Читать книгу Booklove - Daphne Mahr - Страница 11

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Sieben

Ich atmete den fruchtigen Duft des Blaubeer-Cupcakes und den Dampf des Kakaos vor meiner Nase ein. Nach solch aufwühlenden Ereignissen entspannte das die Nerven.

Unser Weg hatte deshalb kurzerhand in Leos und mein Stammcafé für Krisensitzungen geführt. Mit einem Blaubeercupcake fiel die Entwicklung taktischer Problemlösungsstrategien leichter. Im Normalfall drehte es sich dabei um Jungs. Heute sah die Sache leider ein wenig anders aus. Denn das Problem saß gegenüber auf einer mit rosa Blümchen verzierten Polstersitzbank und knabberte an einem Schokomuffin.

Vinzenz hatte sich einfach nicht abschütteln lassen. Mit riesigen Augen war er uns wie ein Tourist, der unter einem gewaltigen Kulturschock litt, durch die verwinkelten Gassen unserer Kleinstadt gefolgt. Seltsam für einen Zeitreisenden. Eigentlich hätte er doch an so einiges gewöhnt sein müssen. Auf der anderen Seite konnte man nicht gerade behaupten, man würde ihm die Romanfigur nicht anmerken. Wenigstens hatte er den Frack ausgezogen. Das rote Hemd, die Stoffhose und die Reiterstiefel sahen zwar immer noch etwas dämlich aus, aber bei Weitem nicht wie diese Jacke mit Schwalbenschwanz, die nun zusammengeknüllt neben ihm lag.

Ich nahm einen großen Bissen, kaute nachdenklich und leckte mir dann die klebrigen Finger ab. »Also, jetzt schieß mal los. Was soll das alles?«

Vinzenz schaute überrascht auf. »Wie meinen, Miss Emma?«

»Du glaubst doch nicht, dass wir …«, ich deutete erst auf Leona und dann auf mich selbst, »… das hier für normal halten? Es passiert nicht gerade alle Tage, dass eine Romanfigur aus einem Buch klettert. Um genau zu sein: Das passiert nie

Ich schob den Teller ein Stück zur Seite und lehnte mich mit verschränkten Armen über den Tisch. »Weißt du, warum? Weil es gar nicht möglich ist. Rein physikalisch, anatomisch oder was auch immer. Du existierst nicht! Nachdem Philippa und die Kellnerin dich aber gesehen haben, muss ich davon ausgehen, dass du nicht nur eine Halluzination von uns beiden bist.«

Vinzenz schmunzelte selbstgefällig. »Das ist doch gut, oder? Immerhin heißt es, Ihr seid nicht dem Wahnsinn verfallen.«

»Pah.« Ich funkelte ihn an. »Du schuldest uns eine Erklärung.«

»Gerne.« Immer noch lag dieses etwas süffisante Lächeln auf seinen Lippen, als er unvermittelt seine Hand über den Tisch streckte und mir damit einfach den Unterarm entlangfuhr. Seine Finger fühlten sich warm an und seine Berührung kitzelte so sehr, dass ich davon Gänsehaut bekam. Trotzdem zuckte ich erschrocken zurück. »Was soll das?«, fuhr ich ihn an.

»Nun, Ihr wolltet eine Erklärung«, antwortete Vinzenz und schob beiläufig seine Stirnfransen zur Seite, um die kleine Wunde, die ich ihm mit dem Buch zugefügt hatte, freizulegen. »Ich existiere. Ganz real, mit allem, was dazugehört. Durch meine Adern fließt Blut. Und Ihr, werte Miss Emma, habt einen wesentlichen Teil zu meiner Existenz beigetragen.«

»Träum weiter!« Ich lachte nervös auf. »Dann wäre ich ja deine Mutter oder so. Also nein. Aber da fällt mir ein, wie alt bist du überhaupt?«

Vinzenz ließ sich die Haare wieder in die Stirn fallen. »Also bitte, Ihr kennt doch wohl meine Geschichte.«

Auch wenn es mir grundsätzlich hätte egal sein können, kam ich mir in diesem Augenblick blöd vor, weil ich die Romane nicht gelesen hatte. Diese Blöße wollte ich mir gegenüber Vinzenz nicht geben – aber anscheinend verriet mich mein ertappter Gesichtsausdruck. Plötzlich bildete sich dieses unsympathische, garstige Grinsen auf Vinzenz’ Lippen. Wenn ich ihn zuvor noch nicht gehasst hatte, dann tat ich das spätestens ab diesem Moment. »Ihr scherzt! Die Tochter des Buchhändlers liest nicht. Nun, wenn das so ist. Im dritten Band bin ich gerade sechzehn geworden und aus diesem habt Ihr mich geholt. Und natürlich seid Ihr nicht meine Mutter. Das fände ich außerdem in höchstem Ausmaß enttäuschend.«

Sein schmieriges Lachen ließ mir beinahe das Blut in den Adern gefrieren. Was sollte das nun schon wieder für eine grenzenlos plumpe Anspielung sein?

