Читать книгу Diktaturen im Vergleich - Detlef Schmiechen-Ackermann - Страница 14
4. Die Auswahl der behandelten Themenfelder
ОглавлениеDie theoretische und häufig auch überaus abstrakt geführte Diskussion darüber, mit welchen Konzepten, Modellen und Begriffen diktatorische Regime angemessen untersucht und in komparativer Perspektive analysiert werden können, hat die Debatte um den Vergleich von Diktaturen über die Jahrzehnte in ganz hohem Maße bestimmt. Entsprechend nimmt die erste Forschungskontroverse (Kap. III, 1), die die konkurrierenden Paradigmen („Totalitarismus“, „politische Religion“ und „moderne Diktatur“) vorstellt und diskutiert, relativ breiten Raum ein.
Die zweite Forschungskontroverse (Kap. III, 2) behandelt den Gesamtvergleich von Diktaturen, wobei die vier in dieser Einführung schwerpunktmäßig behandelten Fallbeispiele durch die unterschiedlichen Forschungsrichtungen in jeweils spezifischer Weise erschlossen werden. Im ersten Unterkapitel werden möglichst umfassend angelegte Vergleichsstudien behandelt. In den weiteren Abschnitten folgen der Vergleich des faschistischen Italiens mit dem NS-Staat (mit dem Fokus auf die Kontroverse über den Sinn eines generalisierenden Faschismus-Begriffes im Kontext der vergleichenden Faschismusforschung), die Analyse des europäischen Kommunismus als politische Bewegung und als Herrschaftssystem (vergleichende Kommunismusforschung), die kontroverse Debatte über die regimetypologische Kontrastierung von Nationalsozialismus und Stalinismus (als zentrales Feld der Totalitarismusforschung) sowie der Ansatz zu einer „historisch-genetischen Differenzierung“ im Hinblick auf den Vergleich der beiden deutschen Diktaturen.
Die folgenden vier Kapitel rücken ausgewählte Forschungsprobleme zu vier besonders wichtigen Sektoren des empirischen Diktaturvergleichs in den Blickpunkt: Diktator und Herrschaftsapparate, Herrschaftsanspruch und reale Grenzen der Diktatur, Terror und Verfolgung sowie schließlich Opposition und Widerstand. Die Auswahl dieser vier empirischen Untersuchungsfelder reflektiert zum einen die Schwerpunktsetzung der Faschismus-, Kommunismus- und Totalitarismusforschung; zum anderen wird hierdurch aber auch gewährleistet, dass sowohl die diktatorischen Machthaber und ihre Funktionseliten als auch die unter der Diktatur lebende Bevölkerung in den Blick kommen. Die weitere Aufgliederung dieser umfangreichen Themenkomplexe in mehrere, wiederum exemplarische Aspekte ermöglicht – über die für den Diktaturenvergleich naturgemäß zentrale Politikgeschichte hinaus – die Einbeziehung von sozial- und kulturgeschichtlichen Fragestellungen. Aufgrund des begrenzten Raumes werden für die zu untersuchenden Teilaspekte jeweils nur einige wenige, und zwar tatsächlich empirisch angelegte diktaturvergleichende Arbeiten in den Mittelpunkt gerückt. Eine ausführliche Behandlung des theoretischen Hintergrunds dieser Untersuchungsfelder verbietet sich in diesem Problemaufriss ebenso wie ein breites Referieren der spezifischen Forschungsstände zu den einzelnen Regimen. Da das Konzept der Publikationsreihe Belege und Literaturverweise nur in sehr begrenztem Maße vorsieht, kann nur punktuell auf neuere Forschungsüberblicke bzw. auf besonders einschlägige Spezialstudien verwiesen werden, um so systematische Zugangswege für eine intensivere Analyse einzelner Fallbeispiele anzudeuten. Insgesamt basiert das Gestaltungsprinzip dieser Einführung auf der dargelegten Auswahl zentraler Aspekte und dem exemplarischen Charakter der behandelten Problemfelder und Teilaspekte.
