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3. Chancen, methodische Probleme und Grenzen des diktaturvergleichenden Untersuchungsansatzes
ОглавлениеDie gegenüber einer isolierenden Einzeluntersuchung erheblich erweiterten Erkenntnismöglichkeiten, die eine korrekte und reflektierte Anwendung der Methode des historischen Vergleichs eröffnet, sind eingangs dieses Kapitels bereits als heuristische, deskriptive, analytische und paradigmatische Kompetenz des Verfahrens erläutert worden. Gleichzeitig werden aber auch Einwände gegen den historischen Vergleich erhoben. Ein prinzipieller, vor allem zu Beginn der neueren Debatte über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines Vergleiches der beiden deutschen Diktaturen (vgl. 65, S. 12f.; 90; 89) erhobener Kritikpunkt beruht nicht zuletzt auf einem sprachlichen Problem: In der Umgangssprache wird das Verb „vergleichen“ sowohl benutzt, um Ähnlichkeiten und Unterschiede verschiedener Fallbeispiele in Relation zueinander zu setzen, als auch, um wertend eine qualitative Gleichsetzung auszudrücken. Hinzu kommt, dass in der Tradition des deutschen Historismus die vergleichende Methode, wo sie überhaupt akzeptiert wurde, weithin auf einen „analogischen“ Vergleich reduziert worden ist, der aus vorliegenden Erkenntnissen zu bereits untersuchten Beispielen unter der Annahme einer prinzipiellen Gleichheit auf noch unerforschte Fälle zu schließen sucht (73, S. 200 ff.). Um nahe liegende Missverständnisse auszuräumen ist daher seit geraumer Zeit in nahezu jedem methodologischen Beitrag zum Diktaturenvergleich darauf hingewiesen worden, dass im modernen sozialwissenschaftlichen Sprachgebrauch der Vergleich immer nur im Sinne einer vergleichenden Untersuchung verschiedener Fallbeispiele gemeint ist und keinesfalls per se eine bewertende Gleichsetzung beinhaltet. Jeder korrekt durchgeführte wissenschaftliche Vergleich berücksichtigt grundsätzlich sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten, wobei freilich der Schwerpunkt der einzelnen Untersuchung je nach der vorrangig verfolgten Intention (generalisierend oder kontrastierend) unterschiedlich ist.
Ein zweiter prinzipieller Einwand leitet sich aus der Grundüberzeugung ab, dass alle historischen Phänomene prinzipiell einmalig seien und sich daher jedem Vergleich entzögen. In der Debatte um eine angemessene Interpretation der NS-Diktatur gewinnt diese Argumentation besonderes Gewicht. So geht eine wichtige Interpretationsrichtung davon aus, dass es verharmlosend und unangemessen sei, die nationalsozialistische Herrschaft als „faschistische“ Diktatur zu kennzeichnen, aber gleichzeitig auch nicht ausreiche, sie als ein „totalitäres Regime“ zu bestimmen. Vielmehr sei der Nationalsozialismus adäquat nur als ein Phänomen sui generis zu fassen, das aufgrund seiner Einzigartigkeit letztlich jeder systematischen Typisierung verschlossen bleibe (vgl. 87, S. 71ff.). Wie zunächst der „Historikerstreit“ 1986 und später noch einmal die Goldhagen-Debatte 1996 eindrucksvoll bestätigt haben, wird zudem aus anderer Warte der an den Juden verübte industriell organisierte Völkermord mit Recht als ein einzigartiges Phänomen interpretiert, das sich einer Gleichsetzung mit den zahlreichen anderen Massenverbrechen des 20. Jahrhunderts entzieht. Allerdings verweisen diese Extrembeispiele nicht auf eine generelle Unmöglichkeit des Vergleichs, sondern auf seine Begrenzung und damit auf die Notwendigkeit einer sorgfältigen methodologischen Reflexion, die die Grenzen der Vergleichbarkeit für jede einzelne Untersuchung konkret bestimmt. Als allgemeine Regel gilt hier, was Jürgen Kocka mit Blick auf eine kritische Gesellschaftsgeschichte der DDR und den Vergleich der beiden deutschen Diktaturen (siehe hierzu ausführlicher Kap. III, 1) knapp und treffend formuliert hat: „Der Diktaturenvergleich beleuchtet einige Dimensionen der DDR-Wirklichkeit, andere nicht.“ (88, S. 249)
Methodische Fragen und Probleme ergeben sich in der Forschungspraxis auch im Hinblick auf die unterschiedlichen Arten oder Typen des historischen Vergleichs (vgl. 67, S. 14ff.). Am weitesten verbreitet ist heute ganz allgemein der synchrone, sich also innerhalb einer Epoche bewegende Vergleich. Räumliche Bezugsgrößen sind dabei meist Nationen, Gesellschaften oder „Zivilisationen“ – auf dem Feld des Diktaturenvergleichs also etwa der Gesamtvergleich des NS-Staates mit dem italienischen Faschismus oder aber mit der stalinistischen Sowjetunion. Seltener werden kleinere Einheiten (wie Regionen, Städte, Orte in unterschiedlichen Gesellschaften) für komparative Untersuchungen herangezogen. Hinzu kommen vielfältige