»Meine Mutter ist Lady Olivia Charlotte Ermintrude Ethelred Brandfair«, ergänzte er dann.

»Nee«, mischte Leona sich mit vollem Mund ein. »Sie ist nur deine Ziehmutter und Lord George Brandfair dein Ziehvater. Er hat dich als Kleinkind in London am Fischmarkt gefunden und hatte Mitleid mit dir, weil du so verwahrlost warst. Du bist gar kein richtiger Lord.«

Vinzenz zuckte gleichgültig die Schultern. »Nun, mag sein. So sagen manche. Dann habt Ihr wohl alle Bücher gelesen, im Gegensatz zu dieser unbelesenen Buchhändlers-Tochter.« Jetzt betrachtete er mich ziemlich abschätzig. So ein Idiot! Es musste ja nicht jedes Mädchen eine begeisterte Leserin kitschiger Fantasyromane sein und dann auch noch über die komplizierten Familienverhältnisse der Figuren Bescheid wissen.

»Pah, ich konnte schon mit drei lesen. Aber ich bevorzuge nun mal echte Spannungsliteratur. Geschichten, die das Hirn fordern und deren Ende ich nicht schon nach den ersten zwei Seiten weiß. Zum Beispiel Tolstois Krieg und Frieden«, sagte ich in ähnlich schwülstigem Tonfall wie er. Eigentlich hatte ich absolut keine Ahnung, worum es in Krieg und Frieden ging, doch Uropa Heinrich war letztes Jahr beim Lesen von dem fetten Schinken gestorben und es war das Erstbeste, was mir in den Sinn kam. Außerdem klang es ziemlich intelligent. Bestimmt gab es nicht viele Teenagermädchen, die Tolstois Krieg und Frieden gelesen hatten.

»Was Ihr nicht sagt.« Schon wieder dieses überhebliche Grinsen in Vinzenz’ Gesicht. »Wisst ihr also, wie alles endet?«

»Ähm, klar.« Super, das hatte ich jetzt vom Schwindeln. »Erst ist Krieg, dann Frieden.« Kam bestimmt halbwegs hin.

Er lachte. »Einfältiges Ding, ich meinte doch in meinen Romanen. Ihr sagtet doch, Ihr wusstet nach zwei Seiten, wie alles endet.«

»Na ja, Phil und Esmeralda kommen auf jeden Fall zusammen. Vielleicht heiraten sie. Dann gibt es ein Zeitreisebaby«, riet ich ins Blaue.

»Nun, möglich.« Er steckte den letzten Rest seines Muffins in den Mund. »Das ist mir bedauerlicher Weise nicht bekannt.«

»Wie?« Verwirrt glotzte ich ihn an und auch Leona wirkte ziemlich ratlos. Das wollte schon etwas heißen, wenn die unangefochtene Expertin in Sachen Mitternachts-Trilogie einmal nicht verstand, worum es ging. Aber sie hatte ja auch noch keine Gelegenheit gehabt, den dritten Teil zu lesen.

Vinzenz machte auf einmal den Eindruck, als würde es ihm ziemlich schwerfallen, über dieses Thema zu sprechen. »Ich sterbe vorher«, sagte er nach einer Weile mit gedämpfter Stimme.

»WAS???« Leona sprang kerzengerade in die Höhe und warf dabei vor Schreck fast den Tisch um. Durch die Erschütterung schwappte Kakao aus meiner Tasse und verteilte sich über die Holzplatte. Hastig griff ich nach einer Serviette, um die Pfütze wegzuwischen, bevor sie auf den Boden tropfen konnte. Die Leute um uns herum guckten schon ganz komisch.

