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3. KAPITEL Im dunkelsten Dickicht
ОглавлениеDie Schweißbiene ist im tropischen Zentral- und Südamerika heimisch. Ihr eher unschöner Name rührt daher, dass sie gern menschlichen Schweiß leckt. Während die bekanntere Honigbiene am Tag fliegt, schwärmt die Schweißbiene nur in der Abenddämmerung und im Morgengrauen aus; sie ist ein Dämmerungstier. Die Weibchen leben im Regenwald und bauen ihre Nester in kleinen ausgehöhlten Ästen, die im Unterholz verborgen sind. Wenn sie zum Sammelflug aufbrechen, müssen sie ihren Weg durch dichte Vegetation finden (es ist aber auch möglich, dass sie über den Baumkronen des Regenwalds fliegen – das weiß bisher niemand genau). Nach den eingesammelten Pollen zu urteilen, können sie sich mindestens 300 Meter weit fortbewegen.
In den Tropen wird es schnell dunkel, und die Dunkelheit in einem Regenwald ist wahrlich finster, denn das Laubwerk lässt den Großteil des etwaigen Lichts kaum durchdringen. Die Navigationsarbeit der Schweißbiene wäre schon bei hellem Tageslicht schwierig, doch nach Sonnenuntergang wird diese durch die geringe Anzahl von Photonen zu einer – gelinde gesagt – »besonderen Herausforderung«1.
Ich reiste nach Lund im südlichen Schweden, um an der dortigen Universität den Mann zu treffen, dessen Team die erwähnten außergewöhnlichen Entdeckungen machte: Eric Warrant. Der enthusiastische und dynamische Australier kennt sich mit dem Sehvermögen von Insekten so gut aus wie kaum ein anderer, und er war hocherfreut, dass ich seine Begeisterung für sechsbeinige Tiere teilte.
Im Lauf unseres Gesprächs erklärte mir Warrant, dass man die Sensitivität einer einzelnen Fotorezeptorzelle im Auge eines Tieres überprüfen kann, indem man deren Reaktion auf einen Lichtpunkt von variierender Stärke aufzeichnet. Wenn das Licht extrem matt ist, geschieht gar nichts, aber wenn es schrittweise aufgedreht wird, beginnt die Zelle, winzige elektrische Signale zu »feuern«. Mithilfe dieses Verfahrens ließ sich nachweisen, dass einige Tiere sogar einzelne Photonen wahrnehmen können.
Es lohnt sich, kurz über die Bedeutung dieser Feststellung nachzudenken. Ein Photon ist eines der Elementarteilchen der Natur, doch rätselhafterweise verhält es sich auch wellenartig. So überaus klein ist es, dass es keinerlei Raum einnimmt und keine Masse besitzt. Photonen bewegen sich jedoch mit Lichtgeschwindigkeit und geben winzige Energiemengen ab (die Mengen variieren mit der jeweiligen Wellenlänge).
Es ist erstaunlich, dass die Augen eines Tieres überhaupt in der Lage sind, solch ein winziges Bündel Energie wahrzunehmen, aber die Schweißbiene ist eine Klasse für sich. Sie findet ihren Heimweg durch das dunkle Dickicht mit dem dürftigen visuellen Input von gerade einmal fünf Photonen pro Sekunde für jeden ihrer Fotorezeptoren. Wenn sich Eric Warrant dieses nächtliche Navigationsgeschick vorstellt, bekommt er eine Gänsehaut:
Es ist einfach aberwitzig, vollkommen aberwitzig, dass sie durch dieses dunkle Dickicht fliegen, Blüten aufspüren und dann mühelos zurückfinden und mit solch unglaublicher Präzision landen.
Die außergewöhnliche Sensitivität der Facettenaugen einer Schweißbiene allein erklärt nicht, wie das Tier in nahezu vollkommener Dunkelheit so zielsicher navigieren kann. Dazu ist noch etwas anderes nötig. Die Antwort liefern spezialisierte Zellen im Gehirn der Schweißbiene, welche die von den Augen kommenden Signale »addieren«. Mithilfe dieser Zellen können die Tiere den größtmöglichen Nutzen aus dem sehr begrenzten Informationsfluss ziehen, den sie von ihrer Umgebung erhalten. Da die Schweißbiene, verglichen mit tagaktiven Bienen, eher langsam fliegt, hat sie mehr Zeit für diese »Aufsummierung«. Warrant hält es für denkbar, dass die Schweißbiene die sehr schwachen Muster, die durch den Kontrast zwischen Baumkronen und Nachthimmel entstehen, als Orientierungshilfen nutzt, um zu ihrem Nest zurückzufinden (was bekanntermaßen auch bei einigen Regenwaldameisen der Fall ist); allerdings muss das erst noch nachgewiesen werden.
Wenn die Schweißbiene ihr Nest verlässt, vollführt sie einen »Orientierungsflug«, bei dem sie absichtlich kehrtmacht, um den Nesteingang und dessen Umgebung in Augenschein zu nehmen. Als Warrant und seine Kollegen das Nest einer Biene nach deren Ausschwärmen versetzten, suchte das Tier genau die Stelle auf, an der sich das Nest ursprünglich befunden hatte; geleitet wurde sie dabei vermutlich von den Landmarken ringsum.
