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1. Die vergleichende Methode in der Geschichts- und Politikwissenschaft
Оглавление„Die vergleichende Methode vermag vieles; ich halte ihre Verallgemeinerung und Vervollkommnung für eine der zwingendsten Erfordernisse, die sich den historischen Studien heute aufdrängen. Aber sie vermag nicht alles: In der Wissenschaft gibt es keine Zaubermittel. Sie muss auch nicht mehr neu erfunden werden. In mehreren Gesellschaftswissenschaften hat sie schon längst ihre Fähigkeiten unter Beweis gestellt. Wiederholt ist ihre Anwendung auf die Geschichte der politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Institutionen gefordert worden. Und doch ist deutlich, dass die Mehrzahl der Historiker davon nicht wirklich bekehrt ist: Sie stimmen höflich zu und wenden sich wieder ihrer Arbeit zu, ohne ihr Herangehen in irgendeiner Weise zu ändern.“ (58, S. 121) Bei diesem Statement handelt es sich nicht etwa um eine kritische Beobachtung von einer Historikertagung an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert, sondern um eine Feststellung, die der französische Mediävist Marc Bloch, einer der Begründer der wirkungsmächtigen „Annales“-Schule, bereits Ende der 1920er-Jahre gemacht hatte. Im Kern ist seine pointierte Kritik nach wie vor gültig.
Vergleichende Untersuchungsansätze sind in der Politik- und Sozialwissenschaft bis heute deutlich stärker verbreitet als in der Geschichtswissenschaft und in diesen Disziplinen auch schon seit langem als wichtiger methodischer Zugang unverzichtbar geworden (56; 57; 60; 72). Dies gilt im Besonderen für die Parteien- und Eliten-Forschung, die Politische-Kultur-Forschung oder den Vergleich politischer Systeme, wo komparative Studien per se als die gegebene Analysemethode erster Wahl angesehen werden. Auch für den auf die komplexe Untersuchungsperspektive der „Gesellschaftsgeschichte“ verpflichteten Teil der historischen Zunft gelten komparative Zugänge weithin als „Königsweg“ der Forschung (74). Für die Mehrheit der Historikerinnen und Historiker stellt dagegen die Anwendung der vergleichenden Methode noch immer eine besondere methodische Herausforderung dar. Hier wirkt teilweise noch die Tradition des deutschen Historismus nach, die auf der Grundüberzeugung basierte, dass geschichtliche Phänomene stets einmalig und unwiederholbar sind. Entsprechend richtete die Geschichtswissenschaft ihr Untersuchungsinteresse traditionell vor allem darauf aus, die jeweils einzigartigen historischen Entwicklungen in ihrem Kontext zu interpretieren, nicht aber Ähnlichkeiten und Unterschiede verschiedener Phänomene systematisch zueinander in Beziehung zu setzen. Insofern wirft das Erkenntnisinteresse der historischen Komparatistik insbesondere für sehr traditionell orientierte und daher auch weniger interdisziplinär ausgerichtete Historikerinnen und Historiker gravierende methodische Probleme auf, denn „vergleichen heißt immer auch: abstrahieren“ (61, S. 23). Abstraktion aber erfordert, sich in einem bestimmten Arbeitsschritt von den im Detail untersuchten empirischen Quellen zu lösen und sich damit zumindest vorübergehend vom klassischen Kern der eigenen Disziplin zu entfernen. Hinzu tritt das Problem, dass für alle untersuchten Fallbeispiele adäquate und möglichst gleichartige Quellen gefunden werden müssen, was erhebliche Probleme bereiten kann. Im Ergebnis bedeutet dies, dass beim historischen Vergleich gegebenenfalls Abstriche im Hinblick auf die Komplexität und den Umfang des Untersuchungsprogramms gemacht werden müssen, um durch eine Beschränkung auf die wirklich vergleichbaren Teilbereiche die historische Kompatibilität zu gewährleisten. Insofern tangiert und modifiziert ein konsequent durchgeführter komparativer Ansatz das Selbstverständnis und die eingeübte Routine der historischen Profession.
