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Der wiedergeborene Elfenmagier Luvi

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Luvi Odains erste Erinnerung an und in Loto waren Schmerzen und Kälte. Der Elf, der vor seinem Tod zur Zeit des „Großen Krieges“ als Magister am Hofe des Königs von Mino – Nekket von Troff I. – sein Tagewerk verrichtete, hatte die letzten gut neunhundert Sonnen mit seiner Familie in den Gefilden der auserwählten Gefallenen verbracht – frei von Kummer und jeglichem Leide. In dieser jenseitigen Welt meinten er, seine Frau und seine beiden Töchter – die schon lange vor ihm dort angekommen waren –, dass sie niemals mehr gezwungen seien wiederzukehren, sich der erbitterten Realität Lotos stellen müssten – geschweige denn, dass sie gewusst hätten, dass dieses etwas sei, zu dem er oder seine Frau oder die gemeinsamen Töchter überhaupt in der Lage seien: zurückzukehren in das Reich der Lebendigen und Lebenden, nachdem ihnen – ihm, Luvi Odain – alle Qual und Kummer genommen waren.

Er war gerade mit seiner Familie in den Gefilden beim Sonntagnachmittagspicknick, da traf ihn etwas wie ein sehr harter Schlag und er erwachte vor Kälte zitternd unter diesem Baum: Wie aus heiterem Himmel und aus tiefem Schlaf in Mino, dem Land der Elfen, erwachend, wusste der Magiemeister, dass er bereits vor langer Zeit gestorben war, verstand, dass er in einer anderen Zeit angekommen und die geliebten Seinen, drüben auf der anderen Seite, in den Gefilden der auserwählt Gefallenen, gerade schliefen. Der nackte Luvi fror entsetzlich, lautlos rieselte etwas Schnee von einem Ast des Baumes über ihn und auf sein langes, blondes und doch schütteres Haar.

Bar jeder Kleidung, ohne Auskommen oder sonstige weitere Hilfestellung zu Bewusstsein kommend, vernahm der Elf während des Aufwachens noch die Stimme seines zu früheren Lebzeiten alten Gefährten und Vertrauten, eines Engels namens Tahmoth. Mit einem einzigen Wort in der Sprache der Engel hatte ihm Tahmoth das Wissen über Bevorstehendes, welches zu erwarten, und was zu tun war übertragen. Wieder einmal bedrohte der „Dunkle Eine“ diese Welt, und: Wieder einmal wurde den Bewohnern und Bewohnerinnen Lotos eine schwere Unterrichtsstunde erteilt, die abermals auf den Umtrieben der Gottheit, welche früher als Mata bekannt war, fußte.

Der Magiemagister rekapitulierte sein Wissen aus der Zeit von vor knappen tausend Sonnen, überprüfte seine Fähigkeiten anhand zweier, dreier leichter Zauber – alles war noch so wie damals, bevor er verschied.

Hier und jetzt im Winter, hier in Mino, war es eisig, Schnee lag überall, so weit das Auge reichte. Da das zu verhindernde Treffen des Fürsten Serktat mit König Atuk erst im kommenden Herbst stattfinden würde, hätte Luvi also noch eine knappe Sonne hierfür Zeit. Selbst wenn Seiner Majestät Atuk nicht direkt, weder körperlich noch geistig, durch Fürst Serktat Gefahr drohte, war das Dilemma klar auf der Hand, denn um die Umtriebe Oraias zu unterbinden oder im Wesentlichen zu schwächen, durfte dieses Treffen vermeintlich niemals stattfinden, da Fürst Serktat danach strebte – auch wenn er sich dessen erst in den kommenden Tagen bewusst werden würde, weil es sich um in der Zukunft Stattfindendes handelte –, gleich, auf welch niederträchtige Art und Weise, Atuk zu schaden, dass der Weg für ein neues Desaster unter Oraia bereitet würde. Der Zauberer Luvi wusste, dass er also einen Weg finden musste, besagte Versammlung entweder zu verhindern oder so weit zu stören, dass der dunklen Kräfte Beweggründe zu keiner Übereinkunft kämen: Er musste also dem Schicksal ein Schnippchen schlagen, um die zu erwartenden Umstände in jedem Fall zu entkräften, sei es zuvor oder im allerschlimmsten Falle danach.

