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I

ALLES ERSCHAFFENE SCHWINGT UND KLINGT

IN UNENDLICHEN KREISEN INEINANDER UND MITEINANDER;

DER TANZ DER GESTIRNE, DER TANZ DER ATOME,

DER TANZ DER SEELE;

ALLES SINGT DAS UNENDLICHE SCHÖPFUNGSLIED.

Hazrat Inayat Khan

Miami. Ein Samstag, Ende Oktober. Ein

junger Italiener mit erheblichen Problemen.

Nicht im Traum hatte er daran gedacht, selbst aktiv eingreifen zu müssen.

Was mache ich nur hier?!, ging es ihm immer und immer wieder durch den Kopf, während er gebannt auf das ruhige, tiefschwarze Meer schaute. Das in seinem eigenen, lässigen und unwiderstehlichen Rhythmus sprach und nach einer Mischung aus Sehnsucht, Melancholie, unendlicher Weite, Kraft, Freiheit und kosmischer Tiefe klang. Hell und dunkel, weich und hart, laut und leise, betörend. Mystisch. Das nach Tang roch, Muscheln, Salz und völlig gleichmäßig und sehr entspannt zu atmen schien. Im Rhythmus der Planeten.

Wenn er kommt, wird er mich angreifen. Horror. Ich gehöre hinter mein Schlagzeug. Was ich vorhabe, ist Harakiri! Ich atme jetzt nicht gelassen und entspannt. Das ist ein Job für James Bond, Superman oder wie die tollen Typen alle heißen. Die ganz cool, immer ein smartes Grinsen aufgesetzt, den für sie maßgeschneiderten Brioni-Anzug perfekt zur Geltung kommen lassend, die gefährlichsten Situationen unter Kontrolle haben. Die wunderschönen Frauen mit gnadenlos erotischen Körpern, Silikon gestärkten Titten und maronfarbenen Schmollmündchen heroisch retten, obwohl sie mit der Handlung des Films – wenn er denn eine hat – nicht viel zu tun haben. Optische Beigabe. Mission Impossible! Bullshit. In Sekunden verstehen es die gelackten Helden, während sie ganz cool Mörderwaffen in der Linken halten, die Püppchen so weit zu bringen, dass sie sich unter lasziven Seufzern ihrem Superstar 007, 008 oder einem Ethan Hunt gierig hingeben. Wie kann die Welt einfach sein!

Im Kino.

Ich muss ein totaler Trottel sein. Ein verliebtes Arschloch! Ich zittere, friere, schwitze, mache mir fast in die Hose und dennoch ...

Mich zwingt niemand. Lauf weg, Dummkopf! Muss ich ein Held sein? Nein. Ich tue es für SIE. Nur für sie. Meine Angebetete. Für die Frau, für die ich lebe. Für keinen Menschen sonst auf der Welt würde ich versuchen den Helden zu spielen.

Seit zwanzig Minuten raste sein Puls so sehr, dass er fürchtete, kurz vor einem Herzkollaps zu stehen, obwohl er voll austrainiert war. Auch ohne Gym. Und jung. Blutjung. Er traute sich kaum noch zu atmen; seine schlanken, überaus grazilen, zugleich sehnigen, kräftigen Hände waren schweißig, seine Augen flirrten nervös hin und her und her und hin und suchten dabei sehr konzentriert die Finsternis ab.

Selten genug für Miami: Die Stadt war dunkel, stockdunkel. Der Mond blieb irgendwo hinter einer tief hängenden, schwer und träge zum Meer treibenden Wolkendecke hängen. Das schier endlos erscheinende Lichtermeer der stetig pulsierenden, unruhigen, lauten und nur mühsam schlafen wollenden Florida-Metropole mit dem etwas zweifelhaften Ruf war von der Nacht und den nassen, fetten und bedrückend düster wirkenden Wolken einfach aufgefressen worden. Es war, wie so oft, ekelhaft schwül und die City trieb eine Luftfeuchtigkeit auf die in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts aufgeschütteten Venetian Islands, die so manches kubanische Hausmädchen in die Verzweiflung trieb; weil man Wäsche zwar ohne zu befeuchten mangeln konnte, aber diese anschließend genauso klebrig und nass war, wie vor diesem zeitraubenden Arbeitsvorgang.

