Читать книгу Das ausgewanderte Kreuz - Denise Remisberger - Страница 11
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Оглавление«An der Adria lebt es sich eigentlich angenehm», dachte Pfarrer Jacques gerade, «immer vorausgesetzt, ich würde mit diesem sperrigen Fahrrad hier klarkommen.»
Diesen Morgen, nach mehr als einer Woche so tun, als ob er ein ganz normaler Campinggast wäre, hatte Jacques, nach langem Suchen, ein Fahrradgeschäft gefunden und ein Velo gemietet.
Das Ding stammte aus früheren Jahrzehnten, war gespickt mit halbrostigen Teilchen und verursachte aufgrund einer fehlenden Federung einen Heidenlärm. Ausserdem war es etwas zu klein geraten für einen grossen Mann, wie Pfarrer Jacques einer war.
Nachdem sich sein Talar in den Speichen verfangen und er sich, stehenden Fusses, aus diesem herausgewunden hatte, um ihn anschliessend aus Speichen und öliger Kette zu zerren, hatte sich der Geistliche dazu entschieden, schwarze Röhrenjeans und einen dicken Pullover anzuziehen.
Nun, kurz vor zwölf Uhr mittags, radelte der seiner Amtstracht beraubte notorische Dieb einen Feldweg entlang, der mehr Steine barg als sonst was.
«Sie werden ja richtig durchgeschüttelt», rief ihm eine hübsche Frau in einem figurbetonenden Kleid auf Italienisch nach, spielte mit ihren schwarzen langen Locken und grinste.
Jacques drehte sich nach ihr um, während er weiterfuhr und landete direkt in einem Stück Drahtzaun am Wegesrand, sodass er hinfiel, die Hände in den Zaun geklammert, die Füsse im Fahrrad verkeilt.
«Das tut mir Leid», beteuerte die Frau, die herangeeilt kam und dem gut aussehenden blonden Mann in Jeans und Pullover half, sich aus seiner kritischen Lage zu befreien.
«Wollen Sie vielleicht zum Essen bleiben oder lieber ein Glas Wein trinken?»
«Ein Glas Wein genügt, danke, ich muss bald weiter.»
Sämtlichen Fragen der Einheimischen wich Pfarrer Jacques geschickt aus, genoss das Prickeln trotzdem, weil er halt so war, wie er war, und holperte ein Stündchen später, leicht angetrunken, weiter in Richtung unscheinbare Kirche.
Der Pfarrer legte sein Fahrrad ins kurze Gras, umrundete die kleine Kirche zu Fuss und trat schliesslich ins Halbdunkel ein.
Da sich niemand in dem Gebäude befand, konnte er sich genau umsehen.
Das heilige Kreuz lag in einem staubbedeckten Reliquiar aus Kristallglas, das mit einem gut gesicherten Schloss versehen war. Rechts unten war ein Täfelchen angeschraubt, auf dem «Croce Sconosciuta» zu lesen war.
Jacques würde sich mit seinem Glasschneider ausrüsten müssen, den er, in einem Geheimfach seines Campers versteckt, mitgebracht hatte.
Die Kirchentüre aus Holz blieb wahrscheinlich immer offen, notfalls würde er das Türschloss mit seinem Dietrich aufkriegen oder mit dem Glasschneider ein Stück aus einem der zierlichen Fenster schneiden, um an die Verriegelung auf der Innenseite heranzukommen.
Die Lage war inspiziert, Jacques konnte Mittagessen gehen. Für einen kurzen Moment dachte er daran, bei der hübschen Frau mit den langen Haaren anzuklopfen, doch verwarf er diese Idee wieder. Er war da, um zu klauen. Eine Bekanntschaft einzugehen, war viel zu riskant.