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a) Traditionen und Konzepte der älteren Diktaturforschung

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Der von Carl Schmitt 1921 vorgelegte rechtshistorische Abriss „Die Diktatur“ (98) setzt mit dem Institut der „rechtlichen Diktatur“ im antiken Rom ein und schließt mit einer Betrachtung der rechtsstaatlich legitimierten „Diktatur des Reichspräsidenten“, die nach Artikel 48 der Weimarer Verfassung erklärt werden durfte, sofern nach Einschätzung des Staatsoberhaupts die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet war. Im Kern arbeitet Schmitt in seiner Abhandlung eine grundlegende Unterscheidung zwischen der „kommissarischen“ Reformations-Diktatur des 16. Jahrhunderts, die er exemplarisch in den Vorstellungen von Machiavelli und Bodin verkörpert sieht, und der seit dem 18. Jahrhundert sich entwickelnden „souveränen“ Revolutions-Diktatur heraus. Für Letztere sei charakteristisch, dass der Diktator zwar auch „Kommissar“ bleibe, aber eine Legitimationsbasis als „Souverän“ gewinne, die sich aus der zwar „nicht konstituierten, aber konstituierenden Gewalt“ des Volkes, also nicht etwa aus demokratischen Wahlen, sondern aus massenhafter Akklamation ableite. Dieser „Volkskommissar“ sei mithin ein Diktator, „der auch seinem Auftraggeber diktiert, ohne aufzuhören, sich an ihm zu legitimieren“ (98, S. X; vgl. auch 100, S. 80 ff.). Im Zusammenhang mit seinen anderen Schriften, in denen Schmitt u. a. den Begriff des Politischen aus einem Freund-Feind-Schema ableitet und die Prinzipien der parlamentarischen Demokratie verwirft, erweisen sich diese Reflexionen zur Diktatur als Thesen eines dezidierten Antidemokraten. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund von Schmitts späterer Anbiederung an das NS-Regime (Parteieintritt 1933 als „März-Gefallener“) und seiner Rechtfertigung diktatorialen Terrors, auf die Spitze getrieben in der perfiden Formel „Der Führer schützt das Recht“ als Reaktion auf die im Zuge der „Röhm-Aktion“ im Sommer 1934 verübten politischen Morde. Heutige Leserinnen und Lesern müssen zwangsläufig die Frage aufwerfen, welchen Stellenwert Schmitts 1921 formulierte Kritik hat, dass eine Diktatur, die das Recht ignoriert, aber gleichzeitig erklärt, dies nur zu tun, um „das Recht zu verwirklichen“, über „keine Rechtfertigung im Rechtssinne“ verfüge, „denn der noch so gute wirkliche oder vorgebliche Zweck kann keinen Rechtsbruch begründen, und die Herbeiführung eines den Prinzipien normativer Richtigkeit entsprechenden Zustandes verleiht noch keine rechtliche Autorität“ (98, S. IX). In seinen weiteren Ausführungen verwässerte Schmitt diese grundlegende Feststellung zudem, indem er über die Möglichkeit einer „konkreten Ausnahme“ spekulierte, als die er die „Ermächtigung einer höchsten Autorität“ ansah, „die rechtlich imstande ist, das Recht aufzuheben und eine Diktatur zu autorisieren“. Staatstheoretisch sei nämlich das Phänomen der Diktatur zu identifizieren als das „in der allgemeinen Rechtlehre bisher noch wenig systematisch behandelte Problem der konkreten Ausnahme“ (ebenda). Trotz aller Anpassung fiel Schmitt, den sein früherer Freund und später erbitterter Gegner Waldemar Gurian als „Kronjurist des Dritten Reiches“ und damit als wichtigen Stichwortgeber für die Perversion der Rechtsvorstellungen im NS-Staat charakterisiert hat, ab 1936 politisch in Ungnade. Mit Ralf Walkenhaus kann man Schmitt verstehen als „ein Symbol für die antidemokratische, antiliberale Richtung einer autoritären Staatslehre, die mit der Politisierung ihrer Gegenstände für eine normativistische Abwertung und machtpolitische Überfrachtung steht“ (100, S. 78). Insgesamt bleibt der ebenso scharfsinnige wie hemmungslos anpassungswillige Schmitt eine schillernde, in hohem Maße umstrittene und noch heute polarisierende Persönlichkeit des „Zeitalters der Extreme“. Als auskunftsfähige Autorität zum Problem der Diktatur ist er nicht geeignet.

