Читать книгу Der Serienmörder von Paris - David King - Страница 12
ОглавлениеICH BIN EIN KENNER DER MENSCHLICHEN BESTIMMUNG UND ALL IHRER MYSTERIEN, GLAUBEN SIE MIR. NEHMEN SIE IHRE CHANCE WAHR. SIE LIEGT DIREKT VOR IHNEN.
(Jean Cocteau, An die jungen Schriftsteller, La Gerbe, 5. Dezember 1940)
Nur einen Steinwurf von Petiots Appartement in der Rue Caumartin entfernt lehrte Jean-Paul Sartre am Lycée Condorcet Philosophie. Die Veranstaltungen fanden während des Semesters an dreieinhalb Wochentagen statt. In der vorlesungsfreien Zeit genoss Sartre die Ruhe in einem der zahlreichen Cafés der Stadt. Im Frühjahr 1944 ließ er sich gerne in dem kaum bekannten Café de Flore im Viertel Saint-Germain-des-Prés blicken, das er schon früh am Morgen aufsuchte. Er setzte sich dort an seinen Tisch im hinteren Teil der zweiten Etage. Der kleine Mann mit schon schütterem Haar und einer Brille nahm in einem roten Stuhl Platz, zog an der Pfeife und raste mit dem Füllfederhalter förmlich über das Papier, um seine Gedanken in kleinen, zierlichen Buchstaben festzuhalten. Wegen des Kriegs gab es nur wenig Tabak, und so unterbrach Sartre zeitweise das Schreiben, um vom Boden Zigarettenkippen aufzusammeln und sich die Pfeife zu stopfen.
Am anderen Ende des Raums, neben dem Ofen an einem Mahagonitisch mit einer marmornen Steinplatte, saß seine Freundin und Geliebte Simone de Beauvoir. Die beiden hatten sich absichtlich jeweils ihr Territorium an den entgegengesetzten Enden des Café abgesteckt, um sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Zur Mittagszeit machten sie eine kurze Pause zum Essen, das sie in Beauvoirs Eckwohnung im dritten Stock des La Louisiane an der Rue de Seine einnahmen. Es war nun wirklich keine Überraschung, dass die beiden unaufhörlich miteinander kommunizierten.
„Mir wurde klar“, sagte Beauvoir einmal, „dass ich es, selbst wenn uns Zeit bis zum jüngsten Gericht zur Verfügung stünde, immer noch als zu kurz empfinden würde.“
Sartre stand am Anfang einer äußerst produktiven Phase, die ihn schließlich auf den Zenit seines intellektuellen Ruhms beförderte. Im Sommer 1943 hatte er sein Monumentalwerk Das Sein und das Nichts veröffentlicht, eine im Original 722 Seiten starke philosophische Abhandlung über Freiheit und Verantwortung, die sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit zu einer Sensation entwickeln sollte. Anfangs traf das Werk allerdings kaum auf Widerhall. Nur eine einzige Besprechung erschien, und zwar in René-Marill Albérès’ Etudes et Essais universitaires. Sartres Freund Jean Paulhan witzelte gerne darüber, dass man den dicken Schinken gut als Gegengewicht beim Wiegen von Früchten oder Obst einsetzen konnte.
In jenem Sommer hatte Sartre sein erstes Theaterstück Die Fliegen vollendet, das man im Theater Sarah Bernhardt aufführte, welches während der Besatzungszeit durch die Nazis im Rahmen der Arisierung in Theatre de la Cité umbenannt worden war, um jegliche Referenz an das Judentum auszumerzen. In dem Stück belebt Sartre den Mythos um das Haus von Atreus: Der junge Orest kehrt nach langer Abwesenheit nach Argos zurück, das eine Plage heimgesucht hat. Die Stadt leidet unter der tyrannischen Herrschaft von Ägist, der seinen Vater ermordet und die Mutter als Geliebte genommen hat. Orest nimmt Rache, ermordet den verhassten Besetzer und befreit die Stadt von ihrem Fluch. Das Stück ist eine gelungene Anspielung auf die Besetzung von Paris, wirkte aber durch den historischen Handlungsort Griechenland unverfänglich genug, so dass es die Zensur problemlos passierte.
