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Circle of pain

»Circle of pain«, so nannte (oder nennt) sich eine deutsche Rockgruppe seit Mitte der 90er Jahre. Undenkbar, dass sich in den 60er oder 70er Jahren des 20. Jahrhunderts eine Rockgruppe so genannt hätte. Circle of pain, das war zuvor das Bild von mittelalterlicher Folter, Hexenverfolgung, Grausamkeit und Sadismus. Das Bild eines Sadismus, wie er immer Begleiterscheinung des aggressiven Mobs war, der einmal Dampf ablassen darf. Auch die Nazis bauten zur Machtergreifung lange Zeit auf den Mob, den braunen Mob in der SA. Der einfache Mob hatte immer schon Spaß am Quälen, am Foltern, am Demütigen. Dies wirkt sich auch in Erziehungsfragen aus: War lange Zeit der Begriff »Autorität« bei der Erziehung von Kindern und Jugendlichen verpönt, so wird er heute wieder stärker anerkannt; scheinbar so, wie ihn Bernhard Bueb korrekterweise definiert: als funktionale Macht in einem demokratischen Rahmen, als Macht, die sich jeweils rechtfertigt und Mitgefühl (Empathie) zeigt, also Macht in dienender Aufgabe.

Aber ist dem wirklich so? Haben wir als Eltern und Erwachsene genügend Zeit und die innere Freiheit, um jederzeit als gerechtfertigte Autorität aufzutreten? Geht das überhaupt? Unter der Hand wird Autorität doch oft wieder stärker mit Zwang und Gewalt verbunden, mit Verhaltensweisen, die kurzfristig effektiver erscheinen als Appelle an die Einsicht, die nur verpuffen. Und waren die Schläge, die früher in der Erziehung üblich waren, denn so schlimm? So könnte man heute fragen, wenn man hilflose Mütter vor den Kassen der Supermärkte sieht – oder sich an die Familien erinnert, die von der »Super-Nanny« besucht wurden. War die begrenzte Gewalt denn so schlimm? – so könnte man fragen, wo doch überall die Disziplin abzunehmen scheint. Ja, sie war schlimm, aber sie war allgemein üblich und konnte so gut wie jeden treffen, der aus der Reihe tanzte. Ein einfacher Arbeiter konnte einem frechen Kind auf der Straße oder im Bus die Leviten lesen, selbst wenn Vater und Mutter sozial höhergestellt waren. Er hätte mit keiner Anzeige rechnen müssen. Der Blick zurück könnte aber Gewalt in der Erziehung romantisieren.

Offen zuzugeben, das traut man sich heute noch nicht, es denken aber viele insgeheim so, vor allem, wenn sie selbst aus gewalthaltigen Kulturen kommen, in denen Erziehung so funktioniert wie bei uns in früheren Zeiten – oder wenn sie mitansehen müssen, wie hilflos ein rein dialogisch orientierter Ansatz gegenüber Macho-Verhalten von Jugendlichen aus patriarchalischen Gesellschaften wirkt. Und je schwächer die Ideale der Aufklärung bei uns im praktischen Leben (nicht in der Theorie, wo sie für Sonntagsreden und Talk-Shows taugen) vertreten werden, desto mehr werden die Vorstellungen nachrücken, die aus anderen Kulturen kommen und sich mit nostalgischen Rückblicken bei uns verbinden. Die »Schwarze Pädagogik« ist viel weiterverbreitet, als dies die liberale Öffentlichkeit auch nur ahnt. Sie ist auch in abgewandelter, moderner Form reaktivierbar; man könnte sie leicht einklinken in die Gedankenwelt von Computerspielern, die auf ein schnelles Reiz-Reaktions-Schema hin konditioniert werden. Zudem ist sie in mafiosen Umgebungen, die auch bei uns zunehmen, quasi der Normalfall. Und wer sich wirklich heftig über jemanden ärgert, der hat fast immer zuallererst Gewaltfantasien. Erst in einem zweiten Schritt, durch Nachdenken, die Erinnerung an gute Vorbilder - oder gesellschaftlich akzeptierte Normen, schwächt sich dieser Impuls ab.

Die Romantisierung der Gewalt trifft sich mit den Erfahrungen in vielen Zuwanderergemeinden, die aus ländlichen Gebieten zu uns gekommen sind, bei denen ein hoher Gewaltpegel in der Familie herrscht, weil die gewohnte Umgebung fehlt, in der die Vaterautorität kulturell von allen Seiten gestützt wurde. Väter mussten oft nur malochen und hatten Probleme, wenn ihnen Bildung kein hoher Wert war, sie die Sprache in der Fremde nicht beherrschten. Die fremde Umgebung, die ihnen moralisch fragwürdig erschien, wurde von manchen Einwanderergruppen abgewertet, damit man sich selbst nicht abwerten musste. Wie sollten Väter in so einer Lage zu Vorbildern werden für Kinder, die sich in der neuen Umgebung zurechtfinden mussten? Hier taucht ein ähnliches Phänomen auf wie bei den Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg, als eine »vaterlose Generation« Ende der 60er Jahre sich radikalisierte, nur dass jetzt das verbürgerlichte »Establishment« der 68er in all seiner Harmlosigkeit zum Gegenüber wurde, gegen das man etwas Neues in Bewegung setzen muss. Stärke und Selbstbewusstsein zu zeigen, das kann jetzt antiaufklärerische und antiintellektuelle Züge annehmen, wo doch die »Aufklärung« der Etablierten in institutionalisierter Langeweile verkommen ist.

Lauthals eine ideologisch geprägte Position in der Öffentlichkeit zu präsentieren, das scheint nicht mehr möglich, – wenn man einmal von Randgruppen wie den Salafisten oder den Neonazis absieht. Und damit wandelt sich die Rebellion gegen das Bestehende vermutlich in eine heimliche Haltung der Akzeptanz von Gewalt, wie man sie aus Zeiten kennt, als bei gesellschaftlichen Konflikten immer wieder der Wunsch nach einem »kleinen Hitler« geäußert wurde. (Die über 60-Jährigen kennen diese stereotype Reaktion sicher alle noch. Sie war sehr verbreitet).