Die normative Indifferenz der im deutschen Sprachraum seinerzeit praktizierten intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Diktatur spiegelt sich ebenfalls recht eindrucksvoll in einem 1930 von Otto Forst de Battaglia herausgegebenen Sammelband über den „Prozess der Diktatur“ wider, in dem in 21 sehr heterogenen Beiträgen verschiedene Epochen (vom alten Rom bis zu Mussolini) und Aspekte der Diktatur (von einem Sinnspruch Albert Einsteins über „Wissenschaft und Diktatur“ bis zu einem Aufsatz über „Liebe und Diktatur“) behandelt werden. In seiner Bilanz führt der Herausgeber aus, es sei das Ziel der Publikation gewesen, „die Diktatur aus dem Konnex mit Himmel und Hölle“ zu reißen, „sie an die Erde zu haften und dann zu zeigen, was, in verschiedensten Bereichen, von den Diktaturen tatsächlich vollbracht wurde.“ (14, S. 391) Forst de Battaglia konstatiert 1930 – vor dem Hintergrund einer viel zu optimistischen Beurteilung der politischen Lage mit einer ungewollten und daher um so gespenstischeren Prophetie – dass die Wahrscheinlichkeit einer Diktatur in Deutschland „momentan nicht groß“, in Frankreich „gleich Null“ und in Österreich „vom raschen Wechsel der parlamentarischen Lage abhängig“ sei. „Nur plötzliche Krisen könnten die Situation schnell verändern. Sich über diese Eventualitäten zu äußern, möchte ich Propheten und Schwarz- (oder Rot-)Sehern überlassen.“ England, die skandinavischen Nationen und die Benelux-Ländern kämen für eine Diktatur ohnehin prinzipiell nicht infrage. Für die zuvor genannten Fälle stehe zudem fest, dass „nur gänzliches Versagen der bestehenden verfassungsmäßigen Instanzen den Sturz der Demokratie bewirken würde.“ (14, S. 410) So schließt Forst de Battaglia seine Betrachtung mit einem „Freispruch“ für die Diktatur, die durchaus als probates Mittel zur Bewältigung bestimmter schwieriger Situationen anerkannt wird (14, S. 413). Angesichts dieser für weite Teile der bürgerlichen Eliten in den späten Weimarer Jahren typischen ambivalenten Haltung gegenüber der Herausforderung der Demokratie durch die Diktatur verwundert es nicht, dass die heute noch richtungweisenden Referenzwerke der älteren Diktaturforschung vornehmlich aus der sich bewusst als „Demokratiewissenschaft“ verstehenden amerikanischen Politikwissenschaft oder aber aus der Feder von vor der NS-Diktatur in die USA emigrierten deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern stammen.

Aus dem Blickwinkel der vergleichenden Diktaturforschung kommt sowohl Hermann Hellers kritischer Analyse des „fascistischen“ Regimes als „die der kapitalistischen Gesellschaft entsprechende Form der Diktatur“ (78, S. 123) als auch der Studie über Marxismus und Diktatur (92), in der sich Arkadij Gurland – letztlich nicht überzeugend – bemüht, einen „soziologischen Diktaturbegriff“ aus den von Marx und Engels entwickelten geschichtsphilosophischen Thesen abzuleiten, nur untergeordnete Bedeutung zu. Wichtige Beiträge zur älteren diktaturvergleichenden Forschung deutscher Tradition stellen vor allem die Arbeiten von Eduard Heimann, Karl Loewenstein und Hans Kelsen sowie Hans Kohn dar.