Der Premierenabend wurde wegen der Stromrationierung auf den Nachmittag des 2. Juni 1943 verlegt. Sartre stand gerade in der Theaterlobby, als ein gutaussehender, elegant gekleideter junger Mann mit grün-grauen Augen auf ihn zuging und sich vorstellte. Es war Albert Camus, der 29-jährige Schriftsteller, der im vorhergehenden Jahr sein Erstlingswerk, einen Roman mit dem Titel Der Fremde, veröffentlicht hatte. Camus hatte seine Heimat Algerien im März 1940 verlassen, um sich in dem in den Bergen gelegenen Sanatorium Le Panelier nahe Le Chambon in Vichy wegen seiner Lungentuberkulose behandeln zu lassen. Im November 1942 sah er sich plötzlich mit der Rolle eines Schiffbrüchigen auf einer einsamen Insel konfrontiert, da die Alliierten in Nordafrika gelandet waren, woraufhin die Deutschen die unbesetzte Zone einnahmen.
Sartre hatte Der Fremde in einem größtenteils positiven Essay mit einer Länge von 6.000 Wörtern besprochen. Tatsächlich war er einer der ersten, die den Text vorstellten, abgesehen von den Besprechungen von Camus’ Freunden oder den Artikeln, die in den Zeitungen erschienen, die sein Verleger Gallimard besaß. Die beiden Denker Sartre und Camus teilten viele Interessen, von der Literatur bis zu Fragen der sozialen Gerechtigkeit, der Freiheit und dem Thema des Absurden. Laut Berichten von Simone de Beauvoir brach das Eis aber erst vollständig, als die beiden über das Theater diskutierten. Sartre schrieb gerade an einem neuen Stück, das den Titel Geschlossene Gesellschaft trug, und er wollte Camus als Schauspieler und Regisseur verpflichten. Sartre bestand förmlich darauf.
Die Proben begannen an den Weihnachtstagen 1943. Camus stieß häufig zu Sartres Zirkel im Café de Flore, und die Freundschaft der beiden Männer wurde schnell so eng und intim, dass sich bei Beauvoir Eifersucht regte. Später erzählte sie von ihren Sorgen, da Sartre, „der am ausgeprägtesten heterosexuelle Mann, den ich kenne“, so schnell dem Charme eines Fremden verfiel. „Wir verhielten uns wie zwei Hunde, die um einen Knochen kreisten“, kommentierte sie die Beziehung zu dem Rivalen Camus. Beauvoir erwähnte jedoch nicht, dass auch sie sich zu Camus hingezogen fühlte und ihn sogar einmal zu verführen versuchte, was allerdings auf schroffe Ablehnung stieß. „Stell dir mal vor, was sie wohl danach im Bett gesagt hätte“, entfachte Camus die Phantasie seines Freundes, des Autors Arthur Koestler.
In diesem Frühling sah man Sartre, Camus und Beauvoir oft im Restaurant Catalan an der Rue des Grands-Augustins, manchmal auch an einem Tisch mit ihrem neuen Freund Pablo Picasso. Trotz vieler Einladungen, ins nicht besetzte Ausland zu gehen, zog der Künstler sogar während der deutschen Besatzung den Aufenthalt in Paris vor, wo er in seinem zweistöckigen Studio im berühmten Künstlerviertel an der Rue Saint-Augustin malte. Der 62-jährige Picasso war ganz von seiner Arbeit eingenommen – und von Frauen, die ihn quasi umzingelten, darunter seine neueste Eroberung, die 22-jährige Malerin Françoise Gilot.
In den Augen der Nazis war Picasso ein hochverdächtigter Künstler. Er hatte während des Bürgerkriegs die spanische Republik unterstützt, für sie Geld gesammelt und mit seinem Werk Traum und Lüge Francos, einer Sammlung von Bildtafeln und einem Gedicht, Karikaturen des Militärdiktators veröffentlicht. Er kommentierte den deutschen Luftangriff mit Feuerbomben auf die baskische Stadt Guernica am Nachmittag des 26. Aprils 1937 auf einer 27 Quadratmeter großen Leinwand und zog damit die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf die Tragödie. Das Monumentalgemälde trug als Titel den Namen der Stadt. Hitler ließ den Maler natürlich auf die Liste mit den Protagonisten der sogenannten entarteten Kunst setzen, woraufhin die Nazis alle seine Ausstellungen in Paris verboten.
