Читать книгу Echsenherz - David Dour - Страница 21
Nogards Herkunft
ОглавлениеJa tatsächlich, einst war ich eine gewöhnliche Sterbliche, und: Mein geliebter Lamag und ich, wir waren ewiglich verliebt ineinander – doch dann kamen die Wirren der Umtriebe des aufkeimenden „Großen Krieges“, die Absicht und die Hilfen der Gottheiten, seine List und sein Versagen gegenüber dem mythischen Drachenwesen. Lange noch bevor sich der „Große Krieg“ dem Ende näherte, war ich von zerstörerischer, dämonischer Kraft besessen, jedem Zauberer und jeder Magierin des Festlandes überlegen, und nur dank der Götter und Göttinnen blieb ich ein freies Wesen. Mein damaliger Geliebter wurde von den Gottheiten in die Einsamkeit verbannt, weil er seiner Schwäche zu Schulden gemäß nicht für mich einstehen konnte – seine Strafe sollte für immer gültig sein. Als die Hexe, die aus mir wurde, flocht ich den Bann um Auroria und ihren geliebten Hyrus, um mein Fleisch und Blut zu schützen und zu dem mir zustehenden Recht zu gelangen. Mein Volk und ich hatten gute neunhundert Sonnen Zeit, das Reich unterhalb der Meeresoberfläche zu errichten, und somit wurde es schön. Die insgesamt vier Dutzend Männer und Frauen, welche mit mir von Land gingen – aus jeder Rasse stammten sie –, die mir absolut vertrauten, waren die Grundlage für die zahlreiche Bevölkerung der Meere von heutzutage. Sie alle sind mir freiwillig ins Meer gefolgt und niemand wusste, was sie erwarten würde – angebiedert und auch angewidert von dem Leben an Land und seiner scheinheiligen Moral. Im Gegensatz zu meinem Geliebten, welcher der Sterndeuterei nachging, hatte ich mich niemals für die Magie interessiert, sie tatsächlich mehr wie einen Fluch statt als Segen geschaut – nur allzu häufig.
Die Meerhexe Nogard nahm in dem königlichen Gemach auf ihrem Thron aus schwebenden Perlen Platz und bürstete ihr schwarzes Haar, das bis zum Boden reichte. Auroria, ihre gemeinsame Tochter mit Lamag, hatte über all die Zeit hinweg in dem Glauben zu Hofe gelebt, sie sei die Tochter der verstorbenen Magd Gestra gewesen und hätte deswegen freies Gastrecht in den königlichen Hallen. Es war niemand da gewesen, der Auroria hätte erklären können, dass ihre seit Jahrhunderten bestehende Jugend nicht gewöhnlich sei und dass Wassermenschen – gleich, ob sie ihre Herkunft bei den Menschen, Zwergen oder Elfen hatten – auch altern und sterben können. Fürwahr, Auroria lebte in dem Glauben am Hofe ihrer Mutter, dass kein Lebewesen den Tod kannte oder dass beim Versterben die Toten einzig fortgegangen seien. Die Meerkönigin liebte ihre Tochter, ihr Handeln sollte zu ihrem Schutze dienen, um niemals den Schmerz teilen zu müssen, der ihre Mutter Nogard einst ereilt hatte.
Doch die Zeit hatte sich geändert, forderte ihren Tribut, und auch wenn die Meerkönigin Lamag Nacht für Nacht in ihren Träumen bei sich zu fühlen glaubte, in Anbetracht der Geschicke Fügung und des Wiedererstarkens der Gottheit Mata als Oraia sah sie ihr Handeln als gerechtfertigt. Auch in der kleinen Ewigkeit nach dem „Großen Krieg“ war es tatsächlich Nogards beständiges Streben gewesen, in der Lage zu sein und zu bleiben, die Umtriebe jenes Versuchers als das einzuschätzen, was sie waren.
Die Meerhexe mit dem bis zum Boden reichenden, schwarzen Haar und der blütenweißen Haut fuhr sich mit ihren sehr feingliedrigen Fingern über das Gesicht, hätte sich den Schweiß von der Stirn gewischt, wäre sie nicht unter Wasser gewesen. Durch ihren machtvollen Zauber von einst herrschten für die Ihrigen hier unten eigene Gesetzmäßigkeiten, fast wie an Land, und doch wurde für jeden von ihnen der Traum vom Fliegen auf die eine oder andere Art und Weise Wahrheit.
