Читать книгу DU GEHÖRST IHNEN. - Dankmar H. Isleib - Страница 7

Оглавление

II

JE ÄLTER EINE GITARRE WIRD,

DESTO BESSER KLINGT SIE –

GENAUSO IST ES AUCH MIT DEN ROLLING STONES

Keith Richards, 1999

Frankfurt am Main, einige Tage vorher,

Stellas bejubeltes Konzert.

Die Frankfurter Festhalle bebt. Mehr als zwölftausend Stella Henderson-Fans feiern ihre Königin.

Wie ein Orkan tobt der Beifall der Massen, erreicht einen Lautstärkepegel, gegen den die Gitarristen ihrer Band während des Konzertes nur ein seichtes Geräusch-Lüftchen erzeugt hatten. Die nicht als schön zu bezeichnende, enge, akustisch schwierig zu bespielende Halle, die aber eine sehr intime, Publikum und Künstler faszinierende Stimmung erzeugen kann, bebte. Minutenlang. Von den Rängen der gleiche Jubel wie aus der unbestuhlten Arena. Völlig ausgelaugt steht Stella wie in Trance auf der Bühne, vorne, in der Mitte, verneigt sich immer wieder und wird von der mächtigen Sympathiewelle der rasenden Fans fast umgeworfen.

Bis vor drei Stunden war sie in Deutschland nur die Prinzessin. Gut, aber sie war nie live zu hören und sehen. Tina Turner, die große alte Dame des Rock, galt selbst bei den Kids vom Hörensagen noch als die Königin, der man sich über Jahrzehnte fast widerspruchslos zu den musikalischen Füßen geworfen hatte, obwohl sie seit gut zehn Jahren nicht mehr on the road war. Der Nachwuchs ist dünn gesät. Zu dürftig die Stimmchen der Konkurrenz oder zu durchsichtig die von hechelnden Marketingstrategen der Plattenkonzerne und Managern ersonnene Bühnenerotik so mancher Sängerin. Zu manieriert, zu langweilig, zu unerotisch, harmlos die Stimmen, zu platt die Songs. Wo war sie, die echte Rockröhren-Konkurrenz? Eine schon längst vergessene Alanis Morrisette, die einfach keine balls hatte; was ist eigentlich aus Melissa Etheridge geworden, die ich sehr mochte? OK, da ist Pink. Die könnte es bringen, wenn sie sich konzentriert und sich nicht vom Mainstream einlullen lässt. Die hat was. Wenn sie Rockmusik macht. Nicht den Popmist wie derzeit. Die anderen machen guten Pop, Christina Aguilera, Shakira, Kelly Clarkson, Adele, Rihanna, aber ... Das ging Stella durch den Kopf, während sie den tosenden Applaus kaputt, aber glücklich in sich aufsog.

Seit heute – Freitag, zehnter Oktober, 23:25 Uhr mitteleuropäischer Zeit – ist das anders. Stella weiß es: Jetzt bin ich die Königin des Rock. Auch in Europa. Deutschland gehört zu den wichtigsten Märkten im Musik-Business. Ihre erste Tournee durch das Land war restlos ausverkauft. England liebte sie, das hatten ihre drei gefeierten Konzerte der vergangenen Woche im Londoner Hammersmith erneut eindrucksvoll bestätigt. Frankreich und Italien eroberte sie schon vor drei Jahren; die Japaner lechzen nach Stella Herndon und lagen ihr zu Füßen und die Fans in ihrer Heimat, von der East- bis zur Westcoast des Landes der fast unbegrenzten Möglichkeiten, feierten sie sowieso seit etlichen Jahren als die Größte, den Superstar des neuen Millenniums.