Luvi kannte den Urahnen Seiner Majestät Atuk, Onra, jenen tapferen Recken, der die Kraft und den Mut hatte, dem mythischen Drachenwesen, welches zum „Großen Kriege“ von Mata besessen war, das eigens dafür geschmiedete magische Schwert in sein schwarzes Herz zu stoßen. Ohne die Hilfe des sagenhaften Kristalles Loretium – jenes wunderbaren Reliktes, welches in die Klinge eingearbeitet worden war – wäre diese Tat übrigens niemals möglich gewesen.

Luvi klammerte seine Arme um seine nackten Schultern und schaute sich verbittert um – die Erinnerungen an seine zurückgelassene Familie, die für die Welt tot war, schmerzten ihn. Der Magiemeister fror erbärmlich, er hatte Hunger, er war nackt, und obwohl es seiner Zunft eigentlich so entspräche, verzichtete er darauf, sich mit einem entsprechenden Zauber die angebrachte Wärme zu verschaffen. Die Kälte schärfte seine Sinne und das war es, was er jetzt brauchte, denn: Mit seinen spitzen Ohren hörte er, dass sich in der Ferne vermutlich eine Kutsche oder aber mehrere Reiter näherten, und hastig sah er sich, hinblickend auf sein kommendes Vorhaben, nach einem notdürftigen Versteck um und wurde mit einem schneebedeckten Gebüsch fündig.

Noch immer rasten seine Gedanken, verbunden mit der Zeit vor neun Jahrhunderten, welche längst vorbei war, mehrfach sog er die kalte Winterluft ein und stieß sie anschließend hart aus; auch hier an diesem Ort hatten zur Zeit des „Großen Krieges“ blutige Gemetzel getobt, doch der Elfenmann musste sich nun auf das konzentrieren, was ihn unmittelbar erwartete: Wie es sich zeigen sollte, waren die Geräusche, welche Luvi vernahm, verursacht von vier Kutschenrädern und dem Traben ebenso vieler Pferde, die er allesamt bereits in ungefähr dreihundert Schritten Entfernung auszumachen meinen konnte. Das Gebüsch war nicht mehr weit von ihm entfernt und Luvi hastete dahinter, aus dem Blickfeld des Kutschers und seiner Gäste. Der Magier fühlte sich zum Kämpfen zu schwach – außerdem hatte er keine Waffe – und auch, da es ihm wie gestern erschien, dass er sich auf dem Schlachtfeld und auf den Schlachtfeldern tummelte, verließ er sich lieber auf die Hilfe Tahmoths. Während er nun verfroren hinter dem Gebüsch kauerte, aufmerksam die Sekunden rückwärts zählte, schätzte er ab, wann die Kutsche mit den vier Rössern an ihm vorbeifahren würde, und begann altvertraute Formeln zu rezitieren. Wie nun Tahmoth erschien und mit seinem Kommen die Zeit stillstand und der wiedergekehrte Magiemeister seinen Engel der Kriegsgottheit Hamor – ein Geschöpf der zweiten Hierarchie und zweier sehr verschiedener Elemente, nämlich Luft und Erde, mit langem, tiefschwarzem Haar und gewaltigen, scharlachroten Flügeln – nach so langer Zeit wieder erblickte, da hüpfte Luvis Herz vor Freude auf und ab.

„Nahezu vergessen und doch beinahe die schönste aller Freuden im tristen Dasein in der Welt der Materie“, grüßte der noch immer nackte seinen Geistgefährten – und das nicht zu früh, die Kutsche hatte gerade die Höhe seines Gebüsches passiert.

„Ganz schön frühzeitig, dass ihr meine Hilfe benötigt, mein Freund!“, donnerte Tahmoths Bass zu ihm. In seinem Antlitz war der Anflug eines Lächelns zu erkennen. Der Abgesandte Hamors war ein echter Hüne, sehr muskulös, und seine Schwingen waren ausgebreitet dreißig Schritte weit im Gesamten.