Wenn ER kommt, dann kann es durchaus passieren, dass einer von uns beiden in der Nacht der Nächte sein Leben verliert. Schrecklicher Gedanke. Ich muss ihn ausschalten. Nur wie? Nie bringe ich das fertig. Ich bin doch kein Mörder und will auch keiner werden! Oh Gott, ich bin viel zu weit gegangen. Mein Altruismus bringt mich noch mal um.

Aber eines steht fest, da irrt sich mein Programm nie: ER kann nur über das Wasser kommen. Alle anderen Wege scheiden aus. Das wäre das erste Mal, dass diese abgewichste Software einen falschen Schluss gezogen hätte. Demnach stehe ich zumindest am richtigen Platz, gelle? Und ich muss ihn irgendwie ausschalten, unschädlich machen. Irgendwie. Ausgang ungewiss. Denn es könnte auch mich erwischen ...

Merde!

Die Insel ist zu gut bewacht, als dass ER sich Zutritt über das Land verschaffen würde. Nein, nein, nein! Das würde erst recht nicht funktionieren. Der Weg über das Meer ist für ihn am ungefährlichsten. Das ist so, Punkt, Schluss, aus. Dafür verwette ich mein dw-drums.

Verdammt, ich bin für den Job untauglich.

Plötzlich waren schlupfende Geräusche zu hören. So, als ob jemand in einer Mischung aus Tauchen und Kraulschwimmen versucht, möglichst leise und unauffällig ans Ufer zu kommen. Rhythmisch. Das schlupfende Geräusch, leise und für ein feines Ohr doch vernehmbar, wiederholte sich in regelmäßigen Abständen. Einmal, zweimal, dreimal. Dann trat für zirka zwanzig Sekunden lang völlige Stille ein. Und der ungewöhnliche Ablauf begann von neuem. Die Geräusche waren noch zu weit entfernt, um ihre Richtung genau orten zu können. Der Beobachter des Strandes vernahm sie nur, weil er musikalisch geschulte Ohren hatte. Sie kamen vom Meer. Nicht gerade viel.

Aha, ER kündigt sich an.

Er muss es sein, denn ein Hai klingt anders und wer hätte sonst Interesse, in einer so finsteren Nacht ein Schäferstündchen im Wasser – ohne Boot – haben zu wollen oder ein Fitnessprogramm zu absolvieren.

Das schaffe ich nie. Das Strandstück ist zweihundert Meter breit, wie soll ich wissen, an welcher Stelle genau ER an Land kommt? Es ist doch nichts zu sehen!

Da, da ist das Geräusch wieder. Die Pause ist länger als zuvor. Kommt es von links? Oder von rechts? Shit. Ich bin halt kein Profi. Meine Berechnungen mögen stimmen, aber der geht auch kein Risiko ein. Ich bin es, der an diesem verdammten Ort ängstlich im Sand liegt und seinen Allerwertesten riskiert. Und nicht nur den.

Seine Halsschlagader klopfte bis zum Zerreißen, sein linkes Augenlid spielte verrückt, zuckte unaufhörlich. Jetzt traute er sich nicht mehr zu atmen und drohte vor Angst zu ersticken.

Nur nichts verpatzen. Ich m u s s ihn ausschalten.

