Читать книгу Blutige Therapie – der Schlächter von Darmstadt-Woog - Dantse Dantse - Страница 6
85 Meilen von Houston, Beaumont, Texas, USA
Walden Rd,
Dienstag, 02.02.2010, 17 Uhr 20
ОглавлениеAbends gegen 17 Uhr 30 fuhr Johnny zu einem Fastfood-Restaurant gleich in der Nähe des Hotels. Er bestellte ein gegrilltes Alligatorensteak und setzte sich hinten in die Ecke, wo er den Haupteingang sehen konnte. Beim Essen dachte er an Melissa, seine erste große Liebe. Melissa war ein Transvestit gewesen, den er aus Eifersucht umgebracht hatte, und es war hier in Beaumont geschehen, nicht weit von diesem Restaurant. Er hatte sich so verletzt gefühlt und im völligen Blackout hatte er zugeschlagen.
Ein kurzer Moment des Gespräches im mit Prof. Dr. Camara, Arzt für Psychotherapie , in dessen Praxis in Frankfurt Januar 2010 erschien wieder in seinem Kopf. Er sah in seinem Kopf den Doktor ganz genau vor sich. Er saß auf seinem kleinen Stuhl, während Johnny auf einer eleganten, großen, luxuriösen Couch saß.
Johnny: Diese Schlampe. Sie hat mir die ganze Zeit etwas vorgemacht. Ich wollte nicht mit einem Mann schlafen, mit einem Mann zusammen sein, verstehen Sie, ich wollte es nicht.
Dr. Camara: Sie nennen sie Schlampe. Heißt das, Sie haben sie doch geliebt und waren nun verletzt und wütend, zornig und enttäuscht über das, was sie getan hat?
Johnny: Ja, verdammt noch mal, ja, ich habe sie geliebt. Und sie? Sie hat wieder nur das von mir genommen, was sie wollte. Sie hat mich verarscht, auch sie, auch sie und ich dachte…
Dr. Camara: Wollen Sie vielleicht erzählen, was da passiert ist? Was Sie da gesehen haben? Was ist an diesem Abend passiert? Was hat Sie so verletzt und so wütend gemacht, dass Sie Ihre Liebe umbringen mussten?
Er erinnerte sich, wie der sonst so kontrollierte und gefühlsneutrale Dr. Camara unbewusst sein Mitgefühl gezeigt hatte, als er ihm die Geschichte in der Therapiesitzung erzählte.
„Nein, was ich da gesehen habe damals in Beaumont, in diesem Haus am Wasser, war echt … Melissa? Wie…“, er beendete den Satz nicht.
Aber heute glaubte er trotzdem, dass sie unschuldig war. Alle diese Toten, bis auf seinen Vater, seinen Halbbruder und der Freundin seines Vaters, waren unschuldig, sagte er sich. Alles hatte mehr mit ihm selbst zu tun, aber mit dem damaligen „ihm“, nicht mit dem jetzigen Johnny.
Er lehnte es vehement ab, die Verantwortung für den damaligen, von Dritten zerstörten Johnny zu übernehmen. Die Verantwortlichen hatten nun ihre Strafe auf Erden bekommen, und was nun da oben vor Gott mit ihnen passieren würde, würde er erfahren, wenn er auch dort ankam, sagte er tief zufrieden und schaute auf das gegrillte Fleischstück auf seinem Teller.
Das Krokodilsteak schmeckte ihm echt lecker. Es war das erste Mal, dass er wildes Fleisch aß. Noch ein Zeichen, dass alles anders geworden war. Er dachte an Lina aus Deutschland, die sexuell frustrierte Ehefrau, die auf einmal ihre luderhafte und perverse Seite entdeckt hatte. Nach außen die perfekte Ehefrau, die, wie sie selbst sagte, jede Gelegenheit nutzte um das Fremdgehen zu verdammen.
