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Die frühesten Wegfinder

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Als ich mit meinen Recherchen begann, dachte ich nur an Lebewesen, die ich sehen konnte – etwa Insekten, Vögel, Reptilien, Ratten, Menschen –, doch die ersten Lebensformen, die sich auf unserem Planeten entwickelten, waren winzig klein und Pioniere der Tiernavigation.

Die Erde entstand vor ungefähr 4,56 Milliarden Jahren als Zufallsprodukt bei der Verdichtung von Asteroiden, Gas und Staub; diese Einzelteile wurden durch die eigene Schwerkraft zusammengepresst. Damals war die Erde ein äußerst ungemütlicher Ort: Ihre gesamte Oberfläche war von heißem, flüssigem Gestein bedeckt. Die ersten Kontinente bildeten sich, als dieses Meer aus Magma vor circa 4,5 Milliarden Jahren langsam abkühlte und erstarrte, doch es gab noch keine Ozeane und auch keine Luft.

Über Hunderte Millionen Jahre hinweg wurde der junge Planet von weiteren Asteroiden bombardiert, aber diese Einschläge waren nicht nur zerstörerisch. Sie lieferten die chemischen Zutaten, welche die allerersten Lebensformen und auch Wasser entstehen ließen.1 Vor etwa 3,9 Milliarden Jahren beruhigte sich die Erde, und in den Tiefen der ersten Ozeane entwickelten sich einfache Lebensformen um hydrothermale Spalten im Meeresboden, aus denen extrem heißes, stark mineralisiertes Wasser strömte.2 Zu diesen Lebensformen gehörten die allerersten Bakterien.

Heute bringen wir diese einzelligen Organismen zwar meist mit Krankheiten in Verbindung, doch die Mehrzahl der Bakterien ist harmlos; viele tragen sogar maßgeblich zu unserer körperlichen und selbst geistigen Gesundheit bei. Um zu überleben, können sie gezielt Nahrungsquellen aufsuchen und Gefahren wie übermäßige Hitze, Acidität und Alkalität meiden.3 Einige verfügen über ganz spezielle Antriebsmittel, etwa mikroskopisch kleine Motoren, die rotierende Fäden – sogenannte Flagellen – antreiben. Diese einfachste Form der zielgerichteten Orientierungsreaktion wird als Taxis bezeichnet, nach dem griechischen Wort für »Ordnung« oder »Ausrichtung«.

Manche Bakterien bedienen sich einer besonders verwunderlichen Form der Taxis. Magnetotaktische Bakterien enthalten winzige magnetische Partikel, die – wenn sie zu Ketten aneinandergereiht sind – wie mikroskopische Kompassnadeln fungieren. Mithilfe dieser »Kompassnadeln« können sich die Bakterien am Magnetfeld der Erde ausrichten und dadurch den Weg hinunter zu den sauerstoffarmen Wasserschichten und Sedimenten finden, in denen sie gedeihen. Die Nadeln in Bakterien auf der nördlichen Halbkugel haben die entgegengesetzte Polarität derer auf der südlichen Hemisphäre; ein einfaches Beispiel für die Wirkkraft der natürlichen Selektion.

Versteinerte Bakterien sind ausgesprochen schwer auszumachen; dennoch entdeckte man die Reste von magnetotaktischen Bakterien in Gestein, das Hunderte Millionen, vielleicht sogar Milliarden Jahre alt ist. Obwohl diese Bakterien als die frühesten magnetbasierten Navigatoren in der Geschichte unseres Planeten gelten, wurden die ersten lebenden Exemplare erst 1975 entdeckt.4 Seltsamerweise fiel ihre Entdeckung zeitlich mit den ersten Nachweisen magnetbasierter Orientierung bei viel komplexeren Organismen wie etwa Vögeln zusammen.

Der Name unserer nächsten Verwandten unter den einzelligen Organismen ist ein wahrer Zungenbrecher: Choanoflagellaten (oder Kragengeißeltierchen). Sie sind geringfügig komplexer als Bakterien, leben im Wasser und bilden manchmal Kolonien. Wie der Mensch sind sie auf Sauerstoff angewiesen; sie können nicht nur kleinste Unterschiede in dessen Konzentration ausmachen, sondern auch gezielt zu einer sauerstoffreicheren Quelle schwimmen, ebenfalls dank ihrer Flagellen.5

Noch beeindruckender sind gewisse hirnlose Ansammlungen von Einzellern, bekannt unter der eher abstoßenden Bezeichnung »Schleimpilze«. Diese einfachen Organismen können sich langsam, aber zielsicher auf einen Vorrat an Glukose zubewegen, der im unteren Teil eines u-förmigen Siphons verborgen ist. Dabei nutzen sie eine simple Form von Gedächtnis, das sie davon abhält, bereits erkundete Stellen erneut abzusuchen.6 Sie können außerdem ein Problem lösen, das selbst Verkehrsplaner und Ingenieure vor große Herausforderungen stellt: die Konstruktion eines effizienten Bahnnetzes.