Um diese Mutmaßung zu überprüfen, brachten die Forscher einen weißen Karton vor dem Nesteingang an, bevor die Biene ausflog; während sie unterwegs war, hängten sie die Markierung vor ein benachbartes, verwaistes Bienennest. Bei ihrer Rückkehr ließ sich die Biene täuschen und suchte das falsche Nest auf, das sie allerdings schnell wieder verließ. Zu ihrem richtigen Zuhause konnte sie erst zurückfinden, als die Wissenschaftler den weißen Karton wieder an seiner ursprünglichen Stelle anbrachten.2 Das beweist, dass der Zielflug nicht durch den Geruchssinn gesteuert wird.
Der Mensch neigt dazu, Fischen nicht sehr viel zuzutrauen. Oberflächlich betrachtet scheinen Fische kalt, glitschig und – offen gesagt – ziemlich begriffsstutzig zu sein. Warum wären sie sonst so töricht, an einem Haken anzubeißen oder in ein Netz zu schwimmen? Diese Sichtweise verrät, wie so viele unserer Vorurteile, schlicht und einfach unsere Unwissenheit. Fische sind in freier Natur viel schwerer zu beobachten als Landtiere, daher wissen wir noch immer sehr wenig über sie. Aber eines ist sicher: Sie schwimmen nicht bloß ziellos herum, und Orientierungspunkte unterschiedlicher Art spielen bei ihrer Navigation eine große Rolle.
Fische verfügen über eine Vielzahl von Sinnesorganen, von denen uns einige recht fremdartig erscheinen. Ihr Seitenlinienorgan – eine Reihe von druckempfindlichen Poren entlang der Flanken – reagiert höchst sensibel auf die kleinsten Bewegungen im umgebenden Wasser. Dieses Organ verleiht Fischschwärmen die außergewöhnliche Fähigkeit, im Gleichtakt ihre Richtung zu ändern.
Der blinde mexikanische Höhlenfisch nutzt die Druckwellen, die durch seine eigene Fortbewegung entstehen, um die Position von Gegenständen in seiner Umgebung auszumachen. Während sich der Fisch in der Dunkelheit bewegt, nimmt sein Seitenlinienorgan charakteristische Resonanzen auf, und er kann lernen, anhand dieser »flüssigen Orientierungshilfen« bestimmten Routen zu folgen.3
Andere Fische stützen sich auf visuelle Anhaltspunkte, zum Beispiel der indische Kletterfisch, der sowohl in stehenden Gewässern wie Teichen als auch in strömungsstarken Flüssen lebt. Wissenschaftler setzten Fische aus diesen zwei sehr unterschiedlichen Lebensräumen in große Aquarien und brachten ihnen bei, sich eine Belohnung zu schnappen, indem sie durch eine Reihe enger Öffnungen in den Beckenwänden schwammen. Anfangs schnitten die Flussfische um einiges besser ab als die Teichfische, aber als neben jedem Durchgang eine kleine Pflanze angebracht wurde, kehrten sich die Ergebnisse um: Nun lagen die Teichfische vorn.
Es scheint so, als nähmen Fische in strömungsstarken Flüssen nur wenig Notiz von unbeständigen Objekten wie Pflanzen, weil diese zu schnell weggetrieben werden und deshalb keine geeignete Orientierungshilfe darstellen. Die Teichfische hingegen können sich darauf verlassen, dass die meisten Gegenstände an Ort und Stelle bleiben, und so haben sie gelernt, ihnen viel mehr Aufmerksamkeit zu schenken.4
Einige andere Fischarten, darunter Aale und Haie, reagieren auf elektrische Felder und nutzen elektrische Orientierungspunkte. So verfügt beispielsweise der schwach elektrische Fisch über ein besonderes Organ, das ihm erlaubt, Veränderungen des elektrischen Feldes im umgebenden Wasser wahrzunehmen. Dieser nachtaktive Fisch lebt auf dem Grund afrikanischer Seen und kann anhand seiner speziellen Methode lernen, eine Öffnung in einer Barriere zu finden, die mit einer Orientierungshilfe gekennzeichnet ist – ähnlich wie der indische Kletterfisch. Es besteht jedoch ein großer Unterschied zwischen den beiden Spezies: Der schwach elektrische Fisch bewältigt die Aufgabe in vollkommener Dunkelheit.5
Auch Insekten greifen gelegentlich auf elektrische Signale zurück, um Gegenstände zu lokalisieren.
Folgende Phänomene sind aus dem Alltag bekannt: Wenn man von eingeschweißter Ware die Plastikfolie abreißt, bleibt sie häufig an der Hand hängen, obwohl sie nicht klebrig ist. Es kann außerdem passieren, dass man durch den Kontakt mit einer metallenen Oberfläche einen winzigen elektrischen Schlag bekommt – besonders wenn man zuvor über einen Kunstfaserteppich gegangen ist. Diese eigenartigen Effekte rühren daher, dass sich eine statische Aufladung bildet. Und kurioserweise spielen sie eine entscheidende Rolle bei der ökologisch wichtigen Blütenbestäubung durch Bienen.
Hummeln können die statischen elektrischen Felder in der Umgebung von Blüten wahrnehmen und sogar verschiedene Blüten unterscheiden, je nachdem, welche Arten elektrischer Muster diese erzeugen. Die Hummeln nehmen die schwachen Signale mithilfe sensorischer Haare wahr, die durch die elektrischen Felder der Blüten gebogen werden. Anhand dieser elektrischen Signale können sie zwischen nektarreichen und weniger ergiebigen Blüten unterscheiden.6