Spezialvergleiche, etwa von Herrschaftsagenturen und Eliten in den jeweiligen Diktaturen, von Herrschaftsmitteln (z. B. Terror und Lager) oder bestimmten Verhaltensmustern (etwa der Denunziation). Soziale Gruppen oder Milieus, aber auch die Differenzierung nach Geschlecht oder Generation können zentrale Bezugsgrößen für diktaturvergleichende Studien darstellen. In der großen Mehrzahl der historischen Vergleiche werden jedenfalls Institutionen, Gruppen oder Verhaltensweisen aus unterschiedlichen Gesellschaften derselben Epoche miteinander in vergleichenden Analysen verbunden. Allerdings belegen etliche Beispiele ebenso den Erkenntniswert von diachronen, also zeitversetzt angelegten historischen Vergleichen. Das bekannteste Beispiel dürfte Max Webers Studie zur Bedeutung der Stadt in verschiedenen historischen Zivilisationen sein. Ebenso wie zeitlich nacheinander erfolgende Nationenbildungs- oder Industrialisierungsprozesse mit großem Gewinn in vergleichenden Studien untersucht worden sind, können selbstverständlich auch Diktaturen diachron untersucht werden, wie sowohl die theoretisch-systematisch angelegte Analyse von Maurice Duverger (12) als auch der von Sheila Fitzpatrick und Robert Gellately herausgegebene Sammelband mit empirischen Studien zum Phänomen der Denunziation in der modernen europäischen Geschichte (86) beispielhaft belegt haben.
Der gleichsam „klassische“ historische Vergleich ist eine intragesellschaftliche und nicht eine innergesellschaftliche Studie (67, S. 17f.). Dies gilt weithin auch für das Feld des Diktaturenvergleichs, wirft allerdings Fragen im Hinblick auf die aus deutscher Sicht besonders wichtige komparative Untersuchung der beiden deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts auf, denn der Vergleich von NS- und SED-Herrschaft stellt in doppelter Hinsicht einen Sonderfall dar. Zum einen handelt es sich um einen Vergleich innerhalb einer Nation, zum anderen zusätzlich noch um eine diachrone Untersuchungsanordnung, die insbesondere dadurch methodische Probleme aufwirft, dass die beiden untersuchten Diktaturen nicht nur nacheinander existierten, sondern auch noch eine komplizierte asymmetrische Beziehungsgeschichte aufweisen. Während im durchschnittlichen „Normalfall“ eines historischen Vergleichs Strukturen oder Entwicklungsprozesse bei zwei oder mehreren deutlich voneinander getrennten Fallbeispielen miteinander kontrastiert werden, muss im Hinblick auf das NS-Regime und die DDR diese komplexe Beziehungsgeschichte als zusätzliche Rahmenbedingung reflektiert werden. In der Forschungspraxis hat sich bisher gezeigt, dass es besonders schwierig ist, solche „Lernprozesse“, die sich auf die Erfahrungen in und mit einer untergegangenen Diktatur stützen, präzise zu bestimmen. Aufgrund dieser methodologischen Probleme stellt der wissenschaftlich fundierte Vergleich von NS- und SED-Herrschaft eine besonders anspruchsvolle Herausforderung dar – gleichzeitig ist er nicht nur „legitim und nützlich“ (88, S. 249), sondern auch aus Gründen der politischen Bildung unverzichtbar, denn vorwissenschaftlich „verglichen“ werden die beiden deutschen Diktaturen in den publizistischen und politischen Debatten ständig. Zudem bietet er seit der Öffnung der DDR-Archive die bislang einzigartige Chance, zwei unterschiedlich ausgerichtete, in vieler Hinsicht gegensätzliche, aber aufeinander folgende Diktaturen im Rahmen eines nationalen Kontextes auf breiter Quellengrundlage zu untersuchen.
Eine hervorstechende Qualität des Diktaturenvergleiches ergibt sich schließlich aus seiner Stellung im Übergangsbereich zwischen Geschichts- und Politikwissenschaft. Wie jeder historische Vergleich basiert er auf der empirischen Durchdringung nicht nur eines, sondern mehrerer im Detail zu untersuchender Fallbeispiele. Hierdurch erhalten die in der Regel aus der Politik- und Sozialwissenschaft übernommenen theoretischen Überlegungen die notwendige empirische Unterfütterung. Durch ein Pendeln zwischen quellenkritischer hermeneutischer Analyse einerseits und aus der Politischen Soziologie bzw. der Vergleichenden Systemlehre adaptierten Modellen und Konzepten andererseits ergibt sich das besondere analytische Potential dieses Forschungsansatzes, das vor allem auf Interdisziplinarität und methodischer Flexibilität, im Ganzen also auf einem notwendigerweise vielfältigen wissenschaftlichen Handwerkszeug beruht. Der vorliegende Problemaufriss versucht dem gerecht zu werden, indem in den ausgewählten empirischen Themenfeldern die Perspektive immer wieder zwischen stärker geschichts- und stärker politikwissenschaftlichen Ansätzen und Untersuchungsmethoden variiert wird.