Gerade bildungsferne Jugendliche wachsen oft mit einer ausgeprägten Gewalterfahrung auf. Das muss nicht einmal von den Eltern kommen, das kann aus der Szene der Gleichaltrigen oder von frustrierten »Halbstarken« herrühren, die als Vorbilder dienen.

Und die Halbstarken-Szene hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert, sie ist heute »abgebrühter«, cooler. Man vergleiche einmal den Film »Rebel Without A Cause« aus dem Jahre 1955 - mit James Dean in der Hauptrolle – mit den heutigen Darstellungen von Jugendprotest. Die frühere Rebellion wirkt heute brav und zahm – und das liegt nicht nur an der Filmsprache, die heute hektischer ist und Brutalität stärker als Anreiz einsetzt…

Wer den deutschen Fernsehfilm »Wut« (2005) gesehen hat, der weiß, wo möglicherweise die stärkeren Anteile im Jugendbereich sind und wie schwach im Grunde unser Bildungsbürgertum dasteht. Jugend will Stärke sehen, Territorien besetzen – auch wenn dies nur im eigenen Stadion ist. Wer sich nirgends beweisen kann, der sucht sich seine Gegner oder lässt sich welche einreden, wenn ihm die Fantasie fürs Suchen fehlt.

Gerade für meine Generation, die Generation 60+, war die USA immer das große Vorbild – selbst nach dem Vietnamkrieg. Der war besonders in den USA von vielen Jugendlichen kritisiert worden. In meinem Elternhaus wohnten in den 60er Jahren zweimal US-Soldaten mit ihrer Familie zur Untermiete. Ausgesprochen nette und freundliche Leute. Und wann immer ich später in ein fremdes Land reiste, habe ich mich im „CIA-Factbook“ über die dortigen Verhältnisse informiert. US-Amerikanern wird alles Mögliche vorgeworfen, aber ich kenne sie persönlich nur als freundlich und hilfsbereit.

Über die Art der Rekrutierung von Soldaten in den USA, wo früher wesentlich mehr intellektuell gebildete Männer in der Armee integriert waren als heute, sinkt aber möglicherweise die Toleranz für fremde Kulturen – und es steigt die Akzeptanz für gewalthaltige Lösungen.

Teile der Geheimdienste waren zudem schon lange in Folter- und Mordaktionen verwickelt, die der Verteidigung des »Westens« dienen sollten. Im sowjetischen Einflussbereich das gleiche Spiel, nur eben zur Verteidigung des »Ostens«. Darüber gibt es heute eine beinahe endlose Zahl von Publikationen. Im »Kalten Krieg« waren wir in Europa aber von Anschlägen auf Entscheidungsträger verschont geblieben. Allenfalls in Afrika und Südamerika wurden politische Morde in Kauf genommen – und zugleich korrupte Eliten gefördert, weil sie leicht zu lenken waren.

Mit dem neuen Terrorismus, der völlig skrupellos die Zivilbevölkerung bedroht, und mit der damit einhergehenden Unberechenbarkeit des Gegners konnte man auch bei uns, in den industrialisierten Ländern, amoralische Tendenzen bei der Wahl der Mittel staatlicher und halbstaatlicher Gewalt rechtfertigen. Ein wichtiger Herd für die Verbreitung gewalthaltiger Lösungen bei Konflikten könnten also Teile der Geheimdienste oder dort ausgelagerte Firmen zu sein. Ihr Handlungsspielraum wurde vor allem in „rückständigen“ Ländern mit dem Anwachsen des Terrorismus erweitert.

Hannah Arendt hat in ihrer Imperialismus-Studie »Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft« darauf hingewiesen, wie attraktiv für junge Engländer früher Verwaltungsarbeit und Spionage in den Kolonien war, welch ein Überlegenheitsgefühl sich dort gegenüber fremden Menschen und Kulturen entwickeln ließ. Man lebte ohne das Korsett des daheim üblichen Rechtssystems, konnte jederzeit spontane Entscheidungen gegen Missliebige, »Abtrünnige« oder Aufständische durchführen. Und man konnte all dies noch als »die Bürde des weißen Mannes« darstellen, eine fürsorgliche Pflicht gegenüber der Heimat und auch gegenüber den Fremden, die zu »uneinsichtig« waren. Wieso sollte sich dieses Gefühl nicht auch heute entwickeln lassen? Mit der technischen Überlegenheit in Geheim- und Sicherungsdiensten, mit der dort vorherrschenden inneren Distanz zur Moral der Zivilgesellschaft könnte möglicherweise auch heute ein Größenwahn entstehen, der dem der jungen Engländer zur Kolonialzeit ähnelt. Ich stelle mir aber für heute eher eine technokratische Fachelite vor und eine neureiche Schicht, die sich aus dem Mob heraus entwickelt hat, die sich dann - vielleicht nur vorübergehend - mit dem bildungsfernen Mob verbünden, den leicht an seinem spezifischen Habitus erkennen kann: „Coolness“, Überheblichkeit und Arroganz. Dieser Habitus ist oft attraktiv für junge Menschen in der Abgrenzung zur Welt der Erwachsenen oder für solche, die sich ausgegrenzt fühlen und Anerkennung suchen. Wieso sollte man mit ähnlichen Vorstellungen wie zur Zeit des Imperialismus nicht auch heute junge Leute ködern können? Den Rassismus kann man dabei weglassen, denn er war eine Zeiterscheinung des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts. Das der „homo sapiens“ eine einzige Rasse ist, auch wenn sich Gruppen regional bedingt in Hautfarbe und Physiognomie unterscheiden, müsste heute eigentlich jedem einleuchten.