Sie hatten noch vor vier Tagen in Darmstadt, in ihrem Ehehaus, abends als ihr Mann schlief, miteinander gebumst. Er nannte das nicht „miteinander schlafen“. Miteinander schlafen ging anders, meinte er. Es ging nur mit Liebe. Das war bumsen, vögeln. Sie vögelten beide, wie zwei Menschen, die sich selbst hassten und sich selbst und anderen wehtun wollten. Er erinnerte sich an den sadomasochistischen Sex mit ihr und schmunzelte. Sie hatten mehrmals Sex bei ihr zuhause gehabt, während ihr Mann bei der Arbeit war oder oben schlief. Das war der pure Wahnsinn. Wenn eine Frau es will? schmunzelte er. Und der arme Mann würde abends nach Hause kommen und schwören, wie treu seine Frau sei. Dann ruderte er zurück: Ha, wer weiß, was er selbst in seiner Mittagspause, oder bevor er nach Hause kam, unterwegs machte, oder wenn er angeblich beruflich verreisen oder länger arbeiten musste? Er wusste von diesen Mittagspausen-Sex-Treffen in und um Frankfurt in privaten Wohnungen, meistens mit Führungskräften. In der Zeit um die Mittagspause und um Feierabend ist die Kaiserstraße in Frankfurt am Main sehr belebt. Alle Menschen sind treu, obwohl den Umfragen zufolge mehr als jeder zweite Deutsche, Frauen wie Männer, fremdgeht. Eine Scheinwelt der Treuen, wo fast jeder fremdgeht, aber trotzdem die Treue verteidigt und Untreue verdammt. In Ländern wie Afrika ist es besser. Dort geht es zumindest offener zu, und die Menschen stehen dazu, lächelte er spöttisch und abwertend und dachte dabei auch an Bill Clinton und die Kennedys.
Ja, er dachte an Lina. Und er war sich sicher: Sie musste etwas geahnt haben von seinen Taten. Sie liebte die Gefahr. Sie tat immer so, als ob sie wollte, dass er sie beim Sex tötete. In dieser Zone zwischen Tod und Leben bekam sie ihre explosivsten Orgasmen. So eine schöne Frau, eine unschuldige Mutter, eine treue Seele und exemplarische, gute Gattin, würde man sagen. Man würde nie denken, dass sie so etwas tun würde, schüttelte er den Kopf höhnisch und murmelte „Stille Wasser sind tief und besonders Leute , die laut dies oder das fast fanatisch verdammen und verurteilen; ja, diese Menschen, die sofort bestimmte Handlungen der anderen vehement als etwas Böses verurteilen, diesen Menschen sollte man in ihr Inneres schauen. Siehst du eine Person, die kategorisch Untreue verabscheut, dann sei sicher, dass gerade Sex mit anderen Menschen die Fantasien dieser Person ständig beflügelt“, sagte er sich. So war es am Anfang auch mit Lina. Ha, der Mensch mit seinen perversen Seiten, lachte er.
Er dachte an diesen einflussreichen Mann. Ja, dieser angesehene Mann vom noblen Steinbergviertel, reich, gut verheiratet, gesellschaftlich respektiert, mit dem er auf einem Parkplatz bei Seeheim Homosex gehabt hatte. Seine Frau würde ganz sicher schwören, dass ihr Mann nicht schwul wäre und so etwas „Abscheuliches“ nicht mal im Traum tun würde. Er wäre sicher der Erste, der die Leute, die so etwas taten, als Abschaum der Gesellschaft verdammen und als schlechtes Beispiel für die Kinder und die Moral verurteilen würde. Oh, ja, die scheinheilige Welt, schmunzelte Johnny.
Wie viele Menschen haben die Chance und die Gelegenheit und den Mut diese perverse Seite, ihre Fantasien, zu erleben? fragte er sich.
Wo würde Lina wieder einen treffen wie ihn, der auch wegen seiner Vergangenheit nicht ganz normal war, und alles das mit ihr machte? Sie tat ihm auch leid. Lina war auf eine andere Art wie Melissa, dachte er. Wie würde sie in Zukunft ihre Fantasien ausleben? Mit wem denn?
Er erinnerte sich auch an Asifa. Ja, das war wieder so eine Geschichte, als ob sogenannte Perversität nur anderen gehörte. Er hätte das bei ihr wirklich nicht gedacht. Er hatte nicht gewusst, angesichts der propagierten strengen, moralischen Gesänge, die aus dieser Ecke kamen, dass so eine Frau so etwas auch nur fühlen konnte und durfte. Diese arabische Frau, mit Schwulensexfantasien, die er über eine Anzeige im Internet kennengelernt hatte, war eine der schlimmsten Sexgefährtinnen. Ihre Fantasien erstaunten ihn und mit ihr wurde er endgültig davon überzeugt, dass sexuelle Fantasien und auch die schlimmsten sogenannten Perversitäten zu allen Hautfarben, allen Religionen und allen Gesellschaftsteilen gehören. Die Gefahr war permanent da. Sie wusste als Moslem, dass, wenn ihr Mann das erfahren würde, die Konsequenzen immens wären. Sie sagte dazu nur: „Klar weiß ich das, aber glaubst du, die Religion tötet die Gefühle und die Fantasien?“
Ja, Fantasien haben alle, aber diese ausleben dürfen oder können nur wenige. Ja, alles das, was man erfuhr, wenn man, wie er, kaputt war, amüsierte ihn.