Die eigenwilligen Geräusche waren in der Stille der Nacht von einer Sekunde auf die andere nicht mehr zu vernehmen. Hinter ihm, vom Haus kommend, knackte es plötzlich. Ein Zweig, ein Zeichen? Oh mein Gott, von dort kann ER doch nicht kommen, dann hätte er sein Werk ja schon vollbracht und ich würde hier, völlig überflüssig und um Lichtjahre zu spät, am falschen Platz auf ihn warten! Oder hat der im Haus etwa Helfer? Da sind doch nur Jack und Mack, von der treu ergebenen Yuih Phin nicht zu reden. Unmöglich. Oder sollte ich mich in der Loyalität ihrer ständigen Leibwächter getäuscht haben? Die sind doch beide okay. Längst tausendmal bis ins letzte Detail abgecheckt.

Hey man, keep cool, man!

Außerdem kann ER mich beim besten Willen nicht sehen. Bleib ruhig, Junge, es ist nur ein Spiel ... Alles ganz harmlos. Wie beim Verstecken spielen. Kids. Sind durch den Garten gerannt, versteckten sich hinter einem Busch oder Baum, in der Hundehütte oder neben dem dampfenden, stinkenden Komposthaufen in der Hoffnung, dass dort niemand suchen würde. Und haben sich dann gar nicht erschrocken, wenn sie in ihrem Versteck vom Freund erwischt wurden. Sich nur schrill kreischend kaputtgelacht. Um die Schrecksekunde des Entdecktwerdens besser überspielen zu können.

Jetzt war das Schlupfen im Wasser wieder zu hören. Die Schwüle nahm zu, so das Gefühl des Wartenden, die Dunkelheit ebenfalls. Die Pause zwischen den sehr regelmäßigen Intervallen kam dem Beobachter jetzt viel länger vor als zu Beginn. Der Mensch, der sich zielstrebig dem Ufer näherte, hatte Erfahrung. Alle fünfzig Meter, die er dem Strand näherkam, machte er eine Pause. Dazu drehte er sich unter Wasser, um dann ewig lange wie tot auf dem Rücken zu liegen. Paddelte nur ganz leicht mit den Händen und atmete währenddessen tief und intensiv. Das hatte den Vorteil, dass er sich nicht unnütz verausgabte, sondern neue Kräfte sammelte und zugleich selber auf ungewöhnliche Geräusche achten konnte.

Eile war ihm fremd.

Das zeugte von großer Selbstsicherheit. Von exakter Kenntnis der Gewohnheiten der Menschen, die in der großen Villa am Strand lebten und von einem gehörigen Stück Kaltblütigkeit on top. Profi. Er war um zwei Uhr dreißig gestartet und inzwischen exakt 3,4 Kilometer geschwommen, denn er musste erst durch den Kanal, um dann über das Binnenmeer zu dem Anwesen zu gelangen. Die ersten zweieinhalb Kilometer waren einfach gewesen. Routine. Aber ausgerechnet in der heutigen Nacht, in der fast absolute Stille herrschte, war es schwierig. Und bei der spiegelglatten See konnte man ihn ab etwa vierhundert Meter vor dem Anwesen hören, das lehrte ihn seine Erfahrung ...

Sie sollte sehr gute, mit dem Ungewöhnlichen rechnende Leibwächter haben. Die kannte er bisher nur von Fotos, nicht aber in Aktion. Das war ein leichter Risikofaktor, den er einkalkuliert hatte. Zu glauben, dass beide zu dieser Stunde schliefen, wäre sträflicher Leichtsinn gewesen. Auf der anderen Seite hatte er die Leibwächter und die Situation im Haus nicht im Detail nachgeprüft, das ließ seine Arroganz nicht zu. Er verließ sich auf die Pläne und Angaben seiner Auftraggeber, die schließlich selbst Profis waren.