Dass Menschen Gewalt, Folter und Demütigungen als normal empfinden und akzeptieren, das kann durch verschiedene Einwirkungen verursacht sein:

Zum einen gibt es eine Art Gewöhnung in Kriegen, Bürgerkriegen und langanhaltenden ethnischen oder religiösen Auseinandersetzungen. Eine gewalthaltige Umgebung kann Menschen also brutalisieren. So hätte sich Lynndie England z.B. in ihrer normalen und friedlichen Umgebung niemals träumen lassen, wie grausam sie im Irak gegen wehrlose Menschen agieren konnte. Und heute wird sie sich sicher schämen, wenn sie die brutal-pornographischen Bilder anschaut, auf denen sie lachend beim Foltern gezeigt wird. Lynndie England war nur ein kleines Rädchen im Getriebe der Folterszene. Was machen all ihre Kumpels - oder Vorgesetzten, die nicht erwischt wurden? Und nicht nur im Irak, auch in anderen Ländern und bei anderen Beteiligten an Folteraktionen kann man den Spaß am Gesichtsausdruck ablesen. Was, wenn diese Form des Spaßes aus der Antiterrorszene überspringt in Kreise, die aus anderen Gründen dabei sind, auf so etwas wie ein Gewissen zu verzichten? Für junge Leute, die sich vom Bildungsstand her oder durch längere Phasen der Arbeitslosigkeit sozial ausgegrenzt fühlen, kann das Foltern von wem auch immer ein enormes Machtgefühl vermitteln und ein Spaßfaktor sein.

Damit wären wir schon beim nächsten Motiv: Dem Spaß, den man beim Foltern und Quälen empfinden kann. Dieses Gefühl war früher anders ausgeprägt als heute, es war von anderen Motiven überdeckt. Vorgeschoben wurden zumeist großartig klingende Ideologien - oder der Endkampf Gut gegen Böse. Hannah Arendt hat eventuell nur das Rädchen im Getriebe gesehen, zu sehr nur die Banalität des Bösen betont. Sie wollte betonen, dass die Bösen keine Monster sein müssen. Das Böse kann aber auch Spaß machen, zum „Spiel“ werden - und dadurch womöglich monströs werden. Das hat sie übersehen. Das konnte sie zu ihrer Zeit vielleicht auch gar nicht sehen, weil damals noch keine so enthemmte Spaßgesellschaft, wie man sie heute antrifft, vorhanden war.

Das Gefühl von Mitleid und Empathie, das einen hindert, anderen Böses anzutun, kann sich bei Gewaltaktionen, in die man verwickelt wird, verlieren. Und dann muss das, was anfangs vielleicht Überwindung kostet, vergleichbar dem Gefühl bei einem ersten Fallschirmsprung oder bei einem ersten Tauchgang, mit einem positiven Gefühl besetzt werden, bis es schließlich ein Lustgefühl bereitet. Es ist nicht die Moral, egal ob christlich, jüdisch oder islamisch, die einen an der Gewalt hindert. Im Gegenteil, Moral kann Gewalt eher noch verstärken, indem sie überhöhte Ziele setzt, die dann keine Kompromisse mehr erlauben: Heiliger Boden, Gott will es, etc. Es ist tatsächlich eher das Gefühl, das ganz einfach sagt: »Das macht man nicht.« Genau dies war die Antwort vieler Deutscher, die Juden im Krieg versteckt haben, auf die Frage, warum sie nicht mitgemacht haben. Die hatten »Mitgefühl«. Und dieses Gefühl, das Mitgefühl, gilt heute zunehmend als »uncool«. Das Gleiche gilt für Schuldgefühle. Bei Serienkillern oder Amokläufern scheinen diese übrigens ganz zu fehlen. Aber selbst Serienkiller halten sich von Leuten fern, die ihnen sehr nahestehen: Mutter, Vater, Bruder, engster Freund. Sie suchen anonyme Opfer. Und das Gleiche scheint bei dem modernen Netzwerk-Stalken auch der Fall zu sein, das seit Jahren von einzelnen Betroffenen beschrieben wird. Man stalkt und quält lieber anonym, über das Internet, über Handys; man ärgert mit Mitteln aus der medizinischen Folterforschung vorbehandelte Personen, die aus irgendeinem Grund zum Mobben oder Stalken freigegeben sind, mit scheinbar harmlosen »Duftstoffen« - oder auch mit den neuen Mikrowellenwaffen, die man von wem auch immer zur Verfügung gestellt bekommt. Auch über normale Stromleitungen ist es heute offensichtlich möglich, nicht nur Internetsignale durchzuleiten oder Stromzähler zu messen. Man kann von außen, sobald ein W-Lan Signal aktiv ist, darüber jeden Körperteil einer Zielperson anvisieren, und ihr dann über die Stromleitungen (oder darin zugeschaltete Geräte) schmerzhafte „Schläge“ zufügen. Es scheint wie in einem Computerspiel zu funktionieren. Und: In dem Moment, wo man dem Opfer nicht in die Augen schauen muss, wo einem noch nicht mal ein direktes Motiv nachgewiesen werden kann, man also wirklich anonym scheint, in dem Moment quält es sich viel leichter. (Ein ähnliches Phänomen ist ja auch bei Bomberpiloten bekannt - oder bei Leuten, die aus der Ferne Drohnen zum Einsatz bringen. Drohnen sind eine moderne Antwort auf die Heimtücke von Terroristen, die sich als Zivilisten tarnen. Überhaupt scheint „Heimtücke“ eine Eigenschaft zu werden, die heute auf vielen Gebieten sehr attraktiv geworden ist.)

Aus der Folterforschung weiß man zudem, dass die Schmerzen, die man anderen zufügt, systematisch unterschätzt oder heruntergespielt werden. Erst recht, wenn das Foltern bereits Spaß macht. Und dass es Spaß machen muss, das sieht man an all den Bildern aus Folterlagern, die heute bereits vorliegen. Das sieht man aber auch im normalen Alltag, wenn Menschen anderen wehtun und wenn sie andere bewusst bloßstellen und beschämen. Es gibt einen Ausdruck von Häme, der sich unverkennbar im Gesicht der Täter zeigt, bei vielen ganz überdeutlich, bei einigen nur als leichter Anflug im Minenspiel.

