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Die sechsbeinigen Geheimnisse eines provenzalischen Gartens

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Ich hege ein Faible für den französischen Insektenforscher Jean-Henri Fabre (1823–1915), seit ich seine Bücher entdeckte. Sein Hauptwerk, Souvenirs Entomologiques (Entomologische Erinnerungen, auch Erinnerungen eines Insektenforschers), dessen erster Teil 1879 erschien, wurde ein höchst ungewöhnliches verlegerisches Phänomen – ein Bestseller ausschließlich über Gliederfüßer. Fabre verfasste nicht nur einige der lyrischsten und kurzweiligsten Schilderungen des Insektenlebens, die je geschrieben wurden, sondern leitete auch bahnbrechende Studien zur Tiernavigation.

Fabre war alles andere als ein konventioneller Gelehrter, aber seine bemerkenswerte Beobachtungsgabe war gepaart mit der Neugier, Geduld und Findigkeit, die einen wahren Wissenschaftler kennzeichnen. Den Großteil seines Lebens mühte er sich damit ab, eine vielköpfige Familie mit seinem Lehrergehalt durchzubringen, während er auf Korsika und in verschiedenen Gegenden der Provence arbeitete. Es heißt zwar oft, Fabre sei Autodidakt gewesen, doch in Wahrheit unterhielt er enge Verbindungen zur Gelehrtenwelt und schloss sein Studium sogar mit einer Promotion ab. Schließlich verlegte er sich darauf, Schul- und Lehrbücher zu schreiben, um sein Einkommen aufzubessern – ein Unterfangen, das sich als einträglich erwies und es ihm erlaubte, die Lehrtätigkeit aufzugeben und sich ganz seinen Forschungsarbeiten zu widmen.8

Fabre war fasziniert von den Insekten und Spinnen, die damals auf den Feldern und Hügeln der Provence bestimmt noch viel zahlreicher vertreten waren als heute. Ganz besonders begeisterte er sich für Grabwespen. Diese Parasiten legen ihre Eier in Erdlöchern ab und versorgen die daraus schlüpfenden Larven, indem sie gelähmte Beutetiere mit einlagern, von denen sich der Nachwuchs nach Belieben ernähren kann – eine makabre lebende Speisekammer. Fabre beobachtete, dass die Wespen oft überraschend lange Strecken zurücklegten, wenn sie ihre Nester mit Proviant ausstatteten; erstaunlicherweise fanden sie immer wieder zurück, auch wenn er sie etliche Kilometer weit entfernt aussetzte.

Aufgrund anderer Beobachtungen wusste Fabre, dass die beiden Fühler der Wespe eine wichtige Rolle bei ihrer Nahrungssuche spielten. Also fragte er sich, ob sich ihr Orientierungsgeschick ebenfalls auf diese Sinnesorgane stützte. Und so trennte Fabre kurzerhand die Fühler einiger Wespen ab, um zu sehen, was nun passieren würde. Überrascht stellte er fest, dass die drastische Maßnahme keinerlei Auswirkung auf die Zielfindungsfähigkeit der Wespen hatte; allerdings dürften die bedauerlichen Kreaturen hungrig geblieben sein.9

Fabre konnte sich darauf keinen Reim machen, und so verlagerte er das Hauptaugenmerk seiner Forschungen auf die aggressiven Roten Gartenameisen, die auf seinem großen Grundstück lebten; diese Spezies raubt die Nester ihrer schwarzen Verwandten aus und stiehlt deren Nachwuchs.10 Die Roten Gartenameisen waren viel folgsamere Probanden und konnten auf den Streifzügen außerhalb ihrer Nester leichter beobachtet werden. Mit der Hilfe seiner sechsjährigen Enkelin Lucie führte Fabre eine Reihe einfacher, aber bahnbrechender Experimente durch.

Zunächst stand Lucie mit bewundernswertem Pflichteifer Wache am Nest der Roten Gartenameisen und wartete geduldig darauf, bis ein Überfallkommando ausrückte. Dann verfolgte sie die Kolonne und markierte deren Weg mit kleinen weißen Kieselsteinen, genau wie der kleine Däumling im gleichnamigen Märchen, wie Fabre bemerkte.11 Sobald die roten Ameisen ein Nest der schwarzen Ameisen zum Plündern gefunden hatten, lief Lucie zu ihrem Großvater und alarmierte ihn.

