Читать книгу Copacabana - Dawid Danilo Bartelt - Страница 3

Einleitung: Copacabana urbi et orbi

Оглавление

Vielleicht ist es der Klang. Copacabana, das ist Musik in Farbe. Copacabana, das klingt wie ein überdimensionierter Frucht-Eisbecher, wie Freizeit und Erfrischung, wie Trommeln im Tropenwind. Co-pa-ca-ba-na, das ist Rhythmus pur, die Aussprache ist fast zwangsläufig perkussiv. Copacabana ist eine Exotismus-Bezeichnung, wie sie kein Werbefachmann besser hätte erfinden können. Copacabana, das klingt wie die Kitsch-Version seiner selbst.

Überall auf der Erde ist Menschen dieser Klang vertraut. Wenn sie »Copacabana« hören, gehen ihnen Worte und Bilder auf, viele assoziieren Brasilien oder Rio de Janeiro oder beides, und viele einen Strand. Das hat sich auch nach mehreren Jahrzehnten nicht geändert. Copacabana ist ein imaginäres Einfallstor nach Brasilien und zur modernen Freizeitwelt. Dieses Stückchen Erde mit gerade mal viereinhalb Kilometern Strand und weniger als acht Quadratkilometern Fläche verdichtet sich zu einem wirksamen Bild, das ein in Deutschland erschienener Strandführer Brasilien so formuliert: »Über ganz Brasilien, so scheint es, klebt eine schwere Wolke aus Erotik, Hitze, Abenteuer und Musik.«

Doch als bloßes Klischee ist Copacabana missverstanden. Copacabana ist zwar ein Strand, ein Badeort und ein Teil Rios – und doch viel mehr als das. Die Copacabana gehört zum Kreis weltweit bekannter und nach allen Seiten anschlussfähiger Erhabenheiten. Sie ist eben nicht nur Touristenmagnet, sondern eine Ikone der brasilianischen Eigen- wie Fremddarstellung. In Copacabana haben sich Idealvorstellungen von schönen Körpern und einem guten Leben verdichtet, es ist, um es kurz zu machen: ein Sehnsuchtsort.

Die Entwicklung Copacabanas dient als Erzählung von einer Moderne, die ihrer Welt einmal voraus zu sein schien. Copacabana ist der narrative Quell, aus dem die cariocas (Einwohner von Rio) und die Brasilianer Sinnhaftes über sich selbst schöpfen, und zwar unabhängig davon, ob alle Fakten stimmen. Mehr noch: Die elegante Kurve der Bucht, die nicht nur Oscar Niemeyers Architektur inspirierte, hat schon früh ihren verheißungsvollen Schwung über die Landesgrenzen hinaus fortgesetzt.

In diesem Sinne ist Copacabana gleichzeitig ein lokaler, nationaler und universaler Mythos. Copacabana gibt der Stadt Bedeutung und dem Erdkreis eine Sehnsucht. Copacabana urbi et orbi.

Solche mythischen Orte haben ein Werden, Reifen und manchmal auch ein Vergehen. Sie haben eine Biographie. Und so versammeln sich hier Geschichte und Gegenwart eines Strandes und des gleichnamigen Viertels. Wie wurde aus einem fast unbeschriebenen Gestade ein Strand, eine Stadt und in der Verbindung dieser beiden ein weltweiter Sehnsuchtsort, der heranwuchs, blühte und verblühte, aber nie ganz verging?

Vor kaum mehr als hundert Jahren war Rio de Janeiro schon weltweit bewunderte Hauptstadt, Copacabana aber nur zu Fuß und unter Mühen zu erreichen; eine Wildnis hinterm Berg, ein Fischerdorf. Eine Felsenkette trennte Copacabana von der Stadt, die große Angst der Europäer vor dem Meer versagte den Menschen die Lust am Strand. Mit einem Tunnel als Geburtshelfer gebar der Fels den Mythos. Das Meer verlor seinen Schrecken und zog Copacabana in kurzer Kindheit zum Anziehungspunkt einer selbsternannten »Neuen Aristokratie« groß, begeistert beklatscht von den ausländischen Reisenden, die immer öfter auf Besuch kamen und ab 1923 im Copacabana Palace eine Bleibe fanden. Während die Stadtväter Rios das alte koloniale Zentrum niederrissen, entstanden die ersten Favelas, auch auf den Hügeln Copacabanas. Fast so häufig wie die mondänen Badegäste wechselte Copacabana nun seine Garderobe aus Stein, Marmor und immer mehr Beton. Ab 1950 wurde der Platz knapp zwischen Meer und Fels, Preise und Gebäude schnellten in die Höhe. In Kunst und Architektur entwickelte Brasilien eine »andere Moderne«, die sich von ihrer europäischen Herkunft und deren Einfluss immer mehr löste. Kein anderer Ort hat dies so konsequent umgesetzt wie Copacabana.

