Читать книгу Das Leben ist ein Witz - Daniela Schenk - Страница 8
Warum in die Nähe schweifen, wenn das Ferne so gut?
ОглавлениеIch habe bis vor ein paar Jahren Menschen bemitleidet, die in einer Fernbeziehung leben: Das kann nichts Rechtes sein, habe ich gedacht; so kann man keine echte Beziehung führen, fand ich; die wollen sich nicht wirklich einlassen, wusste ich; so etwas möchte ich nie und nimmer, behauptete ich.
Das Spaßige am Leben ist: Es schert sich einen Deut darum, was wir denken, glauben und wollen, sondern folgt stur seinem eigenen Kurs. So bin ich, die ich weder Fernbeziehung noch Frau mit Kind wollte, mit einer Frau zusammen, die weit weg lebt und eine Tochter hat. Ich bin auch die gewesen, die gesagt hat: In Europa fliegt man nicht, man nimmt den Zug – wegen der Umwelt. Und jetzt bewege ich mich im Flughafen Zürich und Stockholm Arlanda wie in meinem Wohnzimmer.
Wie Tove und ich uns gefunden haben, ist eine schöne und unmögliche Geschichte: Auf diese Art kann man sich nicht finden, zu viele Zufälle müssten da mitmischen. Was sie fröhlich taten.
Am Anfang unserer Beziehung dachten wir, dass wir bald einen Weg zueinander finden würden: Tove wollte in die Schweiz ziehen, verwarf die Idee jedoch wegen der kleinen Schwedin. Ich begann mir Szenarien vorzustellen, wie ich teilweise oder ganz in Schweden leben könnte. Nur leider kann man mich so problemlos verpflanzen wie eine hundertjährige Eiche: Ich habe es bisher nicht geschafft, weiter weg als fünfundzwanzig Kilometer von meinem Geburtsort zu ziehen. In meinen Adern fließt nicht das Blut einer Globetrotterin sondern einer Dorftrottelin.
Mittlerweile reden Tove und ich nur selten darüber, wie wir es anstellen könnten zusammenzuleben, denn wir sehen keinen Weg. Immer mal wieder sage ich zur Beruhigung: Nur weil man keinen Weg sieht, heißt das noch lange nicht, dass es keinen gibt – im Nebel sieht man den Weg auch nicht, und trotzdem existiert er.
Ich finde diese Metapher geistreich, aber davon lichtet sich der Nebel nicht.
Meine Freundin Sieglinde bemerkte kürzlich: „Ich befürchte, eure Beziehung hat keine Zukunft.“ Sie sagte in einem Nebensatz, was für mich sehr hauptsächlich ist. Sie mag Recht damit haben, Tove und ich werden vermutlich lange keinen gemeinsamen Haushalt aufbauen können. Nun gut, wenn ich ans Geschirrspülen denke, bin ich gar nicht so unglücklich darüber.
Aber stimmt es wirklich, dass unsere Beziehung keine Zukunft hat? Ist nicht das einzige, was man mit Bestimmtheit über die Zukunft sagen kann: Man kann nichts mit Bestimmtheit über sie sagen? Nicht mal das Wetter wird verlässlich so, wie es die Meteorologen voraussagen, und die benützen für ihre Prognostik immerhin wissenschaftliche Methoden.
In jungen Jahren war ich einmal bei einer Hellseherin. Sie war blond und drall, so wie man sich die Servicefrauen am Oktoberfest vorstellt, und sie wusste einiges: Dass ich nicht mit nackten Füssen herumgehen solle, weil meine Durchblutung schlecht sei; dass ich im letzten Leben zum Hochadel gehörte, weshalb ich so arrogant sei; dass ich mit dreißig einen spirituellen Mann heiraten und zwei Kinder haben würde. Mit der schlechten Durchblutung hatte sie Recht, aber dazu muss man nicht hellsichtig sein, sondern meine Füße berühren. Soweit mir bekannt ist, habe ich weder geheiratet noch Kinder geboren – das jedoch wegen des Hochadels stimmt, ich war im letzten Leben Marie Antoinette (ich habe kürzlich eine Biografie über sie gelesen, das ist ein Zeichen).
Mein Cousin war auch zu der Oktoberfesthellseherin mitgekommen, ihm sagte sie voraus, dass er mit sechzig in einen Baum fahren und sterben würde. Sie hat seine Lebensdauer nur gerade dreißig Jahren überschätzt.
Man hat bei manchen Menschen den Eindruck, dass sie eine große oder eine schlimme Zukunft vor sich haben. Und liegt daneben. Dazu zwei Beispiele: Ich arbeitete in einem anthroposophischen Heim für geistig Behinderte. Einmal musste ich einen Pensionär in die eurythmische Behandlung begleiten. Im Warteraum saß ein junger, stattlicher Mann, daneben seine Mutter, die mir unter Tränen erzählte, dass ihr Sohn kurz vor der Hochzeit einen Unfall hatte, der ihm das Gehirn zerstörte. In seinem Gesicht konnte man noch den gesunden Menschen ausmachen, der er gewesen war, aber er murmelte Unzusammenhängendes, war weggetreten. Dieser Mann hatte eine strahlende Zukunft vor sich: toller Beruf, baldige Hochzeit – ein paar Minuten ohne Sauerstoff, und die Zukunft änderte sich dramatisch.
Eine Freundin von mir hingegen hatte sich in den Achtzigern mit dem HIV-Virus angesteckt. Sie war schon immer ein kränklicher Mensch, so war klar, dass sie wohl sterben würde. Die Hellseherin meiner kalten Füße sagte ihr den baldigen Tod voraus, und man hätte meinen können, dass sie damit recht haben würde, in den Achtzigern starben ja fast alle, die sich infiziert hatten. Die Freundin lebt immer noch.
Wenn also Sieglinde sagt, dass Toves und meine Beziehung keine Zukunft hat, mag sie Recht haben. Oder nicht. Wir wissen es einfach nicht, wir können nicht wissen.
Ich arbeitete mit einer Engländerin zusammen, die seit zwanzig Jahren mit einem Schweizer verheiratet ist. Während der ersten drei Jahre lebte sie in England und er in der Schweiz – zu einer Zeit, als es weder Skype noch WhatsApp noch tiefe Telefonkosten gab. Sie sagte zu mir: „Denk dran, wenn eine Fernbeziehung zerbricht, zerbricht sie nicht an der Distanz, sondern weil es zwischen den beiden nicht gestimmt hat.“
Natürlich hat eine Fernbeziehung gewisse Nachteile: Ich liege oft allein im Bett; die Flüge gehen ins Geld; wenn ich Grippe habe, muss ich den Tee selber zubereiten; ich komme nur sporadisch zu Sex; kann nicht spontan mit Tove etwas unternehmen; muss die Wochenenden selber gestalten und alleine Ramsch entsorgen.
Es gibt aber auch Vorteile: Ich habe genug Platz beim Schlafen; kann viel reisen und Flugmeilen sammeln; der Sex ist immer noch aufregend; niemand stört mich, wenn ich krank im Bett liege; an den Wochenenden kann ich tun, was ich will, und so viel Ramsch muss ich nun auch nicht entsorgen.
Hat eine Fernbeziehung mehr Nachteile oder Vorteile? Sagen wir es so: je nachdem. Wenn ich mit Tove zusammen bin, sind die Nachteile verschwindend klein. Wenn ich mich von ihr verabschiede, schnellen sie in die Höhe. Wenn ich allein einen gemütlichen Abend verbringe, bin ich mit der Situation zufrieden. Wenn ich ohne Tove etwas Schönes erlebe, finde ich ihre Abwesenheit einfach nur Scheiße.
Was uns hilft, sind die modernen Kommunikationsmittel: Wir schreiben uns viele SMS und über Facebook Nachrichten, wir schicken uns Fotos zu oder skypen miteinander. Manchmal nerven sich meine Freunde, wenn ich Tove SMS schreibe. Da sage ich: „Du kannst deinen Schatz jederzeit sehen, ich nicht, also lass mich meinen Kontakt mit Tove halten.“
In einer Fernbeziehungen lebt man zwei Leben – eines mit sich und eines mit der Liebe, und am Schlimmsten ist die Schnittstelle, dann wenn es um den Abschied geht: Eine muss das Land wechseln und zu Hause wieder ihr Leben aufnehmen; die andere sich in der leeren Wohnung zurechtfinden. Wir schauen uns ein letztes Mal in die Augen, dann reißen wir uns voneinander los, und jedes Mal kommt mir die Liedstrophe von Cole Porter in den Sinn: Ev‘ry time we say goodbye I die a little.
Ich sterbe tatsächlich ein bisschen, aber ich muss den Zug erwischen, am Flughafen das Gepäck aufgeben, durch die Sicherheitskontrolle, ins Flugzeug, in Zürich aufs Gepäck und auf den Zug warten, umsteigen, zu Hause ankommen – das ist lästig, hilft jedoch, den Wechsel zu bewältigen. Nach jeder Trennung bin ich überzeugt: Ich werde Toves Nähe bis zum nächsten Wiedersehen auf meiner Haut spüren, aber in Bern rückt sie dann doch in die Ferne. Vielleicht ist das gut so, sie muss wohl wegrücken, damit ich da sein kann, wo ich eben bin.
Ich saß einmal mit meiner Freundin Hortense in der Launch eines Hotels. Das Paar, welches das Hotel leitete, kam zu uns und grüßte uns herzlich. Als es gegangen war, erzählte mir Hortense, was sie von dem Paar wusste: Die beiden waren verheiratet und hatten aus dieser Ehe Kinder. Sie lernten sich kennen, verliebten sich ineinander und trafen ein ungewöhnliches Abkommen: Bis die Kinder groß waren, führten sie ihre Ehen weiter und verbrachten pro Jahr zwei Wochen miteinander. In diesem Arrangement lebten sie sechszehn Jahre lang. Als die Kinder erwachsen waren, ließen sie sich scheiden und heirateten einander. Das Paar strahlte Glück und Innigkeit aus, man konnte die Liebe schier mit den Händen greifen. Irgendwie überstand es die langen Jahre des Getrenntseins, und offensichtlich hat es sich gelohnt. Machte gerade die Tatsache, dass die beiden ausharren mussten, ihre Liebe besonders stark?
Es ist also möglich. Vielleicht.
Ich warte geduldig, ich warte so ungeduldig darauf, dass sich der Nebel lichtet, und ein Weg sichtbar wird.