Keine zehn Schritte von ihr entfernt, eingekeilt von stark nach Schweiß und kaltem Tabakrauch riechenden Fans & Freaks, die vom Alter her zum Teil seine Kinder hätten sein können, stand Meerbold. Direkt vor der Bühne, ebenfalls heftig transpirierend. Von seinen widersprüchlichen Gefühlen überwältigt. Nicht fähig, sich äußerlich erkennbar zu freuen. Obwohl ihm das Konzert außergewöhnlich gut gefallen hatte. Die leicht glasigen Augen ununterbrochen auf Stella gerichtet, hat er die rechte Hand noch immer in der zu engen Jeans, um seine wilde, sich selbst zerstörende Gier zu mildern. Zu erregt war er noch immer, genauso wie während der ganzen einhundertsiebenundfünfzig Minuten des Konzertes. Er hat die Zeit gestoppt, weil er jede einzelne Sekunde genießen wollte. Nur gut, dass keiner sehen konnte, wie es um ihn stand. Die kleine Dralle in Schwarz mit den bunten Haaren und dem herrlich runden, festen Hintern hatte sicher nicht bemerkt, dass Meerbold sich in Ermangelung seines Idols, von dem er nur durch die Absperrung zur Bühne hin getrennt war, an IHR mit IHM gerieben hatte, dazu waren die Menschen einfach viel zu dicht aneinandergepresst.

Stella! So nah war er seiner Göttin noch nie gewesen!

Er wusste, seine Stunde war gekommen. Jahrelang hatte er auf diesen Augenblick warten müssen, denn die Henderson hatte bei ihren Tourneen stets einen Bogen um Deutschland gemacht und die Zeit, eines ihrer Konzerte im Ausland zu besuchen, konnte Meerbold einfach nicht aufbringen.

Stellas schwedische Großmutter war auf die ´Germanen´, wie sie immer mit leicht sarkastischem Unterton zu sagen pflegte, durch schwere Schicksalsschläge, die sie als Jüdin in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts hinnehmen musste, auch heute noch nicht gut zu sprechen. Obwohl inzwischen weit mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen war und das Wassermannzeitalter* (Anhang) mit seinen enormen Umwälzungen in der Menschheitswerdung eingeläutet worden war. Ein neues Jahrtausend mit veränderten Vibrations, das trotz der entsetzlichen Kriege des letzten Jahrhunderts und der großen Veränderungen im arabischen Raum um einiges friedfertiger zu werden verspricht ...

Staatssekretär Rudolf Meerbold, Mann mit eigenwilliger Karriere und dem Tick, jede Frau müsste ihm, Meerbold, rettungslos verfallen sein, kannte den Grund seines weiblichen Heros, Deutschland bei ihren Tourneen zu umgehen, bis dato nicht.

Für ihn war die Henderson einfach zum ersten Mal in seinem Heimatland auf Tournee. Denn das Management der Henderson verschwieg die persönlichen Beweggründe des Stars, Deutschland nicht zu besuchen. Man wollte sich den lukrativen Markt nicht versauen. Bisher hieß es immer, dass Stella Konzerte in Deutschland aus Zeitgründen nicht geben konnte und dass es mit der Tourplanung nicht zu vereinbaren gewesen wäre. Eine fadenscheinige Begründung, die keiner hinterfragt hatte, was im oberflächlichen Showbiz und für die dazu gehörende ebenso oberflächliche Medienclique nicht weiter verwunderlich war. Die Rocklady hatte von ihren Alben im Laufe der letzten sechs Jahre mehr als zwölf Millionen CDs in Deutschland verkauft. Ein schlagendes Argument, nun doch einmal live vorbei zu schauen.

Der Staatssekretär sah heute verdammt gut aus.

Rudolf Meerbold war ungemein wandlungsfähig. Ein Mann, der wirklich in jede Rolle schlüpfen konnte. Deshalb war er für viele Menschen beiderlei Geschlechts und beinahe jeden Alters auf seine Weise äußerst attraktiv, interessant oder auch abstoßend, wenn Meerbold es so wollte. Mit seinen 42 Jahren hatte er immens viele Typen gelebt.

Nein, nicht gespielt: gelebt.

Manchmal war er sich seiner Ausstrahlung selber nicht mehr bewusst, konnte kaum noch zwischen dem echten und dem gespielten Meerbold, zwischen Wirklichkeit und Fassade unterscheiden. Alle Ich´s, die er verkörperte, machten ihm großen Spaß. Der devote Kriecher, der weltoffene Geschäftsmann, der elegante und immer liebenswerte und zuvorkommende, höfliche Ehemann, der großartige, durchtrainierte Golfer, der mondäne Dandy, der biedere, dennoch karrierebewusste amtstreue, intelligente und jeder Regierung devot dienende Beamte. Der arrogante Topstar im Amt, wenn er in Brüssel mit seinen europäischen Kollegen verhandelte. Meerbold, der Geheimnisvolle. Das Chamäleon vom Dienst.