Er erinnerte sich an sein scheiß Leben in der Gundolfstraße in Darmstadt, an Joggen um den Woog, an ekelhafte Sextreffen auf Parkplätzen mit anderen Männern, damals die einzige Möglichkeit für ihn, einen Orgasmus zu haben ohne zu töten. Er erinnerte sich an den Badesee am Woog, den Sportplatz von der TSG 46, seine Einkäufe im Netto-Lebensmittelmarkt. Er erinnerte sich an seine Zweifel, seine Tränen und lachte nun stolz darüber.
Er erinnerte sich an alle diese Opfer, die alle sterben mussten, damit er, Johnny, sich wieder finden konnte. Er verstand selbst nicht so ganz, warum die deutsche Polizei nicht schon früher auf ihn aufmerksam geworden war. Bei dem letzten Mord hatte er einen gravierenden Fehler gemacht, der normalerweise daraufhin gedeutet hätte, dass er in Darmstadt und am Woog lebte oder zumindest, dass er einen Bezug zum Woog hatte. Auch wenn nicht alles immer schön war, auch wenn er in Darmstadt mehr traurig als glücklich gewesen war, wollte er nichts mehr ausblenden. Er wollte nie mehr seine Vergangenheit ignorieren. Er war nun stark genug, um nicht nur damit zu leben, sondern glücklich damit zu leben.
Letztendlich erinnerte er sich an diese verschiedenen Persönlichkeiten in ihm, die ihm das Leben schwer machten. Ein paar Auszüge von Selbstgesprächen mit seinen verschiedenen Persönlichkeiten kamen ihm in den Sinn:
„Ich muss mir helfen lassen. Ich muss etwas dagegen tun. Ich will nicht mehr morden. Ich werde nicht mehr morden“, schimpfte er.
„Ha ja, das sagst du jedes Mal“, antwortete eine Stimme in ihm.
„Ja, aber ich weiß nicht, was ich tun soll, siehst du nicht, dass es mir schlecht geht? Ich will es nicht mehr“, antwortete er.
„Doch, du wirst es immer tun, du bist ein böser Mensch, du wertloser Hund“, sagte eine zweite Stimme, die er den Rebell nannte.
„Warum tust du mir so was an? Ich bin derjenige, der später damit konfrontiert ist, ganz allein“, erwiderte er.
„Johnny, du bist nicht böse, du solltest ihn schnell anrufen, du musst Hilfe suchen“, sagte wieder die erste Stimme, die er Engel nannte.
„Aber das habe ich getan. Er ruft mich doch nicht einmal zurück“, sagte er weinerlich.
„Du musst ihn wieder anrufen, immer und immer wieder probieren“, sagte diese Engel-Stimme.
oder
„Du musst es tun, du wertloses Kind, du musst dich revanchieren. Niemand liebt dich, sogar dein Penis nicht. Geh und tu es noch brutaler. Du böser Junge!“
„Ja, ich werde es tun, ich werde es tun, noch brutaler, ich böser Junge werde das tun!“
oder
„Warum weinst du denn? Ha ha ha, schlechtes Gewissen? Was dachtest du denn? Dachtest du, dass es sich lohnt, böse zu sein? Jetzt merkst du, wie ekelhaft du bist. Siehst du, warum ich dich böses Kind nenne? Was hast du getan? Wehrlose Menschen umgebracht? Schäm dich. Ha ha ha willst du dich wirklich schämen? Du Aasfresser.“
Oder
„Du brauchst Blut, du Kirchenratte, du musst töten. Du warst gestern zu feige um es zu tun. Und jetzt brauchst du eine Leiche. Du brauchst Blut“, sagte der Rebell in ihm.
Er ging hin und her in der Wohnung, wie ein Irrer und redete mit sich selbst.
„Nein, ich will nicht töten, nein, ich will nicht töten.“
„Doch, doch, hättest du sie gestern umgebracht, würde es dir heute besser gehen und du hättest deinen Orgasmus oder willst du zu diesem Parkplatz gehen und dich ficken lassen? Geh doch, Schurke, und lasse dich gehen, wie du es gewohnt bist. Lass dich erniedrigen, wie du es immer gemacht hast. Das hat dir doch immer gefallen. Warum stehst du nicht dazu? Aber auch dort wird dir nichts helfen. Du bist geboren worden, um benutzt zu werden und das Töten ist dein Verhängnis, es ist das Urteil über einen Hund wie dich. Sogar wilde Hunde töten nur, um sich zu verteidigen oder wenn sie Hunger haben. Du, du tötest wegen deiner gestörten Libido, ist das nicht erbärmlich?“, fragte der Rebell.
