Читать книгу Das Leben ist ein Witz - Daniela Schenk - Страница 4
Willkommen im Lebens-Kino
ОглавлениеEinmal träumte ich, dass ich verfolgt wurde. Dieser Traum fühlte sich so real an, dass ich zu Tode erschrocken aus dem Bett sprang und flüchtete. Dummerweise waren meine Beine in der Decke verwickelt, ich fiel der Länge nach hin, rappelte mich auf und stürmte in den Schrank (nein, das war nicht die Türe), rannte die Treppe hinunter und riss ein kleines Fenster auf, um zu entfliehen (ziemlich clever von mir, nun gut, die Haustür gleich nebendran wäre auch eine Option gewesen). Erst jetzt erwachte ich und verstand, dass ich von einem Albtraum gejagt worden war. Meine Knie verfärbten sich trotzdem blau.
Menschen mit einem Nahtoderlebnis erzählen, dass ihr Leben wie ein Film vor ihrem inneren Auge abgelaufen sei. Ich hoffe, es gibt bei der Vorführung eine Vorlauftaste, denn ich will nicht zuschauen müssen, wie ich tausendmal duschte, tausende von Kilometern Rad oder Auto fuhr, Tonnen von Essen verschlang, Hektoliter pinkelte, Böden um Böden staubsaugte, mich anzog, umzog, auszog, endlos auf Bildschirme starrte und Tasten traktierte.
Mich interessieren mehr die Glanzlichter meines Lebens: der erste Schultag, die Liebe, eine Medaille im Skirennen, bestandene Prüfungen, die Auftritte als DJane, das Erscheinen meiner Bücher, Geburt und Tod. Nur gibt es solche Ereignisse nicht massenhaft, aneinandergereiht würden sie wenige Tage oder Wochen ergeben.
Wie gut ist es da, gibt es die Momente, die zwar nicht einschneidend sind, an die man sich aber gern erinnert und von denen man noch lieber erzählt. Ich meine diese Augenblicke, als etwas anders als sonst gelaufen ist – was in den meisten Fällen bedeutet: Es ist schief gelaufen. Diese Erlebnisse sind unerwartet, sie verblüffen, verärgern oder überraschen uns, aber bringen uns niemals zum Gähnen. Sie entstehen, wenn Vorstellung und Wirklichkeit auseinanderklaffen, was zu bemerkenswert blauen Knien führen kann – aber einiges zu erzählen gibt.
Dieses Buch enthält Geschichten und Kolumnen, die von diesen charmanten Unmöglichkeiten des Lebens erzählen, wenn wir nicht anders können, als zu rufen (oder lachen, stöhnen, jammern, fluchen): „Uii, manchmal ist das Leben echt ein Witz!“
Beim Einkaufen sagte kürzlich eine junge Frau zu mir, „pardon, Ihnen ist etwas aus der Manteltasche gefallen“, und reichte mir ein kleines, gefaltetes Papier. Ich nahm es gerührt entgegen und bedankte mich zweimal. Ich brachte es nicht übers Herz, ihr zu sagen, dass ich diesen Zettel aus einer Zeitschrift gerissen und darin meinen Kaugummi entsorgt hatte.
Eine Woche später saß ich im Flughafen am Gate, den Laptop auf dem Schoss, daneben eine Schachtel mit Lutschpastillen (Spitzwegerich), die ich im Akkord lutschte. In meiner Gier fiel mir eine zu Boden. Ich war zu faul, die Lutschpastille zu suchen, außerdem war vorhin eine Putzfrau mit ihrem Putzwagen vorbeigegangen, die wollte sicher auch etwas zu tun haben. Hinter mir (mit dem Rücken zu mir) saß ein Mann. Ich nahm am Rande wahr, dass er von seinem Platz aufstand und herumhantierte.
Wie war ich erstaunt, als er sich zu mir beugte und voller Ernst sagte: „Sie haben da was verloren“ – in der Hand die entflohene Lutschpastille! Perplex nahm ich sie entgegen und bedankte mich. Wie aufmerksam dieser Mann war, er konnte vielleicht nicht einen Mantelknopf oder gar eine Ecstasy-Pille von einer Lutschpastille unterscheiden, sein Vorhaben jedoch war äußerst edel.
Nach dem Flug saß ich im Zug und korrigierte einen Text, als ich merkte, dass der Deckel des Stiftes verloren gegangen war. Ich suchte im Rucksack, in der Manteltasche, unter dem Sitz – erfolglos. Im Abteil neben mir saß ein junges Paar. Die Frau hatte meine Suche beobachtet und fragte, was ich verloren habe.
„Nur den Deckel eines Stiftes, nichts Wichtiges.“
Schon bückte sich die Frau und guckte unter den Sitzen, auf den Sitzen und dazwischen, sie ging ins nächste Abteil und bückte sich wieder. Die Dame, die dort saß, deutete auf den Boden: „Könnte es das sein? Ich habe gesehen, dass sie (gemeint war ich) etwas sucht.“ Die junge Frau schaute nach, nein. Nun holte der Mann eine Lampe hervor, die wie eine Tafel Schokolade aussah, und leuchtete in dunkle Ecken. Ich sagte: „Wie nett von Ihnen, aber es ist nicht so wichtig.“ Während ich mich mehrmals bedankte, suchte die Frau rege weiter. Vielleicht wurde sie fündig – was sie wohl mit dem Deckel gemacht hatte?
In allen drei Fällen war ich gerührt wie Apfelmus – welch nette Menschen es doch gibt! Ihre Freundlichkeit brachte zwar nichts – trotzdem!
Was mir diese Szenen wohl sagen wollten?
Achte auf die kleinen Dinge?
Benütze den Papierkorb?
Wer verliert, dem wird gefunden?
Das finde ich wohl erst am Ende meiner Tage heraus, wenn ich im jenseitigen Kino sitze und den Film meines Lebens gucke.