Der Spaß am Beschämen hat sich von einigen Randgruppen zunehmend in die Mitte der Gesellschaft bewegt. Dabei geht es m.E. um mehr als um Schadenfreude, denn es werden Menschen bewusst und aktiv geschädigt, so wie bei dem noch harmlosen Terror des »Happy Slapping«, bei dem die Gewalt gegen beliebige Opfer mit dem Handy veröffentlicht wird. Weit brutaler als bei dieser Art der Demütigung äußert sich eine schleichende Verschiebung moralischer Standards im »Organisierten Stalking«, bei dem neben der Schadenfreude noch andere Motive ins Spiel kommen. Handfeste materielle oder politische Interessen können hier eine Rolle spielen. Es kann um einen Arbeitsplatz gehen, der durch einen Konkurrenten »blockiert« erscheint, es kann um eine Wette gehen, es kann ganz generell um »Auftragsstalking« gehen, für das sich »Experten« mieten lassen. Ein reines „Geschäft“ also.

(Mehr zu diesem Phänomen unter:

http://www.outube.com/watch?v=G6st39vhfac/ Man störe sich nicht daran, dass solche Beiträge von denunziatorischen Übertreibungen umstellt werden. Das soll ihre Glaubwürdigkeit herabsetzen, ist aber meist derart primitiv und ausufernd hämisch, dass man die Absicht leicht herauslesen kann.)

Stalker sind »Identitätsvampire«. Sie hängen sich an fremde Identitäten, z.B. an berühmte Schönheiten oder ganz einfach an Menschen, die sie aus irgendeinem Grund idealisieren. Nicht selten verfolgen sie auch solche, die ihnen in irgendeiner Hinsicht so weit überlegen sind, dass sie deren Standard nie selbst erreichen können. Zurückweisung erleben sie als Kränkung. Und so wollen sie diejenigen, die ihnen nicht zeigen, dass sie sich unterwerfen, zumindest zerstören. Von daher der Spaß daran, anderen ihre Lebensenergie abzusaugen, sie fertig zu machen.

Es scheint auch so, als ob die Schamgrenze hier in den letzten 20 Jahren gesunken ist: Hat man den Mitläufern anfangs noch ein Herumdrucksen angesehen, so schaut ihnen heute eher Häme aus den Augen. Wie bei Serienkillern scheint bei ihnen offensichtlich eine Art Sucht zu entstehen, eine Sucht nicht am Töten, sondern am Quälen, am Quälen von hilflosen Opfern, die sich nicht wehren können. Und so kann Perversität ganz normal neben einer gutbürgerlichen Erscheinung stehen - ganz analog wie bei vielen bekannten Trieb- oder Serientätern.

Die organisierten Mitläufer, die sich bisweilen noch schämen für das, was sie tun, sind in ihren Entscheidungen nicht mehr frei. Man könnte ihren Abhängigkeitsstatus vielleicht mit dem von Angehörigen einer Mafiagruppe vergleichen, selbst wenn sie sich einem bedrohten Mittelstand zurechnen, noch über ein geregeltes offizielles Einkommen verfügen und zwecks eigener Entlastung auf die bösen Politiker schimpfen. Aussteigen geht nicht, wenn einem kein funktionstüchtiger und starker Rechtsstaat beispringen kann. Gegen High-Tech-Stalker, die eigentlichen Manipulatoren, die »Schreibtischtäter«, fehlen dem Rechtsstaat noch öffentlich zugängige Beschreibungen und tragfähige Beweise. Solange diese fehlen, können sich Mitläufer geschützt fühlen. Je näher der Zeitpunkt kommt, in dem solche Netzwerke in der Öffentlichkeit bekannt werden, desto mehr werden sich die Strippenzieher Gedanken machen, wie sie ihre Weste reinhalten und welche Bauernopfer sie aus den Reihen der einfachen Mitläufer liefern.

Bleibt dann noch das Motiv des blinden Gehorsams. Viele Menschen handeln auch heute so, wie es Stanley Milgram in einem erstmals 1961 in New-Haven (USA) durchgeführten psychologischen Experiment nachgewiesen hat. Er hat die Bereitschaft durchschnittlicher Personen getestet, autoritären Anweisungen auch dann Folge zu leisten, wenn sie in direktem Widerspruch zu ihrem Gewissen stehen.

Ähnliche Experimente wurden wiederholt in verschiedenen Ländern angestellt - und immer wieder zeigt sich die Folgebereitschaft, wenn eine glaubhafte Autorität etwas Grausames befiehlt. Im Jahre 2001 kam der erfolgreiche deutsche Psychothriller »Das Experiment« von Oliver Hirschbiegel heraus, in dem willkürlich ausgewählte »Gefängniswärter« auf ebenso willkürlich ausgewählte »Gefangene« losgingen. Und erst kürzlich hat ein französischer Fernsehsender das Folterexperiment erfolgreich wiederholt.

Wie könnte man das Experiment heute erweitern? Die alten Resultate hat man nun. Antwort: Raus aus der Experimentalsituation, rein in das volle Leben. Würde es funktionieren? Würden die Menschen in Deutschland, in Europa mitmachen? Im humanistischen, friedensliebenden Europa, das gegen China und alle möglichen Diktaturen die Menschenrechte einfordert? Würden sie hier Schritt für Schritt, so wie im Milgram-Experiment, Menschen, die ihnen nichts direkt getan haben, auf eine Anweisung hin foltern? Immer ein bisschen mehr, mit stufenweise erhöhter Schmerzdosis?

Raus aus der Experimentiersituation! Das kann man nicht im Irak testen oder in Afghanistan, denn dort kann man den meisten keine Handys zum Orten geben, um zu sehen, wie der »Eingriff« gewirkt hat; dort hat man zu wenig Autos, die den Weg des Verfolgten mit einem Signalchip, wie man ihn auch bei Tieren in der Wildnis anbringt, anzeigen; dort rennen die Gefolterten nicht gleich zum Arzt und liefern verwertbare Ergebnisse. Das kann man nur in einem zivilisierten Land testen, dort wo man die kulturelle Umgebung kennt und die körperlichen und seelischen Auswirkungen verfolgen kann.