Der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Eduard Heimann, zusammen mit Paul Tillich Begründer der zahlenmäßig kleinen, aber bedeutsamen Gruppe der „Religiösen Sozialisten“, bestimmte in seiner lange vorbereiteten, aber erst 1938 im Exil publizierten systemtypologischen Studie (77) den klassischen Sozialismus als die erste, den Kommunismus als die zweite und den Faschismus als die dritte „Transformation“ des demokratischen Systems. Das Auftreten des Faschismus wird als „Strafe“ dafür gedeutet, dass sich der Marxismus sozialistischer wie kommunistischer Ausprägung mit seiner Vision einer „Diktatur des Proletariats“ des Verrats an der Freiheit schuldig gemacht habe. Im letzten Kapitel seines Werkes entfaltet Heimann die normative und zugleich im positiven Sinne utopische Perspektive seiner Analyse: eine modernisierte pluralistische Demokratie, die auf den Prinzipien Freiheit und Gleichheit beruht. Im ökonomischen Bereich sei dieses Ziel anzustreben durch ein aufeinander abgestimmtes Zusammenwirken von planwirtschaftlichen Kontrollmechanismen in dynamischen Wirtschaftsbereichen und einem dezentralisierten freien Markt in den sich nicht dynamisch entwickelnden Zweigen der Wirtschaft. Die Elastizität der sozial-ökonomischen Strukturen ist nach Heimann für die erfolgreiche Gestaltung einer modernisierten Demokratie in einer sich diversifizierenden Welt letztlich von größerer Bedeutung als die Struktur selbst (77, S. 272) – eine auch noch aus heutiger Sicht zukunftsweisende und ganz offensichtlich vom amerikanischen Erfahrungshorizont inspirierte Idee, die der europäischen Gedankenwelt in diesem Zeitalter der „weltanschaulichen“ Kämpfe weit voraus war.

Der Jurist und Politikwissenschaftler Karl Loewenstein entwarf Mitte der dreißiger Jahre im amerikanischen Exil ein Panorama des zeitgenössischen Europa, das er in zwei antagonistische politische Lager aufgeteilt sah. Die fundamentale Spannungslinie konstituierte sich dabei für Loewenstein nicht etwa zwischen dem Bolschewismus bzw. dem internationalistischen Sozialismus und den nationalistisch geprägten faschistischen Bewegungen und Regimen sondern zwischen den unter Druck geratenen liberalen Demokratien und den verschiedenen autokratischen bzw. diktatorischen Formen von Herrschaft, auf deren Basis bereits der größere Teil des europäischen Territoriums regiert wurde. Der erste Teil seiner Analyse (97, S. 577 ff.) arbeitet vor allem die Bedingungen heraus, die ganz allgemein zum Aufschwung faschistischer Bewegungen, in einigen Fällen auch zur Durchsetzung faschistischer Regime geführt haben: Die weltweite Wirtschaftskrise habe das Vertrauen in die internationale Zusammenarbeit zerstört; Autarkie und Wirtschaftslenkung seien die Schlagworte der Zeit. Auf politischem Gebiet sei die Demokratie vielfach nicht wehrhaft genug aufgetreten. In der gesellschaftlichen Krise und der hierdurch zugespitzten politischen Polarisierung sei die Anfälligkeit einiger unter Druck geratener sozialer Gruppen (Bauern, bürgerliche Mittelschichten, Arbeitslose, Jugendliche) für eine auf charismatischer Führerschaft beruhende Herrschaft dramatisch gewachsen. Dies habe den „Schwarzhemden“ in Italien und den „Braunhemden“ in Deutschland erst die Übernahme der Macht ermöglicht. Im zweiten Teil seiner Abhandlung (97, S. 755ff.) setzt sich Loewenstein vor allem mit der Frage auseinander, welche Chancen faschistische Regime haben, sich auch in den noch verbliebenen demokratischen Nationen Europas durchzusetzen. Gefahren werden für solche Länder konstatiert, in denen die demokratische Praxis nicht tief verwurzelt ist (z. B. Spanien, Rumänien); als gefestigte europäische Demokratien werden dagegen vor allem Großbritannien sowie die Schweiz, Belgien, die Niederlande und die skandinavischen Staaten bezeichnet. Als „kritischen Punkt“ in der „Schlacht“ zwischen Autokratie und Demokratie in Europa macht Loewenstein Frankreich aus. An seinem Schicksal werde sich entscheiden, ob Europa den Weg von Demokratie und Frieden oder den von Imperialismus und Krieg gehe. Die Situation im Jahre 1935 unterstreiche das bekannte Diktum: „If France is quiet, all Europe is quiet“ (97, S. 782). Loewenstein geht in seiner optimistischen Schlussbilanz davon aus, dass das Auftreten von Diktaturen in allen Ländern Europas (eventuell mit Ausnahme Russlands) eine nur vorübergehende Erscheinung sein werde, denn die moderne Geschichte sei ein unumkehrbarer Prozess der revolutionären Veränderungen von der Autokratie zur Demokratie, bei der jeder Rückschritt bald durch weitere Fortschritte aufgehoben werde. Im Ergebnis greift diese im Detail ungemein kenntnisreiche Analyse der politischen Situation in Europa zu kurz, weil Loewenstein mit seinem sehr stark auf die innere Entwicklung der einzelnen Staaten abhebenden Diktaturkonzept die zerstörerische Dynamik nationalsozialistischer Kriegs-, Großraum- und Vernichtungspolitik nicht antizipieren konnte. Insofern verdeutlicht die letztlich immer noch begrenzte Reichweite dieses bereits sehr differenzierten Ansatzes der älteren Diktaturforschung, warum sich in der Folgezeit das Paradigma des „Totalitarismus“ als Antwort auf eine neue Dimension von diktatorischer Herrschaft durchgesetzt hat.