Dennoch scheint die wachsende Zahl von vergleichenden Arbeiten, vor allem in der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (59; 69; 67, S. 151ff.), sowie die Tatsache, dass in den letzten Jahren in der deutschen Geschichtswissenschaft methodologische Diskussionen über das analytische Potential und die Anwendungsprobleme des historischen Vergleichs in Gang gekommen sind, auch auf diesem Gebiet eine Öffnung der historischen Zunft in Richtung der stärker interdisziplinär ausgerichteten internationalen Forschungspraxis (70) anzudeuten. Dies wird besonders im Rückblick auf dieses Forschungsfeld deutlich: So hatte etwa Theodor Schieder in den sechziger Jahren zwar für eine verstärkte Nutzung der vergleichenden Methode „im Dienste universalhistorischer Deutungen“ (73, S. 197) geworben, gleichzeitig aber auch die seinerzeit in der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft noch deutlich ausgeprägte Randexistenz des komparativen Ansatzes dokumentiert. Inzwischen belegen die in den neunziger Jahren vorgelegten theoretischen Einführungen und Forschungsstandsanalysen (67; 61) recht eindrucksvoll die gestiegene Bedeutung und das wachsende Selbstbewusstsein dieses Forschungszweiges.
Historische Vergleiche lassen sich nach den ihnen zugrunde liegenden unterschiedlichen Interessen, Ansätzen und Perspektiven der Analyse in mehrere „Arten“ oder „Varianten“ unterteilen. Sie erbringen verschiedene, sich ergänzende wissenschaftliche Leistungen, wobei sie vier prinzipielle methodische Funktionen (61, S. 12 ff.) erfüllen: Historisch vergleichende Studien dienen dazu, Problemfelder und Fragehorizonte zu erkennen, die durch eine isolierende Analyse einzelner Phänomene kaum in den Blick kommen. Diese heuristische Perspektive hatte Ende der 1920er-Jahre bereits Marc Bloch (58) als eine wichtige Leistung der vergleichenden Geschichtswissenschaft herausgestellt. In deskriptiver Hinsicht ermöglichen historische Vergleiche eine prägnante Konturierung und Profilierung der jeweils untersuchten Fallbeispiele. Aus analytischer Sicht leisten vergleichende Untersuchungen einen wichtigen Beitrag, da sie sich in der Regel nicht mit der Beschreibung von Unterschieden begnügen, sondern nach den Ursachen und Bedingungen bestimmter Strukturen oder Entwicklungsprozesse fragen. Und schließlich kommt der historischen Komparatistik auch in paradigmatischer Hinsicht ein besonderer Wert zu, da Vergleiche den Blick für alternative Optionen und Konstellationen öffnen.
Grundsätzlich lassen sich mehrere Arten oder Typen des Vergleichs (vgl. 61, S. 11ff.; 67, S. 25ff.) unterscheiden, die jeweils mit bestimmten Intentionen und Erkenntnismöglichkeiten, aber auch mit spezifischen methodischen Problemen verbunden sind. In der konkreten Forschungspraxis überschneiden und ergänzen sich die nur theoretisch trennscharf zu unterscheidenden Varianten fast immer. Die häufigste, bereits bei John Stuart Mill vorgenommene Aufgliederung ist die nach der bevorzugten Anwendung entweder der „method of difference“ oder aber der „method of agreement“ bzw. nach einem „contrasting type“ und einem „universalizing type“ des Vergleichs. Die Frage, ob eine vergleichende Untersuchung vorrangig dazu dient „ein Allgemeines zu finden, das dem Verglichenen zugrunde liegt“ (Generalisierung), oder aber eher dazu, das einzelne Fallbeispiel „in seiner Individualität schärfer zu erfassen und von den anderen abzuheben“ (Kontrastierung bzw. Individualisierung), hatte in Deutschland Otto Hintze bereits Ende der 1920er-Jahre als grundsätzliche Prioritätensetzung für historische Vergleiche beschrieben (66). Allerdings dürfen diese beiden hier theoretisch geschiedenen Grundrichtungen nicht als sich gegenseitig ausschließende Pole verstanden werden, auch wenn die Schwerpunkte der Analysen unterschiedlich gesetzt werden. Hartmut Kaelble hat eine Erfahrung aus der Forschungspraxis sehr treffend auf den Punkt gebracht, indem er darauf verwiesen hat, dass weder der generalisierende Vergleich völlig von den bestehenden Unterschieden abstrahieren kann, noch der individualisierende Vergleich ohne die Feststellung eines Mindestmaßes an Gemeinsamkeiten auskommen kann. Ein derart ins Extreme gesteigerter individualisierender Vergleich würde sich ad absurdum führen, da ihm am Ende das Tertium Comparationis abhanden käme: „Völlig Unvergleichbares lässt sich eben nicht vergleichen“ (67, S. 27).