Diese geniale Wandlungsfähigkeit benutzte er schonungslos, seit er sie mit fünfzehn Jahren entdeckt hatte. Das hatte ihn zu dem Mann gemacht, der er heute ist: Ein geschätzter, von den Kollegen aller Fraktionen geradezu vergötterter, Staatssekretär, dem jeder zutraute, bald im Kabinett einen ihm angemessenen Ministerposten zu bekleiden. Der bessere von Guttenberg. Egal, bei welcher Partei, denn Meerbold war parteilos. So früh im Leben wollte er sich politisch nicht binden, obwohl für ihn außer Frage stand, dass er seine politische Karriere fortsetzen würde und fest daran glaubte, dass Großes, ganz Großes in ihm stecke. Erster Kanzler der Europäischen Union! Das Amt strebte er an und glaubte auch zu wissen, wie er das erreichen kann ...

Von dem virilen Staatssekretär, unauffällig elegant, höflich, ein verbindliches Lächeln mit zu jedem politischen Thema passenden Spruch auf den Lippen, fachlich einfach nicht zu erschüttern, von diesem coolen Staatssekretärsgesicht zeigte er heute Abend wenig. Meerbold war für das für ihn so wichtige Konzert absolut überzeugend in die Rolle des totalen Rockfans geschlüpft: Die enge Joop-Jeans – schwarz, ölgetaucht, verwaschen – saß perfekt auf einem perfekten Hintern, mit dem er für Calvin Klein Underwear hätte Werbung machen können. Das ebenfalls schwarze T-Shirt stammte von der US-Tour der Stones des Jahres 2006/2007. Da man damals munkelte, dass es die letzte, die wirklich allerletzte Tour Mick Jaggers & Co. sein sollte, hatte er sich das Shirt über Ebay besorgt, bevor die Altherrenriege nach Europa gekommen war. Intuitiv gekauft für den heutigen Abend, von dem er damals noch nicht ahnte, dass es ihn geben könne und dass das T-Shirt von besonderer Bedeutung sein würde ...

Die Rock-Swatch passte zum Outfit. Die leicht abgelatschten, aber dennoch gepflegten Stiefel, natürlich schwarz, Saffian-Leder, Handarbeit, ebenso. Wenngleich für den Anlass einen Tick zu edel und teuer. Aber das sah nur jemand mit Kennerblick. Das schwarze Sakko, feinstes Leinen, Armani, war vielleicht auch eine Spur zu elegant. Aber was soll´s: Rockfans gibt es heute in jedem Alter, in jeder Einkommensschicht, weiblich, männlich, sächlich. Das dunkelblonde, glatte Haar, das er ohnehin etwas länger trug, umrahmte sein charismatisches Haupt locker und federnd. Die ganze Erscheinung erinnerte ein wenig an den jungen Don Johnson, als der einst vor gefühlten Jahrhunderten in der US-Krimi-Serie Miami Vice den Polypen-Dandy spielen durfte. Mann trug die Haare heute wieder so, wenn man auf sich hielt und um die Dreißig war.

Meerbold sah extrem gut aus. Brad Pitt in seinen besten Jahren. Extrem blau die Augen. Extrem lässig, extrem sympathisch, extrem rhythmisch, dieser Pfau. Eine Spur zu glatt, eher aalglatt, und, wenn es jemandem gelang, hinter die Fassade zu schauen, war eine ständige innere Unruhe, Nervosität in seinen Augen, in seinem Atmen zu spüren. Die Lippen konnten sehr schnell hart und schmal werden, die Hände verkrampften binnen Millisekunden, knöchelweiß. Doch so sahen Meerbold nur wenige Menschen. Schon gar nicht hier und heute würde einer den Unsympathen im Sympathen erkennen. Seine 1,87 Meter kamen durch die schmalen Jeans, die hochhackigen Stiefel und das schwarze Outfit noch besser zur Geltung. Wen wundert es, dass er, seit er vor wenigen Stunden die Halle betreten hatte, von vielen Girls und jungen Frauen bewundernde, ja auffordernde, wenn nicht ziemlich eindeutige Blicke zugeworfen bekam. Dreizehn kleine Flirts, nur mit den Augen geführt, die ihm sagten, dass er heute Nacht jede Menge One-Night-Stands hätte durchziehen können. Das registrierte sein – noch – fehlerfrei arbeitendes Gehirn ... Und war eine Bestätigung dafür, dass er seine Rolle richtig spielte. Oder war d a s der wahre Meerbold? Sahen wir heute Abend das echte, wahre Gesicht des Mannes, der morgen der deutschen Raute-Kanzlerin, der immer lächelnden Sprechblase mit den gestanzten, pathetischen Worthülsen und dem zu kurzen Jäckchen über gut gepolstertem Hinterteil, wieder mit gutem Rat und frischer Tat zur Seite stehen würde?

