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Die Befähigungen der beiden Brüder

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Pyron, Azan und Auroria waren noch am Strand; sie hatten begriffen, dass sie sich einander vertrauen konnten, und stockend und langsam beratschlagten sie sich: Noch immer waren sie bei der Statue Hyrus’, ihr zugegen.

„Hast du Schmerzen, Bruder??“, frug jetzt der Drachenmann Pyron Azan. Dieser schien in tiefe Verzweiflung versunken und verneinte somit Pyrons Frage lediglich mit einem Kopfschütteln.

„Wir sollten langsam zu unserem Heim aufbrechen und uns dort weiter besprechen. Bald ist es Mittagsstunde, wir sollten möglichst unauffällig einkehren.“ Pyrons Worte machten Sinn, es war bestimmt nicht gut, würden die anderen Dorfbewohner sie so sehen.

Auroria, die die letzten Minuten geschwiegen hatte, eröffnete ihrerseits: „Ich vermag den Sinn deiner Veränderung erfassen, Pyron – du bist jetzt viel stärker –, doch Azan, weißt du, was es damit auf sich hat, nun, da du ein Geblendeter bist?“

Azans Stimme war leise, beinahe nicht hörbar und auch kaum zu verstehen: „Ich bin mir nicht sicher, doch … ich vermute, dass ich jetzt ein seherisches Talent besitze. Womöglich ist das Sammelsurium an Bildern, das jetzt fortwährend durch meinen Kopf schießt, ein Hinweis, ein Wegweiser auf Kommendes.“

„Vielleicht?“, formulierte sich Auroria fragend, dann schwieg sie wieder. Sie schritt langsam um die raue Versteinerung Hyrus’, strich mit ihrer flachen, rechten Hand darüber und der Blinde setzte nach: „Ich habe entsetzliche Visionen – von Krieg, Tod und Zerstörung –, doch noch macht das alles keinen Sinn.“ Azan beendete seine Ausführung.

Mit einem schrillen Pfiff kündigte sich aus der Ferne abermals ihr Freund Pipus, der Spatz, an. Die drei wandten ihre Köpfe nach dem Geräusch und des Drachenartigen scharfe Augen machten sofort den kleinen Punkt am Horizont aus; und schon kurze Zeit darauf landete der Bote Pipus.

„Eure Verwandlungen sind nun so weit durch. Die Gottheiten haben mir aufgetan, euch mitzuteilen, dass ihr zur rechten Zeit wissen werdet, was zu tun ansteht.“ Ohne weitere Worte oder sie noch eines Blickes würdigend flog der Spatz fort.

Geraume Zeit später erreichten sie das Anwesen der Brüder; der Weg mit dem geblendeten Azan war mühsam und beschwerlich, es war bereits Mittagszeit, wie sie ankamen. Pyron beschaffte Auroria Weiteres zum Anziehen – sie war bis dato nur in ihr Gewand aus Tang und in Pyrons Mantel gekleidet –, dann kümmerte er sich noch mal um Azans Binde.

Nachdem sie versorgt waren, saßen sie zusammen, aßen und tranken und der blinde Azan eröffnete die Gesprächsrunde: „Wie ich das sehe, sind meine Visionen im Zusammenhang mit einer Verschwörung gegen den Rat der ‚Großen Sieben‘ stehend – wobei die Göttin der Schönheit, Oraia, versucht ihn zu zerstören. Ich erkenne eine Intrige am Hofe des Königs Atuk, durch die Königin Roya mit dem Tode bedroht.“ Azan holte kurz tief Luft. „Unklar und verschwommen erblicke ich Geschehnisse am Hofe der Meerkönigin Nogard. Doch was viel wichtiger ist, dass es in den Bergen einen Mann gibt – sein Name ist Lamag –, welcher uns bei der Suche nach dem Weg, Hyrus zu erlösen und eine weitere Katastrophe wie den ‚Großen Krieg‘ zu verhindern, unabdingbar ist. Dieser Mann, übrigens ein Unsterblicher, werte Auroria, ist Euer Vater, er wird in den ‚Großen Bergen‘, an der Grenze zum Ödland Masta, in einer Höhle gefangen gehalten.“

