Читать книгу Das ausgewanderte Kreuz - Denise Remisberger - Страница 4
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ОглавлениеUm sieben Uhr morgens wachte Pfarrer Jacques in seiner Dachwohnung auf, im Ohr noch den letzten Schlag des Konkurrenz-Glockenturms an der Heinrichstrasse.
Eine Stunde später startete er seinen Camper, das einzige Fahrzeug, das er besass und manövrierte ihn aus seinem Innenhof hinaus, bestaunt von all den Fenstern der um den Innenhof quadratisch angeordneten Häuser, vorbei an weiteren nummerierten Parkplätzen und ebenso nummerierten Mülltonnen.
Die Stunde Autobahn bis nach Sankt Gallen liess es sich Pfarrer Jacques mit John Mellencamp gut gehen, in Anbetracht des Treffens im Kloster durchaus notwendig.
«Hans-Peter», rief Abt Cornelius dem durch die Gänge Eilenden hinterher, «du wirkst heute etwas gehetzt. Kann ich dir helfen?»
«Nein, Cornelius, wirklich nicht», beteuerte Prior Hans-Peter und eilte zur Begrüssung des sehnlichst erwarteten Pfarrer Jacques, der gerade entnervt seinen grossen Camper zwischen Untersuchungsgefängnis und Stadthaus abgestellt hatte, da es beim besten Willen keinen anderen freien Parkplatz gab.
Die in schicken Kostümen und Dreiteilern vorbeischreitenden Angestellten des Kantonsgerichts flössten ihm nicht gerade Kamillentee ein, als wenn sie wüssten, was er vorhatte.
«Jacques», umarmte ihn Hans-Peter freudig und zog ihn in sein Kämmerchen hinein, mit Blick auf die Kathedrale.
Hans-Peter holte das unscheinbare Buch mit den unscheinbaren Kirchen aus seiner Nachttischschublade und schlug es auf der mit einem Lesezeichen der Stiftsbibliothek markierten Seite auf.
«Hier, Jacques, das ist es. Dieses kleine hübsche Kreuz, aus Knochen gefertigt.»
«Wessen Knochen?»
«Das ist eben nicht bekannt. Da gibt es natürlich wilde Spekulationen. Die hartnäckigste sagt, dass diese Knochen einem frommen Bischof gehören.»
«Habt ihr denn auch unfromme?»
«Sehr witzig, Jacques. Dir erzähle ich bestimmt zuletzt von unseren Fehltritten. Wie findest du das heilige Kreuz?»
«Handlich zu stehlen, Hans-Peter. Gut zu verstecken.»
«Dann bist du also dabei?»
«Ja, klar, wenn der Preis stimmt?»
«Sicher, Jacques, zehn schöne Tausender?»
«Sonst geht’s dir gut? Ich riskiere einiges. Dreissig schöne Tausender.»
«Jacques, also wirklich. Zwanzig.»
«Fünfundzwanzig.»
«Na gut, dafür aber bald.»
«Nächste Woche werde ich mich auf die Reise nach Italien begeben.»
«Sehr gut.»