Der Jurist Hans Kelsen, wissenschaftlich vor allem als Begründer der Wiener rechtstheoretischen Schule ausgewiesen, propagierte in seinen politiktheoretischen Schriften die parlamentarische Demokratie als die am besten geeignete Staatsform, um eine umfassende „Friedensordnung“ und eine evolutionäre Veränderung der Gesellschaft zu erreichen. Bezeichnend für seine aus Prinzip vertretene tolerante Grundhaltung ist, dass Kelsen Ende 1932 der Berufung seines wissenschaftlichen Kontrahenden Carl Schmitt an die Kölner Universität zustimmte, was letzteren freilich nicht davon abhielt, nach dem 30. Januar 1933 umgehend und erfolgreich Kelsens Amtsenthebung zu betreiben. Während seiner Exilzeit in Genf (1933 – 1940, danach in den USA) setzte sich Kelsen mit der Einparteiendiktatur auseinander, die er als die moderne Form der Autokratie oder Diktatur und damit als Opposition zum demokratischen Parteienstaat bestimmte (93). Ihr zentrales Merkmal sei, dass die für die Demokratie fundamentale Trennung von Staatsapparat und „Parteimaschinen“ aufgehoben werde. In seiner komprimierten Skizze benennt Kelsen die Essentials der modernen Einparteiendiktaturen: Die jeweilige Ideologie, hier der Sozialismus in seiner bolschewistischen Ausprägung, dort die faschistische Variante des Nationalismus, diene dazu, die Bevölkerung für die schweren Opfer zu präparieren, die ihr durch die Diktatur auferlegt würden. Im Bolschewismus sei es die Parteielite, die als selbst ernannte Avantgarde des industriellen Proletariats auftrete, im Faschismus der charismatisch legitimierte Führer und seine „lieutnants“, die demokratische Herrschaftsmechanismen ersetzt hätten und von ihrer Gefolgschaft Disziplin und unbedingten Gehorsam einforderten. Gleichermaßen seien diese modernen Diktaturen durch Militarisierung und einen fundamentalen Antipazifismus sowie durch ein imperialistisches Auftreten in der Außenpolitik gekennzeichnet. Im Ergebnis repräsentierte die faschistische Variante der Einparteiendiktatur für Kelsen die gegebene politische Form des „dekadenten Kapitalismus“. Es sei aber keineswegs unmöglich, dass sich dieser exklusiv auf die Mittelschichten gestützte „Staatskapitalismus“ in seinen langfristigen ökonomischen Strategien dem bolschewistischen „Staatssozialismus“ annähere. Die zentrale Kategorie in Kelsens komprimierter Strukturskizze ist noch die der „Diktatur“, zugleich wird aber die Mitte der dreißiger Jahre unter den deutschen Emigranten immer stärker an Bedeutung gewinnende Interpretationsfolie des „totalitären Staates“ im letzten Abschnitt seiner systematischen Analyse bereits aufgegriffen (93, S. 31), ohne freilich eine tragende Rolle zu spielen. Insofern sind Hans Kelsens Reflexionen als Bindeglied zwischen den Traditionen der älteren deutschen Diktaturforschung und der im internationalen Kontext sich neu etablierenden Totalitarismusforschung zu verstehen.

