Читать книгу Booklove - Daphne Mahr - Страница 10
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Draußen auf der Straße konnte man Stöckelschuhe über den Asphalt klappern hören und kurz darauf das Schrillen einer Fahrradklingel. Die Kleegasse erwachte langsam zum Leben. Behäbig öffnete ich meine Augen. Mein Rücken schmerzte und mein Kopf brummte ganz gewaltig. Blinzelnd sah ich mich um. Wieso war ich nicht in meinem Bett? Ich lag in der Buchhandlung, inmitten der Stühle, die von der gestrigen Lesung stehen geblieben waren. Doch dann fiel mir alles wieder ein.
Mist.
Neben mir schlummerte Leona vor sich hin. Ihre Haare waren komplett zerzaust, sie hielt die Brille in der Hand und hatte die schwarze Farbe ihres Lidstriches quer über ihre Wange verwischt.
Schlaftrunken rappelte ich mich in den Schneidersitz und rieb mir ächzend das Gesicht. Zumindest konnte ich den Jungen nirgendwo sehen, was mich doch wieder ein wenig hoffen ließ, dass der schlimmste Teil der letzten Nacht ein Albtraum gewesen war. Wie sollte es auch anders sein. Eine Romanfigur aus Fleisch und Blut? Was hatte ich gestern gegessen? Fliegenpilze? Ich musste unwillkürlich kichern. Dann gähnte ich einmal herzhaft, reckte meine Arme in die Luft und … erstarrte in dieser Position. Ein greller Schrei war aus dem Kassenraum gedrungen. Derartig laut, dass nun auch Leona mit nur einem Wimpernschlag wach war. »Was war das? Hast du das gehört?«, rief sie alarmiert.
O nein. O nein. O nein. Bitte nicht. Das durfte nicht wahr sein. Das konnte nicht wahr sein!
Ich sprang auf die Beine und eilte dorthin, woher der Schrei gekommen war. Im Türrahmen blieb ich stehen.
Mist.
Wir hatten zwei Probleme. Genauer gesagt: Riesenprobleme.
Problem Nummer eins: Philippa war von ihrer eintägigen Schweinegrippe genesen und hier, um den Laden zu öffnen. Wie eine Statue mit weit aufgerissenem Mund stand sie zwischen Kasse und dem Bestsellertisch. Nicht einmal ihr blonder Pferdeschwanz wippte. Ihre Arme baumelten schlaff an ihrer Seite hinunter. Der Griff ihrer schwarzen Handtasche hing an ihrem Zeigefinger, kurz vor dem Absturz.
Noch hatte Philippa zum Glück nicht bemerkt, dass ich hier war. Sie würde mir bestimmt kein Wort über die vergangene Nacht glauben und Pa lauter Unsinn erzählen, sodass ich für den Rest der Woche Hausarrest aussitzen müsste.
Ganz sicher sogar.
Da war nämlich auch noch Problem Nummer zwei: Vinzenz.
Der wahr gewordene Albtraum, der es sich zum Schlafen auf dem Kassentisch gemütlich gemacht hatte. Okay. Vielleicht war ER das Problem Nummer eins. Wenn nicht sogar das einzige Problem.
Mit den Reiterstiefeln an seinen Füßen hatte er zu allem Überfluss auch noch den Drehständer mit den kunterbunten Postkarten umgestoßen, die sich nun großflächig über den Boden verteilten. Kurzum: Es sah aus, als wäre heute Nacht ein Tornado Windstärke hundert durch den Laden gefegt.
Und direkt vor den Spitzen von Philippas blauen Pumps lag die Ausgabe der Mitternachts-Trilogie, aus der ich gestern vorgelesen hatte. Schwarz wie ein Stück Kohle. Das schien Philippa nun ebenfalls zu bemerken, denn sie senkte den Blick. Keine Sekunde später presste sie die Hand mit den Plastikfingernägeln vor den Mund und ließ ihre Handtasche endgültig fallen. Ihrer Mimik nach hätte man locker annehmen können, eine tote Ratte – oder Schlimmeres – läge vor ihr. Ein verbranntes Buch war allem Anschein nach zu viel für ihre Nerven. Verständlich. Warum zum Geier sah das aus, als hätte man es an einem Grillspieß über dem Feuer geschmort? Es – beziehungsweise das, was davon übrig war – hatte sogar ein Loch. Ja. Ein Loch.
»Was ist passiert?« Leona kam angestürmt und packte mich von hinten an den Schultern. »Ups.« Als sie merkte, was los war, wurde sie augenblicklich still. Auch meine beste Freundin wusste, mit wem wir es bei Philippa zu tun hatten. Sie war quasi die Reinkarnation von Lord Voldemort. Ganz besonders, wenn ihr etwas zusätzliche Arbeit verursachte. Leider ließ sich nun einmal nicht abstreiten, dass das der Fall war. Wer sonst sollte die verstreuten Karten wieder einsortieren? Oder diesen Glitter vom Boden putzen?
Ich kniff gequält die Brauen zusammen. Jetzt war es sowieso zu spät, Philippa hatte uns entdeckt und funkelte mich mit ihren froschgrünen Hexenaugen an. »Seid ihr das gewesen?« Die Farbe ihres Gesichts konnte locker mit einer feurigen Chilischote konkurrieren.
