Читать книгу Fidibus und das Pergament aus dem Goldenen Psalter - Denise Remisberger - Страница 10

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Nahe der Sankt Galler Strasse, die vom Bodenseehafen Rorschach bis zum Kloster Sankt Gallen führte, irgendwo zwischen dem bischöflichen Obergoldach und dem Vorderhof, im Besitz des freien Bauern Stürm, stand Burgfräulein Siegelinde auf der Hurde, die über die Burgmauern mit ihren gezackten Zinnen hinausragte, und langweilte sich zu Tode. Ursprünglich aus dem Geschlecht der Grafen von Nellenburg aus dem Zürichgau stammend, wurde sie zu ihrer Tante, der Witwe Tronhilde, Kunkellehensträgerin dieser Holzburg hier, verbannt, nachdem ihr erster und ihr zweiter Verlobter von einer für andere unerklärlichen Krankheit, jeweils kurz vor der Heirat, niedergestreckt worden waren. Nun lag ein Fluch auf der zarten Maid, über den sie nur lachen konnte. Vergiftet hatte sie die beiden Holzköpfe. Sie wollte nicht heiraten. Nicht im Traum. Nun hatte sie endlich ihre Ruhe vor ihrer Mutter, dieser Kupplerin. Tante Tronhilde war ganz in Ordnung. Die liess sie machen, was sie wollte. Sie tat selbst, was sie wollte. Und als Witwe war das gar nicht mehr so schwer.

Siegelinde entschloss sich spontan, ins Kloster Sankt Gallen zu reiten, um Niesbert, einen entfernten Cousin Tronhildes, zu besuchen. Also marschierte sie in den Stall, sattelte ihre gescheckte Stute Linde, schwang sich auf das Pferd und wollte aus der Burg stürmen.

«Halt, Fräulein Siegelinde. Ich begleite Euch.»

«Ihr wisst doch gar nicht, wohin ich will, Panzerreiter Blage.»

«Ich muss Euch beschützen, egal, wo Ihr seid. Meine Herrin Tronhilde hat es befohlen, also soll es so sein.»

«Ihr seid lästig, Blage, äusserst lästig.»

«Ja, das ist mein Schicksal.» Und der Adelige Blage schwang sich auf seinen Braunen und galoppierte hinter Siegelinde her, so dass die Plättchen an seinem Schuppenpanzer klirrten. In der Schlacht auf dem Lechfeld vor einem Jahr hatte er auf der Seite König Ottos gegen die Magyaren gekämpft und gewonnen. Also hatte er nach seiner Heimkehr eine andere Aufgabe finden müssen. Da kam ihm die Witwe Tronhilde, die einen Beschützer für ihre bewegungsfreudige Nichte suchte, gerade recht. Nun ritt er also auf der Sankt Galler Strasse durch den Arboner Forst, seine Reiterlanze in der rechten Hand, mit der linken behende die Zügel führend.

Bald schon erreichten die beiden die Martinsbrücke über der in einer Schlucht weit unten vorbeirauschenden Goldach, auf deren abgeflachten Stämmen der Ministeriale Gregorius breitbeinig stand, seine beiden mit Knüppeln bewaffneten Gehilfen ein gutes Stück entfernt von ihm.

«Zwei Pfennige Wegzoll für König Otto», brüllte Gregorius den Reitenden entgegen.

«So viel, Gregorius», flötete Siegelinde vom Pferd herab. «Ich habe dir extra ein Krüglein vom besten Rheinwein mitgebracht. Nur für dich.»

«Lasst mal sehen, Fräulein.»

Siegelinde entnahm ihrer Satteltasche ein Tonkrüglein und überreichte es dem Zollbeamten feierlich. Der zog den Stopfen heraus und schnüffelte gierig mit seiner Säufernase.

«Einverstanden. Lasst die beiden vorbei!», schrie er seine Gehilfen an.

«Ein Krüglein besten Rheinweins ist nun wirklich nicht weniger wert als zwei Pfennige», wunderte sich Blage, nachdem sie ein Stück weit geritten waren.

«Nein, aber ein mit verwässertem Verjus gefülltes Krüglein schon. Den benutzen wir zum Ablöschen beim Kochen.»


Fidibus und das Pergament aus dem Goldenen Psalter

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