Читать книгу -Ismus - Detlef Zeiler - Страница 12

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Die Gegner

Für die Konstruktion eines kämpferischen »Wir«-Gefühls war schon immer ein glaubwürdiger Gegner notwendig. Wer konnte diese Rolle nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland spielen? Zunächst einmal boten sich die für den Versailler »Schandvertrag« verantwortlichen Westmächte an, die von allen Parteien für Gebiets- und Ansehensverluste verantwortlich gemacht worden waren. Eine unvermittelte Anlehnung an den Westen, wo vor allem nach dem »Ruhrkampf« von 1923 Frankreich wieder als der »Erbfeind« gesehen wurde, schien nicht möglich. Eine Verständigung mit der Sowjetunion war nur unter der Hand möglich und kam auch nur deshalb zustande, weil der Westen eine Politik auf Augenhöhe verweigerte. Deutschland hatte zwar in der Sowjetunion eine verbotene Aufrüstung betrieben - und damit deren Industrialisierung vorangetrieben -, der Kommunismus war aber dem deutschen Bürgertum bis in den Mittelstand hinein eine angsteinflößende Perspektive. Gegner im Osten und Gegner im Westen, das waren nur äußere Feinde, nicht ausreichend zur Schaffung einer Hetzmeute, die allein nach all den bedrückenden Kriegserfahrungen von 1914 bis 1918 noch einmal in den Kampf der Völker einwilligen könnte. Es musste ein Feind im Inneren dazukommen, einer, der als »Sündenbock« dienen und zugleich eine Art Fünfte Kolonne des Feindes darstellen konnte: Das »internationale Judentum«. Alte, bis ins Mittelalter zurückreichende Ressentiments wurden geschickt aufgegriffen und verstärkt. Mit den Juden hatten die Nazis einen Feind im Inneren geschaffen, der nicht nur »Sündenbock« war und als »fünfte Kolonne« der Feinde gelten sollte, sondern auch ein Objekt der Beute abgab, den man enteignen und vertreiben, dessen Besitz man sich aneignen und für die Kriegsrüstung gebrauchen konnte. Also gab es zwei äußeren Feinde und einen inneren, der dann auch noch angeblich Verbindungen zu den beiden äußeren hatte - obwohl diese gänzlich verschiedenartige Systeme repräsentierten. Dass dies unlogisch war, interessierte nur wenige. Welche Fanatiker hat je schon Logik interessiert? Aber es liegt nicht nur am Fanatismus, wenn die Logik ausgeschaltet wird. Es gibt einfach zugespitzte Situationen, da entscheiden wir nach dem Gefühl. Und wenn das Gefühl sagt: Hier liegt eine Kränkung vor - und dort ist der Verursacher, dann richten wir einen Racheimpuls gegen eben diesen Verursacher. Unsere Psyche ist so aufgebaut, dass wir immer nach einer Ursache suchen. Hat nicht die Hinrichtung von Troy Davis in den USA vor kurzem erst gezeigt, wie heftig man an eine Ursache, in seinem Fall an einen Täter glauben will, auch wenn man offensichtlich den falschen gefasst hat? Fast erscheint es beliebig, wen die Verdächtigung trifft. Es war bei Troy Davis ein reiner Indizienprozess, von neun Belastungszeugen haben sieben ihre Aussage zurückgezogen und gesagt, sie seien von Polizisten zu ihrer Aussage gezwungen worden, ein achter ist schwer psychisch krank – und der letzte verbliebene Belastungszeuge stand selbst unter Tatverdacht. Keine Tatwaffe wurde bei Davis gefunden und keine DNA-Spuren oder Fingerabdrücke – und dennoch wurde er am 21. September 2011 mit der Giftspritze umgebracht. (http://de.wikipedia.org/wiki/Troy_Davis)

Die Nazis haben es geschafft, den Deutschen die Juden als Verursacher anzubieten. Im Grunde wurden Deutsche gegen Deutsche gehetzt, eine deutsche Tragödie, die früher, in der Zeit vor der Reichsgründung von 1871 die Zersplitterung Deutschlands und die Schwächung der Mitte Europas bewirkt hatte. Das gleiche Spiel nach 1918, wo es jedoch weniger nationale Fragen waren, die uns geschwächt haben, sondern ideologische (und rassistische). Waren es nicht Juden, die im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft und nach dem Ersten Weltkrieg Deutschland im Ausland wieder positiv dargestellt hatten? Die deutschen Juden waren damals derart „integriert“, dass einem der Vergleich mit heutigen Minderheiten in Europa schwerfällt. Aber: »Je größer die Lüge, desto mehr Menschen folgen ihr.« (Adolf Hitler)