In den späten 1930er Jahren schienen bereits Bretter auf dem Sand auszuliegen: Der Strand wurde zum Laufsteg und zur Bühne, auf der die Elite Copacabanas den gebräunten Teint und den trainierten Körper zum gesellschaftlichen Wert und Distinktionskriterium erhob.

In seiner Reife brachte Copacabana eine neue Musik und eine neue Körperkultur hervor. Bikini und Bossa Nova sind in ihrem weltweiten Siegeszug aufs Engste mit Copacabana und dem Flair seines Viertels verknüpft.

Doch der Strand ist ein eminent politischer Raum, durchzogen von sichtbaren und weniger sichtbaren Beziehungen und Konflikten, ein wahrer sozialer Mikrokosmos. Zum Bild des Sehnsuchtsorts gehört, dass sich am Strand Demokratie und Gleichheit verwirklichen – in einem Land, dessen Einkommens- und Chancenverteilung zu den ungerechtesten der Welt gehören. Der begüterte Bankier liegt neben dem Straßenjungen im Sand, wirft sich in dieselbe Welle wie seine Hausangestellte, die hinter seiner Küche in einem fensterlosen Verschlag wohnt und, wenn überhaupt, 250 Euro Mindestlohn bezieht. Der Strand von Copacabana ist in jedem Fall nicht nur Arbeitsplatz für Hunderte.

Der Sehnsuchtsort ist gealtert, und sein makelloses Bild hat Falten bekommen. Wirklich jung sind vor allem die Prostituierten beider- oder dreierlei Geschlechts, die auf der Avenida Atlântica anschaffen. Die Dichte von Geschäften für orthopädischen Bedarf und Tiernahrung verrät viel über die Altersstruktur des Viertels, das heute – Ironie der Geschichte – zu den traditionellen Quartieren der Stadt gezählt wird.

Die Zukunft des Viertels liegt wohl in den Favelas, wo Zehntausende auf den Hügeln rings um die berühmte Konkave der Bucht wohnen. Der Drogenhandel ist dort durch die neuen »Befriedungseinheiten« der Polizei vorläufig vertrieben worden. Schon haben die ersten Jugendherbergen und Pensionen eröffnet. Und so mancher der Favela-Bewohner hat mehr Einkommen als die da unten in den winzigen Apartments von Copacabana – und mehr Platz. Und wird dennoch vermutlich bald den explodierenden Immobilienpreisen weichen müssen. Denn wer weiß, wie lange noch in Rio die Armen auf der Höhe wohnen, mit dem besten Ausblick?

1934 schrieb der Musiker André Filho für den bevorstehenden Karneval einen Marsch: Rio, Cidade Maravilhosa – Rio, Wunderbare Stadt. Der Marsch wurde ein Hit und zählt bis heute zu den meistgespielten Karnevalsliedern in der Stadt. Als 1960 die Hauptstadt von Rio de Janeiro ins nagelneue Brasília verlegt wurde, wurde Rio, Cidade Maravilhosa zur offiziellen Hymne der Stadt erklärt. »Wunderbare Stadt, tausendfach entzückst du uns, Wunderbare Stadt, Herz meines Brasiliens!«, lautet der Refrain. Zusammen mit der Christusstatue auf dem Corcovado und dem Postkartenmotiv Zuckerhut bildet Copacabana eine Art Dreigestirn des Wunderbaren. Sehnsüchte von Touristen aus aller Welt richten sich an ihm aus, und die Tourismusindustrie der Stadt an ihm auf.

Wo anders als am Strand von Copacabana hätten also Anfang Oktober 2009 zwei Tage lang die größten Jubelfeiern stattfinden können, nachdem Rio de Janeiro den Zuschlag für die Olympischen Spiele 2016 erhielt? Tausende verfolgten die Entscheidung auf einer Riesenleinwand. Wo gaben die Rolling Stones 2006 das größte kostenlose Open-Air-Konzert der Geschichte vor rund 1,5 Millionen Menschen? Copacabana feiert für das Land.

Copacabana ist Rio, und Rio ist Brasilien, diese Gleichung gilt bis heute. Copacabana war immer gleichzeitig Utopie und belebtes Nationaldenkmal in einem. Auch wenn es schon goldenere Zeiten gab: Brasilien, insofern es sich als moderne, lebendige, dem Meer und damit der Außenwelt zugewandte Nation versteht, kommt in Copacabana zu sich selbst. »Rio 2016, eine andere Zukunft hat begonnen«, versprachen Transparente bei den Feiern. In ihren besten Zeiten war Copacabana – die Copacabana – die Zukunft selbst.

Copacabana

Подняться наверх