Читать книгу Diktaturen im Vergleich - Detlef Schmiechen-Ackermann - Страница 12
2. Entwicklung und systematische Aufgliederung des Forschungsfeldes Diktaturenvergleich
ОглавлениеDer Diktaturenvergleich ist ein – zumindest in Deutschland – bis vor kurzem eher wenig beachteter und betriebener Teilbereich des historischen Vergleichs gewesen. Zudem ist die aktuelle „Konjunktur“, die dieses Forschungsfeld seit dem Zusammenbruch der DDR erfahren hat (80), ganz nachhaltig durch geschichtspolitische Kontroversen geprägt. Die vergrößerte Bundesrepublik sucht nach ihrem Standort in der Welt des 21. Jahrhunderts und in diesem Rahmen muss sie auch den historischen Ort der beiden deutschen Diktaturen im „Zeitalter der Extreme“ bestimmen. Der über Jahrzehnte betriebene Prozess der „Aufarbeitung“ der NS-Vergangenheit wirft zwangsläufig Überlegungen zum Umgang mit den Folgen der SED-Diktatur auf. Schließlich stellt die Frage nach der Beziehungsgeschichte der beiden deutschen Diktaturen, also etwa danach, ob die SED-Führung partiell von der diktatorischen Herrschaftsdurchsetzung des NS-Regimes „lernte“ bzw. sich die Bevölkerung durch die Erfahrungen der NS-Zeit einen spezifischen Umgang mit diktatorischen Machthabern angeeignet hatte, zu den wichtigsten, aber auch den schwierigsten Komplexen einer kritischen Gesellschaftsgeschichte der DDR. So kann es nicht verwundern, dass der Terminus „Diktaturenvergleich“ in der jüngeren Debatte häufiger den Charakter eines emotional besetzten Kampfbegriffes gewonnen hat statt als nüchterne Bezeichnung für einen wissenschaftlichen Untersuchungsansatz verwendet zu werden – der im Übrigen natürlich nicht etwa dazu kreiert worden ist, um die DDR zu desavouieren. In kritischer Rückschau auf die in den frühen neunziger Jahren mit beinahe missionarischem Eifer geführte hitzige geschichtspolitische Debatte ist zudem auf die starke Blickverengung dieser sehr „deutschen“ Diskussion hinzuweisen. Vor diesem aktuellen Hintergrund erscheint es besonders wichtig, die Fixierung auf den deutsch-deutschen Sonderfall zu durchbrechen und die historische Entwicklung sowie die systematische Ausdifferenzierung des Forschungsfeldes Diktaturenvergleich auf internationaler Ebene zur Kenntnis zu nehmen und zum Bezugsrahmen dieses einführenden Überblicks zu machen sowie die methodologischen Probleme der komparativen Untersuchung von Diktaturen auf allgemeiner Ebene (und eben nicht auf die politischen Bewertung von NS- und SED-Herrschaft zugespitzt) zu reflektieren. Dies soll in den folgenden Abschnitten geschehen.
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit den modernen Diktaturen des 20. Jahrhunderts ist fast genauso alt wie das Phänomen selbst. Bereits in der Zwischenkriegszeit entstanden (vor allem in Großbritannien, Frankreich, Italien, Deutschland und den USA) frühe Ansätze einer Diktaturforschung, die vielfach auf komparative Verfahren zurückgriff, um durch die vergleichende Analyse unterschiedlicher diktatorischer Regime und Bewegungen die Erkenntnis des einzelnen Falles zu präzisieren (vgl. Kap. II, 1, a). Als konzeptionelle Leitlinien dienten entweder der „Fascismus“ (exemplarisch hierfür: 78) oder aber die stetig an Brisanz gewinnende generelle Auseinandersetzung zwischen demokratischen und diktatorischen Regimen (48; 76; 77) bzw. ganz allgemein das Auftreten von „modernen Diktaturen“ unterschiedlicher Couleur (83; 75). Seit den späten dreißiger Jahren setzte sich dann, unter maßgeblichem Einfluss aus Deutschland emigrierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, zuerst in den USA und dann international das Konzept des „Totalitarismus“ als neues, die Diktaturforschung in den mittleren Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts dominierendes Paradigma durch (1; 15). Sowohl vom wissenschaftsgeschichtlichen Ursprung als auch vom systematischen Zusammenhang her steht die Denkfigur der „politischen Religion“ (84; 85) einerseits in Konkurrenz, andererseits aber auch in einem engen, sich ergänzenden Zusammenhang mit dem Totalitarismus-Konzept. Schließlich ist durch den Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums das „kurze 20. Jahrhundert“ seit 1989 / 1991 sehr schnell „historisiert“ worden, was unter anderem eine neuerliche, sehr intensive Hinwendung zur Erforschung der diese Epoche ganz entscheidend mitprägenden Diktaturen geführt hat. Insbesondere in Osteuropa erfuhr der Interpretationsansatz des Totalitarismus eine neue Renaissance. Angesichts der nachhaltigen und substantiellen Kritik, die dieses Konzept seit den späten sechziger Jahren erfahren hat, ist in diesem Zusammenhang aber auch als Alternative vorgeschlagen worden, mit einem offener angelegten und flexibler handhabbaren Modell der „modernen Diktatur“ zu operieren. Die erste Forschungskontroverse (Kap. III, 1) behandelt diese konkurrierenden theoretischen Ansätze, die in der Forschungspraxis dem Diktaturenvergleich zugrunde gelegt werden. Dabei wird versucht, durch ergänzende Hinweise zum beruflichen und politischen Hintergrund der wichtigsten Autoren eine grobe Einordnung der vorgestellten Positionen zu ermöglichen.
Dem historisch fundierten politik- und sozialwissenschaftlichen Vergleich „nichtdemokratischer“ bzw. diktatorischer Systeme sind prinzipiell kaum Grenzen gesetzt, wie die von Juan Linz entwickelte Systematik autoritärer und totalitärer Regime (81) oder die nach den sozialen Ursprüngen von Diktatur und Demokratie fragende Analyse Barrington Moores (82) beispielhaft belegen. Eine derart umfassende Betrachtung kann im Rahmen dieser Einführung nicht annähernd realisiert werden. Die erste grundsätzliche Eingrenzung besteht darin, dass außereuropäische Entwicklungen nicht berücksichtigt werden. Weiterhin findet eine zeitliche Konzentration auf die „modernen Diktaturen“ des 20. Jahrhunderts statt. Im Mittelpunkt der exemplarisch angelegten Problemaufrisse werden daher vier Regime stehen: der italienische Faschismus, die Sowjetunion, der NS-Staat und die in der DDR errichtete SED-Herrschaft. Weiterführende Hinweise auf einschlägige Studien und Forschungsüberblicke sollen dabei auch jenseits der hier als roter Faden verfolgten vergleichenden Perspektive Zugänge für ein vertiefendes Studium der einzelnen Regime eröffnen. Insgesamt werden – allerdings mit unterschiedlicher Gewichtung – vier zentrale Forschungszweige des Diktaturenvergleichs berücksichtigt: die vergleichende Faschismusforschung, die vergleichende Kommunismusforschung, der systemübergreifende Vergleich zwischen den beiden Extremfällen, also der stalinistischen Sowjetunion und dem nationalsozialistischen Deutschland sowie der Vergleich zwischen der NS- und der SED-Herrschaft.