Читать книгу Booklove - Daphne Mahr - Страница 12

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Acht

Es waren noch genau zwei Stunden, bis Pa den Laden für heute schließen würde. Ich stand an die Hauswand auf der anderen Seite der Gasse gelehnt und beobachtete durch die Schaufensterfront wie er damit beschäftigt war, eine alte Dame mit Pudellocken bei der Wahl eines Buches zu beraten. Da war er unschlagbar. Manchmal genügte ihm ein einziger Blick, um zu wissen, welche Geschichte für welche Person geeignet war. Fast als könne er Gedanken lesen. Auch wenn ich es mir meistens nicht anmerken ließ, ein bisschen stolz war ich deshalb schon auf ihn. Heute wusste ich jedoch nicht, ob ich mich jemals wieder unter seine Augen trauen konnte. Bestimmt hatte Philippa die ganze Story mit dem Chaos und dem Buch völlig überspitzt dargestellt und mich gnadenlos angeschwärzt.

»Miss Emma, was gedenkt Ihr zu tun? Noch länger Löcher in die Luft starren?«, riss Vinzenz mich aus den Gedanken. Ruckartig drehte ich den Kopf zu ihm, er stand ein bisschen abseits. Leona war in der Zwischenzeit nach Hause gegangen und hatte mich alleine mit diesem Spinner zurückgelassen. Und der bildete sich weiterhin felsenfest ein, unsichtbare Fesseln würden ihn an mich ketten.

»Wir machen gar nichts«, schnauzte ich. »Dank dir weiß ich nicht, was mich heute erwartet, wenn mein Dad von der Arbeit kommt. Oder wie stellst du dir vor, dass ich ihm dieses verkohlte Buch erkläre?«

»Hm.« Vinzenz rieb sich nachdenklich die Nasenspitze. »Ihr könntet schlichtweg erzählen, es habe auf unerklärliche Weise und vollkommen von alleine Feuer gefangen. Das wäre Euch kaum anzukreiden. Die Wahrheit muss niemand erfahren.«

Ich legte meine Stirn in extra böse Falten. »Die Wahrheit ist, dass ich nichts damit zu tun habe.«

»Doch, das habt Ihr sehr wohl, Miss Emma.« Vinzenz biss sich auf die Unterlippe, als mein wütender Blick ihn traf. »Ihr hättet es im Moment meines Textsprunges nicht werfen dürfen. Auf diese Weise konnte meine Reisebahn explodieren. Hättet Ihr es einfach ruhig gehalten, wäre das weitaus sinnvoller gewesen. Doch habt keine Angst, ich werde es Eurem werten Daddy nicht verraten. Ein solcher Schuft bin ich nicht.«

»Pff.« Schnaubend wandte ich mich von ihm ab. Jetzt schob er mir ernsthaft auch noch die Verantwortung für diese ganze Katastrophe zu! Aber immerhin war meine Existenz im Gegensatz zu seiner nicht von ihm abhängig. Sollte er doch zusehen, wo er ohne mich hinkam. Schnell stieß ich mich von der Hauswand ab und ging wortlos auf die andere Seite der Gasse zu der grünen Eingangstür neben der Buchhandlung. Über diese gelangte man in den kleinen Hinterhof, der wiederum zu einem Treppenaufgang führte, über den man direkt in die Wohnung über dem Laden kam. Meistens nahm ich den Weg durch die Buchhandlung selbst, weil ich auf diese Weise Pa begrüßen konnte. Aber heute war ich froh, mir die Begegnung mit ihm erst einmal zu ersparen. Er würde mich in der Anwesenheit von Kundschaft zwar niemals zurechtweisen, doch seine tadelnden Blicke genügten völlig, um mir ein ordentlich schlechtes Gewissen zu machen.

Ich kramte den Ersatzschlüsselbund aus meiner Hosentasche, den wir bei Leonas Mutter im Friseursalon abgeholt hatten. Den gab es als SOS-Lösung, seit ich mich als Achtjährige einmal ausgesperrt hatte, während Pa auf Geschäftsreise gewesen war und Oma Frieda es nicht rechtzeitig nach Schulschluss aus ihrem Schrebergarten geschafft hatte. Die Folgen: Drei Stunden in der Kälte und zwei Wochen Grippe.