Im Italien der Zwischenkriegszeit, dem faschistischen Ständestaat Mussolinis, konnte kritische Diktaturforschung selbstverständlich nicht öffentlich betrieben werden. So war es der nach eigener Charakteristik als italienischer „Patriot“ im Exil lebende Diplomat und liberale Politiker Carlo Sforza, der 1932 eine bemerkenswerte Analyse der europäischen Diktaturen der Zwischenkriegszeit publizierte, und zwar zeitgleich in englischer, französischer und deutscher Sprache. Seine stilistisch zwischen Zeitzeugenbericht und gelehrter Abhandlung (es fehlt ein Anmerkungsapparat) angesiedelte Schrift zielte in erster Linie auf ein breiteres historisch und politisch interessiertes Publikum und nicht vorrangig auf den wissenschaftlichen Diskurs.

Sforza behandelt zunächst intensiv die politische Entwicklung in seinem Heimatland und widerlegt dabei die Legende, der Faschismus habe Italien vor einer bolschewistischen Diktatur „gerettet“ (52, S. 51 ff.). Während die Sowjetunion für Sforza eindeutig als „imperialistischer“ Staat bestimmbar ist, bleibt das Deutschland der zusammenbrechenden Weimarer Demokratie für ihn eine „Sphinx“. In seinen Reflexionen offenbart sich der Autor nicht nur als ein überaus kenntnisreicher Beobachter der Weltpolitik, sondern gleichzeitig auch als ein geschlagener politischer Akteur, der in etlichen politischen Ämtern und diplomatischen Positionen miterleben musste (und dabei studieren konnte), wie Europa nach dem Ersten Weltkrieg von Diktaturen unterschiedlicher Couleur wie von einer Epidemie geradezu „überschwemmt“ wurde. Die Diktatur, die er in jeder Spielart als eine durchweg auf das Standrecht gegründete Form der gewaltsamen und illegitimen Herrschaft definiert, ist in seiner Sichtweise eine Art ansteckende Krankheit. Sforzas kritischer Blick richtet sich dabei nicht in erster Linie auf die Diktatoren selbst, sondern auf die Eliten, durch deren Mitwirkung die liberale Gesellschaft erst hatte zerstört werden können: „Es sind im Grunde weder die Stalins, Mussolinis und Piłsudskis noch ihre vermeintlichen Nachäffer in Deutschland, Österreich, Spanien, Ungarn oder sonstwo, denen die Unruhe in Europa zu verdanken ist. Das eigentliche Symptom der geistigen Krankheit, die Europa befallen hat, ist dies: daß sich nicht nur ‚Konservative’ gefunden haben, die der Zerstörung geltender Gesetze zujubelten – naiv überzeugt, auf diese Art ihrem eigenen unmittelbaren Interesse zu dienen –, sondern auch Intellektuelle, Söhne der Freiheit, die nicht zu erkennen vermochten, daß sie durch ihr Eintreten für ein freiheitsfeindliches Regime den Ast absägten, auf dem sie selber saßen.“ (52, S. 18) Trotz der im Einzelnen herausgearbeiteten Unterschiede in der Entstehung und den propagierten „Endzielen“ der einzelnen Regime zeichnete Sforza ein klar konturiertes Gesamtbild der politischen Konstellation und der prekären Perspektiven im Europa der Zwischenkriegszeit. Allein Liberalismus und Demokratie könnten danach die europäischen Gesellschaften „vor den neuen Formen der Sklaverei retten, die uns durch Rußland drohen, und vor dem geistigen Niedergang, der notwendigerweise das Endergebnis der militaristischen und nationalistischen Diktaturen sein muss.“ (52, S. 226) Bemerkenswert ist, wie sich die Wertungen Sforzas in auffallender Weise von der fast zeitgleich erschienenen und sich nach Form und Stil an ein ähnliches Publikum in Deutschland wendenden Schrift von Otto Forst de Battaglia abheben. Wo Letzterer in seiner Grundhaltung gegenüber der Diktatur ambivalent bleibt, fordert Sforza eine offensive Auseinandersetzung, denn er ist überzeugt, dass die modernen Diktaturen „eine furchtbare sittliche und materielle Erbschaft […] hinterlassen werden“ (52, S. 12).

