Читать книгу Das ausgewanderte Kreuz - Denise Remisberger - Страница 7
5
ОглавлениеPfarrer Jacques war heilfroh, als er den mulmigen Gotthardtunnel hinter sich lassen durfte und das Tessiner Dorf Airolo in seinem Augenwinkel auftauchte. Jetzt ging es bergab.
Nach den gut besuchten weihnachtlichen Feierlichkeiten fand er es sehr schön, ganz alleine in seinem Camper Richtung Süden zu fahren. Das Risiko lockte ihn. Diesmal würde er sich keinem unfallgefährdeten Dieb anvertrauen wie letztes Jahr, sondern das «Unbekannte Kreuz» selber stehlen. Verkleidet, versteht sich.
Kleine, verschiedenfarbig getünchte Häuser zogen an ihm vorüber, die Zollgrenze Chiasso/Como, riesige Werbeplakate hinter den Leitplanken, die Metropole Mailand, Autobahnmauthäuschen und die flache Weite der Poebene.
Kurz vor Bologna nahm er eine Ausfahrt, um sich in einem kleinen caffè mit einem doppelten Espresso und einem grossen Stück Ciambella zu stärken.
Nachdem Jacques Bologna passiert hatte, wendete er seinen Camper in Richtung Adriaküste, liess Ravenna links liegen, kam an Cesenatico und Rimini vorbei und landete schliesslich in der Nähe der unscheinbaren Kirche, die, nichts Böses ahnend, das heilige Kreuz «Croce Sconosciuta» beherbergte.
Der diebische Pfarrer checkte unbehelligt auf einem fast leeren Campingplatz direkt am Meer ein, parkte unter einer hohen Pinie und begrüsste die deutschen Nachbarn, Vater und Sohn, die trotz dünner Dezembersonne und recht kühlem Wind oben ohne an einem Klapptischchen hockten und Starkbier tranken.
«Feiern Sie Silvester auch im Ausland, Herr Pfarrer?», rief der Vater und hob seine Bierdose. «Setzen Sie sich doch zu uns. Wir haben noch mehrere volle Kisten davon» – er zeigte dabei auf die Bierdose – «im Kofferraum.»
Die beiden Stuttgarter waren mit Auto und Wohnwagen unterwegs, beides schon etwas älter.
Pfarrer Jacques setzte sich zu den Herren und plauderte fröhlich, als ob er hier nur Urlaub machen würde.