Читать книгу Schilddrüsenunterfunktion und Hashimoto anders behandeln - Datis Kharrazian - Страница 44
KAPITEL 3 Hashimoto ist eine Erkrankung des Immunsystems
ОглавлениеLauras Schilddrüsenerkrankung begann vor acht Jahren, mit 53. Bis dahin war sie eine dynamische, quirlige „Macherin“, die nie Probleme mit dem Gewicht hatte. Doch mit einem Mal fühlte sie sich kraftlos und sie begann zuzunehmen. Sie hatte Haarausfall, konnte sich nicht mehr richtig konzentrieren und verlor ihre Lebensfreude, als zahlreiche weitere gesundheitliche Probleme, unter anderem mit der Blase, auf sie herabstürzten. Zeitweise wurde sie auch von Kurzatmigkeit, Herzrasen und Panikattacken überfallen. Nun quält sich Laura, von Natur aus wissbegierig und reiselustig, in die Arbeit und wieder nach Hause.
Zwei Jahre lang, sagt sie, musste sie für ihre Schilddrüse „um eine Blutuntersuchung und eine Diagnose kämpfen.“ Schließlich schickte ihr Hausarzt sie zu einem Endokrinologen, der eine Hashimoto Thyreoiditis feststellte. Er nimmt alle drei Monate Blut ab und verschreibt ihr entweder ein neues Präparat oder passt die Dosierung ihrer Schilddrüsenhormone an, untersucht sie aber nicht auf Antikörper. Seiner Meinung nach lassen sich die Angriffe auf die Schilddrüse nicht stoppen, der TSH-Wert könne jedoch im Normbereich gehalten werden.
„Mein Leben ist eine ständige Achterbahnfahrt“, sagt Laura. „Ich stelle Besserungen fest, wenn mir zum Beispiel ein neues Schilddrüsenmedikament verschrieben wird, und dann kommen die Symptome zurück. Ich habe die Nase voll von diesen Versuchen ‘auf gut Glück‘.“
Laura wähnte sich alleine mit dieser Krankheit und glaubte, niemand müsse durchmachen, was sie zu erleiden hätte. Sie hatte keine Ahnung, dass sie sich in bester Gesellschaft mit Millionen von Amerikanern befand.
Solche und ähnliche Geschichten höre ich in meiner Praxis immer wieder: Ein Mensch erhält die Diagnose Hashimoto Thyreoiditis, die TSH-Werte werden mithilfe von Schilddrüsenmedikamenten in den Normbereich gebracht, und trotzdem verschlechtern sich die Symptome. Eine Frau verliert ihre Haare und hat kaum noch Energie, um morgens aufzustehen – geschweige denn, sich um ihre Kinder zu kümmern. Eine andere Patientin fühlt sich wie benebelt, das Gedächtnis lässt nach, sie leidet unter Verstopfung und nimmt zu, was ihre Depressionen auch nicht bessert. Häufig zieht eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse weitere Autoimmunerkrankungen im Körper nach sich, zum Beispiel eine perniziöse Anämie, einen Typ-1-Diabetes, Gelenkbeschwerden und sogar neurologische Probleme.87, 88 Inzwischen aber haben sich die TSH-Werte im Normbereich eingependelt, der Arzt behandelt die Symptome mit immer mehr Medikamenten und Hormonen und erklärt seinen Patienten, bei ihnen sei alles in Ordnung. Nach meiner Auffassung ist gute Gesundheit gleichbedeutend mit Lebensfreude und sprühender Energie, was beides ganz sicher nicht auf unzureichend behandelte Hashimoto-Patienten zutrifft.
Sie erinnern sich: Hashimoto ist keine Erkrankung der Schilddrüse, sondern eine Störung des Immunsystems, und daher muss das Immunsystem behandelt werden (auch wenn Schilddrüsenhormone bei zerstörtem Schilddrüsengewebe sicherlich gerechtfertigt sind).89, 90 Ein Grundverständnis unseres Immunsystems ist der erste Schritt zu einem erfolgreichen Umgang mit Hashimoto, zur Verhinderung weiterer Autoimmunerkrankungen und für eine bessere Lebensqualität. Da das Immunsystem insbesondere in Hinblick auf das Autoimmungeschehen so komplex ist, verwundert es nicht, dass es für viele Ärzte ein weißer Fleck auf der medizinischen Landkarte ist. Manche Ärzte glauben sogar, sie könnten einer Autoimmunerkrankung dadurch Einhalt gebieten, indem sie einfach nur die Thymusdrüse entfernen – in ihr ist schließlich die Immunregulation lokalisiert.