Was muss man den Mitläufern an Angeboten machen, damit sie beim Foltern mitmachen und dabei das schlechte Gewissen abbauen oder verlieren? Und welche Mittel kann man ins Feld führen, wenn das Opfer den Mitläufern z.B. klar macht, dass ihre Aktionen illegitim sind und auf Betrug beruhen? Hier kommt die moderne Überwachung ins Spiel: Man hört die Telefonate ab, man überwacht die E-Mails, man verfolgt die täglichen Wege - und plötzlich gibt es nichts mehr, was die psychologisch geschulten Hintermänner und -frauen nicht schon im Voraus mit Gegenargumenten oder neuen Beschuldigungen entkräften können. »Das sagt der ja nur, weil…« usw. usf. Wie harmlos waren zumindest hier noch die Stalinisten oder die Nazis, die immerhin an ihre Ideologie gebunden waren. Heute geht das ohne alle ideologischen Begründungen, postmodern und auf der untersten menschlichen Ebene, noch dazu mit einem enormen Spaßfaktor, so als ob wir alle in einem Computerspiel agieren…

Brutalität und Gewalt kann aber auch ganz rational eingesetzt werden. Dies passiert vor allem in mafiosen Gruppierungen und bei Geheimdiensten. Wo man den Rechtsstaat bewusst beiseite-lässt oder beiseitelassen muss, da müssen - wie bei krankhaft narzisstischen Einzelpersonen auch - Grausamkeit und Rücksichtslosigkeit als Steuerungsmittel eingesetzt werden. Dort gibt es kein Verzeihen und Vergeben, denn das würde falsche Präzedenzfälle schaffen. Ein solches Verhalten ist jedem vertraut, der sich mit der Vergangenheit beschäftigt. So war es, wenn man zurück in die Geschichte schaut, für die Hunnen bei ihren Einfällen in Europa durchaus rational, ganze Städte niederzumetzeln, damit andere sich eher ergeben. Wer sich rechtzeitig ergab und Schutzgelder zahlte, der wurde verschont. Diese Denkweise ist modernen Menschen eher fremd, sie ist aber noch nicht ausgestorben. Man kann dies sehr gut am Vorgehen der »IS« im Irak beobachten, wo eine islamistische Jugendbewegung sich mit Resten des sunnitischen Saddam-Militärs verbunden hat - und eine Art »Beute-Ökonomie« installiert, die auch für nicht integrierte Jugendliche im Westen attraktiv wirkt. Und jede Mafia-Gruppe agiert im Grunde ähnlich.

Durch die Globalisierung und durch Wanderbewegungen aus vordemokratischen Strukturen ist diese Denkweise bei uns auch außerhalb mafioser Gruppierungen wieder aktuell. Nietzsche lässt grüßen! Für ihn ist jegliche Moral aus Gewaltverhältnissen entstanden. Sie wurde den Menschen eingebläut, eingebrannt - und verstärkt durch grausame Bilder. Erst das Christentum des Neuen Testaments und die bürgerliche Gesellschaft mit ihrer Vorstellung von Menschenrechten und Demokratie habe diese Gewalt, die Empathie und Mitgefühl nur für die eigene Clique, Gruppe oder »Rasse« zulässt, abgeschwächt. Nietzsche, das Muttersöhnchen, sah darin eine Verweichlichung, er wollte den »Übermenschen« hier auf Erden. Aber könnten einige von der Demokratie gelangweilten Mitbürger sich nicht wieder begeistern lassen von einem adaptierten Nietzsche? Will man den Menschen heute wieder auf eine Weise Moral einbläuen, wie das zur Zeit des frühen Absolutismus üblich war, weil es anders heute nicht mehr möglich scheint? Haben hier etwa falsche Lernprozesse stattgefunden, Lernprozesse an den Nahtstellen zu den vordemokratischen Gesellschaften, also dort, wo durch Kriege oder Grenzkonflikte oder religiösen Fanatismus argumentative Auseinandersetzungen irrelevant sind? Und werden die Ergebnisse dieser Lernprozesse jetzt nicht in die Kerngesellschaften der Demokratie getragen, wo es immer noch genügend Anhänger gewalthaltiger Konfliktlösungen gibt?

Wer nur extrinsische, d.h. die äußerliche Motivation kennengelernt hat, wer Gewaltverhältnisse als normal empfindet, für den bedeutet der Freiheitsentzug, wie ihn unser Strafgesetz für gesetzwidriges Verhalten vorsieht, keine wirkliche Bedrohung, denn er ist niemals wirklich frei gewesen und kennt nur Gewalt oder den erzwungenen Konsumverzicht als Strafe. Für den ist aber auch die körperliche Unversehrtheit, wie sie in der Verfassung garantiert wird, kein wirklicher Wert, den es zu verteidigen gilt.

Ich habe den Verdacht, dass viele scheinbar harmlose Computerspiele auf empathische Menschenführung ebenfalls keinen Wert legen. Ich fürchte, dass sie ein brutales, mittelalterliches Weltbild vermitteln, bei dem humane Werte allenfalls in einer verquasten Form von »Ehre« Vorkommen, die man gegen andere - oder Clan gegen Clan - verteidigen müsse. Es wird eine brutalisierte Form des Behaviorismus vermittelt, der sich als Denkform unbemerkt in die Gemüter der Spieler einnistet. Der »Circle of pain« wird zum normalen Mittel der Manipulation anderer »Spieler«, er steht unvermittelt neben den äußerlichen Manipulationsmitteln, wie sie die Schönheitsindustrie anbietet.