Azan schwieg einen Moment, da er merkte, dass er die Meerfrau an einem empfindsamen Punkt getroffen hatte. Hatte sie nichts von ihrer Herkunft gewusst? Wie sich jedoch Auroria nicht zu dem eben Gehörten äußerte, fuhr der blinde Seher mit seinen Ausführungen fort: „Eine Elfenartige spielt auch eine wichtige Rolle, vielleicht sogar die bedeutsamste! Sie trägt einen Splitter Loretium mit sich, verborgen in dem kleinen Finger ihrer linken Hand – unabdingbar, um Hyrus zu erlösen! Ich meine zu wissen, dass sie sich in der Stadt Masir befindet, jedoch weiß ich nicht, wie wir sie dort finden könnten. Alle Versuche, ihren genaueren Aufenthaltsort ausfindig zu machen, werden durch eine Art Schutzzauber verhindert. Wenn wir nach Masir reisen wollen, werden wir mit Pferden zwei Tage hierzu benötigen. Auch kenne ich noch nicht ihren Namen.“

Abermals schwieg der Seher, er erwartete eine Reaktion und als die Meerfrau das Wort ergriff, lächelte Azan milde: „Ich habe tatsächlich nichts von meinem Vater gewusst“, sagte Auroria. „Doch sprecht, teurer Seher, was wisst Ihr von meiner Mutter?“

Zwar hatte Azan mit dieser Frage gerechnet, dennoch durchlief ein Zucken sein Lächeln und er schwieg. Obwohl Pyrons Haut voller harter Schuppen war und sein Kopf dem eines Krokodiles glich, legte sich seine Stirn in Falten. Azan strich sich durch sein Haar, überprüfte den Sitz seiner Binde, suchte unterdessen die Worte, sich Auroria zu erklären. Für einen Moment lang war die absolute Stille drückend.

„Es wird Abend, bald ist es Nacht, dann wird’s kühl“, durchbrach Pyron das Schweigen, machte sich daran, ein Feuer im Ofen zu entzünden. Und auch hier, in der ehemaligen gemeinsamen Wohnung der Brüder, war der Schmerz der Erfahrung am Strande noch zu verspüren, der Geruch ihres geliebten Hyrus schien hier überall anzuhaften, was ganz besonders für Auroria in diesem Moment schlimm war – Pein wallte in ihrem Inneren.

„Wenn Ihr Euch nicht dazu äußern wollt, Seher Azan, so lasst dies. Manche Dinge, dies weiß auch ich, obwohl der Hellsicht unbedarft, brauchen ihren besonderen Raum und die ihnen eigene Zeit. Habt vielen Dank für alles, das Ihr uns kundgetan.“ Auroria strich dem Blinden sacht mit ihren Händen durch dessen Haar, woraufhin dieser zuerst wieder lächelte, dann nickte.

„So sei es, holde Maiden aus dem Meere stammend.“

„Masir befindet sich also zwei Tagesreisen zu Pferde von hier entfernt“, wurde der ruhige Moment von dem Drachenmann unterbrochen. „Wir tragen dafür Sorge, dass für Euer Auskommen in der Zeit unserer Unternehmung gesorgt ist, Meerfrau. Wir, meine Brüder und ich, haben einen ersparten Bestand an Silberlingen; er wird sowohl für Euch als auch für uns ausreichen, somit wird für Euch während unseres Fortseins gesorgt sein, Auroria.“

Die Meerfrau stimmte Pyrons Vorschlag mit einem Kopfnicken zu, sie erhob sich und begann sich in dem Heim der Brüder umzusehen.

„Wir werden noch heute Abend aufbrechen. Wenn es eine Intrige zu Hofe des Königs gibt und wir alle mit dem Schlimmsten rechnen müssen – entsetzlichen Ereignissen –, dann dürfen wir bestimmt keine Zeit verlieren. Schon alleine Hyrus’ wegen nicht.“

Einstimmig wurde die kleine Ansprache des Verwandelten von Azan und Auroria angenommen.

Mit dem langsam aufziehenden Nebel des hereinbrechenden Abends verließen Pyron und Azan das gemeinsame Heim. Der Drachenartige war zu diesem Zeitpunkt mit einem langen, braun-grauen Mantel mit Kapuze bekleidet, darauf bedacht, weiterhin unerkannt zu bleiben. Pyron führte den Geblendeten an der Hand, half ihm mit seinem Reisegut und beim Aufsatteln. Es war geplant, dass der Älteste der Brüder auf dem braunen Hengst voranritt, während sich Azan fest an seiner grauen Stute hielt, die für gewöhnlich dem männlichen Pferd einfach folgte. Mit einem letzten wehmütigen Blick zurück machten sich die beiden auf den beschwerlichen Weg nach Masir.

Echsenherz

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