Nachtrag: Hat man erst einmal ein Feindbild, dann ist es schwer, dieses wieder loszuwerden. Zum einen ist ein Feind oder ein »Sündenbock« nicht so leicht durch einen anderen zu ersetzen, wenn sich das Bild verfestigt hat. Erst recht nicht, wenn man dem angeblichen Feind schon selbst etwas Böses angetan hat. Selbst wenn die böse Tat durch Geld oder materielle Vorteile erkauft wurde, bleibt es eine Tat, die gerechtfertigt werden muss. Es muss einen seelischen Ausgleich für die Schuld geben, das Opfer muss angeblich selbst schuldig sein, sonst hätte man die böse Tat an ihm ja nicht begangen! Eher kann das Opfer verzeihen als dass der Täter sein Unrecht zugibt. Man sagt, es hätten viele Deutsche den Juden nie verziehen, dass sie so brutal zu ihnen haben sein müssen. Eine völlige Verkehrung der Lage, aber verständlich, wenn man versteht, wie die Psyche funktioniert. (Ist es heute nicht ähnlich im Irak, wo Araber die Besitztümer ihrer jesidischen oder christlichen Nachbarn übernehmen und den Hass auf diese Nachbarn rasch von anderen Beutemachern übernehmen – einfach, weil er nützlich ist?)

Auf ähnliche Weise kann man heute im Westen Menschen einfangen und zu Tätern machen: Man gibt ein halbwegs glaubwürdiges Opfer vor, gibt den Tätern Mittel zur bösen Tat in die Hand und versichert, zum einen würde das Opfer nicht sofort sterben und zum anderen könnte man als Täter nie erwischt werden, da sowieso so viele mitmachten. Wie im Krieg sei man jetzt bloßer »Soldat«, hätte neben einigen finanziellen Vorteilen dabei sogar seinen Spaß, denn die vereinzelten Gegner könnten sich kaum wehren und der Krieg laufe notgedrungen im Geheimen ab, wie ein Computerspiel, von dem das Opfer erst einmal nichts weiß. Und wenn es rausbekäme, wer dahintersteckt, könnte es nichts beweisen. Für die Bosheiten gegen x-beliebige Opfer gibt es kein direktes Motiv und keine Rechtfertigung durch ein Ideengebäude. Das unterscheidet die Lage heute von der im Dritten Reich oder derjenigen, die man in Diktaturen oder »Gottesstaaten« findet. Dort muss man eine Ideologie für die seelische Betäubung der Täter erfinden. Unter der Fassade einer funktionierenden Demokratie, die sich scheinbar ohne Anstrengung wie von selbst erhält, bekommt man seine Mitläufer möglicherweise schon durch Gerüchte, die ins Menschelnde (»human interest«) reichen – und als Lockmittel kommt dann die Erfüllung eines kleinen Konsumwunsches dazu. Die kommunikative Trennung vom Opfer einer Bosheit ist in diesem Spiel vorgegeben. Wiedergutmachung ist somit unmöglich. Und so kommt ein Mechanismus ins Spiel, den schon Thomas Hobbes 1651 in seinem »Leviathan« beschrieben hat: »Wer jemandem mehr Schaden zugefügt hat, als er wiedergutmachen kann, wird sein Opfer hassen.«

Hat man erst einmal genügend Aktivisten auf seiner Seite, dann kann man den Grad der bösen Taten verstärken. Und wer einmal nur so nebenbei mitgemacht hat, in Versuchung geraten ist, weil er aufgehetzt wurde, Geld, ein teures Handy, ein Auto, ein Motorrad odereine Eigentumswohnung angenommen oder nur dem Gruppendruck nachgegeben hat, der merkt nach kurzer Zeit, dass er nicht mehr rauskommt. Jetzt muss er (oder sie) mitmachen, wird Söldner ohne Kündigungsrecht. Von »oben« kann jetzt jederzeit ein »Feind« vorgegeben werden - und Otto-Normalbürger muss in Aktion treten. »Es gibt Ungeheuer, aber es sind zu wenige, um wirklich gefährlich werden zu können. Gefährlich sind die normalen Menschen.« (Primo Levi, Ist das ein Mensch? Nachwort 1976)

Bleibt nur noch die Frage nach dem Gewissen. Wer nur halbherzig mitmacht, der hat ein »schlechtes Gewissen«, der wird sich ab und zu Vorwürfe machen. Und meldet sich sein Gewissen zu stark, dann steht er in Gefahr, zum »Verräter« zu werden. Wird ein 100-prozentiger Mitläufer misstrauisch oder spinnt jemand - aus welchem Grund auch immer - eine Intrige, dann wird es für den, der Skrupel entwickelt, gefährlich. Das war so im Kommunismus, das war so im Dritten Reich, das ist so in jedem „-Ismus“, der zur Massenbewegung wird.

Es muss etwas am Faschismus gegeben haben, das über die Gewissenschranke wegführt - und was auch heute noch ansprechbar ist. Irgendein Schalter in der menschlichen Psyche muss umgelegt worden sein, der zum totalen Gehorsam führt, bei dem das Gewissen nicht mehr zählt, bei dem jeder, der das eigene Netzwerk in Frage stellt, zum Feind wird. In dem Film »Die Welle« (1981) konnte man das an der Figur Robert erkennen, an einem Loser, der plötzlich in einer straff organisierten Masse stark wird. Auf einmal war Laurie, die Klassenbeste, die einen Artikel gegen »Die Welle« geschrieben hatte, ein »Feind«!