Sogar die französische Polizei legte ein umfangreiches Dossier über den spanischen Maler an, das erst im Jahr 2003 entdeckt wurde, als Moskau 140 Pappkartons voller Dokumente an die französische Regierung übergab. Die Russen konfiszierten das Archiv 1945 von den Deutschen, die es nach der Besetzung von Paris 1940 an sich gerissen hatten. Wie die Historiker aus den Quellen erfuhren, beantragte Picasso 1940 die französische Staatsbürgerschaft, was man wegen des Verdachts ablehnte, er sei Anarchist oder Kommunist oder würde zumindest dementsprechende politische Sympathien hegen. „Er hat kein Recht auf eine Einbürgerung“, schrieb ein Beamter auf das Formblatt, „und sollte aus Gründen der nationalen Sicherheit sogar als verdächtig eingestuft werden.“
Picasso erzählte noch nicht einmal den engsten Freunden von dem Antrag. Allerdings offenbarte er seine Ängste. Picasso befürchtete, dass seine Aufenthaltsgenehmigung ablaufen könnte. Er wollte unter keinen Umständen in ein von Franco regiertes Spanien zurückkehren. Der Künstler hatte Glück, denn es schaltete sich schließlich ein mit ihm sympathisierender Polizeibeamter ein. Maurice Toesca schrieb im September 1943 in sein Tagebuch: „Hochgradig illegal. Ich habe seine Aufenthaltsgenehmigung um drei Jahre verlängert.“
Während der Besatzungszeit suchten die Deutschen Picasso häufig auf. Jedoch handelte es sich nicht – wie viele Gerüchte besagten – um SS-Männer, die angeblich seine Bilder mit Messern zerschlitzten, sondern um hochrangige Nazis, die seine Kunst liebten und schätzten. Leutnant Gerhard Heller vom Referat Literatur der Abteilung Propaganda zählte etwa zu den regelmäßigen Besuchern. Er hatte im Januar 1942 den Posten übernommen und beschäftigte sich vorrangig mit Zensur. Eines Tages machte er eine Pause und verließ das Büro an den Champs-Élysées, in dem sich Manuskripte in Regalen, auf Tischen und Stühlen und sogar auf dem Boden stapelten. Mit vor Aufregung klopfendem Herzen erklomm er die Wendeltreppe zu Picassos Studio, wobei er sich auf eine weitere Gelegenheit freute, das berüchtigte Beispiel für moderne „entartete“ Kunst bei der Arbeit zu beobachten.
Wie gewöhnlich experimentierte Picasso mit Farben, verschiedenen Materialien und Formen. Zusätzlich zu den Holzschnitten und Tuschezeichnungen malte er auf Pappe, Streichholzschächtelchen, Zigarettenschachteln und sogar Lebensmitteln wie Brot, was natürlich für seine kreative Bandbreite stand, aber auch aus der Not heraus geboren wurde, denn wegen des Kriegs herrschte ein frappierender Mangel an Leinwand. Viele Objekte der Bilder – Würste, Lammkeulen, große und prächtige Büfetttische oder auch ein leerer Kochtopf – reflektieren die vornehmlichen Gedanken und Schwierigkeiten, mit denen sich auch ein Künstler auseinandersetzen musste. Zeitweise erinnern die Bilder an die Todeshände und die grotesken Monstren der frühen Tage des Kubismus. Sogar Picassos Farbwahl – meist schwarz, grau oder beige – schien die triste Stimmung der Besatzung widerzuspiegeln.
Sartre, Camus, Beauvoir und die literarische Welt des „Rive Gauche“, des sogenannten linken Seine-Ufers, bereiteten sich alsbald auf ein einzigartiges Stück vor, das am 19. März 1944 uraufgeführt werden sollte. Pablo Picasso hatte es geschrieben. Die Nazis hatten ihm zwar Ausstellungen in Paris verboten, sich jedoch nicht zu Theatervorstellungen geäußert …
Nach der Stippvisite in Villeneuve-sur-Yonne erreichten Massu und seine Kollegen Auxerre am Montag, dem 13. März, um ca. 13 Uhr. Auf der Fahrt hatten sie bei einem Restaurant am Wegesrand Halt gemacht, wo man ihnen wegen der Lebensmittelrationierungen nur eine recht dünne Speisekarte vorlegte. Mit einem witzelnden Unterton beklagten sich die Ermittler über die Schwierigkeiten eines Polizeibeamten, seine Essenskarten auf dem Schwarzmarkt zu Geld zu machen.