Vinzenz sprang mit einem Satz neben mich. »Miss Emma, was wird das?«

Genervt schreckte ich hoch und starrte ihm sauer in seine dunkelblauen Augen. »Würdest du ENDLICH dieses belämmerte Miss Emma lassen? Das ist ja nicht mehr auszuhalten! Und zu deiner Info, ich gehe nach Hause. Duschen. Dann warte ich auf meine Hinrichtung.«

»Grundgütiger, Hinrichtung? Wegen des Buches?« Vinzenz zog eine erstaunte Miene. »Ihr habt ganz schön harte Gesetze hier in der realen Welt.«

»Ja, also pass auf«, drohte ich ihm. »Und ich nehme dich sicher nicht mit zu mir nach Hause. Einen schönen Tag noch.« Ich schloss auf und drückte die schwere Holztür nach innen.

»Sekunde, so geht das aber nicht.« Energisch streckte Vinzenz seinen Arm aus und verstellte mir auf diese Weise den Weg. »Ich habe Euch doch gesagt, dass ich in Eurer Nähe bleiben muss.«

»Ja«, knurrte ich. »Aber deshalb darfst du noch lange nicht bei mir wohnen. Wie sollte ich deine Anwesenheit denn meinem Vater erklären?«

»Ich könnte mich als Euer Geliebter ausgeben«, schlug Vinzenz vor. »Glaubt mir, in solchen Dingen bin ich durchaus geübt.«

»Das kannst du knicken.« Flink duckte ich mich und schlüpfte unter seinem Arm hindurch. Noch bevor er mir hinterherkam, knallte ich die Tür vor seiner Nase zu.

Geschafft.

Im Hof atmete ich aus und lehnte mich mit dem Rücken gegen das Holz, während ich ihn draußen klopfen hören konnte. »Dumme Gans. Macht sofort auf!« Seine plötzlich gar nicht mehr feine Wortwahl enttarnte ihn. Er besaß gerade einmal so viel Anstand wie Räuber Hotzenplotz, wenn überhaupt. Diese Gouvernante Miss Marple hatte ihren Job wohl doch nicht ganz so gut gemacht.

»Hau ab!«, rief ich. »Hundert Schritte reichen, such dir irgendwo eine Parkbank.« Ich wartete noch einen kurzen Augenblick auf eine Reaktion. Aber sehr zu meiner Verwunderung kam nichts mehr. Anscheinend war ich ihn gerade tatsächlich losgeworden. Wow. Das war leicht gewesen.

Wahrscheinlich ist es das beste Gefühl der Welt, wenn man nach einer so ereignisreichen Nacht und einem Tag wie diesem aus der warmen Dusche kommt, in den kuscheligen Schlafanzug schlüpft, die lebendig gewordene Romanfigur losgeworden ist und es sich mit einem Glas eiskalter Orangenlimonade auf der Couch im Wohnzimmer gemütlich machen kann.

Ich zog die flauschige Decke über meine Füße. Die letzte Stunde vor Pas Rückkehr wollte ich noch meine Ruhe haben, weil ich sowieso nicht wusste, was mir danach blühte. Das hing ganz davon ab, wie sehr Philippa übertrieben hatte. Nachdenklich nahm ich einen kräftigen Schluck und starrte die bis zum Bersten gefüllte Bücherwand an. Unsere Wohnung unterschied sich in dieser Hinsicht kaum vom Laden einen Stock tiefer. Nur liefen hier natürlich keine Kunden herum. Die meisten Einrichtungsgegenstände stammten noch aus dem Besitz von Uropa Heinrich und der hatte sie wiederum von seinen Eltern geerbt, dementsprechend unmodern sahen sie aus. Aber eigentlich mochte ich die vielen alten Möbel, das vermittelte mir manchmal in Kombination mit den hohen Altbauwänden den Eindruck, in einem kleinen Schloss zu wohnen. Allerdings einem, das zu ungefähr fünfundneunzig Prozent aus einer Bibliothek bestand. Vermutlich gab es kein einziges Buch der Weltliteratur, das Pa nicht besaß. Die mussten natürlich irgendwo untergebracht werden.