Der Elfenmagier nickte wie zur Bestätigung, deutete zitternd auf seinen baren Körper, während Tahmoth sich nun verbeugte und seine Flügel ausbreitete: „Ich habe die Zeit mit meinem Kommen für die Spanne von neunundsechzig Atemzügen angehalten. Mein Freund, sputet Euch!“

Der Engel trug einen Stirnreif aus Silber und besaß ein kunstvoll verziertes Breitschwert. Augenblicklich reckte er seinen Körper, dann flog er von dannen gen Himmel. Luvi schaute noch, wie der Gefährte verschwand, dann drehte er sich flugs um und betrachtete die Kutsche mit dem Kutscher – einem Elfenmann – und den vier grauen Pferden. Schneestaub war um die vier Fuß großen Räder der Kutsche erstarrt und die Rösser hatten mitten in der Bewegung innegehalten.

Weitere siebenundsechzig Atemzüge, dachte er, sich daran zu schaffen machend, die Kutschentür zu öffnen. Ich muss mich entschieden sputen. Luvi brauchte Kleidung zum Anziehen und sollte so weit mit dem Nötigen versorgt sein, käme die Zeit wieder in Gange.

In der Kutsche befanden sich zwei Menschen, ein fetter Mann und eine etwas verlebt wirkende, dennoch attraktive Frau – und ihrer beider Gepäck. Das Gewand des Kaufmannes würde mit Sicherheit passen und sicherlich würde der Zauberer auch einen ordentlichen Barbestand finden. Vermutlich Kaufleute, sann Luvi. Es hätte sie anderweitig schlimmer treffen können. Ich werde in jedem Fall ihre Leben verschonen …

Fast riss er hastig dem Menschenmann die Bekleidung vom Leibe – eine rote Hose aus Leder und ein dickes, weißes Hemd aus gutem Stoff –, wobei Luvi darauf achtete, nicht zu viele Atemzüge zu vergeuden, und weiter durchsuchte er die Taschen des Wamses des Dicken nach Silberlingen: Als er fündig wurde, pfiff er leise durch die Zähne: „Ungefähr 1500 Silberlinge Reisebörse, du musst mir echt ein betuchter Kaufmann sein!“

Fünfundvierzig noch verbleibende Atemzüge – und Luvi konnte dem Drang nicht widerstehen, er küsste die brünette Menschenfrau einfach auf die Lippen. Dann verließ er fluchtartig die Kutsche, wobei er die Tür hinter sich schloss. Schließlich brauchte der Elf einen kleinen Vorsprung und irgendwie musste er seine Flucht sichern – auch wenn seine Opfer von alledem nichts mitbekommen hatten, Magie war ihnen mit Sicherheit ein Begriff. Trotz des bestehenden Zeitdruckes blickte er sich so lange nachdenklich um, bis ihm eine Idee kam: Tatsächlich, der elfische Kutscher führte eine kleine Klinge mit sich, welche Luvi geschwind an sich nahm, und er durchtrennte die Verbindungen der Pferde zu dem Gefährt an den schwachen Stellen – physische Gewalt anzuwenden, erschien dem Magier sinnvoller als ein Zauber oder magischer Spruch, mit welchem er die Tiere möglicherweise hätte verletzen können.

Noch fünfzehn Atemzüge, pochte es in seinem Geist. Für einen Unsichtbarkeitszauber bin ich – gerade nach dem Herbeirufen Tahmoths – viel zu geschwächt. Das müsste ausreichen, damit sie mich nicht verfolgen können.

Mit dem Ausatmen des letzten Atemzuges war Luvi gerade dreihundert Schritte von der Kutsche und ihren Passagieren entfernt und er merkte noch, wie sich ein scharfer Blick in seinen Rücken zu bohren schien, doch schon hörte er nicht allein eine lautes Krachen und Geschrei, sondern auch das laute Wiehern von Pferden, die sich ihren Weg in die Freiheit brachen.

Leise kichernd, die energischen Fluchlaute des Kutschers registrierend, mit einem vorsichtigen, letztmaligen Blick hinter sich, verschwand der gewitzte Strauchdieb die Böschung hinab.

Echsenherz

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