Sicherheitshalber gab ich erst mal keine Antwort. Das war wie im »Tatort«, wenn Verdächtige festgenommen wurden. Alles, was man sagte, konnte gegen einen verwendet werden. Also besser still sein. Pa wusste zwar, dass Philippa lieber krank am Badesee lag, als zu arbeiten, aber leider kannte er mich noch besser. Es war nicht das erste Mal, dass ich in den Verdacht geriet, hier unten Dummheiten ausgefressen zu haben. Erst vor einem Monat hatte ich nach einer kleinen Meinungsverschiedenheit aus Rache ein paar blutrünstige Gruselcomics zu den Kinderbüchern umsortiert.
Im Gegensatz dazu war ich dieses Mal aber komplett unschuldig. Es mangelte mir nur leider an Beweisen.
Eigentlich war es auch nicht notwendig, viel zu sagen, denn Philippa ließ ohnehin keine Zeit für Erklärungen. Heftig gestikulierte sie mit ihren Händen und wetterte ungebremst los: »Ihr fackelt hier Bücher ab? Spinnt ihr komplett? Wer ist überhaupt dieser Junge? Emma, warte nur! Wenn das dein Vater erfährt. Ich möchte nicht in deiner Haut stecken.«
Mir fiel gerade wieder ein, weshalb ich Philippa noch nie hatte ausstehen können. Sie tat immer so erwachsen, obwohl sie erst siebzehn Jahre alt war.
Zum Glück wachte Vinzenz jetzt endlich auf und zog somit die gesamte Aufmerksamkeit dieser tollwütigen Pute auf sich. Wurde auch Zeit.
Im ersten Moment wirkte er verwirrt, als er sich mit einem verwunderten Blick in Philippas Richtung durch die Haare fuhr. Zugegebenermaßen sah er in diesem frühmorgendlichen Tageslicht gar nicht so übel aus, obwohl ihm die Kanten eines Buchdeckels Falten in die Wangen gedrückt hatten und er noch halb schlief. Aber das leuchtende Dunkelblau seiner Augen stach etwas mehr hervor und die schwarzen Haare baumelten ihm kess auf die Stirn, sodass die kleine Wunde nicht zu sehen war. Ein ungewöhnlich attraktiver Bösewicht, kein Wunder, dass Esmeralda ihm auf dem Ball nicht hatte widerstehen können.
Stopp.
Was dachte ich hier gerade für Zeug? Nur weil er attraktiv war, machte das die Sache noch lange nicht besser. Und auch wenn man mal ganz von der Tatsache absah, dass sich seine Anwesenheit nach allen Regeln der Vernunft nicht auf eine logische Weise erklären ließ, hatte sein Auftauchen mir jetzt schon gewaltige Schwierigkeiten bereitet. Ungefähr im Ausmaß einer nuklearen Katastrophe, wenn nicht schlimmer. Da konnte er noch so gut aussehen …
»Oho«, sagte er und lächelte höflich, während er elegant vom Kassentisch rutschte. Er zupfte sein Frackoberteil und das Hemd zurecht, bevor er auf Philippa zuging, dicht vor ihr stehen blieb, ihre rechte Hand fasste, sie sanft zu seinem Mund führte und mit seinen Lippen einen Kuss andeutete. »Es tut mir aufrichtig leid, diese Situation ist wirklich unglücklich. Aber ich hatte ja keine Ahnung, dass ich gleich so eine reizende Lady treffen würde …« Er zwinkerte.
Igitt. Das war ja widerlich schleimig. Aber es zeigte Wirkung. Philippa entzog ihm ihre Hand, wandte den Blick leicht verlegen ab und hauchte heiser: »Ähm, ja. Schon gut. Geh jetzt bitte, ich muss hier aufräumen, wir öffnen in einer Stunde, und wenn es dann so aussieht, verjagt das die Kunden. Aber du kannst … ähm … gerne mal wiederkommen.« Mitten in diesem Satz fixierte sie mich mit bösen Augen. Dieser giftige Blick jagte mir einen eisigen Schauer vom Scheitel bis in die Zehenspitzen. »Mein Chef wird allerdings sehr daran interessiert sein, was hier passiert ist. Vor allem, wie seine Tochter in die Angelegenheit verwickelt ist. Ich würde ihr den Rat geben, sich eine gute Erklärung einfallen zu lassen.«
»Hm.« Vinzenz nickte. »Nun, vielleicht kann ich da helfen. Kommt mit mir.«
»Äh, okay.« Philippa klimperte verblüfft mit den Wimpern.
O Mann. Was hatte der denn jetzt vor?
Erstaunt beobachtete ich, wie er sie gentlemanlike beim Arm griff, hinter das Kassenpult führte und die Tür zum Büro aufstieß. »Bitte, da drinnen.«
Philippa machte einen Schritt nach vorne, um in den Türspalt lugen zu können, da gab Vinzenz ihr einen unsanften Schubs. Sie schrie erschrocken auf, doch er schlug die Tür zu und drehte den Schlüssel um.
Philippa hämmerte gegen das Holz. »Lasst mich sofort wieder raus! Das wird Konsequenzen haben! Emma, ich warne dich ein letztes Mal …«
»So.« Vinzenz wandte sich wieder Leo und mir zu. »Das wäre erledigt. Gehen wir?«
Bestürzt starrte ich ihn an. »Moment mal, wir können sie doch nicht einfach so im Büro einschließen!«
»Sagt wer?«, fragte Vinzenz unbeeindruckt und machte sich im selben Moment bereits auf den Weg hinaus in die Kleegasse.
Noch einmal warfen Leo und ich einen beunruhigten Blick in Richtung Büro, ehe wir Vinzenz hastig hinterherstürmten.