Leona setzte sich wieder, atmete lautstark aus und fixierte Vinzenz. »Dankeschön, jetzt hast du mich komplett gespoilert. Ich wollte das lesen!«

Vinzenz seufzte leise. »Verzeiht, aber es erklärt nun einmal, weshalb ich hier bin.«

»Nope, tut es allerdings nicht«, entgegnete ich. »Ob du tot bist oder lebendig, wissenschaftlich betrachtet ist das nicht möglich. Fangen wir also bei der Frage an, was gestern Nacht passiert ist.«

»Gut.« Vinzenz faltete die Hände vor seiner Brust und lehnte sich zurück. »Eine genaue Erklärung habe auch ich nicht. Also zumindest wie das physikalisch vonstattengeht, was Euch so dringlich interessiert. Aber Ihr solltet schlichtweg akzeptieren, dass es Dinge im Leben gibt, die sich nicht rein naturwissenschaftlich erklären lassen. Jedenfalls war ich von Anfang an nicht zufrieden mit der Entwicklung der Geschichte. Doch was blieb mir, außer das mitzuspielen? Doch als diese impertinente Schreiberliese ungefähr die Mitte des zweiten Bandes zu Papier gebracht hatte, verstand ich mit einem Schlag, was für ein tragisches Schicksal mir blüht.« Er verstummte und sah Leona und mich erwartungsvoll an. Wir reagierten nicht. »Sie wollte mich in die ewigen Jagdgründe schicken. Mir den Garaus machen. Mich …«, begann er.

»Schon klar, wir haben es verstanden«, unterbrach ich ihn genervt und rollte mit den Augen.

»Welch Wunder«, spottete Vinzenz. »Wie dem auch sei, ich entwickelte den Plan, einen Textsprung zu vollbringen und ihr hinterhältiges Vorhaben zu durchkreuzen. Leider ist mir das nicht rechtzeitig gelungen. Nun bleibt nur noch eins. Sie muss diese ganze Miesere wieder umschreiben.«

»Was ist ein Textsprung?«, warf ich verwirrt dazwischen.

»Die einzige Möglichkeit, die reale Welt zu betreten«, erklärte Vinzenz. »Das ist höchst komplex und es wäre müßig, das zwei einfältigen jungen Damen zu erläutern. Nur so viel: Ich benötigte einen Leser mit viel Fantasie, der eine Szene liest, in der ich möglichst leidenschaftlich handle. Ein Glück, dass Ihr, Miss Emma, Euch dazu habt überreden lassen, den Anfang zu lesen. Am Ende hält sich meine Leidenschaft in Grenzen. Denn, um es mit Charles Dickens’ Worten zu sagen, da bin ich längst tot wie ein Türnagel. Und ein Textsprung muss im Übrigen bei Vollmond geschehen. Das macht die Angelegenheit nicht leichter. Hat man einen geeigneten Leser, ist nicht Vollmond. Ist Vollmond, fehlt der passende Leser. Ein Teufelskreis.«

»Und was hat dieser olle Monokel-Opi mit dir zu schaffen?«, fragte ich.

»Wer?« Vinzenz zog die Stirn kraus.

»Da war ein alter Mann mit Monokel bei Hannah Ruderers Lesung«, erklärte Leona. »Er kam uns etwas komisch vor.«

»Nun«, entgegnete Vinzenz. »Das muss Zufall sein, wenn auch kein sehr verwunderlicher. Sie hat bestimmt viele seltsame Verehrer. Aber mit meinem Textsprung hat er nichts zu tun. Die gestrige Nacht war eine Fügung des Schicksals.«

»Für dich vielleicht«, seufzte ich. Mir schwirrte der Kopf. »Nur noch zu dieser Sache mit den Ketten … Also von mir aus darfst du gerne einfach gehen, du musst wirklich nicht bei mir bleiben. Ich spreche dich frei.«

Meine Worte rangen Vinzenz nur ein müdes Schmunzeln ab. »Tut mir leid, darüber habt Ihr keinerlei Macht. Wenn ich mich mehr als hundert Schritte von Euch entferne, saugt mich die Geschichte wieder auf. Und glaubt mir, die Reise durch die Buchseiten ist keineswegs angenehm. Ich möchte sie nicht öfter als unbedingt notwendig wiederholen müssen. Ich bleibe also lieber bei Euch.«

Toll. Was für eine mordsmäßige Froschkacke. Ich hatte mir durch das laute Vorlesen von einer schmalzigen Lovestory meinen höchstpersönlichen Stalker eingehandelt. Einen mit schwülstiger Ausdrucksweise. Und schuld an allem war eine Schriftstellerin in rosa Klamotten, die barfuß Lesungen hielt und von der falschen Muse geküsst worden war (falls Vinzenz nicht log und in Wahrheit plante, Leona und mir demnächst aus dem Hinterhalt eins überzubraten). Das konnte heiter werden.

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