Für ihn war das ein Job wie jeder andere zuvor. Über zweihundert Mal hatte er seine Aufträge weltweit erfolgreich abschließen können und stand in der Karriereleiter seines Faches ganz oben. Dass er so unglaublich erfolgreich war, wusste keiner, der ihn zu kennen glaubte; manch einer seiner Auftraggeber ahnte es vielleicht. Deshalb buchte man ihn, wenn man sicher gehen wollte ... Die konnten sich nicht vorstellen, was es heißt, im Laufe von fast zwanzig Jahren zweihundertvierundachtzig komplizierte Jobs, die für seine ´Patienten´ stets in einer hölzernen Kiste endeten, erfolgreich zu gestalten. Die ersten Jahre, seine persönlichen Lehrjahre, mochte er heute gar nicht mehr dazu zählen. Da unterlief ihm mancher kleine Fehler. Erwischt wurde er jedoch nie, er blieb der geheimnisvolle Unbekannte.

Für alle.

Für ihn gab es weder unlösbare Aufgaben, noch kannte er das Wort Angst. Das Wort ´Mord´ fand man ohnehin nicht in seinem Wortschatz. Seine ´Patienten´ starben stets eines natürlichen Todes. Oft waren sie während des für die Angehörigen und die Öffentlichkeit unbegreiflichen Todes in bedauerliche Unfälle oder ungünstig verlaufende Krankheitsgeschichten verwickelt. Er setzte in seinem Fach Maßstäbe, seit fünfzehn Jahren, da er, wie schon erwähnt, seine Lehrjahre für die eigene Statistik nicht hinzurechnete. Er zelebrierte die Kunst des natürlich eintretenden Todes wie kein anderer seiner Branche.

Der Killer liebte die Natur. Und als Naturliebhaber war er fasziniert von der Idee, das Herbeiführen des Todes derart perfekt zu beherrschen, dass man ihn als absolut natürlich eingetretenes Ableben eines Menschen diagnostizieren würde. Fachärzte, Pathologen, Forensiker.

Die Manie befiel ihn, als er zehn Jahre alt war. Anlass dafür waren seine Eltern, die er abgöttisch liebte. So sehr, dass er ihnen nichts sehnlicher als einen schnellen Tod wünschte. Denn waren sie es nicht, die für seinen abgründigen Charakter verantwortlich zeichneten? Waren sie es nicht gewesen, die ihn vor lauter Karrieregeilheit aufs Abstellgleis für kleine Kinderseelen gestellt hatten?

Tagtäglich wurde er von der Vorstellung beherrscht, Menschen seiner Auswahl in einen Zustand des ´ewigen Todes´ zu versetzen. Eines Zustandes, der nicht einmal mehr eine Reinkarnation zuließe. Den man selbst mit state of the art Erkenntnissen der führenden Experten der Gerichtsmedizin nicht als unnatürlich würde nachweisen können.

Biologie war konsequenterweise sein Lieblingsfach in der Schule, die er in einem in jeder Hinsicht typisch britischen Internat absolvieren musste, das seine Eltern monatlich dreitausend Pfund kostete und ihn sehr viel Nerven. Es war programmiert, dass er später erst Biologie an der Sorbonne in Paris studierte, summa cum laude abschloss, dann Medizin an der Columbia University in NY-City und schließlich über ein Thema habilitierte, das einigermaßen intelligente Polizeibeamte und Geheimdienstler hätten ahnen lassen können, wer hinter vielen Todesfällen oft junger, immer erfolgreicher, kerngesunder, reicher Menschen stecken könnte. Wenn sie ihm denn je auf die Schliche kommen würden.

Pathologen hatten bei seinen ´Patienten´ niemals geschlussfolgert, dass es sich um einen unfreiwilligen Tod gehandelt haben könnte. Und selbst ein Rudolf Steiner mit seinen Theorien und medialen Fähigkeiten über >Das Sichtbarmachen von Reinkarnation< hätte es schwer gehabt, den Verblichenen ein neues Seelenleben einzuhauchen und über diese Technik Unnatürliches am Tod der verstorbenen Person nachzuweisen.

Der heutige Auftrag war für den Dr. habil. rer. nat. einfach. Fast unter seiner Würde. Routine. Die Zielperson war harmlos.