Nachdem sie den Kaffee oder besser gesagt die „geröstete Gerste“ getrunken hatten, suchten die Pariser Detektive die Polizeiwache auf, informierten die Kollegen über den Grund ihres Auftauchens und sicherten sich gleichzeitig Verstärkung zur Beobachtung der Bahnhöfe und Quais im Hafengebiet, um ein Entkommen der Eheleute Petiots zu verhindern, die sich offiziell „auf der Flucht“ befanden.
Das Haus an der Rue des Lombards, dessen Adresse auf dem in Paris gefundenen Zettel stand, war unter dem Namen von Marcel Petiots jüngerem Bruder Maurice, dem einige Häuser gehörten, im Katasteramt gelistet. Er lebte aber trotzdem mit seiner Frau und den beiden Kindern, der 13-jährigen Ghylaine und dem achtjährigen Daniel, in einem eher kleinen Appartement über einem Geschäft für Elektroartikel in der Rue du Pont Nummer 56. Ein dritter Minderjähriger wohnte zu dem Zeitpunkt bei der Familie – Gérard, der Sohn von Marcel und Georgette Petiot, der das nahegelegene Lycée Jacques Amyot aus dem 16. Jahrhundert besuchte. Wie die Pariser Polizei feststellte, war die Adresse der Wohnung auf besagtem Zettel zuerst notiert, danach aber wieder ausradiert worden. Die Ermittler wären am liebsten augenblicklich in den Räumlichkeiten vorstellig geworden, doch sie überprüften zuerst Maurice Petiot, einen 37-jährigen gelernten Elektriker, der auf dem Foto wie eine größere, dunklere und besser aussehende Version seines älteren Bruder aussah. Maurice hatte einige Jahre mit finanziellen Problemen gekämpft und letztendlich Insolvenz angemeldet. Erst seit kurzem schien ihm das Glück hold zu sein. Das Geschäft lief hervorragend, und er hatte damit begonnen, sein Geld in Immobilien in der Region anzulegen.
Als die Polizei den Laden betrat, in dessen Regalen eine Vielzahl von Radios und Elektroartikeln stand, die aufgrund der Popularität von BBC und Radio Berlin heißbegehrt waren, trafen sie Maurice Petiot nicht an. Seine Frau, die 31-jährige Marie Angèle Le Guyader Petiot, auch Monique genannt, empfing die Beamten freundlich und hilfsbereit. Sie erlaubte ihnen, sich im Geschäft und auf dem Gelände ohne einen Durchsuchungsbefehl umzusehen. Monique erklärte sich auch bereit, die Ermittler zum Haus in der Rue des Lombards zu führen, das nur drei Blocks entfernt lag.
Massu und sein Team fanden kein normales Haus vor, sondern ein kleines Château. Es stand auf einem Hügel. Man betrat es durch ein prunkvolles schmiedeeisernes Tor. Vor den Fenstern waren kunstvoll verzierte Gitter angebracht. Das Anwesen verfügte über einen Labyrinth-ähnlichen Keller mit zwei langen Korridoren, die sich in eine Reihe römisch anmutender Katakomben erstreckten. Wie konnte sich Maurice Petiot solch ein prunkvolles Anwesen leisten? Der Geschäftserlös aus dem Radio- und Elektrowarenhandel hätte niemals zur Finanzierung gereicht. Monique erklärte, dass das Gebäude von ihrem Schwiegervater Felix Petiot erworben worden war, und zwar unter dem Namen des Sohnes Daniel.