In Frankreich war es Élie Halévy, der, ausgehend von seinen ideengeschichtlichen Untersuchungen zu den widersprüchlichen demokratischen und antiliberalen Potentialen in den Theorien des Sozialismus, eine intensive Diskussion über ein neues, begrifflich sehr eng vom antiken griechischen Vorbild abgeleitetes „Zeitalter der Tyrannei“ anstieß. Für Halévy setzt die „ère de tyrannies“ in den Krieg führenden Staaten bereits im August 1914 mit der Einschränkung der parlamentarischen Demokratie durch staatliche Kontrollmechanismen ein und mündet dann im Ergebnis des Weltkriegs beinahe zwangsläufig in der Etablierung moderner „Tyranneien“. Er plädiert ausdrücklich für diese Begriffswahl, da „Diktaturen“ nach der antiken Tradition per definitionem nur für eine begrenzte Zeit installiert worden seien, der korporatistisch geprägte italienische Faschismus ebenso wie der russische Bolschewismus aber auf eine dauerhafte Existenz zielten. Kritische Einwände provozierte Halévy unter anderem dadurch, dass er den Bolschewismus, dessen Regime er weitaus stärker durch die Bedingungen des Krieges als durch die marxistische Theorie bestimmt sieht, aufgrund der Art seiner Machtdurchsetzung, bei der eine kleine bewaffnete Avantgarde den Staat usurpiert habe, als eine Variante des Faschismus bezeichnete (76, S. 266 f.). Die profunde Auseinandersetzung Raymond Arons mit den streitbaren Thesen Halévys markiert in der französischen Debatte den Übergang zu den zugespitzteren Interpretationsansätzen des „Totalitarismus“ und der „politischen Religion“. Dabei übernahm der frühe Aron zwar vorübergehend Halévys Leitbegriff der „modernen Tyrannei“, differenzierte aber seine inhaltliche Bestimmung, indem er den von Halévy herausgestellten Gemeinsamkeiten von „sowjetischer Tyrannei“ und „reaktionären Tyranneien“ seine Bilanz der gravierenden Unterschiede entgegensetzte: „Der Faschismus und der Kommunismus haben ihren Ursprung in verschiedenen sozialen Klassen; Ersterer erhält die bestehende soziale Struktur, Letzterer zerstört die alten führenden Klassen und bemüht sich zu verhindern, dass die Einkommensunterschiede sich zu Klassenunterschieden kristallisieren. Die Ideologien, hier idealistisch, heroisch, irrational und organisch, dort materialistisch, internationalistisch und szientistisch, stehen ebenfalls in Gegensatz zueinander.“ (91, S. 200) Arons Fazit lautet, dass die von Halévy begonnene Analyse der modernen Tyranneien weitergeführt und auf ein neues Niveau gehoben werden muss, indem die inneren Strukturen und das außenpolitische Handeln der jeweiligen Regime miteinander verglichen werden (91, S. 201).