Und könnte es nicht sein, dass einigermaßen intelligente Spieler sich nach einiger Zeit in den virtuellen Jagdszenen am Bildschirm langweilen, dass sie virtuelle Clangemeinschaften zu harmlos finden, dass sie sich reale Jagdszenen wünschen? So ähnlich, wie es in dem Film »Gamer« (https://de.wikipedia.org/wiki/Gamer_%28Film%29) gezeigt wurde? Das klingt dekadent. Aber sind wir nicht längst in vielen Bereichen schon dekadent? Geht es nicht bei vielen Events und Lachkonservensendungen im TV nur noch um Totschlägen der Zeit, um das ironische Spiel mit der »Schadenfreude«, das Zudecken einer immer schneller aufkommenden Langeweile? Ein Gag jagt den anderen - und damit nur ja der Lachreiz ausgelöst wird, wiehert ein virtuelles Publikum im rechten Moment das Lachsignal in die Szene. Wie will man das noch steigern, wenn es nur um äußere Reize geht? Klar! Reale Reize, reale Verfolgungen, Ausdeuten eines Opfers und dann die Jagd…

Wie stark der Suchtfaktor beim risikofreien Netzwerkstalken ist, zeigen Berichte vom Eifer, den Stalker an den Tag legen. In schlecht gedämmten alten Reihenhäusern kann man offensichtlich die Schritte der Stalker hören, die das Opfer durch die Decke orten und ihm auf Schritt und Tritt in jedes Zimmer folgen, bis zu 20 Minuten an einem Stück! Und man hört das schwere Gerät nachrollen, von dem mit einer kleinen Verzögerung ein Mikrowellenimpuls ausgeht. Die Ausdauer und der Eifer lassen den Eindruck aufkommen, die Täter seien irgendwie gerade »läufig« oder »rallig«, jedenfalls in einem stark erregten Gefühlszustand, der an tierisches Verhalten oder das Verhalten von Drogenkonsumenten erinnert.

Aus Nürnberg gibt es einen Bericht von einer frisch operierten Frau, eigentlich nur die Lebensgefährtin eines „Opfers“, welche aus der Nachbarschaft immer wieder in der Nacht exakt an der noch wunden Stelle getroffen wurde. Vermutlich soll hier ein schmerzhaftes Ereignis in die Länge gezogen werden. Das entspricht jedenfalls vielen anderen Berichten von gestalkten Personen. Dass die Täter – anders als beispielsweise in den Bürgerkriegen des Nahen Ostens - ihrem Opfer nicht in die Augen schauen müssen, scheint normale moralische Begrenzungen auszuschalten. Man muss kein Psychologe oder Krimi-Kenner sein, um zu wissen, dass das Ausschalten moralischer Begrenzungen oftmals wie ein kurzfristiges Gefühl von absoluter Freiheit empfunden wird.

Es gibt eine simple Methode, Opfer so zu präparieren, dass sie ein jeder gefahrlos attackieren kann: Es gibt toxische Stoffe, die Nervenschmerzen verursachen, aber nicht töten. So hatte man z.B. in einigen afrikanischen Ländern festgestellt, dass die künstlichen Nachbildungen des normalerweise aus der Chrysantheme gewonnenen Insektizids „Pyrethrum“, die Pyrethroide, genau diese Wirkung haben. Mischt man nun diese leicht toxischen Stoffe mit einem harmlosen Duftstoff zusammen und versprüht die Mischung längere Zeit so, dass ein Opfer sie in die Atemwege bekommt, dann reagiert das Opfer nach einer Zeit allein auf den harmlosen Duftstoff so, als ob der toxische Stoff beigefügt wäre. Und von da an ist es ein Leichtes, dem Opfer gefahrlos Schmerzen zuzufügen. Man muss in seiner Nähe nur den harmlosen Duftstoff verbreiten! (Auf diese Weise kann z.B. das sogenannte „Brennende Füße Syndrom“ erzeugt werden, gegen das man dann teure, aber nutzlose Wässerchen anbietet…)

Das konnte man sogar bei Autofahrern beobachten, die aus einem präparierten Fahrzeug den allergisch wirkenden Duftstoff verbreiten, wobei sie oft wie unter Drogen gefahrvolle Überholmanöver unternehmen, um vor das Opfer zu geraten - oder sogar in Kauf nehmen, eine Einbahnstraße in der falschen Richtung zu fahren und dabei Fußgänger zu gefährden, wenn sie ein Opfer sichten. In den USA hatte vor einigen Jahren einmal ein Journalist sich in eine Gruppe von Netzwerk-Stalkern eingeschlichen und eine Zeitlang aktiv mitgewirkt beim Stalken. Er konnte beobachten, dass sich die Täter über Funk verständigen, wo gerade ein Opfer fährt und wie man es am besten gerade noch erwischen kann, welche Straßen man dafür benutzt, um am Ende vor dem Opfer herfahren zu können und dabei einen schmerzauslösenden oder irgendwie irritierenden Stoff zu versprühen. Wer dem Opfer zufällig am nächsten fährt, der kann nicht nur, sondern er muss bei der Aktion mitwirken.

In totalitären Strömungen der Geschichte, vor allem im Nationalsozialismus und im Stalinismus taucht der »circle of pain« – wenn auch weitaus offener und direkter als heute - immer wieder auf, wird zum tragenden Element der Disziplinierung der Massen durch Angst und Schrecken. Interessant, dass dieses totalitäre Element heute nicht nur beim »IS«, dem Islamischen Staat, sondern auch im Westen so eine starke Konjunktur hat. Vor allem nach der Wiedervereinigung und dem Auftauchen des islamischen »Terrorismus« als Feindbild, nach 9/11, scheinen hier bei einigen die Dämme gebrochen.

Ist dies der Weg, auf dem wir den Menschen aus vordemokratischen Verhältnissen ein wenig entgegengehen, ein paar Schritte zurück, um dann wieder nach vorne zu schreiten? Oder verlassen wir hier eine Tradition, die uns langfristig stark gemacht hat?

Gewalt wird hierzulande zwar in der Öffentlichkeit abgelehnt, je mehr sie aber versteckt angewandt werden kann, desto mehr Menschen werden versucht sein, mögliche Angebote heimlicher Gewaltanwendung zu nutzen. Wer sich ohnmächtig oder missachtet fühlt - oder wem dies eingeredet wird, der wird die Gelegenheit nicht immer ablehnen, seine Unterlegenheit in ein Macht- oder Überlegenheitsgefühl umzukehren. Bildungsferne Menschen könnten sich heute, wo Bildung allenfalls noch Ausbildung bedeutet, endlich einmal so richtig gegen Intellektuelle ausleben. Nichts Neues, wenn man sich z.B. an den Antikriegsfilm »Im Westen nichts Neues« aus dem Jahre 1930 erinnert, der inzwischen perfekt restauriert immer mal wieder in den öffentlich-rechtlichen Sendern läuft. Unvergesslich der Unteroffizier Himmelstoß, der schärfste Schinder auf dem Kasernenhof, der jede Gelegenheit nutzt, die ihm untergebenen Bildungsbürgerkinder zu schikanieren. Himmelstoß war im Zivilberuf ein einfacher Briefträger.

