte. Einmal war mein Nachttisch in Flammen aufgegangen, einmal fiel ich aus dem Bett, einmal operierte ich mit Halloween-Handschellen (was nicht lustvoll war, aber lustig), mehrmals stieß ich mir den Kopf an Möbeln und Wänden – doch das zählt nicht: Denn nie hat mich ein hingebungsvolles, vampirartiges Saugen in orgiastische Höhen katapultiert und gebrandmarkt.

Ich rief Freundinnen an und fragte sie nach ihren Knutschfleckerfahrungen. Die meisten konnten sich nicht erinnern und die, welche es konnten, waren durchs Band heterosexuell. Offenbar fleckenknutschen vor allem Männer. Die Frauen, die sich an die Knutschflecke erinnern, können sich aber nicht daran erinnern, ekstatische Empfindungen gehabt zu haben – nur etwas Schmerzen.

Bestimmt würde Nina etwas anderes behaupten.

Ich frage sie nochmal in zwanzig Jahren.

Das Leben ist ein Witz

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