Wissenschaftler haben Folgendes herausgefunden: Wenn einem bestimmten Schleimpilz große Mengen von Haferflocken in einem Muster dargeboten werden, das den Grundriss von Städten rings um Tokio nachahmt, beginnt er, ein Netzwerk von »Tunneln« zu bauen, um die aus den Flocken gewonnenen Nährstoffe zu verteilen. Erstaunlicherweise gleicht das Netzwerk schließlich dem tatsächlichen Bahnsystem rund um Tokio. Der Schleimpilz vollbringt eine Meisterleistung, indem er zunächst Tunnel anlegt, die in alle Richtungen führen, und diese dann allmählich reduziert, sodass letztendlich nur jene übrig bleiben, in denen die größten Mengen an Nährstoffen (sprich »Passagieren«) befördert werden können.7

Weiter oben auf der Skala der Komplexität stoßen wir auf viel größere, aber immer noch winzige mehrzellige Organismen namens Plankton. Die Ozeane, besonders um die Arktis und die Antarktis, wimmeln nur so davon. Viele dieser Pflanzen und Tiere sind für das bloße Auge unsichtbar, doch sie sind häufig so zahlreich, dass sie das Meer wie eine kräftige Misosuppe aussehen lassen. Planktonblüten können sogar ganze Seegebiete rostrot färben.

Lebewesen wie diese müssen nicht wissen, wo genau sie sich befinden, zumal sie ohnehin weitgehend den Meeresströmungen ausgeliefert sind; dennoch sind sie keineswegs nur passiv. Um Nahrung zu finden oder nicht selbst gefressen zu werden, steigt ein Großteil des tierischen Planktons (darunter Fischrogen, kleine Krebstiere und Mollusken) in der Wassersäule auf und ab, von den dunklen Tiefen an die Oberfläche und wieder hinunter, jeden Morgen und jeden Abend. Und das pflanzliche Plankton, das sich meist nah an der Oberfläche aufhält, um von der größeren Lichtmenge zu profitieren, taucht nötigenfalls ab, damit es nicht durch ein Übermaß an ultraviolettem Licht geschädigt wird.

Das Timing dieser Abläufe beruht auf der Fähigkeit des Planktons, Veränderungen in der Stärke des Sonnenlichts wahrzunehmen; in der monatelangen arktischen Nacht schaltet das tierische Plankton allerdings auf einen Rhythmus um, der sich nach dem Mondlicht richtet.8 In einigen Fällen sind diese Prozesse nicht nur eine simple Reaktion auf variierende Helligkeitsgrade. Bestimmte Planktonarten steigen auf oder ab, noch bevor sie irgendwelche Veränderungen wahrnehmen können; und selbst wenn sie in ein dunkles Aquarium verlegt werden, behalten sie ihre vertikalen Wanderungen für mehrere Tage bei. Dieses rätselhafte Verhalten scheint von einer Art innerer Uhr abhängig zu sein, die ihre Standortveränderungen reguliert.9 Die gesamte Nahrungskette der Ozeane stützt sich letztlich auf das Plankton, und dessen gigantische tägliche Wanderzüge spielen eine entscheidende Rolle für alles Leben auf der Erde.

Selbst einfache Würmer müssen sich zurechtfinden. Eine Wurmart namens Caenorhabditis elegans scheint sich am Erdmagnetfeld zu orientieren, wenn sie sich im Untergrund vergraben hat.10 Und Wassermolche, von denen einige bis zu zwölf Kilometer weit zum heimischen Tümpel zurückfinden, setzen einen Magnetkompass ein.11

Würfelquallen – kleine, durchsichtige Tiere, die im tropischen Australien berüchtigt sind, weil sie mit ihren Nesselkapseln ein tödliches Nervengift freisetzen können – haben kein Gehirn, aber Augen, und sie bewegen sich nicht nur mit der Strömung. Sie schwimmen aktiv und mit einem regelrechten Zielbewusstsein, wenn sie beispielsweise ihrer Beute nachjagen. Kurioserweise verfügen sie über nicht weniger als vierundzwanzig Augen, die sich in vier unterschiedliche Typen unterteilen lassen.