Mein Blick blieb auf dem in die Jahre gekommenen Röhrenfernseher hängen. Das Teil fand ich allerdings ziemlich peinlich. Noch dazu war der seit ungefähr hundert Wochen kaputt, aber Pa kümmerte sich nicht weiter darum. Jedes Mal, wenn ich ihn daran erinnerte, vertröstete er mich, ich solle doch einfach stattdessen ein ordentliches Buch oder die Zeitung lesen, denn Fernsehen sei ohnehin schlecht für die Vorstellungsgabe. Was das betraf, lebte er mehr in der grauen Vorzeit.

Gerade trank ich den letzten Rest meiner Limo, als Quarks, der Frosch loslegte. Quak, quak, quak. Leonas Name leuchtete auf dem Handybildschirm auf. Bestimmt wollte sie wissen, ob ich die Sache mit dem verkohlten Buch bereits geklärt hatte. Es war ohnehin Zeit für eine Krisenbesprechung – ohne Vinzenz.

Ich stellte das leere Glas auf den Couchtisch und hob ab. »Hi, Leo, ich habe nachgedacht.« Ich wartete, aber da keine Antwort kam, sprach ich einfach weiter: »Vinzenz hat doch gesagt, dass er sich in Luft auflöst, wenn er sich mehr als hundert Schritte von mir entfernt. Vielleicht ist das der Weg, ihn endgültig loszuwerden. Wir könnten deine Mutter bitten, mit uns ins Shoppingcenter am Stadtrand zu fahren. So schnell kommt er uns nicht hinterher.«

»Interessant.« Diese Jungenstimme am anderen Ende der Leitung klang gar nicht nach Leona. Erschrocken starrte ich den Bildschirm meines Smartphones an. »Ähm, Vinzenz?«

Mir rutschte das Herz fast in die Hose. Wie kam er an Leonas Telefon? Hatte er sie überfallen, geknebelt und ausgeraubt? Aber er wusste doch gar nicht, wo sie wohnte. Auf jeden Fall hatte ich ihm gerade ungefiltert meinen klug durchdachten Plan verraten. Mist. Den konnte ich mir jetzt abschminken.

»Wie ich bereits sagte, nennt mich Vinz.« Irgendwie war er ganz aus der Puste. »Ich fände es zudem überaus nett, wenn Ihr mir ENDLICH öffnen würdet. Es ist ungemütlich hier oben, die Tauben sind bisher eine höchst fragwürdige Gesellschaft. Dieses zerrupfte Federvieh hat seine Notdurft auf meiner Hand entrichtet. Ich weiß überdies nicht, wie lange ich mich noch halten kann. Und ich sagte, ich bin ein echter Mensch. Am Boden zerschellen ist keineswegs die schönste Art zu sterben. Ich bin außerdem sicher, Euer werter Daddy wäre mäßig begeistert, wenn meine sterblichen Überreste vor seiner Buchhandlung von der Straße gekratzt werden müssen.«

»Was redest du da?«, wunderte ich mich.

»Dreht Euch um, dann wisst ihr es«, kam als Antwort.

Langsam wanderte mein Blick nach hinten über die Lehne des Sofas. Ich hielt vor Schreck die Luft an, als ich Vinzenz draußen vor der Fensterscheibe entdeckte. Mit einer Hand klammerte er sich seitlich an der Regenrinne fest, in der anderen hielt er Leonas Smartphone. Sein Gesicht war vor Anstrengung gerötet und sogar aus einiger Entfernung konnte ich die Schweißperlen erkennen, die ihm von der Stirn tropften. Das Raufklettern musste ziemlich anstrengend gewesen sein, schon vom Zusehen bekam ich Phantommuskelkater. Was dachten sich wohl die Passanten, die dort unten gerade durch die Kleegasse schlenderten? Zumindest schien noch niemand die Polizei gerufen zu haben.