Gerne hätte Meerbold in der Jahrhunderthalle hier und da zugegriffen. Eine Nacht mit einer fast unberührten, von der Mutter begleiteten, naiven Sechzehnjährigen konnte ungeahnte Reize haben, wie Rudolf, der Lässige, nur zu gut wusste. Oder mit einer voll bekifften Endzwanzigerin, die ihren Typen draußen warten hat, und die ihm auf der Damentoilette so zwischendurch schnell mal einen bläst.

Egal, sagte er sich, scheiß auf den Staatssekretär. Heute greife ich mir was Besseres. Heute lebe ich für Stella. Nur für Stella Henderson. Und der Teufel müsste mich davon abhalten, sie nicht zu beglücken. Denn er ging davon aus, dass sein Rendezvous nicht nur stattfinden, sondern dass er der Lady total imponieren könne und sie, keine Frage, ins Bett abschleppen würde.

In den Minuten des Beifallsrausches, der Stella noch immer umgab, ließ Meerbold das relativ wenige Substanzielle, was er über die neue Königin des Rock wusste, Revue passieren.

Die Berichte der Yellow-Press und die Interviews der letzten Jahre im >Rolling Stone< hatte er alle gelesen. Meist war das Geschriebene seicht, deutete zwar einiges aus ihrem Privatleben an, ging oberflächlich auf ihre geniale Musik ein, streifte Affären aber nur am Rande. Er kannte die gängigen Klischees über sie in- und auswendig. Meerbold war regelmäßiger Gast bei Google, um nichts Neues über sie zu verpassen. Nach allem was er zwischen den Zeilen in den Berichten und Interviews über Stella Henderson gelesen, im TV gesehen hatte, entsprach sie genau dem Typus Frau, den er sich für diese besondere Nacht wünschte. Das war das für ihn Entscheidende. Alles andere Nebensache. Stella kann sich gut tarnen. Wie ich, genau wie ich – redete sich Meerbold seit Jahren ein. Denn dass sie sich tarnte, etwas zu verbergen hatte, dessen war er sich sicher. Immer wieder gab es Gerüchte um Stella, ihre Neigungen, ihre Sexualität, ihre Liebschaften. Man weiß, dass an Gerüchten meist ein Körnchen Wahres ist. Da waren zum Beispiel ihre immer schärfer werdenden, einen Mann wie Meerbold aufgeilenden Musik-Clips, die er sich von MTV mitgeschnitten hatte. Die Dreiminuten-Filmchen lebten von Anspielungen; ihre Erotik blieb unterschwellig. Weitaus differenzierter, intelligenter und letztlich aufreizender als die provokanten, sofort durchschaubaren und an der Oberfläche bleibenden Clips von Madonna oder die optisch voluminösen, fantasievollen und direkt auf Hol-dir-einen-runter getrimmten Videos von Lady Gaga und Rihanna. Aber für ihn, den Fachmann in Sachen Erotik, waren die von Stella gedrehten Clips dennoch eindeutig. Eindeutig erotisch, und das auf eine ganz bestimmte, nur schwer zu beschreibende Art. Dafür musste man einen sexten Sinn haben.

Meerbold hatte ihn. Zumindest das sei ihm attestiert.

Wie oft war Rudolf Meerbold nachts noch einmal aufgestanden, hatte zu seiner gewiss nicht prüden Frau gesagt, dass er noch einige Akten durchsehen müsse, damit er für die Debatte im Hohen Haus gut präpariert sei, um sich erst eine fette line zu legen und dann genüsslich einen Videoclip von Stella anzusehen.