Unterschiedliche und zum Teil gegensätzliche Interpretationsansätze zum Charakter und zu den zentralen Mechanismen von diktatorischer Herrschaft stehen im Mittelpunkt des Themenkomplexes „Diktatoren und Herrschaftsapparate“ (Kap. III, 3). Zunächst wird mit Blick auf die drei hervorstechenden „Führer“ Hitler, Stalin und Mussolini die Frage nach der Bedeutung von charismatischen und bürokratischen Elementen von diktatorischer Herrschaft aufgeworfen. Von diesen Überlegungen ausgehend werden anschließend unterschiedliche Deutungsansätze zur funktionalen Bedeutung und zum Stellenwert der Staats- bzw. Einheitsparteien in den unterschiedlichen Diktaturen miteinander konfrontiert und schließlich wird anhand der Beispiele der „Pseudo-Gewerkschaften“ DAF und FDGB sowie der mädchenspezifischen Jugendarbeit der Staatsjugendorganisationen nach der Rolle von Massenorganisationen für die Diktaturen gefragt.
Das Spannungsverhältnis zwischen der totalitären Vision einer vollständigen „Durchherrschung“ der Gesellschaft und der in der Praxis immer begrenzten gesellschaftlichen Reichweite diktatorischer Herrschaft steht als Forschungsproblem im Zentrum des Untersuchungskomplexes „Totalitärer Herrschaftsanspruch und Grenzen der Diktatur“ (Kap. III, 4). Exemplarisch wird für eine Schicht (Arbeiterschaft) und eine Gruppe (Frauen) der Gesellschaft sowie für das Themenfeld Literatur und Sprache unter der Diktatur nach dem Erreichen oder Verfehlen der totalitären Herrschaftsabsichten gefragt.
Mit dem Komplex „Terror und Verfolgung“ (Kap. III, 5) wird im nächsten Schritt ein Sektor in den Mittelpunkt der Analyse gerückt, der in ganz besonderem Maße mit dem „Totalitarismus“ des 20. Jahrhunderts identifiziert wird. Die Unvorstellbarkeit der im NS-Staat verübten Massenverbrechen hat die Frage aufgeworfen, ob sich der Völkermord an den Juden nicht überhaupt jeder Kategorisierung entzieht. Umgekehrt ist aber auch infrage gestellt worden, ob der „Rassenmord“ der Nationalsozialisten wirklich als einzigartig anzusehen ist oder aber im „Klassenmord“ des Stalinismus ein kongeniales Pendant gefunden habe. Im Mittelpunkt des ersten Unterkapitels stehen komparative Analysen zu Terror und Repression im Nationalsozialismus und im Stalinismus, von denen ausgehend eine Einschätzung der heftigen Kontroverse um das „Schwarzbuch des Kommunismus“ vorgenommen wird. Ergänzend wird nach den Unterschieden zwischen dem Antisemitismus und der Judenverfolgung im NS-Staat und im faschistischen Italien gefragt und damit die These überprüft, ob es sich hierbei wirklich um ein rein nationalsozialistisches und nicht um ein genuin faschistisches Problem gehandelt hat. In einem dritten Zugriff auf das Generalthema Verfolgung in der Diktatur wird die Forschungskontroverse um die Bedeutung der Geheimpolizei und von Denunziationen als Herrschaftsinstrumente der totalitären Diktatur aufgegriffen.
Den Schlusspunkt der ausgewählten Forschungsprobleme bildet der angesichts seiner fundamentalen Bedeutung für die „Aufarbeitung“ von Diktaturerfahrungen relativ breit behandelte Sektor „Opposition und Widerstand“ (Kap. III, 6). Ein wichtiges Desiderat stellt dabei die Frage nach der europäischen Dimension des Widerstandes gegen den Faschismus dar, die erst in Ansätzen und perspektivischen Entwürfen behandelt worden ist. Angesichts des nach Jahrzehnten intensiver Forschung inzwischen sehr differenzierten Forschungsstandes zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus ist die Frage aufgeworfen worden, ob sich die auf diesem Gebiet gewonnenen Erkenntnisse nicht auch gewinnbringend auf die Opposition in der DDR übertragen lassen. Erste Versuche einer Adaptierung bewährter Konzepte und Forschungsstrategien markieren hier den Beginn einer noch andauernden Debatte. Schließlich ist für beide deutschen Diktaturen das Verhältnis zwischen den Kirchen und der Diktatur bereits intensiv untersucht worden. Daher wird die kontroverse Debatte über Anpassung und Selbstbehauptung der Kirchen, die Frage eines gesellschaftlich verankerten religiösen Dissenses und das Feld der christlich motivierten Widerstandes als exemplarischer Teilaspekt herausgegriffen.