Ihrer Aussage nach bewohnte niemand das Anwesen. Und tatsächlich – trotz der prachtvollen Außenfassade war es im Inneren staubig und unaufgeräumt. Zersplitterte Paneelen und in einer Ecke aufgestapelte Möbel erinnerten auf eine befremdliche Art an die Rue Le Sueur. Auch im oberen Stock ähnelten die Verhältnisse wegen des unbewohnten Zustandes an das Pariser Haus. Allerdings fand sich dort, wie es Pierre Malo vom Le Matin später beschrieb, „die wohl außergewöhnlichste Sammlung von Kunstgegenständen und Müll, die man sich nur vorstellen kann“. Allerdings war das Anwesen nicht wirklich gänzlich unbewohnt, wie Monique Petiot behauptet hatte.
In einem kleinen Raum neben der Treppe im ersten Stock stand ein Bett mit zurückgeworfener Decke und eindeutig benutztem Laken. Massu erkundigte sich, wer denn hier geschlafen habe. Waren es womöglich Marcel oder Georgette Petiot? Monique schüttelte den Kopf und behauptete, es sei ein Freund der Familie gewesen, ein 47-jähriger Geschäftsmann, der eigentlich in Courson-les-Carrières lebte, einer kleinen Stadt ungefähr 15 Kilometer südlich. Sie hatte vergessen, ihn zu erwähnen.
Die Inspektoren machten sich zur Bestätigung der Aussage auf die kurze Fahrt zu dem kleinen Ort. Neuhausen, ebenfalls Elektroartikel-Händler, gab zu, Maurice und Monique Petiot zu kennen. Und ja, er habe dort vor kurzem übernachtet, wie immer, wenn er den Zug nach Paris nehme.
Doch Neuhausen verriet ihnen noch mehr. Obwohl er Dr. Petiot nicht gut kannte und keinesfalls Informationen zu seinem Verbleiben hatte, gab er zu, den Mordverdächtigen am 1. März, einem Samstagmorgen, gesehen zu haben. Neuhausen hielt sich wegen geschäftlicher Angelegenheiten in Paris auf, und um Monique einen Gefallen zu erweisen, hatte er sich um ungefähr 11 Uhr in die Rue Caumartin begeben und ein Paar Schuhe für Gérard abgeholt.
„Wir unterhielten uns über Belangloses“, meinte Neuhausen. „Der Doktor gab mir die Schuhe für seinen Sohn, und ich verließ die Wohnung ungefähr 15 Minuten später.“ Er nahm später dann nach eigener Aussage den Zug um 17.20 Uhr und erreichte Auxerre um 21.40 Uhr. Ursprünglich beabsichtigte er, mit dem Fahrrad nach Hause zu fahren, doch da es regnete, entschied er sich, in der Rue des Lombards zu übernachten, genau so, wie Monique es gesagt hatte. Er erklärte den Ermittlern, dass das alles sei, was er sagen könne.
Am Dienstag, dem 14. März, fiel einem der Ermittler eine attraktive Frau mit einer schwarzen Bluse und einem Persianer auf, die einen teuren gelben Lederkoffer bei sich führte. Sie stand am Bahnsteig in Auxerre und wartete auf einen Zug. Die schlanke und zierliche Frau hatte tiefbraune Augen und schulterlanges schwarzes Haar. Einige Löckchen fielen ihr ins Gesicht. Nur vier Monate trennten sie von ihrem 40. Geburtstag, doch sie wirkte wesentlich jünger. Als die Polizisten an sie herantraten, stritt sie ihre Identität nicht ab. „Ich habe nichts verbrochen“, protestierte Georgette Petiot, bevor sie auf dem Bahnsteig in Ohnmacht fiel. Zwei Gendarmen trugen sie aus dem Bahnhof. Ein junger Mann half der Polizei, doch er weinte unentwegt. Es war ihr Sohn Gérard.
Massu wurde unverzüglich von der Verhaftung in Kenntnis gesetzt und kehrte zur Polizeiwache in Auxerre zurück. Man brachte Georgette zu seinem Wagen, wo schon ihr Schwager Maurice saß, den man am vorhergehenden Abend festgenommen hatte, als er aus den naheliegenden Dörfern Cheney und Joigny zurückkam. Georgette legte aufgelöst den Kopf auf seine Schulter. Ihr „stoßartiges Schluchzen“ war das einzige Geräusch, das die Stille auf der Fahrt nach Paris störte.