Sieht man von E.E. Kelletts eher populärwissenschaftlicher und teilweise auch oberflächlicher „Story of Dictatorship“ (47) ab, so wurden in der Zwischenkriegszeit in England vor allem zwei Versuche unternommen, das Phänomen der Diktatur umfassender in seiner historischen Entwicklung bzw. in seinen systemtypologischen Gegebenheiten zu analysieren. Der Historiker und Parlamentsabgeordnete John Marriott (48) präsentierte seinen Leserinnen und Lesern eine kontrastierende Geschichte von Demokratie und Diktatur, die in einem chronologischen Durchgang von der griechischen Antike bis zur aktuellen Situation Mitte der dreißiger Jahre entfaltet wird. Mit der vorrangig auf systematische Fragestellungen (historische Evolution von Diktaturen, Entstehungs- und Zusammenbruchsbedingungen, ökonomische und politische Konsequenzen) zielenden Studie von Alfred Cobban wird in England der Übergang von der älteren Diktaturforschung zur sie ablösenden Totalitarismusforschung markiert. Einerseits bildet zwar der Begriff der „modernen Diktatur“ noch die terminologische Ausgangsbasis von Cobbans Analyse (40, S. 21f.), andererseits ist seine Untersuchung aber bereits auch als Entwicklungsgeschichte der totalitären Diktatur zu lesen.

Den in den Vereinigten Staaten bereits in den zwanziger Jahren erreichten Stand der politik- und sozialwissenschaftlich ausgerichteten Diktaturforschung repräsentieren beispielhaft zwei bilanzierende Überblicksartikel Henry R. Spencers. In seinem Beitrag zur 1931 erstmals erschienenen „Encyclopedia of the Social Sciences“ arbeitet Spencer zunächst die wechselnden Bedeutungen des Begriffes „Diktatur“ in der Antike, der frühen Neuzeit und in der Moderne heraus. Im systematischen Teil seiner Ausführungen bestimmt er den „Haupttyp“ der Diktatur als ein Phänomen, das im Regelfall aus instabilen oder revolutionären Verhältnissen hervorgeht, die auf eine Phase konstitutioneller und legitimierter Herrschaft gefolgt sind. Da zahlreiche der ihm vor Augen stehenden autokratischen Regime allein mit dieser Definition nicht adäquat zu fassen sind, müssen weitere Differenzierungen vorgenommen werden. Als wichtige Faktoren werden die Ursachen und Motive für die massenhafte Akzeptanz von Diktatoren in der Bevölkerung, die Hintergründe für die in vielen Fällen wachsende Distanz zur Demokratie und zum Parlamentarismus, die Zusammenarbeit bestimmter sozialer Gruppen mit den Exponenten der politischen Reaktion und die Rolle des Militärs benannt. An anderer Stelle untersucht Spencer anhand der in Europa existierenden diktatorischen Regime die Frage, ob ein neues „Zeitalter der Despoten“ drohe. Sie wird am Ende nicht mit einer nüchtern-distanzierten wissenschaftlichen Einschätzung, sondern mit einem emphatischen Appell beantwortet, der exemplarisch belegt, dass die ältere vergleichende Diktaturforschung, die noch nicht auf das Interpretationsmodell des „Totalitarismus“ hin zugespitzt war, keineswegs normativ indifferent sein musste: Den Völkern werde die demokratische Regierungsform (self-government) nicht ohne eigenes Zutun geschenkt und garantiert. Sie erfordere vielmehr mühevolles Engagement, freiwillige Achtung der vereinbarten Gesetze und das Unterwerfen des eigenen Willens unter das „öffentliche Gewissen“. Aus dieser Geisteshaltung heraus erhalte der demokratisch legitimierte Minister und Parlamentarier das Vertrauen, das er verdient habe, der Tyrann aber das Schwert, durch das er untergehen werde (99, S. 551).

