Читать книгу Blutige Therapie – der Schlächter von Darmstadt-Woog - Dantse Dantse - Страница 5

85 Meilen von Houston, Beaumont, Texas, USA
US Post Office
5815 Walden Rd,
Dienstag, 02.02.2010, 11 Uhr

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Johnny stand vor dem US Post Office 5815 Walden Rd, Beaumont, USA. Er klebte den Briefumschlag zu, der den Dankeschön-Brief und seine Beileidsbekundung enthielt und an Fr. Camara, Frau von Prof. Dr. Camara, Facharzt für Psychotherapie, Xxxx-Straße D-60599 Frankfurt, Germany, adressiert war. Es tat ihm sehr leid, was diese Familie ertragen musste, aber er sagte sich, jeder müsse für sich selbst kämpfen, so wie auch er in seinem Leben. Auch Parasiten wollten nur leben. Mitleid brachte nichts. Manche Unschuldige mussten leiden, damit manche Glückliche ihren Weg fanden. Warum hat Gott das so gemacht? fragte er sich.

Dann nahm er das andere Paket in die Hand, sah es an und lächelte. Er stellte sich vor, wie sie beim Aufmachen des Pakets reagieren würde. Jeder Mensch trägt sein Kreuz. Nun war sie an der Reihe.

Er erinnerte sich an das, was ihm ein anderer Soldat während des Kriegs im Irak bei einem gemeinsamen Essen darüber gesagt hatte:

„Hör zu, Johnny, jeder trägt sein Kreuz. Alles, was du tust, hat eine Rückwirkung auf dich und deine Mitmenschen. Alle Aktionen provozieren auch Reaktionen. Das ist das Gesetz. Das Schlimmste ist, dass die Reaktion oft nicht mehr von da kommt, wo die Aktion getätigt wurde. Deswegen macht es die Reaktion oft unkontrollierbar. Du kannst vielleicht noch Meister deiner Aktion sein aber selten Meister der Reaktion, die dann den natürlichen Gesetzen unterstellt ist. Du kannst bestimmen, was du den anderen tust, aber du wirst niemals, beziehungsweise niemals langfristig und ständig, die Kontrolle darüber haben, wie der andere reagieren wird. Gutes bringt einmal Gutes zurück; zu wenig würden wir sagen. Vielleicht der Grund, warum wir so wenig Gutes tun und uns nicht entschieden und kraftvoll gegen das Böse stellen, oder gar das Böse wählen? Aber Böses bringt 3 Mal böse Schläge zurück und das wissen wir leider erst nachdem wir diese dreifachen Schläge zurückbekommen haben. Wir meinen einfach, wir sind im Krieg und glauben, dass es moralisch ausreicht, um den Tod von Unschuldigen zu erklären und in Kauf zu nehmen. Nein, so geht es nicht. Unsere innere seelische Unruhe ist die Antwort der Natur. Pass auf mit allem, was du tust. Du bekommst alles zurück, deswegen sind das Leben und die Natur gerecht.“

Er dachte an diesen Soldaten, der kurz danach bei einem Anschlag, der verhindert hätte werden können, seine Beine und Hände verlor. Ein paar Tage vorher, vor diesem Essen, hatte er auf eine Menschenmenge geschossen, wissend, dass sie weder bewaffnet waren noch eine Gefahr für ihn und seine Kameraden darstellten. Er tat es aus purem Frust und Stress, aus Hass gegenüber dessen, was er im Irak tat, aus purer Wut gegen diesen Krieg ohne Überzeugung. Die Schreie dieser Menschen und der mangelnde qualifizierte, psychologische Beistand (nach so einem Vorfall wurde oft versucht die Schwere der Taten zu minimieren, und dem Soldaten, der auch ein Gewissen hat, der auch nur ein Mensch ist, zu überzeugen er hätte was Gutes getan und solle sich nichts vorwerfen. Aber seine innere Stimme und Überzeugung sagten ihm etwas anderes) ließen ihn nicht mehr ruhig schlafen. So fing das Böse an, zurückzuschlagen. Schlaftabletten halfen auch nicht mehr. Depressionen und Konzentrationsmangel setzten ein. Deswegen auch diese Unachtsamkeit, die ihm lieber das Leben hätte nehmen sollen, zu seinem Pech aber leider nur beide Beine, die Schenkel und seine beiden Ober- und Unterarme zerfetzt hatten. Diese Verstümmlung würde ihm für immer, für den Rest seines Lebens, in seinem Gewissen bleiben; nein, vielmehr war und würde sie immer sein unauslöschliches Gewissen für all das, was er getan hatte sein und bleiben, so war die Natur.