„Freak Out“, „Tell Me Your Dream“, „What A Big Ahhh ...” waren seine favourites. Er sah sich in den nach einem festen Ritual ablaufenden Nachtstunden immer nur einen Clip an. Oft in slowmotion, um jede Faser ihres unbeschreiblich erotischen Körpers besser genießen zu können und die schnellen Schnitte, so wie sie heute in der Clip-Culture leider in waren, in seinem Sinne zu verlangsamen. Meerbold war auf die Macher sauer, weil sie von dem Star immer weniger zeigten. Dafür multiple Storys inszenierten und einen immensen technischen Aufwand betrieben, um sich von der Konkurrenz ein wenig abzuheben. Da die Henderson ein weltweiter Superstar war, wurden ihre Clips besonders aufwändig gedreht und wahnsinnig schnell geschnitten. Damit ließen sie Raum für unendlich viele – erotische – Fantasie. Und die hatte Meerbold. Auch das konnte man ihm attestieren.

Meerbold, der stets nackt schlief, streifte sich, wenn er das Ehebett verließ um mit Stella per DVD oder Festplatte fremd zu gehen, seinen dunkelgrünen Seidenkimono über, den er, eitel wie er war, mit dem Schwarzen Gürtel aus seiner aktiven Zeit als Judoka schloss. Das machte ihn noch männlicher, unwiderstehlicher. Meinte er. In seinen Gedanken versetzte er sich oft in die herrliche Zeit zurück, die er durch den Kampfsport genießen konnte. Bereits im zarten Knabenalter räumte er auf Turnieren Preise ab und so ergab es sich von selbst, dass die Mädchen auf ihn standen. Zu gerne prahlte er mit den verschieden farbigen Gürteln, die er sich im Laufe der Jahre erkämpft hatte und nicht selten erschien er in der Schule mit dem Grünen, Blauen, später dann, in seiner Blütezeit als Judoka, mit dem Schwarzen Gürtel. Er spürte schon damals die Macht, die von ihm ausging, wenn er den Gürtel trug, und ärgerte sich in seinem jetzigen Leben, dass der Putin ihm das nachmachte, wenn er besonders auf den Putz hauen wollte. Dabei galt sein – Meerbolds – Imponiergehabe damals ausschließlich den Mädchen. Auf die war er scharf. Bei ihnen kam der Gürtel, auf nackter Haut vorgeführt, am besten an. Das Ritual behielt er bei und deshalb musste seine geliebte Stella den großen Meerbold auch mit dem Schwarzen Gürtel ertragen.

Wenn er Kimono und Gürtel angelegt hatte, setzte er sich genüsslich auf seine schwarze, italienische Designer-Ledercouch, die in der Mitte des großen Arbeitszimmers stand. In einem überdimensionalen Safe, der durch eine schwarz gelackte Bücherwand verdeckt war, lagerten seine Schätze. Darunter alles von Stella Henderson. Denn bei aller Skrupellosigkeit des Herrn Staatssekretärs wäre es ihm unangenehm gewesen, wenn Gattin Arianne, sein gesellschaftliches Aushängeschild aus erstklassigem teutschen Adelsstall, seine perverse Neigung zu dieser Rockschlampe – Ariannes Worte – entdeckt hätte. Arianne ließ nur eine einzige TV-Begegnung mit der Henderson über sich ergehen. Das war vor zwei Jahren, als ein Konzert der Rockdiva auf MTV übertragen wurde und ihr verehrter Gatte darauf bestand, sich das Ereignis gemeinsam mit ihr anzusehen. Danach war Arianne gar nicht amused, denn auf schöne Frauen war sie immer eifersüchtig. Wusste sie doch, mit was für einem Kerl sie verheiratet war. Meerbold hatte es verstanden, seine Abhängigkeit vom Kokain – und er war mit seiner Vorliebe für das weiße Pülverchen wahrlich nicht allein im deutschen Bundestag – vor Arianne zu vertuschen. Das besondere Vergnügen gönnte er sich auch zu Hause nur heimlich und immer dann, wenn er besonders scharf auf Stella war. Und er war täglich auf Stella scharf ... Dass er eine Schampus-Nase war, dass er öfter einen Schluck zu viel Dom Perignon in sich hineingoss, schrieb Frau Gräfin Staatssekretär dem Stress in der Bundesregierung zu, denn Meerbold war auch da in guter Gesellschaft. Außerdem: Sie nippte selbst nur zu gern an den edelsten Tropfen. Es war für sie völlig normal, dass Rudolf der Große öfter einen oder auch zwei Schluck über den Durst trank und dann sehr ordinär wurde, wenn er über sie herfiel.

Genau das mochte sie an ihm.

Meerbolds Mehrzweck-Fernbedienung war ein kleines technisches Meisterstück. Von der Couch aus konnte er die Tür zu seinem – akustisch versiegelten – Arbeitszimmer verschließen, die Bücherwand zur Seite fahren, die Rollos der Fenster schließen, den Safe öffnen, den Fernseher einschalten, den Hard-Disc-Recorder bedienen, das Bose-Soundsystem in Gang setzen.

Nur die angemessene Dosis Koks musste er sich selbst legen und den richtigen Song programmieren. Dann war Genießen angesagt. Geiles Genießen. Das Erleben eines der Clips von Stella Henderson war für ihn gerade in den Wochen vor der Tournee jedes Mal ein herrliches Vorspiel auf den großen Tag der ersten Begegnung mit dem Star. Dass es diese Begegnung geben würde, dessen war er sich stets sicher gewesen. Darauf konzentrierte er sich, seit er wusste, dass ihre World-Tour sie diesmal auch durch Deutschland führen würde. Meist sah er sich den sorgfältig ausgesuchten Clip zehn-, fünfzehnmal an. Nonstop. Vor, zurück. Vor, zurück. Slowmotion. Das dauerte, je nach Grad der Erregung, bis zu einer Stunde.

Slowmotion.

Er war ihr verfallen, mit Haut und Haar. Und besonders sein Schwanz. Im Laufe der Jahre hatte er es gelernt, während der Minuten seiner sich aufbauenden geistigen Ekstase, die ihn regelmäßig an den Rand des Wahnsinns brachte, ihn völlig ausflippen ließ, einen wundervollen Orgasmus zu bekommen, ohne auch nur eine einzige Sekunde Hand an sich legen zu müssen.

Das jahrelange Genießen und Warten auf den heutigen Abend ging ihm in Sekundenbruchteilen durch den Kopf, als er jetzt vor der Bühne stand und auf sie starrte. Das Konzert in der Frankfurter Festhalle war für ihn der Höhepunkt seiner krankhaften Zuneigung zu der Sängerin. Stellas sinnliche, zum Bersten erotische Ausstrahlung war für ihn einfach unvergleichlich stärker als jedes noch so heiß gedrehte Filmchen. Jetzt stand sie dreidimensional, live, lebendig und in ganzer Schönheit und Größe vor ihm, ihre Hits in genialer Qualität aus sich heraus schreiend. Jeder Zentimeter der Frau purer Sex. Zumindest empfand das Meerbold so. Dabei war Stella Henderson auf der Bühne eher unauffällig gekleidet: eine schlabberige Bluejeans 501, die durch einen breiten schwarzen Gürtel über ihrer wundervoll schmalen Taille allerdings sehr körperbetont festgehalten wurde. Die schwarze Bluse aus Waschseide dezent geschlossen. Nur die zwei obersten Knöpfe standen offen und ließen ihren lieblichen, mittelgroßen Busen erahnen, nicht sehen. Das war es schon fast. Denn Schuhe trug Stella bei ihren Konzerten nie, der Tradition Janis Joplins folgend. Stella trug Silberschmuck. Alte Indianerarbeit; zwei acht Zentimeter breite Armreifen mit blutroten Steinen und dazu passende – blutrote – Ohrringe in der Form eines für Meerbold eindeutigen Phallus-Symbols. Die Armreifen hatte sie im Laufe der Show abgestreift und mit vielsagendem Blick ihrem athletischen Keyboarder – mit wachsblondem, langem, wehenden Haar, der an Rick Wakeman aus den Siebzigern des letzten Jahrhunderts erinnerte – zugeworfen. Am makellosen Hals der Rockdiva lag eine breite, silberne Kette. Vier-, fünf Mal umschlang diese ihren zarten, langen, wunderschönen Hals, verschönerte das Dekolleté.

