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aa) Verfassungskonforme, vor allem grundrechtskonforme, Anwendung und Auslegung der gesetzlichen Grundlage
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Die Maßnahme der Exekutive oder der Judikative ist verfassungsgemäß, wenn sie die formell-gesetzliche Grundlage verfassungskonform, insbesondere grundrechtskonform, anwendet und auslegt. Der Sache nach prüfen Sie also, ob sich die Maßnahme der Exekutive oder der Judikative im Rahmen der formell-gesetzlichen Grundlage hält.
Beispiel
K will sich ein neues Einfamilienhaus bauen. Die Behörde lehnt den Bauantrag des K mit der Begründung ab, die Entscheidung über die Baugenehmigung stehe in ihrem Ermessen und dieses habe sie – aus nicht nachvollziehbaren – Gründen dahingehend ausgeübt, dass dem K die Baugenehmigung zu versagen sei. K fühlt sich in seinem Grundrecht auf Baufreiheit aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG verletzt.
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In unserem Beispiel (Rn. 164) ist zu prüfen, ob sich die Versagung der Baugenehmigung im Rahmen der gesetzlichen Grundlage hält. Nach den einschlägigen landesrechtlichen Regelungen in den Landesbauordnungen (z.B. § 74 Abs. 1 BauO NW 2018) ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Bei der Baugenehmigung handelt es sich um ein sog. präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Das Bauen ist zunächst verboten. Wegen der durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gewährleisteten Baufreiheit erwächst dem Bauherrn aber ein Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung, wenn sein Bauvorhaben alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Baugenehmigung erfüllt. Dies hat die Baubehörde bei K verkannt. Sie hat eine Ermessensentscheidung getroffen, obgleich sie zur Erteilung der Baugenehmigung verpflichtet war (vgl. z.B. Wortlaut des § 74 Abs. 1 BauO NW 2018: „ist zu erteilen“). Die Versagung der Baugenehmigung hält sich demnach nicht im Rahmen der gesetzlichen Grundlage und ist damit verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
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Das Prinzip der verfassungskonformen Auslegung ist besonderer Ausdruck der objektiven Bedeutung der Grundrechte. In der Praxis hat der Rechtsanwender häufig verschiedene Möglichkeiten, wie er ein Gesetz auslegt. Welche Auslegungsvariante der Rechtsanwender zu wählen hat, ist von Verfassungs wegen bestimmt. Bestehen mehrere Auslegungsvarianten, von denen eine Variante verfassungsgemäß und eine andere Variante verfassungswidrig ist, muss sich der Rechtsanwender für die verfassungsgemäße Auslegungsvariante des Gesetzes entscheiden.[89]
Beispiel
§ 14 VersG ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass bei Spontanversammlungen die Anmeldepflicht entfällt und bei Eilversammlungen der Anmeldezeitraum dahingehend zu verkürzen ist, dass die Eilversammlung anzumelden ist, sobald die Teilnehmer die Möglichkeit hierzu haben.[90]
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Nichts anderes gilt für die grundrechtskonforme Auslegung als Sonderfall der verfassungskonformen Auslegung. Hier ist bei mehreren verfassungsgemäßen Auslegungsvarianten diejenige Variante zu wählen, die den Gewährleistungsgehalt des Grundrechts am weitestgehenden beachtet.[91]