Ein Popstar, der rein routinemäßig beschützt wird. Wie fast alle Typen aus dem Showbiz, die glauben, dass sie dann von ihren Fans weniger belästigt werden und auch damit sie wissen, wie wichtig sie sind. Bullshit.

Mehr dachte der Schwimmer nicht.

Dr. Tod wäre erst gar nicht auf die Idee gekommen, den seiner Karriere wenig schmeichelnden, einfachen Job anzunehmen, wenn er nicht überaus gut dotiert gewesen wäre. Aber wer lässt schon zehn Millionen Dollar sausen?! Cash. Eingezahlt auf eines seiner Konten auf den Cayman Islands. Und das für einen zeitlich derart limitierten Job. Zudem konnte er seinem Auftraggeber ohnehin nicht widersprechen. Schließlich gehörte er IHNEN – seit Beginn seiner Karriere, als sie ihn an der Columbia ansprachen, wie viele andere, die ihnen jetzt gehören und die Karriere machten und machen, so wie der derzeitige Präsident der USA und alle seine Vorgänger.

Es gab zwei unabhängige, auf dem neuesten Stand der Technik befindliche Alarmsysteme, die das Haus innen und außen, sowie das etwa 40.000 Quadratmeter große Grundstück sicherten. Der ganze Schnickschnack, den Sicherheitsfirmen ihren Kunden für viel Geld aufschwatzen. Für ihn kein ernstes Hindernis. Denn im Laufe der Jahre war er im Zuge einer Vervollständigung der Qualität seines Berufsbildes nicht umhingekommen, ein intensives Studium auch auf dem Gebiet der Elektronik zu absolvieren und sich ständig in der neuen und sich fast monatlich verbessernden Technik der Besicherung von Gebäuden auf dem Laufenden zu halten. Wenn die Pläne, die sein Auftraggeber ihm geliefert hatte, stimmten – und davon ging er aus –, dann konnte er die Elektronik recht mühelos überwinden. Für die Dame des Hauses bedauerlich, auch für ihre Bodyguards.

Peanuts, meinte Dr. Tod.

Nun tauchte er wieder. Geräuschlos wie ein Hai, der seine Beute wittert. Schwamm unter Wasser weiter; das Meer wurde flacher. Nur noch wenige Meter und er konnte den sandigen Boden unter seinen Füßen spüren. Mit delfinartigen, minimalen und sehr kontrollierten Bewegungen tauchte er aus dem für ihn unangenehm warmen, seichten Wasser auf ...

Da war es wieder zu hören! Das schlupfende Geräusch. Mit einem höheren Ton beginnend, leicht tiefer werdend. Es dauerte nicht lange, vielleicht drei Sekunden.

Ja, das muss ein Mensch sein, der da gleich aus dem Wasser steigt. Ich bin sicher, er kommt von links. Er müsste jetzt den Strand betreten. Wenn ich doch nur besser sehen könnte. Und das Zucken in meinem Augenlid macht mich ganz verrückt! Alles hängt davon ab, dass ich mich ihm schnell genug nähern kann, damit ihn mein Trick erfolgreich überrumpelt. Ob er darauf reinfällt? Sicher. Damit rechnet er nicht. Damit kann er nicht rechnen, denn er hat als Profi die vorhandenen Alarmsysteme des Anwesens mit Sicherheit abgecheckt. Und nichts Bedrohliches gefunden. Dessen bin ich mir sicher!

Jetzt konnte der ängstliche, dabei überaus aufmerksam agierende Beobachter und heimliche Beschützer der gut bewachten Lady, die sich zu diesem Zeitpunkt in ihrer riesigen Villa aufhielt und um diese Zeit vermutlich schlafen würde, schwache Umrisse erkennen.

Eine Person stieg langsam und geschmeidig aus dem Wasser. ER war in diesem Moment höchstens fünfzig Meter, sich von links nähernd, von dem nicht sichtbaren Beschützer der Sängerin entfernt.