„Nein, ich will nicht töten. Hilf mir doch. Sag doch was. Sag mir doch was. Warum bist du oft still, wenn ich dich brauche? Warum bleibst du ruhig, wenn er mich quält? Du weißt doch, dass ich kein böser Junge bin, oder? Ich bin doch gut. Ich bin doch gut. Ich bin ein guter Junge. Wiederholte ich das bitte? Wo bist du denn? Wo versteckst du dich denn? Warum lässt du mich allein mit ihm?“, redete er zu der Stimme in sich, die er Engel nannte.
Er sagte nun ganz glücklich zu sich: „Der Rebell wird nie mehr reden. Er ist weg, für immer weg und die Engel?“
Und um wirklich ganz mit der Vergangenheit abzuschließen, dachte er noch einmal an Catherine, die schwarze Afrikanerin. „Ich wollte sie nicht töten“, jammerte er ein bisschen, „ich habe sie wirklich geliebt und ich habe in ihren Augen gesehen, dass sie mich auch mochte. Ich wollte unbedingt bei ihr kommen. Es war so schön mit ihr. Ich spürte das erste Mal in meinem Leben eine Frau, einfach eine Frau. Der scheiß Orgasmus wollte aber nicht kommen. Ich wollte unbedingt, aber er kam nicht und ich drückte und drückte und auf einmal war sie tot. Gott, verzeihe mir für sie. Ihre Seele möge jetzt Ruhe bei dir finden“, trauerte er still und schüttelte den Kopf hin und her. Sie war die einzige Ermordete, bei der er Mitgefühl gezeigt hatte.
Nun nahm er das Buch seiner Mutter aus seiner Aktentasche und las es weiter. Aber auch diesmal las er es nicht bis zum Ende. Was er gelesen hatte reichte ihm erst einmal.
Warum hatte sie nie geredet? Warum die ganze Zeit so etwas mit sich getragen? dachte er erstaunt. Nun verstand er, warum sie nicht interveniert hatte, als er das Auto von Philip zerstörte, warum sie den Bruder nicht gerufen hatte und warum sie leise, ohne ihre Miene zu verziehen glücklich gewesen war, dass er das Buch gefunden hatte. So hatte sie sich selbst für ihr Benehmen mir gegenüber versöhnen wollen, dachte er. Sie wollte ihr Gewissen reinwaschen.
Seine Mama hatte sicher etwas geahnt und wollte unbewusst sein letztes Massaker verhindern, vermutete er. Vielleicht aus Liebe zu ihm? Oder wegen ihres schlechten Gewissens? Das hatte ihm leider nicht geholfen. Er hatte sich selbst geholfen.
Es kam zu spät, sagte er sich. Hätte sie ihm das früher gesagt, wären alle diese Menschen noch am Leben. Dr. Camara wäre noch am Leben. Er hätte ihn niemals kennengelernt. Sie hatte Zeit gehabt, und die richtige Zeit für die Sühne verpasst. Sie hatte es vorgezogen, ihr Leiden ihr ganzes Leben mit sich zu tragen, dann soll sie es weiter tun, sagte er.
Auch diesen Versuch, ihren Sohn Philip für seine schändlichen Taten zu entschuldigen, fand er inakzeptabel. Auch wenn er in verschiedenen Heimen mehrmals missbraucht worden war und sehr darunter gelitten hatte, konnte das die Sache nicht weniger schmerzhaft machen, und das war nicht sein Problem, meinte Johnny wütend. Es war alles zu spät. Die Zeit wartet nicht auf uns. Es war einfach zu spät. Es war vorbei.
Er hatte sein Leiden gestoppt und wollte nichts mehr mit dieser Familie, mit dieser Vergangenheit zu tun haben, entschied er sehr konsequent und sehr überzeugt. Er warf das Tagebuch in den Papierkorb neben dem Tisch. „Es ist vorbei, Margot, jetzt fängt mein neues Leben an“, sagte er laut und strahlend.
Er streckte seine Beine aus, dehnte sich, setzte sich noch bequemer hin und wollte nun seine frische, kühle Cola trinken, als er zwei große Männer sah, die ihn die ganze Zeit beobachtet hatten. Er kannte sich als ehemaliger Spezialsoldat, der viele Menschen entführt oder neutralisiert hatte, aus. Er wusste sofort, wer sie waren und lächelte sie an.
Die Herren im Anzug kamen direkt zu ihm und Johnny wusste schon was er tun würde.