Ende April 2010 ist der Film »Sin Nombre« von Cary Fukunawa in die Kinos gekommen. Er zeigt die Brutalität der Zwangsgemeinschaften, die sich außerhalb des Rechtsstaates organisieren, am Beispiel der berühmt-berüchtigten »Mara Salvatrucha«. Den sollte sich jeder anschauen, wenn er verstehen will, wie die »Solidarität« in kriminellen (und eventuell auch in manchen geheimdienstlichen) Gruppen funktioniert. Das Wort »verzeihen« ist dort unbekannt, weil es weder eine übergeordnete Macht (»Gott«) gibt, die einem die Rache und die Wiederherstellung eines inneren Gleichgewichts abnimmt, noch der Rechtsstaat als neutraler Dritter ins Spiel kommt.

Die »Mara Salvatrucha« ist nur ein Beispiel. Macht ohne Verantwortung schafft Strukturen, die sich in dieser oder jener Form immer wiederholen. Ein wenig kann man das auch in den „Bourne“-Filmen beobachten, die sich an geheimdienstlichen Spezialgruppen orientieren.

Und könnte es nicht sein, dass die Auslagerung geheimdienstlicher Kräfte in (besser bezahlte!) private Dienstleistungsfirmen, wie sie Tim Weiner in seinem Buch über die CIA beschreibt, eine Trennung von Macht und Verantwortung bewirkt, d.h. Macht ohne Verantwortung schafft? Diese ausgelagerten Kräfte besitzen dann das ganze Wissen der CIA (oder der NSA, wie der Fall Edward Snowden, einem Mitarbeiter der Firma Booz-Allen-Hamilton gezeigt hat), kennen z.B. auch die Schwächen und kleinen »Fehltritte« von Mitarbeitern in den Ländern der Verbündeten, wissen, wen sie wie unter Druck setzen können - auch in der Exekutive fremder Länder.

Wenn schon ein einzelner Computerfachmann wie Snowden so viel Wissen aus dem Innenleben eines Geheimdienstes abziehen kann, wieviel mehr könnten dies finanzstarke Gruppen aus der OK? Oder umgekehrt: Wie sehr könnten Psychopathen von der Machtfülle im Innenleben eines Geheimdienstes angezogen werden.

Psychopathen lieben nichts mehr als Macht über andere Menschen. Geheimdienste müssten theoretisch wie ein Magnet auf sie wirken. Und: »Betrüger und Geheimagent sind laut einer Vertreterin des britischen Ministeriums für Innere Sicherheit zwei Seiten derselben Medaille. Beide, so erklärte sie, sind auf die Fähigkeit angewiesen, sich als jemand auszugeben, der sie nicht sind, schnell zu reagieren und sich in Netzen der Täuschung zurechtzufinden.« (Kevin Dutton, Psychopathen. Was man von Heiligen, Anwälten und Serienmördern lernen kann.« dtv 2013, S. 142.) Selbst wenn die ältere Generation der Geheimdienstler im Westen noch der Demokratie verpflichtet war und sich Werte zuschrieb, die sie der Gegenseite absprach, inzwischen ist hier - wie im Finanzbereich - eine eher postmoderne Generation mit im Spiel, die ihren Auftrag als Spiel sieht, als Machtspiel, in dem kaum Grenzen gesetzt werden und niemand aus dem Parlamentarischen Bereich noch vollen Zugang bekommt. (Man beachte, wie heftig, fast panisch, sich der britische Geheimdienst, der u.a. Agenten mit dem Auftrag »Zersetzung« ausbildet, dagegen wehrt, dass ein deutscher parlamentarischer Ausschuss über Geheimdienstaktivitäten informiert wird.) Und was passiert wohl, wenn jungen Menschen in Machtpositionen keine Grenzen gesetzt werden?

Der Geheimdienstbereich ist heute ein riesiger Wirtschaftszweig, kaum noch kontrollierbar von der Legislative oder von der Justiz. Mit Geld oder psychologischem Druck können Geheimdienste oder ausgelagerte »Dienste« fremde Loyalitäten brechen und damit Instabilität auch in befreundeten Staaten schaffen. Und je mehr Instabilität, desto mehr werden sie gebraucht… Vor allem: Sie werden früher oder später attraktiv für skrupellose und größenwahnsinnige »Helfer«, die sich mit ein wenig Mimikry anbiedern können. Es gibt Helfer, die trauen sich auch in Kriegsgebiete oder in die Stadtviertel, in denen es der Polizei zu gefährlich wird, denn diese Helfer haben Zwangsmittel, die der Polizei nicht zustehen…

Am Ende muss ich jedoch zugeben, dass wir heute auch in demokratischen Staaten Geheimdienste brauchen. Die verschiedenen Formen des Terrorismus sind inzwischen zu stark und wie die OK global vernetzt. Die Führung der Geheimdienste muss aber in den Händen von Demokraten liegen, die in der Lage sind, Fehlentwicklungen zu erkennen und die sich nicht bestechen lassen.

-Ismus

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