Fabre wusste, dass Rote Gartenameisen nach ihren Streifzügen – wenn sie ihre Beute heimbrachten – immer auf demselben Weg zurückkehrten, und er vermutete, sie ließen sich dabei von irgendeiner Art Duftspur leiten. Um diese These zu überprüfen, versuchte er mit verschiedenen Mitteln, den Geruch, dem die Ameisen möglicherweise folgten, zu tilgen oder zu überdecken. Zuerst fegte er den Boden gründlich ab. Die zielstrebigen Ameisen wurden jedoch nur kurzzeitig aufgehalten und fanden ihren Weg wieder, entweder indem sie über die abgefegten Flächen vorrückten oder diese umgingen.

Fabre vermutete, dass gewisse Spuren dem Fegen standgehalten hatten, und so richtete er einen Wasserschlauch auf den Pfad, in der Hoffnung, jeden eventuell noch verbliebenen Geruch wegzuspülen. Aber auch dieses Mal schafften es die Ameisen, an ihr Ziel zu gelangen. Das Gleiche geschah, als Fabre auf einen Teil des Weges Menthol träufelte, um die hypothetische Duftspur zu überdecken.

Nun kam Fabre der Gedanke, dass sich die Roten Gartenameisen – obwohl sie offenkundig kurzsichtig waren – vielleicht auf visuelle Hinweise stützten, anstatt ihren Weg anhand von Gerüchen zurückzuverfolgen. Möglicherweise prägten sie sich irgendwelche markanten Punkte ein. Um diese Vermutung zu prüfen, veränderte Fabre das Aussehen des Ameisenpfades, indem er zunächst Zeitungsblätter und später eine Schicht gelben Sandes darüberlegte – was sich farblich von der umgebenden grauen Erde klar unterschied. Diese Hindernisse bereiteten den Ameisen weitaus größere Schwierigkeiten, doch sie fanden trotzdem zu ihrem Nest zurück.

Fabre stellte fest, dass die Ameisen ihren Weg zu einer Beutequelle selbst nach zwei oder drei Tagen erneut verfolgen konnten, aber wenn er die Ameisen in Teile des Gartens versetzte, die sie noch nie aufgesucht hatten, waren sie orientierungslos. Von Bereichen, die sie bereits kannten, fanden sie hingegen problemlos wieder zurück.

Auf Grundlage dieser Beobachtungen kam Fabre zu dem Schluss, dass sich die Ameisen auf ihr Sehvermögen stützten und nicht auf den Geruchssinn. Fabre staunte zwar darüber, dass ein derart kleines Tier klug genug war, so vorzugehen, aber er war davon überzeugt, dass sich Ameisen an visuellen Wegmarken orientierten – wie Menschen. Seine schlichten Methoden mochten modernen Standards wissenschaftlicher Genauigkeit nicht unbedingt genügt haben, doch er war durchaus auf der richtigen Spur.

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Wie Jean-Henri Fabre war auch der große holländische Feldbiologe Nikolaas Tinbergen (1907–1988) fasziniert von der Art und Weise, wie Grabwespen nach ihren ausgedehnten Streifzügen zielsicher zu ihren Erdlöchern zurückfanden. Zumindest in Tinbergens Augen schienen die kleinen Höhleneingänge recht unauffällig zu sein. Wie konnten die Wespen sie ausfindig machen? Er hielt es für denkbar, dass sie sich markante Punkte in der Landschaft einprägten, und so platzierte er einen Kreis von Kiefernzapfen um den Nesteingang. Als er die Zapfen heimlich woanders hinlegte, stellte er erfreut fest, dass die heimkehrenden Wespen an der neuen Stelle nach dem Nesteingang suchten.

Wurden die Wespen etwa von Zeichen jeder Größe und Form angezogen, oder wurde ihre Aufmerksamkeit von besonderen visuellen Merkmalen stärker erregt als von anderen? Um diese Frage zu beantworten, deponierte Tinbergen Markierungen unterschiedlicher Art um die Erdlöcher. Nachdem die Wespen ausgeflogen waren, schuf er zwei künstliche Eingänge, die von jeweils unterschiedlichen Markierungen gekennzeichnet waren.

Es wurde deutlich, dass dunkle, dreidimensionale Markierungen die Wespen stärker anzogen als helle und flache. Ähnliche Experimente mit Honigbienen zeigten, dass sie sich beim Wegflug von einer nektarreichen Blüte die Umgebung sorgfältig einprägen und dabei besonders auf dreidimensionale Orientierungspunkte achten. Die Bienen können sich sogar die geometrischen Beziehungen zwischen diesen Punkten zunutze machen, vor allem deren Entfernung zu einer üppigen Blüte, um wieder dorthin zurückzufinden.12

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