Nur angedeutet werden können an dieser Stelle einige zentrale, im konkreten Einzelfall jeweils unterschiedlich bedeutsame Unterscheidungsmerkmale (vgl. hierzu vor allem 61, S. 26ff.). So etwa die Frage, ob sich der Vergleich umfassend auf ein Gesamtphänomen oder nur auf partikulare Strukturen eines größeren Ganzen bezieht. Der ganzheitliche oder integrale Vergleich (von Kaelble auch als „Gesamtvergleich“ bezeichnet, vgl. 67, S. 36ff.) und komparative sektorale Studien (oder „Spezialvergleiche“) stehen nicht etwa in einem konkurrierenden, sondern in einem sich ergänzenden und gegenseitig bedingenden Verhältnis zueinander. In modifizierter Form lässt sich die von Marc Bloch seinerzeit im Hinblick auf die raumbezogene Aggregathöhe angestellte Überlegung, dass ein Gesamtvergleich erst sinnvoll durchgeführt werden könne, nachdem in vorausgehenden Lokalstudien bereits in größerer Breite empirische Erkenntnisse gewonnen worden sind (58, S. 136), auch auf das Verhältnis von integralem und sektoralem Vergleich übertragen. Ein adäquater integraler Vergleich zweier historischer Phänomene oder Entwicklungen kann nur auf der Basis differenzierter Erkenntnisse aus der empirischen Quellenauswertung aufbauen, die wiederum in den meisten Fällen nur im Rahmen von sachlich und räumlich bzw. zeitlich eingegrenzten Analysen geleistet werden kann. Wie Günther Heydemann in seinen wegweisenden methodologischen Überlegungen zum Zusammenwirken von integraler und sektoraler Vergleichsperspektive (62; 63; 64; 65) herausgestellt hat, bildet umgekehrt freilich auch der zunächst vorläufige und annäherungsweise durchgeführte „Gesamtvergleich“ eine wichtige Voraussetzung und Orientierungshilfe für die sektoralen Analysen, deren Stellenwert im Rahmen des Gesamtkontextes jeweils ausgewiesen und reflektiert werden muss. Erkenntnistheoretisch und methodologisch ergibt sich somit eine komplexe Konstellation: Die integrale Vergleichsperspektive stellt einerseits eine notwendige Voraussetzung für differenzierende sektorale Analysen dar, kann sich andererseits aber nur durch die Synthese arbeitsteilig entstandener Spezialvergleiche weiter entwickeln und empirisch begründen. In der Forschungspraxis kann diesem Dilemma nur durch eine intensive Rückkoppelung und Vermittlung der durch Spezialvergleiche und Gesamtvergleiche erzielten (und immer nur vorläufigen, da stetig weiter zu differenzierenden) Ergebnisse begegnet werden.
Entsprechend sind auch die „Einheiten“ von vergleichenden Untersuchungen sehr unterschiedlich dimensioniert, wobei die Variationsbreite in räumlicher Hinsicht vom einzelnen Ort bis zur Nation oder gar einem zivilisatorischen Kulturkreis bzw. in sozialer Hinsicht von überschaubaren Personenkreisen bis hin zu gesellschaftlichen Großgruppen gegeben ist. Im Hinblick auf die zeitliche Dimension sind synchrone und diachrone Vergleiche zu differenzieren, also Untersuchungen, die zeitlich parallel verlaufende Entwicklungen betrachten, von solchen, die Phänomene in unterschiedlichen Zeitebenen in Beziehung zueinander setzen. Komparative Analysen können ihren Untersuchungsschwerpunkt zudem auf qualitative Merkmale bzw. Indizien oder aber auf die Herausarbeitung von quantifizierenden Befunden legen. Historisch vergleichende Studien können vorrangig nach Strukturen oder eher nach Erfahrungen fragen, also konzeptionell als Struktur- oder als Kulturvergleiche angelegt werden. Weiterhin kann die „Reichweite“ bzw. der Problemhorizont von Vergleichen entsprechend der vorhandenen Rahmenbedingungen variiert werden. Schließlich sind methodologisch im engeren Sinne vergleichende Untersuchungen von beziehungsgeschichtlichen Studien zu unterscheiden, wobei Letztere im Kern nicht auf die Herausarbeitung von Ähnlichkeiten und Unterschieden bzw. auf Typologisierung oder Kontrastierung mehrerer Fallbeispiele zielen, sondern nach den Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Phänomenen fragen.