„Danke“, sprach sie eintönig zu der Bediensteten, die ihr ein Glas Algengelee reichte. Diese Magd, tatsächlich eine Nachfahrin der Menschenfrau Gestra, war eine beflissene junge Frau und eine verständige Ratgeberin. Auch wenn sie mit ihren knappen zwanzig Sonnen einfach nicht mit Nogards, ihres Alters Weisheit mithalten konnte, schätzte Feras es jedoch, die Königin zumindest zu erheitern zu versuchen: Feras kannte Nogard, wenn sie zürnte, sich das Licht der kostbaren Kristalllichten um sie und im weiten Umkreis herum verfinsterte – und Knochen brachen. Jedefrau und jedermann, welche oder welcher die Gnade erworben hatte, am Hofe der großen Hexe der Meere zu dienen und sich ein Anrecht auf Unsterblichkeit verdingen zu dürfen, kannte die Königin als in ihrer Rage grausam und in ihrer Güte bescheiden; wer aber – meistens Frauen – die zehnjährige Dienstzeit überlebte, durfte sich der Gewissheit glücklich schätzen, niemals mehr altern oder sterben zu müssen – jedoch mit all den Narben. Der Dienstmagd Feras fehlte nun die linke Hand, wurde sie doch von einem von Nogard befohlenen Geist dabei ertappt, wie sie vor drei Monden aus einem Glas mit eben besagtem Algengelee naschte. Niemals hatte Nogard bei Entlassung ihrer somit siegreichen und ehemals erlesenen Dienerinnen und Dienern – Bediensteten – Wunden oder Verletzungen Kraft ihrer nahezu allmächtigen Magie wiederhergestellt – und hinter ihrem Palast türmten sich die Schädel und verblichenen Gerippe von Jahrhunderten der Lügner und Ungehorsamen.
Zitternd verbeugte sich Feras vor Nogard, versuchte in ihrer Angst vor der Meerkönigin Nogard zumindest die Fassade von Gelassenheit zu bewahren, doch in ihrem Wissen und in ihrer Kenntnis darüber, dass die Gefahr an diesem unsäglichen Ort nicht einzig von der Königin und ihrer Fähigkeit, direkt in ihren Geist zu schauen, sondern auch von besagten Geistern ausging, betete die Magd jeden möglichen Moment mit geschlossenen Augen zu den Gottheiten. Sie, die Nachfahrin von Gestra, arbeitete erst seit einer Sonne zu Hofe, neun weitere würden folgen müssen, wollte sie von Nogards Blut kosten und den Preis der Unsterblichkeit erringen dürfen. Doch in Feras hatte es keine Missgunst, Ablehnung oder Hass gegenüber der grausamen Hexe, da das wohlbehütete Geheimnis ihrer eigenen magischen Befähigung es ihr ermöglichte, Anteil an Nogards immer keimendem Schmerz zu haben – und die Herrscherin insgeheim zu bedauern, auch trotz dass sie ihr Leben verlieren würde, wenn die Königin von dem Talent und der Empfindung ihrer Magd erfahren würde.
Im Reich der Meerhexe war von allem im Überfluss geschaffen, es hatte sogar keinerlei Krankheiten – und kein Wesen war gezwungen, der Königin zu dienen oder ihr zu begegnen, somit wusste jede und jeder zu Hofe von vornherein, worauf Mensch, Elf oder Zwerg unter Wasser sich einließen, wollten sie ewiges Leben erlangen.
Feras verschwand aus dem Blickfeld der Meerkönigin, begab sich auf ihre Stube, für heute war ihr Dienst verrichtet: Sie würde in den neun verbleibenden Sonnen wie im Zeitraum zuvor keine Pause und keine Rast machen können, fortwährend müsste sie, bis auf das Fünftel der Zeit eines Tages Ihrer Majestät zu Diensten sein. So hatte die Magd sich darum bemüht, ein beständiges Band zu den Gottheiten durch leises Beten zu errichten, und ihren Passus flüsternd, schloss sie die Tür zu ihrem Gemach hinter sich zu.