Man könnte ihn als Archetypus eines ressentimentgeladenen Gernegroß sehen. Gib so jemandem die Gelegenheit, andere zu quälen und zu schikanieren - und er wird sich in seinem Größenwahn Vorkommen wie ein Gott…

Aber es müssen nicht immer die Bildungsfernen sein. Die wirklich üblen Machtspiele verlangen oft sogar eine Menge Grips und gute Sachkenntnisse. Aus der Literatur sind uns viele Beispiele bekannt, bei denen z.B. schlau eingefädelte Psychofolter - nicht selten vermischt mit körperlicher Gewalt - zum Erlangen von Machtpositionen benutzt wird. Ein Klassiker dürfte hier wohl Franz Mohr sein, den Schiller in dem Stück »Die Räuber« gegen seinen Bruder Karl intrigieren lässt. Franz, der als Zweitgeborener nicht erbberechtigt ist, will gleich zu Beginn des Stückes seinen Vater durch Psychoterror in den Tod schicken. Und seinen Bruder schaltet er mit einem Brief aus, in dem er dessen Enterbung vortäuscht. Er bewirkt damit dessen Abgleiten in die Rolle eines Räuberhauptmanns. Franz ist eine durchaus aufgeklärte Figur, allerdings ein Aufklärer ohne oder mit einem nur schwach ausgebildeten Gewissen. Seine Worte könnten auch von einem modernen Sozialdarwinisten stammen. Franz: »Das Recht liegt beim Überwältiger, und die Schranken unserer Kraft sind unsere Gesetze« (1. Akt, 1. Szene; S. 19; Z. 25–26). Schiller zeigt sich hier als Meister in der Darstellung von Intrigen und ihrer meist banalen Motive. Allerdings scheitert bei Schiller am Ende auch der Intrigant. Franz erhängt sich, als sein Spiel scheitert…

Die Mittel, jemand in den »circle of pain« zu schicken, sind heute vielfältiger und versteckter als zu Schillers Zeiten, zur Zeit des Ersten Weltkriegs oder zur Nazizeit, vor allem seit es eine Folterforschung gibt, die medizinische, psychologische und moderne elektrotechnische Instrumente kombiniert und in allen möglichen Situationen ausprobiert. Wie z.B. Mikrowellen als Waffe eingesetzt werden, hat Wolfgang Schorlau schon 2008 in seinem Roman »Brennende Kälte« beschrieben. »Einer der intelligentesten und authentischsten Politthriller«. (dpa) Schon einige Jahre früher hat dieses Phänomen eine technisch unbedarfte ältere Frau namens Marianne Wenzel in ihrem - schwer lesbaren - Buch »Der geheime Strahlenangriff. Nachbar Biedermann als Erbbeschleuniger« beschrieben. (1. Aufl. - Berlin: Frieling, 2002 ISBN3-8280-1688-X) Überhaupt schien es anfangs oft ältere Frauen oder alleinlebende Sozialhilfeempfänger zu treffen; an denen konnte und kann man leicht mit Mikrowellen experimentieren, da sie wenig Hilfe erwarten können und die Folgen der Experimente wenig überprüfbar sind. Je länger dieses »Experiment« unentdeckt geblieben ist, umso mehr ist es offensichtlich ausgeweitet und technisch verbessert worden.

Zu diesem Thema gibt es ein interessantes Buch mit dem Titel »Strahlenfolter«. Autorin ist Felicitas Klara Hope; Verlag Books on Demand GmbH Norderstedt/ ISBN: 978-3-8391-5488-5. Das Buch ist über den Buchhandel erhältlich und kostet 11,80 €. Die Bösen sind hier wie in vielen Folterdarstellungen Männer.

Es müssen aber nicht immer Männer sein, die foltern, wie Frau Hope suggeriert. Lynndie England, bekannt aus dem Folter-Lager Abu-Ghuraib, ist eine Frau. Und schon bei den Nazis haben sich oft Frauen auf eine nicht sehr korrekte Weise »emanzipiert«. In dem Roman »Der Vorleser« (1995) von Bernhard Schlink wird Hanna Schmitz als KZ-Aufseherin charakterisiert, die einen Job suchte, in dem sie als Analphabetin nicht auffällt. Ihre Kolleginnen, vermutlich keine Analphabetinnen, kommen vor Gericht zwar besser weg als Hanna, beim Leser des Romans erscheinen sie aber weitaus verachtenswerter. In diesem Zusammenhang fällt mir ein Bericht meiner 2004 verstorbenen Mutter ein, die am Ende des Zweiten Weltkrieges aus Pommern geflohen war. Polen, denen sie zur Nazizeit Briefe an Verwandte im Gefängnis auf Deutsch übersetzt hatte, hatten sie zum Dank versteckt und ihr auf der Flucht nach Westen geholfen. Und immer, wenn die Fliehenden damals auf russische Truppen gestoßen waren, kamen sie in Bedrängnis, wenn eine Frau, eine Rotarmistin, kontrolliert hatte. Männliche russische Soldaten drückten eher mal ein Auge zu und ließen sie passieren. Frauen wollten eher beweisen, dass sie zu 110 Prozent dem Apparat die Treue hielten. Und so kann es auch heute sein, dass die vielen Berichte zum »Netzwerkstalking« stimmen, in denen Frauen auftauchen, die bei der Verfolgung von Opfern beteiligt sind…

Natürlich gibt es auch eine Menge Frauen, die auf der Rechtsstaatsseite kämpfen und Heimtücke ablehnen, wie man zurzeit in Russland und Belarus sehen kann, aber auch in Indien oder in einigen afrikanischen Ländern. Überhaupt scheinen auf dem afrikanischen Kontinent Frauen heute das tüchtigere und verlässlichere Geschlecht zu sein.