„Jo“, wie dieser Soldat ihn gern nannte, „Jo, ja, du kannst dein Bewusstsein verändern aber dein Gewissen wirst du niemals, ich sage dir nie, nie los.“

Und weiter:

„Du zahlst alles auf dieser Erde zurück. Hier auf dieser Erde und nicht nach dem Tod. Aber weißt du, Jo? Weißt du, was gut dabei ist? Du kannst selbst ungefähr entscheiden, nein, sagen wir, du kannst ein bisschen beeinflussen, wie hoch die Summe sein wird, die du zahlen wirst. Johnny, versuch, soweit du kannst, immer und immer diese Summe, die du zahlen wirst und musst, so niedrig wie möglich zu halten, indem du deine Taten kontrollierst und so viel gute Taten wie möglich und so wenig böse Sachen wie möglich tust. Es ist nur eine Frage der Zeit, bist du für sie zahlst. Meine Rückzahlung, wie du siehst, ist sehr hoch.“, hatte der Soldat zum Schluss melancholisch gesagt, als er ihn das letzte Mal im Militärkrankenhaus besucht hatte.

„Ja, wenn ich gewusst hätte, dass diese Lehre mich Jahre später stärken würde, hätte ich damals noch mehr Fragen gestellt. Danke, Richard Thompson, egal, wo du jetzt bist und was du machst, Gott segne dich“, sagte Johnny nun leise.

Er hatte selbst genug an seinem Kreuz tragen müssen, nun war sie dran. Sie kann nicht verschont davonkommen. Es war soweit, meinte er. Bevor er das Paket mit den in dickes Plastik mit Aluminiumschicht doppelt-eingeschweißten, noch gefrorenen Geschlechtsteilen seines Vaters und seines Halbbruders, die er aus Deutschland mitgebracht hatte, zuklebte, steckte er noch einen kurzen Text hinein. „Danke dafür, dass du immer für mich da warst und mich geschützt hast als sie, deine Lieblinge, wie du sie nanntest, mich jeden Tag fickten, missbrauchten und misshandelten. Danke, es geht mir jetzt gut.“ Er schrieb die Adresse auf das Paket: Margot Mackebrandt-Walker, XXXXstraße, 6xxxx Heidelberg, Germany.

Er erinnerte sich wieder an die Szene seines stummen Abschieds von seiner Mutter vor circa 3 Wochen am 13. Januar in der Gutenbergstraße in Heidelberg. Alles erschien vor seinem geistigen Auge wieder, als ob es gerade jetzt passieren würde.

Rückblick: Mittwoch 13.01.2010 gegen 15 Uhr

Nun stand er wieder vor dem Haus und schrie fast vor Wut. „Wieder er, wieder er, du verdammter Hund, verdammtes Schwein“.

Das Auto von Philip stand vor dem Haus. Das hieß, dass er da war. Er wollte ihn aber nicht sehen. Er wollte ihn nie mehr sehen. Nie mehr. Er hatte einen Druck in sich, eine Stimme die ihm sagte, töte diesen Menschen. Das ist das Schwein. Aber er wusste nicht, warum er ihn töten sollte. Er hatte doch nichts getan. „Doch, doch, der ist ein Schwein, das ist das Schwein, das du in deinem Traum gesehen hast“, hörte er diese neue Stimme sagen. Diese Stimme klang nicht wie der Rebell oder die Engel. Diese Stimme war ruhiger und selbstsicher und ließ keinen Zweifel daran, dass sie Recht hatte. Diese Stimme hörte er nur dieses Mal und nie mehr wieder. Aber das prägte sich ihm so ein, dass er wieder eine schmerzhafte und tief unangenehme Erektion bekam. Was hatte sein Halbbruder mit seiner Erektion zu tun? fragte er sich und als er dessen Auto berührte, spürte er so etwas wie Hass und wusste in diesem Moment, dass er doch noch mit diesem Mann zu tun haben würde. Er war noch nicht fertig mit ihm.

