Читать книгу Das ausgewanderte Kreuz - Denise Remisberger - Страница 3
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Оглавление«Es ist ein Rossss entsprungen …»
«Halt, meine Damen, halt. Kein Ross. Eine Rose. Ein Blümchen.»
«Ja, lieber Pfarrer Jacques. Wie aufmerksam von Ihnen», flötete Sabine Pfau, mit den Wimpern klimpernd, nach vorne, wo Pfarrer Jacques gerade die Frauensinggruppe leitete, was ihn reichlich Geduld kostete. Natürlich liess er sich dies in keiner Weise anmerken. Pfarrer Jacques war cool. Doch nicht nur das. Zum Entzücken der weiblichen Gemeindemitglieder war er auch ziemlich gut aussehend: jung, mit leuchtendem Blondhaar, zur Seite gescheitelt, grossen grauen Augen, die an wiedergefundene Murmeln erinnerten, gross, schlank und voller Energie.
«Seit du die Singgruppe der Frauen leitest, Jacques, haben wir einen Anstieg der Anzahl an Gemeindemitgliedern verbucht wie noch nie zuvor», hatte sein Amtsbruder Selri gekichert.
Pfarrer Selri teilte sich mit Pfarrer Jacques, Pfarrer Kinden und der Pfarrerin Rosamunde die Pfarrei Kreis Fünf in der Stadt Zürich, Kirche plus dazugehörige Arbeitsräume, situiert zwischen Disko und Turnhalle. Weder die Disko noch die Turnhalle gehörten zu dieser reformierten Kirche dazu. Die Disko war privat, die Turnhalle staatlich. Morgens nach der Disko lagen jeweils leere Bierdosen im Pfarrgärtchen; von Seiten der Turnhalle kamen tagsüber Bälle aus dem Hof geflogen.
Während Selri das Pfarrbüro organisierte, kümmerte sich Rosamunde um ihre «Drögelis», wie sie die Gruppe Junkies liebevoll nannte, gänzlich übersehend, dass sie mit ständiger Regelmässigkeit von ihren Schätzchen beklaut wurde. Derweil betreute Kinden die Spielgruppe beziehungsweise die Kinderkrippe während der Arbeitszeiten der Mütter und Väter, vor allem der Mütter, da die Väter meist irgendwie abhanden gekommen waren.
Pfarrer Jacques war, nebst der Leitung der Frauensinggruppe, sozusagen im Aussendienst tätig. Er besuchte die Gemeindemitglieder bei ihnen zuhause und sammelte hie und da ein paar neue auf der Strasse ein. Was er oft als «Nachrennen hinter einem abtrünnigen Mitglied seiner Gemeinde» bezeichnete, war in Wahrheit allerdings etwas ganz anderes.
Pfarrer Jacques betätigte sich zwischendurch als Hehler. Er liess wertvolle Reliquien stehlen und verkaufte diese dann weiter an den katholischen Prior Hans-Peter zu Klostern Sankt Gallen, der sie wiederum, doppelt so teuer, versteht sich, an einen nur ihm bekannten kirchlichen Würdenträger, in hoher Position und gesegnet mit Sammelleidenschaft, weiterreichte.
Als nun Prior Hans-Peter ein kleines unscheinbares Buch über ebenfalls kleine und unscheinbare italienische Kirchen und ihre Schätze durchblätterte, sprach ihn ein handtellergrosses Kreuz, aus unbekannten Knochen gefertigt, eingelegt in barock geschwungenes Gusseisen, an, sodass er leuchtenden Auges zum Handy letzten Schreis griff und die eingespeicherte Nummer Pfarrer Jacques’ drückte.
«Hans-Peter, ich gebe gerade Gesangsunterricht.»
«Jacques, es ist wichtig. Das heilige Kreuz ‹Croce Sconosciuta›, das sich in einer Kirche an der Adria befindet. Jacques, ich muss es haben. Jacques, unbedingt. Mein Herz hängt dran.»
«Herz? Was für ein Herz, Hans-Peter? Ich komme morgen vorbei. Um neun Uhr vormittags?»
«Ja, Jacques, bis dann.»