Der von Guy Stanton Ford herausgegebene Aufsatzband über die Diktaturen in der modernen Welt (75) verdeutlicht das hohe analytische Niveau und vor allem die methodische Vielfältigkeit der älteren vergleichenden Diktaturforschung in den USA. Das Sammelwerk bündelt in seiner zweiten, erheblich erweiterten Auflage 14 in sich abgeschlossene Beiträge, in denen sowohl einzelne diktatorische Regime (etwa Henry R. Spencer über Mussolinis Italien, Harold C. Deutsch über den Ursprung der Diktatur in Deutschland) wie auch vielfältige Aspekte und Rahmenbedingungen der modernen Diktaturen (von wirtschaftlichen Fragen über die Propaganda bis zur Situation der Frauen unter der Diktatur) analysiert werden. Im einführenden Beitrag untersucht der Politologe Max Lerner das „Grundmuster“ der modernen Diktaturen und geht insbesondere der Frage nach, ob der Faschismus einen für den „Export“ geeigneten „Gebrauchsartikel“ („exportable commodity“) darstelle. Er identifiziert dabei das „Modell“ der faschistischen Diktatur als „gepanzerte Faust, erhoben zur Verteidigung des kapitalistischen Nationalstaats […] Wenn wir wirklich einem neuen Zeitalter von Despotismus entgegengehen, so ist hier der Entwurf für den Despotismus.“ (96, S, 34)

Diana Spearman charakterisiert in ihrer Monographie die Renaissance autokratischer Herrschaftsformen in Europa als die verblüffendste Herausforderung unter den politischen Entwicklungen der Moderne. Es scheine plötzlich so, als ob die Freiheit eine weitaus geringere und autoritäre Herrschaftsformen eine deutliche höhere Anziehungskraft besäßen, als man bisher geglaubt habe (83, S. 9). Dies mache es notwendig, gängige Überzeugungen der politischen Psychologie und der politischen Theorie einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Der konzeptionelle Leitbegriff ihrer Analyse bleibt jener der „modernen Diktatur“, wobei freilich die ergänzende Charakterisierung als „totalitäres“ Regime hierzu eine differenzierende Funktion gewinnt. Die provokante Frage, ob die untersuchten modernen Diktaturen denn als „erfolgreich“ bezeichnet werden können, beantwortet Spearman in ihrer Schlussbilanz eindeutig negativ: Jeder denkbare Vorteil, den eine Diktatur in ökonomischer, „nationaler“ oder anderer Hinsicht haben könnte, sei prinzipiell mit einem mindestens teilweisen oder gar vollständigen Verlust der politischen Freiheit verbunden. Aus den unterschiedlichen Typen von modernen Diktaturen könne sich allenfalls ein unterschiedliches Maß an Unterdrückung der freien Meinungsäußerung und des unabhängigen Denkens in der wissenschaftlichen und kulturellen Sphäre ableiten (83, S. 256). Als positives Gegenbild hierzu biete die Demokratie dem Individuum die Chance, selbst die Verantwortung für die Gestaltung der eigenen Existenz zu übernehmen (83, S. 265).

Besonders prägnant wird der zeittypische Paradigmenwechsel vom allgemeinen Diktaturbegriff zum stärker normativ aufgeladenen Konzept des „Totalitarismus“ bei Hans Kohn sichtbar. Seine erst im amerikanischen Exil zwischen 1935 und 1939 vorgenommene Umorientierung wird belegt durch den deutlichen Kontrast zwischen einem noch ganz in den gewohnten terminologischen Bahnen argumentierenden Aufsatz über die kommunistische und faschistische Diktatur (94) und der pointiert zugespitzten Deutung in seinem Essay „The Totalitarian Crisis“ (95), die Kohn als einen sehr frühen, allerdings im Vergleich mit den herausragenden Exponenten nicht besonders wirkungsmächtigen Vertreter der Totalitarismustheorie ausweist.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es anspruchsvolle und vielfältige Aspekte thematisierende wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit den seit dem Ersten Weltkrieg in Europa sich etablierenden Diktaturen bereits in den dreißiger Jahren gab, also vor der Durchsetzung des Totalitarismus-Paradigmas. Während in den USA bereits zu dieser Zeit vor allem integrierende politologische Modelle (mit dem Fokus „dictatorship“) die vergleichende Diktaturforschung dominierten, waren in Europa die Zugänge der wissenschaftlichen Forschung zum Problem der Diktatur wesentlich heterogener. Weitgehend unverbunden existierten vielfältige historisch-chronologische Darstellungen, rechtshistorische bzw. staatstheoretische Studien sowie soziologische und politologische Analysen nebeneinander.

Diktaturen im Vergleich

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