Stellas Körpersprache stand während des gesamten Konzertes total konträr zu ihrem ruhigen, eher langweilig zu nennenden, aber praktischen Bühnen-Outfit. Sagte man von Tina Turner, sie wäre einst in den frühen Siebzigern und sogar noch in den Neunzigern des vergangenen Jahrhunderts ein Vulkan auf der Bühne gewesen, der nur so vor Erotik strotzte und mit sichtbaren, sinnlichen Reizen nicht geizte, war die Turner gegen Stella Henderson wirklich nur noch eine überreife Frucht. Eine Frau – Hochachtung vor ihr! –, die lange Zeit mit großem Erfolg versucht hatte, die Blüte ihres Lebens festzuhalten.

Warum auch nicht! Das Leben ist brutal, Tina, ging es Meerbold durch den Kopf. Stella hat deinen Platz längst übernommen. Und richtig abfahren konnte ich auf dich nie, Tina, was deinen body angeht ... Wenn du verstehst, was ich meine ...

Meerbolds enge Jeans ließ es nicht zu, dass man von seiner Dauererektion zu viel mitbekam. Doch jede noch so sparsame Bewegung von Stella ließ ihn zusammenzucken. Die weiche, überaus harmonische Symphonie von rhythmischen Bewegungen ihres Körpers über zweieinhalb Stunden – das war einfach gigantisch! Jeder Zentimeter ihres leider für ihn mit viel zu viel Stoff umhüllten Körpers strahlte sensationelle, geballte, erotische Energie aus.

Stella war eins mit ihrer Band, regelrecht verschmolzen. Sie spielten und sangen wie aus einem Guss. Stella war eins mit ihren Hits, jeder einzelne aufreizend und stark. Voll Sinnlichkeit. Power und harte Rhythmen, die die Fans von einer Ekstase in die nächste trieben. Selten streute Stella neue und weniger bekannte Songs in ihr Programm. Sie konnte es sich leisten nur Hits zu spielen, so groß war ihr Repertoire inzwischen. Für fast jeden Titel holte sie sich einen ihrer Musiker mit nach vorne auf die Bühnenmitte. Sie wurden von dutzenden computergesteuerten Laser-Spots eingefangen und agierten nicht selten in einer derart intensiven, eindeutigen Körpersprache, dass Meerbold sich fragte, ob die Musiker bei dem explosiven Schauspiel darunter leiden würden von Stella ständig so angemacht zu werden, oder die Situation einfach nur genossen. Vielleicht hatten ihre Musiker ihm, Meerbold, ja auch schon einen Genuss voraus, von dem er seit langer Zeit träumte.

You never know!

Jetzt steht sie an der Bühnenkante, immer noch überwältigt vom anhaltenden Toben der Fünfzehntausend. Stella Henderson genießt ihren Triumph und durch die Bluse zeichnen sich die steil aufgerichteten Knospen ihres wundervollen Busens ab. Intensiver Beifall ist Erotik pur für Stella und einer der Gründe, wenn nicht der wichtigste, Rocksängerin zu sein und nicht Managerin einer Kosmetikfirma, Rechtsanwältin, Kongressabgeordnete oder Hausfrau. Sie zieht das Mikrofon noch einmal in eindeutiger Bewegung zu sich heran. Die Geste kannte man über Jahrzehnte hinweg schon von T.T. Nur dass sie bei Stella weniger vulgär, vielmehr natürlich-erotisch aussieht:

»Thank’s, thank’s a lot! Thank you Germany, thank you Frankfurt, thank you very much, my friends!«

Die Masse jubelt ihr noch ein letztes Mal frenetisch zu. Eine Verbeugung. Jetzt kommt sie direkt auf Meerbold zu. Geht in die Knie um ein paar der Hände zu berühren, die sich ihr gierig entgegenstrecken, die Beine weit gegrätscht.

Ihre Jeans wird eng, sehr eng und Meerbold starrt gebannt nur auf eine einzige Stelle.

DU GEHÖRST IHNEN.

Подняться наверх