© Fotalia: Dan Race
Werden die immunologischen Schranken des Körpers „durchbrochen oder überschritten“, kann es dadurch zur Stimulierung einer Autoimmunerkrankung kommen.
In diesem Kapitel versuche ich so einfach wie möglich zu erklären, was das Immunsystem ist, wie es funktioniert und wie es die Hashimoto Thyreoiditis steuert. Was alles zum Immunsystem dazu gehört und welche Prozesse ablaufen müssen, damit es überhaupt funktioniert, ist enorm. Zum leichteren Verständnis will ich es mit einem Tatort vergleichen, bei dem es um Einbruch und Eindringen geht.
Nehmen wir also an, Sie sind ein Haus. Es gibt Barrieren, die Sie vor der Außenwelt schützen, so wie es Fenster, Wände, ein Dach und Türen gibt, die das Hausinnere schützen. Ihre Fenster und Wände sind die Haut und die Auskleidungen des Darms, der Lunge und des Gehirns. Sie können sich sicher vorstellen, wie es sich in einem Haus lebt, wenn das Dach undicht ist, die Fensterscheiben Löcher haben und der Wind durch die Ritzen pfeift. Dasselbe kann in ihrem Körper passieren, wenn sich in seinen Schutzbarrieren Löcher bilden. Ein Schnitt in die Haut ist ein anschauliches Beispiel. Weniger anschaulich sind die Lecks, die sich aufgrund von Stress und einer ungesunden Ernährungs- und Lebensweise in der Darmschleimhaut, der Lunge und im Gehirn bilden. Sind diese Barrieren undicht, dringen zwar nicht Wind und Regen ein, dafür aber „Antigene“ – das sind unverdaute Partikel von Nahrungsmitteln sowie Bakterien, Parasiten, Schimmelpilze oder Haptene und Umweltgifte.91 Diese Invasion löst eine erstaunlich gut abgestimmte Immunreaktion aus. Zuerst erscheinen die Makrophagen auf der Bildfläche, die „großen Fresser“, wie das griechische Wort übersetzt heißt. Diese Zellen sind im Körpergewebe „stationiert“ und halten immer Ausschau nach Eindringlingen; sie sind bereit anzugreifen und Alarm zu schlagen, sobald sie einen entdecken. Ich vergleiche Makrophagen gerne mit bulligen Wachmännern, die zwar Schlagstöcke haben, aber keine Schusswaffen tragen. Obwohl sie die Ersten auf der Bildfläche sind, benötigen sie Unterstützung bei der Überwältigung des Antigens.
Der Makrophage umschließt den Eindringling und bildet eine Antigen-präsentierende Zelle (APC), die sich wie eine Alarmanlage verhält und die anderen „Mitglieder“ des Immunsystems zur Unterstützung herbeiruft. Zuerst reagieren die T-Helferzellen auf den Alarm, das sind „Einsatzkoordinatoren“, die den Angriff organisieren. T-Helferzellen senden Botenstoffe aus, die dafür sorgen, dass die „Elitetruppen“ – die natürlichen Killerzellen und die zytotoxischen T-Zellen – den Angreifer umzingeln und vernichten. Im „Hauptquartier“ im Hintergrund überwachen die „Polizeihauptmeister“ – die T-Regulatorzellen – den Schauplatz, um sicherzustellen, dass genügend T-Helferzellen und T-Suppressorzellen vor Ort ihre Arbeit verrichten, um die Immunreaktion zu stoppen, sobald der Eindringling „entwaffnet“ ist.
Das Immunsystem will kein Risiko eingehen, indem es davon ausgeht, dass der Eindringling zu einer „Bande organisierter Verbrecher“ gehört und ein erneuter Angriff möglich ist. Die T-Helferzellen holen nun die „Detektive“ – die B-Zell-Antikörper –, die sich an den Eindringling anheften und sein Profil in einer „Datenbank“ speichern. Dadurch wird es für die natürlichen Killerzellen und die zytotoxischen T-Zellen leichter, einen Eindringling zu erkennen und zu zerstören. Obwohl die natürlichen Killer- und die zytotoxischen T-Zellen praktisch ein Sondereinsatzkommando sind, „sehen“ sie schlecht und müssen sich darauf verlassen, dass die B-Zellen die Eindringlinge entdecken.