Da sich der nervöse Beobachter das Gesicht schwarz geschminkt hatte – die Augen nur zu Schlitzen geöffnet, damit auch das Weiße darin unsichtbar blieb – und in schwarzen Klamotten direkt vor einer stattlichen Palme stand, war er sich sicher, dass die Person, die aus dem Wasser stieg, ihn bei dieser schlechten Sicht noch nicht bemerkt hatte.

Gleich musste es passieren ...

Der Helfer des natürlichen Todes kniete bewegungslos, wie eine Raubkatze auf dem Sprung, leicht nach vorn gebeugt, die Hände wie ein Hundertmeterläufer an einer imaginären Linie im weißen Sand aufstützend, und beobachtete die Umgebung. Minutenlang. Stundenlang, wie es dem Beobachter erschien, der seinerseits einem Nervenzusammenbruch nahe war. Der Schweiß rann ihm nur so über das Gesicht. Beißend setzte er sich, schwarze Abdecktönung mit sich führend, in seinen Augenwinkeln fest. Dazu das dämliche, stets vor Nervosität zuckende Lid seines linken Auges ...

Shit!

Jetzt endlich machte der Eindringling vorsichtig einen Schritt in Richtung Haus, den nächsten, den übernächsten. Man konnte das leise Knirschen des Sandes mehr ahnen als hören. Zwischen jedem einzelnen Schritt gönnte er sich eine lange Pause. Vielleicht zehn Sekunden. Rhythmisch. Einfach, um zu lauschen. Die Zeit schien still zu stehen. Der einst künstlich angeschüttete, weiße Sandstrand maß an dieser Stelle zirka fünfunddreißig Meter in der Tiefe; der vorsichtige Eindringling war noch etwa vierzig Meter von der Palme entfernt, an der ein anderer Mann angespannt lauerte ...

Viel zu weit, so kann es nie funktionieren, ging es diesem durch den Kopf. Verzweifelt biss er sich auf die Unterlippe, die schon leicht zu bluten anfing. Das geht alles über meine Fähigkeiten. Ich bin eben doch nur ein mieser, kleiner Amateur. Nie hätte ich das versuchen sollen. Blöde Verliebtheit! Einen Weltstar retten wollen! Idiot! Wie soll das gehen? Der Strand ist viel zu breit. Ich bin viel zu weit von ihm entfernt und er bewegt sich viel zu vorsichtig, dieser dämliche Superprofi! Ich hatte gedacht, er läuft ganz schnell, husch, husch, aus dem weißen Sand in Richtung Villa. Dann hätte es klappen können ...

Nada, mi amigo!

Dass es auch ausgerechnet heute so dunkel sein muss. Und dass der Pausen macht, als sei er auf Urlaub und genieße den Strand, das Dunkel, die Einsamkeit und meine Furcht ...

Aber – der stille Schatten an Palme Drei hatte das Glück des Tüchtigen auf seiner Seite. Der Ankömmling bewegte sich exakt auf die Stelle zu, wo unser Freund Schutz gesucht hatte. Dreißig Meter, zwanzig. Die Sekunden schlichen.

Wie kann man sich nur so elend viel Zeit lassen!

Doch jetzt, ganz unvermittelt, kam der gedungene Mörder völlig überraschend ins Straucheln. Er versuchte sich noch einmal abzufangen, aber da schlug er auch schon lang in den Sand, verhakelte sich in irgendetwas und unser Beobachter war blitzschnell mit langen Sätzen über ihm.