Hastig sprang ich vom Sofa und huschte mit nackten Füßen über den knarrenden Parkettboden zum Fenster. Das riss ich anschließend so energisch auf, dass Vinzenz sich erschrocken zurücklehnte. »Ich bitte Euch, Miss Emma. Wir wollen jetzt keine Dummheiten begehen.«

»Tja.« Mit verschränkten Armen baute ich mich vor ihm auf. »Sag mir einen Grund, weshalb ich dich reinlassen sollte.«

»Nun …« Vinzenz keuchte angestrengt. »Wir könnten uns über eine Möglichkeit unterhalten, wie ich mich von Euch löse.«

Das klang interessant. Ich stützte mich mit beiden Händen auf dem Fensterbrett ab, wodurch Vinzenz keine Chance hatte, mich auszutricksen und ungehindert hereinzuklettern. »Schieß los.«

Er wich meinem Blick nicht aus. »Nein.«

»Wie, nein?«

»Erst, wenn ich nicht mehr um mein Leben fürchten muss.«

»Du bluffst«, enttarnte ich seinen hinterhältigen Trick.

»Bei Queen Victorias Rattenschwanz, denkt Ihr ernsthaft, ich hätte Interesse daran, noch länger die Zeit mit einer mir dieser Art übelgesinnten Irren zu verbringen, wie Ihr es seid? Darf ich Euch daran erinnern, dass Ihr mich mit einem Buch erschlagen wolltet?«

Das war die absolute Höhe! So was musste ich mir echt nicht von einem Fantasyroman-Fiesling an den Kopf werfen lassen. »Ich soll irre sein? Du bist doch seit drei Bänden in Folge damit beschäftigt, hinterhältige Mordpläne an deinem Bruder zu schmieden.«

Vinzenz funkelte mich wütend an. »Das könnt Ihr nicht verstehen. Denken scheint nicht Eure Stärke zu sein, sonst würdet Ihr nicht diese haarsträubend dummen Pläne entwickeln, von denen Ihr denkt, sie würden Euch gegen unsere Verbindung helfen. Ihr habt keine Ahnung von den Konsequenzen!«

Ich schnaubte genervt. Aber mir wurde trotzdem bewusst, dass wir langsam einen Weg finden mussten, um die Situation zu lösen. Wenn wir uns nur stritten, kamen wir schon mal nicht weiter. Ich trat zur Seite und streckte ihm helfend die rechte Hand entgegen. »Also gut, komm rein.«

Vinzenz zögerte einen Moment misstrauisch, doch dann nahm er meine Hand und hievte sich mit einem leichten Sprung ins Zimmer. »Ich danke Euch.« Die Sache mit dem charmanten Grinsen ließ sich spätestens jetzt bestätigen, das hatte er wirklich drauf … ein aufdringlicher Idiot war er trotzdem. Schweigend überlegte ich, wieso die Jungs an meiner Schule eigentlich allesamt nicht mit seiner Attraktivität mithalten konnten. Lag wohl daran, dass er einem erfundenen Roman entstammte und deshalb völlig unrealistisch aussah. Obwohl sich eine dünne Narbe von seiner linken Wange bis zu seinem Auge zog. Die stammte von einer Kampfszene aus dem ersten Teil, in der Phil ihn mit dem Schürhaken eines Kamins erwischt hatte. So weit kannte auch ich die Story. Auf jeden Fall kam ich mir plötzlich ein wenig albern dabei vor, ihm barfuß und nur in meinem schlabberigen, weißen Plüschpyjama mit Hello-Kitty-Aufdruck gegenüberzustehen.

Ihn allerdings schien das keineswegs zu irritieren, er hatte nämlich ganz andere Sorgen. »Ich würde meine Hand gerne von diesem stinkenden Taubendreck befreien, wenn es Euch nicht stört.«

IGITT! Das war ja absolut ekelhaft. Er hatte es doch nicht wirklich gewagt? Langsam ließ ich den Blick zu meiner Hand wandern, mit der ich ihm eben noch hereingeholfen hatte.

»Keine Sorge«, schmunzelte Vinzenz. »Die Versuchung war groß, doch langsam solltet Ihr wissen: Ich bin kein Schuft.«

»Du …«, setzte ich sauer an, als ich auf einmal vom Schlüsselklirren an der Wohnungstür unterbrochen wurde. Kurz darauf rief Pas Stimme: »Emma, ich bin zurück! Kommst du bitte sofort ins Wohnzimmer? Wir müssen reden.«

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