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Gründungsmythos

Jede massenwirksame Bewegung brauchte bisher eine gewisse »Romantik«, einen Gründungsmythos, wie ihn etwa die deutsche Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts in der deutschen Geschichte gesucht hatte: Eine Sprachgemeinschaft mit historisch gewachsenen Eigenheiten müsse sich einen politischen Rahmen in der »Nation« geben. Dafür lohne es sich zu kämpfen und zu sterben.

Deutschland war - wie Italien - eine »verspätete« Nation. Seine Einheit war jahrhundertlang durch fremde Großmächte verhindert worden, deren Angst vor einer starken Mitte Europas zur aktiven Förderung der deutschen Kleinstaaterei geführt hatte. Erst unter Bismarck wurde die deutsche Einheit 1871 geschaffen. Nach seiner Absetzung 1890, im Zeitalter des Imperialismus, wurde diese Einheit aber in einem Anfall von Größenwahn wieder leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Man kann heute kaum noch nachvollziehen, wie politisiert die Öffentlichkeit Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts war. In jeder Kneipe wurde heftig und hitzig die politische Lage der Staaten und Völker diskutiert. Für einige schien der Sozialismus heraufzudämmern, für andere der vom »Imperialismus« des ausgehenden 19. Jahrhunderts geprägte Nationalismus. In dieser Atmosphäre schien es vielen Deutschen legitim, auch in der Geschichte alles herauszustellen, was die eigene Stärke begründete: Volkstum, Nationalgefühl, Gemeinschaft. Die Weimarer Demokratie konnte das nicht bieten, hatte auch nichts in der Geschichte vorzuweisen, was auf frühere Stärke verwies, denn Deutschland war ja nicht von Demokraten, sondern (von Bismarck) auf autoritäre Weise von oben gegründet worden. Gerade weil es keine demokratische Tradition gab, konnte die Erfindung des Germanentums wie ein Gründungsmythos von unten erscheinen, der sowohl in die Geschichte zurückreicht (Romantik), als auch mit dem radikalen Fortschritt in der technischen und sozialen Welt versöhnt. Mit dem rückwärtsgewandten Traum vom eigenen Herd und Hof im geistigen Gepäck, dem Bauernhof im Osten, liefen viele Deutsche den Nationalsozialisten in die Falle. Die wollten nicht nur Versailles revidieren und damit Deutschlands Stärke wiederherstellen, sondern hegten den Traum von einer Hegemonie über Europa und Asien, den Traum von der Durchsetzung einer Art eurasisehen »Monroe-Doktrin«, einer Doktrin, wie sie die USA für ihre Vorherrschaft über Nord- und Südamerika vertraten. Die Welt sollte in Großreiche aufgeteilt werden - und am Ende stünde eventuell die Weltherrschaft einer »Rasse«.

Wer könnte einen ähnlichen Traum heute hegen? Von welcher Kränkung, ähnlich der Kränkung der Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg, würden seine Ressentiments gespeist? Wie könnten möglichst viele Menschen in das Gefühl des Kränkung hineingezogen werden? Welche Revanchegefühle könnten angesprochen werden? Welchen Mythos würde man ansprechen? Welche Bilder würde man benutzen, um Wurzeln zu schlagen? Eine Mischung aus »Zurück zur Natur« und »Sozialdarwinismus«? Ein neuer Rassismus? Oder etwa der Glaube an die universale Lösung aller Probleme durch moderne Technik? Die Vorstellung vom Menschen als »Bioroboter«? Oder könnte man sich heute eine diktatorische Instanz vorstellen, die in unserer multikulturellen Welt mit allen möglichen Bildern nur spielt? Postmodern?

Die größte Kränkung für die heute einzig verbliebene Supermacht, die gerade dabei war, sich als ein freundlicher Hegemon zu profilieren, war der Angriff auf die Zwillingstürme im Jahre 2001. Seither gilt 9/11 als das Datum der Wende in der Politik des Westens. Die milliardenschweren Geheimdienste hatten versagt, mit primitiven Mitteln und ein wenig Heimtücke haben die »angry young men« (Gunnar Heinsohn, 2003), die man gerade noch gegen den untergehenden Kommunismus bestens ausgestattet hatte, die Schwachstellen einer demokratischen Gesellschaft aufgezeigt. Diese ist intern auf Vertrauen aufgebaut, aber auch verletzlich, wenn sich radikale Elemente gegen sie stellen (und sie infiltrieren). Und genau hier könnte der Wendepunkt in der Politik der USA und einiger ihrer Verbündeten liegen - hin zu einer neuen Spielart des Machiavellismus, bei dem erlaubt ist, was zu nützen scheint, Menschenrechte hin oder her. Leute, die Böses im Schilde führen, könnten sich den USA in die Arme werfen, sich einschmeicheln, um von deren Militärmacht und deren neuesten Techniken im „Antiterrorkampf“ zu profitieren. Ein Argument wäre also der Antiterrorkampf, denn der Kampf gegen den Kommunismus ist ja inzwischen weggefallen. Sind aber die echten Freunde nicht gerade die, welche Kritik an den Fehlern im „Antiterrorkampf üben? Christian Fürchtegott Geliert (1715-1769), ein Aufklärer, hatte schon im 18. Jahrhundert darauf hingewiesen, worin wahre Freundschaft besteht:

Freundschaft

Der Freund, der mir den Spiegel zeiget,

Den kleinsten Flecken nicht verschweiget,

Mich freundlich warnt, mich ernstlich schilt,

Wenn ich nicht meine Pflicht erfüllt:

Der ist mein Freund,

So wenig er es scheint.

Und nun zum Mythos: Könnten die vordemokratischen, am Sozialdarwinismus orientierten Denkweisen des Westens nicht ein Traumbild von Stärke und Vorherrschaft bilden, an dem man sich in der Not festhält, ja das zu einer Art von Neugründung des Westens führen könnte? »Survival of the fittest«. Früher waren wir stark und gefürchtet. Müssen wir nicht wieder wie früher werden? Noch sind wir stärker. (Die wirklich überlegenen Waffen dürften dann aber in einer globalisierten Medienwelt, wie wir sie heute haben, nicht zu früh bekannt werden, denn sonst hätte sie bald auch der Gegner. Das spricht für die vorrangige Bewaffnung der Geheimdienste und nicht des traditionellen Militärs.) Wer sagt aber, dass neuartige und moderne Waffen nicht von irgendwelchen Doppelagenten oder angeblichen Helfern im Antiterrorkampf abgegriffen werden? Schon immer hatte auch die organisierte Kriminalität Interesse an der jeweils modernsten Technik.

-Ismus

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