Sein schlanker, in asiatischen Kampfsportarten geübter Körper – Big Punk sei Dank! – flog grazil, unglaublich schnell, kontrolliert und wissend, was er zu tun hat, durch die Luft. Das linke Bein streckte sich in Sekundenbruchteilen, sein Fuß explodierte förmlich und krachte dem vor Verwunderung stockenden und sich ein wenig ungelenk aufrappelnden Taucher an das Stellatum der rechten Seite seines Halses. Gleich darauf schoss das linke Bein des aktiv gewordenen Beobachters aus einer ganzen Körperdrehung heraus noch einmal mit voller Wucht in Schläfenhöhe an die linke Hälfte des Kopfes des verwirrten Mannes, der gar nicht erst dazu kam, auch nur ansatzweise Widerstand leisten zu können. Ein dumpfer, knackender, nicht gerade sehr freundlich klingender Ton beendete das Schauspiel im folgenschweren Dunkel der wolkigen Herbstnacht der pulsierenden Florida-Metropole, das insgesamt weniger als drei Sekunden gedauert hatte.

Der Helfer des natürlichen Todes lag regungslos im Sand. Zum ersten Mal in seiner langjährigen Karriere hatte er versagt, das stand zu diesem Zeitpunkt außer Frage ... Ob er das in dem Augenblick seiner größten Demütigung allerdings noch nachvollziehen konnte, entzog sich dem zufrieden in sich hinein lächelnden kleinen Mann in Schwarz, der den – einseitigen – Fight ohne jegliche Gegenwehr des Eindringlings hatte gewinnen können. Und das unschöne Knacken am Kopf des Liegenden ließ darauf schließen, dass er, zumindest für einen langen, ganz ganz langen Augenblick nicht mehr würde klar denken können. Wenn überhaupt jemals wieder.

Amen.

Der heimliche Beschützer des Rockstars war nun seinerseits in großer Eile, denn er selbst wollte auf keinen Fall von den Gorillas der Schönheit festgenommen werden. Das harte, bösartige Knacken am Kopf des mit unschönen Absichten eingedrungenen Akademikers verursachte seinerseits in der Stille der Nacht regelrechten Lärm, war vielleicht von einem der aufmerksamen Bodyguards gehört worden. Unser fan in black konnte sich ausrechnen, dass es nicht lange dauern würde, bis ganze Hundertschaften das Strandstück absuchten.

Also rannte er wie ein Wiesel zur rechten Begrenzung des Grundstückes, wo es durch hohe, dichte Bougainvilleabüsche zum Nachbarn abgeschottet war, bückte sich und zog hektisch, im Zickzack das große Strandstück ablaufend, alle paar Schritte etwas Undefinierbares aus dem Sand bis zur linken Begrenzung zum nächsten Grundstück.

Mein Trick hat ihn erledigt! Mein Trick hat ihn erledigt!, jubilierte der Kleine dabei still in sich hinein. Wie einfach das alles war, nur ein lumpiger, dünner Nylonfaden brachte IHN, den großen Superprofi, den Geheimnis umwitterten Unbekannten ins Stolpern ... Oft sind es die einfachsten Mittel, die Erfolg bringen. Logik, Genie? Nur gut, dass ich den Faden gleich zwölf Mal kreuz und quer über die gesamte Breite des Strandstückes gespannt habe. Und wie der Erfolg beweist, war es auch richtig, den Faden so eng zu spannen, nur einen geringen Zwischenraum von jeweils zwanzig Zentimetern zu lassen, denn genau in dem engen Netz hat der sich verheddert ...

Mit einem zaghaften Lächeln auf den Lippen, die feinen Schweißperlen über seinen Lippen abwischend, im Inneren jedoch richtig fröhlich, ausgelassen und fast schon überdreht, hatte er die letzten Splinte mit dem Nylonfaden in schneller Folge aus dem Sand gezogen, dankte im Stillen noch einmal Big Punk und den asiatischen Kampftechniken. Verschwand nun selbst im Wasser und schwamm, kraftvoll und rhythmisch, das Zucken im linken Augenlid hatte längst aufgehört, ins ruhige Binnenmeer hinaus.

Miami, das Leben und die ganze Welt hatten ihn wieder.

DU GEHÖRST IHNEN.

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