Noch überraschender ist es, dass einige Würfelquallen navigieren können, indem sie sich an markanten Punkten über der Wasseroberfläche orientieren. Eine spezielle Art, die in den Mangrovensümpfen der Karibik vorkommt, besitzt eine Gruppe von Augen, die stets nach oben gerichtet sind, unabhängig davon, wie der Körper des Tieres ausgerichtet ist. Schwere Gipskristalle im Gewebe um jedes einzelne spezialisierte Auge dienen dazu, diese Orientierung beizubehalten.

Dan-Eric Nilsson, ein Biologe an der Universität Lund in Schweden (einem der führenden Forschungszentren für Tiernavigation), wollte herausfinden, was diese nach oben gerichteten Augen leisten. Er und sein Team platzierten Würfelquallen in durchsichtige Becken, die sie in der Nähe eines Mangrovenhains ins Meer setzten, und beobachteten dann mithilfe einer Videokamera das Verhalten der Tiere. Wenn der Rand der Mangrovenwipfel vom Bassin aus sichtbar und nur wenige Meter von diesem entfernt war, stießen die Quallen wiederholt gegen jene Seite des Beckens, die den Bäumen am nächsten war – so als versuchten sie, ihnen näher zu kommen. Wurde der Behälter jedoch so weit weggezogen, dass die Bäume von unterhalb der Wasseroberfläche nicht mehr zu sehen waren, schwammen die Quallen ziellos umher.

Es scheint so, als nutzten die Quallen ihre nach oben gerichteten Augen, um die Silhouette der Mangrovenbäume auszumachen. Dadurch bleiben sie im seichten Gewässer, in dem sich das winzige tierische Plankton – ihre Nahrung – tummelt; das ist jedoch nur dann möglich, wenn sie sich nicht zu weit vom Rand des Mangrovenhains entfernen.12

Dies sind nur ein paar Beispiele für die außergewöhnlichen Orientierungsfähigkeiten von Organismen, die auf den ersten Blick recht einfach erscheinen mögen.

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Ein alter Walt-Disney-Film mit dem Titel The Incredible Journey (Die unglaubliche Reise) erzählt die Geschichte zweier Hunde – eines Labrador Retrievers und einer Bullterrierhündin – sowie eines Siamkaters, die von ihrem Herrchen bei einem Freund in Pflege gegeben werden. Die unglücklichen Tiere verstehen nicht, dass es sich nur um einen vorübergehenden Aufenthalt in der Fremde handelt, und beschließen, nach Hause zurückzukehren. Dazu müssen sie aber 400 Kilometer kanadische Wildnis durchqueren, wobei sie haarsträubende Abenteuer erleben: Sie begegnen einem Bären und einem Luchs, ertrinken einmal beinahe und machen die schmerzliche Bekanntschaft mit einem Stachelschwein. Zu guter Letzt kommen sie jedoch wohlbehalten zu Hause an.

Skeptiker mögen diese Geschichte als unglaublich im wörtlichen Sinne abtun, aber vielleicht ist das zu schnell geurteilt. Im Jahr 2016 büxte ein Hirtenhund namens Pero aus und machte sich auf den Weg zu seinen alten Herrchen. In nur zwölf Tagen legte er eine Entfernung von 385 Kilometern zurück – von seinem neuen Zuhause im englischen Lake District bis nach Wales – und kam in guter Verfassung an, völlig unerwartet. Pero war gechippt, an seiner Identität konnte also keinerlei Zweifel bestehen.13

Niemand weiß, wie Pero dieses Meisterstück gelang. Es ist wohl denkbar, dass er dank einer ungewöhnlichen Folge günstiger Entscheidungen nach Hause zurückfand, doch das ist schwer zu glauben. Die Orientierungsfähigkeiten von Hunden und Katzen fanden bisher überraschend wenig wissenschaftliche Aufmerksamkeit. Eine neuere Studie ergab jedoch, dass sich Hunde bevorzugt nach Norden oder Süden wenden, wenn sie ihr Häufchen machen. Vielleicht verfügen sie also über eine Art inneren Kompass, mit dessen Hilfe sie zumindest die Richtung ausmachen können. Wenn das zutrifft, erweitern sie eine rasch länger werdende Liste von Lebewesen, die das Magnetfeld der Erde spüren können.14 Aber nur mithilfe eines Kompasses hätte Pero nicht nach Hause zurückfinden können.

Es ist möglich, dass Pero es irgendwie schaffte, sich den Weg zu seinem neuen Heim im Lake District einzuprägen. Konnte er dann diese Route rekonstruieren und zurückverfolgen? Vielleicht spielte dabei auch sein scharfer Geruchssinn eine Rolle.

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