Er zog sein kleines Taschenmesser, das auf den ersten Blick wie ein Kugelschreiber aussah, aus seiner Tasche und machte alle Reifen des Autos platt. Er zerkratzte das ganze Auto und steckte das Messer wieder in seine Tasche. In diesem Moment spürten seine scharf entwickelten Instinkte, dass jemand ihn beobachtete. Er hob seinen Kopf und sah seine Mutter am Fenster des ersten Stockes, die ganz ruhig, mit einem neutralen Gesicht alles verfolgte, ohne eine Geste zu machen.

Sie schauten sich ein paar Sekunden an, dann verschwand sie wieder.

Johnny wusste sofort, dass sie seinem Bruder nichts von dem Vorfall erzählen würde. Er verstand es. Sie wollte ihm sagen, „Tu es. Mach das, wenn es dir hilft“, aber er selbst wusste nicht, ob es ihm half oder nicht. Es war ihm auch egal und er fragte sich gar nicht, was wäre wenn Philip jetzt hinauskäme. Alles war ihm egal. Der Hass und die Wut steuerten ihn.

Nachdem er dem Auto richtig großen Schaden zugefügt hatte, wandte er sich nun Richtung Hauseingang. Er stand vor der Tür und wusste nicht, was er tun sollte. Reingehen, weggehen, dastehen? Er setzte sich einfach vor der Tür in den Schnee und wartete fast 15 Minuten. Seine Mutter hatte sich nicht mehr gezeigt und war auch nicht zu ihm heruntergekommen.

Da er immer noch die Schlüssel des Hauses hatte, und hereinkommen durfte wann er mochte, stand er auf, schloss die Tür auf und ging aber in den Keller. Das war das erste Mal überhaupt, dass er im Keller dieses Hauses war. Komisch, sagte er sich, obwohl er schon mehrmals da gewesen war.

Er setzte sich in der Waschküche auf die Waschmaschine und überlegte. Warum bin ich eigentlich hierhergekommen? fragte er sich. In diesem Moment sah er Bilder vor seinen Augen. Er sah eine Tür, eine Kiste. Er stand auf und ging durch die Gänge des ganzen Kellers, und plötzlich stand er vor der Tür, die er gerade in seiner Vision gesehen hatte. Die Tür war mit einem speziellen Schloss gesichert. Johnny aber lächelte. Was war das denn schon gegenüber den gepanzerten und atomar-ausgestatteten Türen, die er damals im Einsatz hatte öffnen müssen?

Kurze Zeit später war er in einem großen Raum mit vielen Kisten. Alle waren mit einem Schloss verriegelt, bis auf eine Kiste, die offenstand. In seinen Einsätzen als Soldat hatte er mehrmals solche Situationen erlebt, in denen er schnell entscheiden musste. Er hatte nicht genug Zeit, alle Kisten zu öffnen, deswegen musste er überlegen, nach einem Ausschlussprinzip agieren und so schon einige Kisten aussortieren.

Warum sind alle Kisten zugeschlossen bis auf diese eine? überlegte er. Es könnte Absicht sein, damit man gerade die offene Kiste als belanglos ansah. Ja, gerade das, was auf den ersten Blick belanglos aussah, war oft der wichtigste Anhaltspunkt, hatte er gelernt. Von dort kam oft die tödliche Gefahr. Deswegen holte er die offene Kiste, stellte sie auf den einzigen Tisch, der im Raum war und suchte darin. Er hatte Recht. Das war die richtige Kiste.

Nach 20 Minuten verließ er das Haus. Er lief wieder an dem Auto vorbei und diesmal zerkratzte er die Frontscheibe. Und auch diesmal hatte er wieder das Gefühl, dass jemand ihn beobachtete. Er hob den Kopf und sah seine Mutter am Fenster. Sie schaute nicht auf das Auto sondern auf das, was Johnny in der Hand hielt. Johnny sah sie lange an, vielleicht 5, 10, 15 Minuten? Er wusste es gar nicht mehr. Aber es war sehr lang, so lang, dass seine Finger erfroren.

Seine Mama bewegte sich nicht. Sie sah aber diesmal nicht so traurig aus wie vorhin, wie vor 45 Minuten. Sie schien, obwohl sie ihre Miene nicht verzog und keine Gefühle zeigte, ja, sie schien, als ob sie ihn anlächeln würde, als ob sie zufrieden und erlöst wäre. Ihre Augen strahlten vor Glück.

Johnny steckte das kleine Buch in seine leichte Jacke und ging weg. Er drehte sich noch einmal zu seiner Mutter um, aber sie war nicht mehr da und der Vorhang war zugezogen. Er bekam ein komisches Gefühl, ein solches Gefühl, das man hat, wenn man sich auf Nimmerwiedersehen wünschte, und etwas sagte ihm, dass dies das letzte Mal war, dass er seine Mutter sah.

Wieder im Zug nach Darmstadt blätterte er im Tagebuch seiner Mutter:

Es war weniger ein Tagebuch als ein Erklärungsbuch. Es fing über Philip an. Er las einige Seiten und steckte das Buch zurück in seine Jacke, als er wieder an den Abschied von seiner Mutter dachte.

Was er da gelesen hatte klang nicht gut. Das war schlimm. Er hatte es nie geahnt. Das klang schrecklich. Er hatte sich immer wieder folgende Fragen gestellt: Was geht durch den Kopf dieser Frau? Was trägt sie so mit sich? Was belastet sie so? Warum lachte sie so wenig? Warum ist sie nie glücklich, auch wenn sie sich freut? War das, was er jetzt gelesen hatte, der Grund dafür? fragte er sich, oder nur einer von vielen Gründen?

Er wollte dieses Buch in Ruhe irgendwann weiter lesen, aber jetzt nicht mehr.

„Ich will jetzt nicht ihre Jammerei hören und ihre Entschuldigung auf diese Weise erfahren. Es ist feige, sie hätte direkt mit mir reden können“, sagte er sich, auch wenn es ihm ein bisschen leid tat, was sie erlitten hatte.

Ja, das war die Erinnerung an den Abschied von seiner Mutter. Die Sache hatte sich so schnell entwickelt, dass er das Buch total vergessen hatte und sich erst jetzt wieder daran erinnerte.

Wo ist es denn? fragte er sich. Und dann erinnerte er sich, dass es in seiner Aktentasche sein musste. Jetzt wollte er es bei der nächsten Gelegenheit bis zu Ende lesen.

Er atmete tief ein und aus und ging in das Gebäude des Postamts, mit dem Brief und dem Paket.

Er blieb nicht lange. Es ging relativ schnell. Nach einigen Minuten kam er wieder hinaus und lächelte. Er strahlte förmlich und sah noch schöner aus, als er sowieso schon war. Wer konnte ahnen, dass dieser Mensch, den man für einen Schauspielstar halten könnte, über 10 Personen auf dem Gewissen hatte? fragte er sich grinsend selbst.

Er stieg in das Auto seines Vaters und machte das Radio an. Es lief gerade: „Don't you forget about me” von den Simple Minds.

”Oh my God, oh my God”, schrie er laut und schlug auf das Lenkrad. „Das ist der Beweis. Das ist das Zeichen, ja, das Zeichen, dass auch die Götter mich für immer befreit haben. Das war das Zeichen. Ja, das ist wahrlich das Zeichen, dass mein Leben jetzt wieder neu anfängt“, schrie er weiter vor Freude. „Ja, mein Leben fängt wieder an, da, wo es aufgehört hatte, nämlich vor circa 25 Jahren.“

Er dachte an all diese Zeit, ohne traurig zu sein. Er war doch schon befreit. Dieses Lied, Don't you forget about me von den Simple Minds war damals sein Lieblingslied gewesen; das Lied, das seit diesem Abend in der Badewanne aus seinem Gedächtnis gelöscht gewesen war, und das ihn erst jetzt, nach mehr als 25 Jahren, wieder willkommen hieß und fröhlich in seinem neuen Leben empfing.

Er sang den Text mit und fuhr los wie im Drogenrausch.

Won't you come see about me

I'll be alone, dancing, you know it, baby

Tell me your troubles and doubts

Giving me everything inside and out

Love's strange, surreal in the dark…

Er spürte mit diesem Lied einen Wind der Erlösung, einen Wind der Hoffnung, einen Wind von Veränderung. Er vermischte den Text mit eigenen Worten.

Yeah, yes nothing is permanent in this world,

only God can decide about your destiny, nobody else.

That it's never too late to dream your dream,

I will not only survive , I will live, yes I can, yes I will live, yes you can be happy again,

yes I can, yes ….

Nun war er sicher, er war überzeugt, dass er wieder normal war: „Wow, ich werde nie mehr, nie mehr morden. Ich kann nun wieder normalen Sex haben, ich bin frei“, sagte er laut und fuhr weiter zu einer Pension. Er wollte sich ausruhen und dann später essen gehen.

Blutige Therapie – der Schlächter von Darmstadt-Woog

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