Wenn man im Internet die vielen Berichte über Psychofolter sieht, dann fällt inzwischen auf, wie geschickt die Opfer ausgewählt werden: Räumlich auseinanderliegend, ohne direkten Kontakt zueinander, relativ leicht isolierbar, Ausweichbewegungen suchend, also selbst nicht aggressiv, weshalb die Mitläufer wenig Angst vor Rache haben müssen. Welch ein Angebot für Feiglinge!

Was noch auffällt: Es wird oft eingebrochen, in Wohnungen, in Häuser - und nichts fehlt! Selbst die teuersten Sicherheitsschlösser schützen nicht. Kommt die Polizei, dann gibt es nichts, was man als gestohlen angeben könnte. Was die Polizei dann aber nicht mehr aufnehmen kann, ist der Terror, der danach bei den Opfern beginnt. Nach dem Einbruch bekommen sie zu spüren, wozu man im technischen und medizinischen Bereich heute in der Lage ist. Es sind dieselben Schmerzen, die man auch den Gefangenen in Guantanamo angedroht hat, wenn sie reden. Als ob sich alles, was auf dem Gebiet der Folterforschung heutzutage entwickelt wird, wie in einem System kommunizierender Röhren sofort verbreitet, weltweit. Als gäbe es auf diesem Gebiet ein dunkles Netzwerk – entweder von kriminellen Gruppen, Geheimdiensten oder einfach nur von Perversen, die sich durch geschickte Verstellung das Wissen und die Techniken modernster Folterforschung angeeignet haben. Umzug nützt nichts. Es wiederholt sich alles nur immer wieder. Umzüge schaden nur, denn wenn jemand die Umgebung wechselt, dann gibt er den Gerüchtemachern nur immer wieder neue Arbeitsfelder, denn was ein richtiger Gerüchteprofi ist, der findet überall offene Ohren. Wie Gerüchte lanciert werden, das ist inzwischen gut erforscht - und wenn früher empfängliche Personen eher intuitiv herausgepickt wurden, so kann man heute die Umgebung der zu terrorisierenden Person quasi scannen, Telefongespräche abhören, E-Mails abfangen und alle Möglichkeiten der modernen Überwachung ausnutzen. Das dauert zwar meist einige Wochen - und die Opfer berichten in der Regel, sie hätten für einige Zeit das Gefühl gehabt, in Ruhe gelassen zu werden. Das Terrornetzwerk zeigt aber genügend Ausdauer, um das Spiel dann am neuen Ort wieder fortzusetzen. Auch werden die Gerüchte nicht auf einen Schlag an die gesamte Umgebung weitergegeben. Man weiß offensichtlich von der Verfallsdauer eines Gerüchts, denn normalerweise ebbt der von außen erzeugte Hass nach drei Monaten wieder ab. Weiht man Teilgruppen - zum Beispiel in einem Betrieb, einem Kollegium, einem Stadtteil oder in einem Dorf - dagegen nacheinander ein, dann hält die Abneigung wesentlich länger, und die jeweils neue Gruppe wird durch die vorhergehenden in der induzierten Einschätzung bestätigt: Da wird schon was dran sein. Zudem erleichtern die heute zunehmend multikulturellen Gesellschaften das Spiel der Gerüchtemacher mit latenten Vorurteilen, wie sie trotz gegenteiliger Behauptungen fast überall noch immer herrschen.

Über die Methoden bisheriger Diktaturen hinaus reichen vor allem Hinweise auf psychologische Druckmittel, wie man sie bei dem Phänomen »Stalking« beobachten kann. Seit 2001 scheinen sich auch in Westdeutschland, in den alten Bundesländern, Formen des »organisierten Stalkings« zu verbreiten. Also nicht nur verschmähte Liebhaber, die einer Angebeteten nachsteigen, sondern kollektive Aktionen, bei denen gezielt Foltermethoden eingesetzt werden.

(Wichtige Informationen konnte man lange Zeit unter der Seite http://www.organisiertes-stalking.de/finden. Die Seite ist nicht mehr auffindbar, aber ähnliche Informationen gibt es auch unter der Seite http://www.stasiopfer-selbsthilfe.de/ Wie langfristig Netzwerkstalking ablaufen kann, das zeigt hier der Fall Irina Singhuber:

http://www.stasiopfer-selbsthilfe.de/pages/posts/ueberleben-statt-leben-c-j.ellsworth09.11.2009900.php.

Wichtig wäre aber die Ergänzung um die Darstellung der nachweislichen Versuche, hier im Westen Konkurrenten mit Stasimethoden auszuschalten, denn gerade die freie Konkurrenz fachlich kompetenter und zugleich ehrgeiziger Menschen ist ja auf funktionierende Vertrauensverhältnisse angewiesen. Diese kann nur der Rechtsstaat sichern. Fallen die Vertrauensverhältnisse weg, entwickeln wir uns in Richtung der Zustände, wie sie in der ehemaligen DDR geherrscht haben.)

Das Gefährliche dabei ist, dass die neuen Foltertechniken, die zunächst Schmerzen bereiten und nicht töten sollen, auch der organisierten Kriminalität zugänglich sind - und unter bestimmten Umständen von Leuten toleriert werden, die das offen nie zugeben würden. Hier zeichnen sich Koalitionen ab, die vor einigen Jahren noch undenkbar schienen.

Vielleicht lassen sich diese Techniken wieder einhegen – so wie es Anfang dieses Jahrhunderts mit den weitreichenden Laserpointern geschehen ist, mit denen man sogar Busfahrer oder Piloten irritieren konnte, wie es auch mit den der Polizei versprochenen elektromagnetischen Geräten zum Stoppen von Automotoren geschehen ist. Techniken, die kaum beherrschbar und rechtlich nicht einzuhegen sind, sollten nicht in falsche Hände geraten…

Gerade für uns Deutsche aber ist das Festhalten am Rechtsstaat unerlässlich, denn nur der verhindert das Abgleiten in den Kampf aller gegen alle, wie ihn schon Thomas Hobbes beschrieben hat, oder auch in das Abgleiten in eine Diktatur. