Читать книгу Das Leben ist ein Witz - Daniela Schenk - Страница 14

Die kleine Schwedin und das Basilikum

Оглавление

Gewisse Dinge sagen Eltern nie zu ihren Kindern. Nicht weil sie es nicht sagen möchten – im Gegenteil, sie träumen davon, dass sie es könnten, nur bietet sich ihnen keine Gelegenheit dazu. Ich meine Sätze wie diese:

„Hör endlich auf, Hausaufgaben zu machen!“

„Nein, heute darfst du das Geschirr nicht spülen.“

„Was – du willst schon ins Bett?!“

Kürzlich saß ich mit meinen Frauen beim Abendessen und wurde Zeugin, wie Tove der kleinen Schwedin das sagte, worum die Eltern der westlichen Welt sie beneiden würden: „Lya, du isst jetzt das Fleisch und die Kartoffeln, erst dann darfst du Gemüse und Salat haben!“

Ich bin durch die Mahlzeiten mit der kleinen Schwedin so abgehärtet und weichgeklopft, dass mich Toves Ausspruch nicht weiter erstaunt hat. Ja, Lya tickt beim Essen definitiv nicht richtig. Vermutlich hat Tove etwas falsch gemacht, als sie ihrer Exfrau die Spritze mit dem gekauften Samen einführte. Vielleicht hielt sie die Spritze zu steil oder zu flach, oder sie spritzte zu schnell, jedenfalls hat der Samen „Modell Lya“ auf seinem Weg zum Ei mehrere Loops gemacht, und das brachte Lyas Magen und Geschmackssinn nachhaltig durcheinander.

Lyas Liebe gehört dem, was man im Schwedischen als grönsaker bezeichnet, auch wenn es nicht nur grün ist: Karotten, Salat, Brokkoli, Paprika, Tomaten und so weiter. Auch Sellerie mag Lya gerne und wollte kürzlich wissen, von welchem Tier er stamme.

Die Mütter stehen vor der Herausforderung, Lya Nahrhaftes zwischen die Salatblätter zu schmuggeln, damit sie nicht eine halbdurchsichtige Elfe wird. Neben Gemüse mag Lya Dinge, die nicht zu den Leibspeisen eines Kindes gehören: pikante Oliven – gerade erst hat sie verkündet, dass die leckerer als Eis schmecken – neunzigprozentige Schokolade, Crevetten, Lachs, Rooibos und Kräutertees. Auch Kaffee und Bier würde sie mögen, wenn man sie sie trinken ließe.

Lya hält Essen für ein Hobby, nicht etwas Lebensnotwendiges. Wenn sie am Mittagstisch sitzt, benimmt sie sich, als hätten wir uns zum Basteln eingefunden: Sie entdeckt im Essen Buchstaben, sieht Gesichter oder Tiere, spielt mit dem Besteck oder studiert ihr Tischset.

Neben Salat und Gemüse isst Lya freiwillig Pfannkuchen und Blutpudding (eine schwedische Version von Blutwürsten). Ansonsten bedeutet Essen mit Lya, dass man am Tisch kampiert und auf den nächsten Bissen wartet. Sie plappert fröhlich, während Tove sie wieder und wieder daran erinnert, aus welchem Grund wir uns am Tisch eingefunden haben. Zu Beginn des Essens sagt sie ruhig ät nu!“ (iss jetzt), dann ät nu!, das sich gegen Ende der Mahlzeit zu einem ÄT NU! entwickelt und in einem ÄT NUU!!“ gipfelt.

Wenn wir Glück haben, nimmt Lya nach dieser Aufforderung eine Gabel voll und plappert mit vollem Mund weiter. Längst ist mein Teller leer, längst möchte ich aufstehen, um etwas Wichtiges zu tun (auf dem Handy herumdrücken, Kreuzworträtsel lösen oder meine Brille putzen). Stattdessen warte ich und klage: Det är så tråkig!“ (das ist so langweilig!), aber mein makelloser schwedischer Satz beeindruckt Lya nicht die Bohne: Sie fragt bloß, ob sie einen Nachtisch bekomme. (Mittlerweise ist bei ihr das Interesse an Süßigkeiten erwacht.)

In solchen Momenten frage ich mich: Bin ich tausendfünfhundert Kilometer gereist, um beim Essen eine kleine Schwedin hypnotisiert anzugaffen und bei jedem ihrer Bissen innerlich zu jubeln?

Zwischen den Mahlzeiten ist es nicht besser: Da verschlingt Lya Zitronenmelissen- und Basilikumblätter, die sie aus den Töpfen ihrer Mama stibitzt. Nach ihrem Beutezug haucht sie mir freudestrahlend ihren Kompostatem ins Gesicht. Sie ist so begeistert von Kräutern, dass sie ihren Morgenbrei mit Basilikumblättern garniert und die Garnitur genüsslich vertilgt. Das Basilikum, das Tove im Frühling großzügig sät, wird erbarmungslos leergerodet. So hört man in diesem Haushalt einen weiteren Satz, der auf der Welt Seltenheitswert hat: „Lya, hör auf, meine Kräuter wegzufressen!“

Zu allem Übel ist Lya eine Feinschmeckerin, sie wird dereinst für den Michelin-Gourmetführer arbeiten. Das zeigte sich schon, als sie die erste feste Nahrung zu sich nahm: Gekauften Babybrei lehnte sie ab, da konnte Tove noch so viele Spielzeuge als Ablenkungsmanöver einsetzen. Frisch zubereiteten Brokkoli hingegen, ihr absolutes Lieblingsessen, aß sie noch, wenn er auf den Boden gefallen war.

Wenn Tove und ich in der Küche fertig geschuftet haben und das Essen auftragen, nimmt die Kleine einen Bissen, schmatzt und schmeckt, schmeckt und schmatzt, schluckt endlich, wartet einen Moment und gibt dann ihr Urteil ab: Sie nickt begeistert („jätte gott!“) oder schüttelt den Kopf („inte gott“).

Wenn sie es mag, fragt sie interessiert, was im Essen sei. Wenn es ihr nicht schmeckt, wiederholt sie während der Mahlzeit, wie grässlich der Fraß sei. Das sind die Momente, wo ich nahe daran bin, die UN-Kinderrechtskonventionen zu vergessen und dieser frechen kleinen Schwedin den Mund mit Basilikum zu versiegeln.

In einem Land, auf dessen Straßenschilder galoppierende Elche gemalt sind, muss man mit allem rechnen, das wusste ich. Ein Volk, das halbjährlich zu viel Dunkelheit oder Helligkeit ausgesetzt ist, muss Schäden davontragen. Ich bin mit offenen Augen in mein Unglück gestolpert.

Manchmal kommt es mir vor, als würde ich in Schweden nichts anderes tun, als am Esstisch zu sitzen und einem Kind beim Nichtessen zuzuschauen. Ich habe mir sagen lassen, dass Schweden schöne Seen besitze, tolle Wälder und hübsche rote Häuser. Stockholm müsse man unbedingt besuchen samt ABBA-Museum. Ich dagegen kenne nur schwedische Kinderteller mit schwedischem Essen und einer kleinen Schwedin, die schnell und viel Schwedisch spricht. Ich habe Tove vorgeschlagen, das Kind nur mit Grünzeug, Kräutern, Pfannkuchen, Blutpudding und Süßigkeiten zu ernähren. Dann hätte ich endlich Zeit, die schönen Seiten von Schweden kennenzulernen. Tove fand meine Idee daneben. Sie ist halt auch nur eine Schwedin.

Wenn ich in die Schweiz zurückkehre, bin ich trotzdem sehr traurig. Zu Hause empfängt mich meine Katze mit der üblichen Ignoranz. Ich gebe ihr Futter und blicke liebevoll auf sie herab. Das Vieh umkreist den Napf, schnuppert daran und huscht ins Wohnzimmer. Später kommt sie zurück und knabbert gleichgültig an einem kleinen Happen und spielt mit einem heruntergefallenen Zahnstocher.

Ich schnauze: Ät nu!!“, aber das beeindruckt sie nicht die Bohne.

Muss ich erwähnen, dass Lya und meine Katze sich bestens verstehen?

Das Leben ist ein Witz

Подняться наверх