Kaelble schlägt vor, nach dem jeweils dominierenden Erkenntnisinteresse fünf verschiedene Formen von historischen Vergleichen zu unterschieden (67, S. 25 ff.): Der analytische Vergleich konzentriert sich vor allem auf die Ermittlung von historischen Ursachen bzw. die Entwicklung historischer Typologien. Er zielt vorrangig darauf, „bestimmte gesellschaftliche Strukturen, Institutionen, Mentalitäten, Debatten, Ereignisse und Entscheidungen aus ihren historischen Bedingungen heraus“ (67, S. 49) zu erklären. Vor allem diese Form des historischen Vergleiches hat in den letzten Jahrzehnten eine starke Konjunktur erlebt, und zwar in unterschiedlichen Varianten: einerseits als quantitativer Vergleich von Strukturen, andererseits auch als qualitativer Vergleich von Institutionen, Ideen, Leitbildern und Mentalitäten, Entwicklungsprozessen, Entscheidungen usw. Der aufklärende oder auch urteilende Vergleich zielt im Kern auf die „Gegenüberstellung von positiven und negativen gesellschaftlichen Entwicklungen, vor allem um eine bessere Erklärung von Fehlentwicklungen in der einen Gesellschaft in Konfrontation mit gelungenen Entwicklungen in einer anderen“ (67, S. 56) zu gewinnen. Aufgrund seines stark normativen Charakters kann der urteilende Vergleich auch als eine wissenschaftlich fundierte Form der Bewertung verstanden werden, die, beispielsweise im Hinblick auf die Verletzung von Menschenrechten oder das Auftreten von Rassismus, bisweilen unumgänglich ist, aber dazu tendiert, den Historiker in die problematische Rolle eines „Richters über die Geschichte“ (und eben nicht eines möglichst objektiv vorgehenden Analytikers) zu drängen. Beim verstehenden Vergleich steht ein intensives „Hineindenken“ in andere Gesellschaften bzw. ihre Institutionen, Mentalitäten und Strukturen im Mittelpunkt. Der komparative Untersuchungsansatz dient in diesem Falle also in erster Linie einer präziseren Wahrnehmung, und weniger der Erklärung von Unterschieden oder gar der Bewertung der untersuchten Phänomene. Historische Identitätsvergleiche zielen darauf, kollektive Identitäten (etwa einer Nation oder einer Berufsgruppe) in abgrenzender Perspektive zu ermitteln und zu beschreiben. Mit Recht verweist Kaelble darauf, dass Historiker in der Vergangenheit häufig der Versuchung erlegen sind, bestimmte „historische Identitäten zu erfinden oder umzubauen“ und so durch eine sinnstiftende Identitätsgeschichte zur Ausprägung von „irrationalen Bindungen und gefährlichen Feindseligkeiten“ (67, S. 70) beigetragen haben. Dies gilt vor allem für die Komposition von affektiv aufgeladenen nationalen Identitätsgeschichten, die, aufgrund der historischen Hypothek von „totalem Krieg“ und Holocaust, in Deutschland in ganz besonderem Maße desavouiert sind. In jüngerer Zeit durchgeführte Identitätsvergleiche stellen daher inzwischen seltener die Nation, sondern in der Regel andere Bezugsgrößen (etwa Regionen, Orte, Organisationen oder auch gesellschaftliche Gruppen wie Frauen oder Jugendliche) in den Mittelpunkt. Eine auf der Makroebene des Weltmaßstabes angesiedelte Sonderform des historischen Identitätsvergleiches ist der historische Zivilisationsvergleich, der es sich zur Aufgaben macht, ganze Zivilisationen wie Europa, die arabische Welt oder Lateinamerika und so genannte Großgesellschaften wie die USA oder die frühere Sowjetunion miteinander zu vergleichen. Definiert werden sollen diese „Zivilisationen“ dadurch, dass sie aufgrund des Selbstverständnisses und der Erfahrungen der ihnen angehörenden Menschen, also „durch kulturelle und gesellschaftliche Besonderheiten gegenüber anderen Zivilisationen und Großgesellschaften, durch innere Verflechtungen, durch eine gewisse Ähnlichkeit der Teilgesellschaften und durch eine gemeinsame Geschichte“ (67, S. 79) jeweils eine sinnvoll abgrenzbare Einheit bilden. Bislang haben nur wenige Historikerinnen und Historiker sich diesem sehr komplexen und umfassenden Untersuchungsfeld gewidmet, allerdings ist unübersehbar, dass in jüngster Zeit eine intensive theoretische und methodologische Debatte über den historischen Zivilisationsvergleich bzw. die Perspektiven einer „transkulturell“ vergleichenden Geschichtswissenschaft eingesetzt hat (68; 71).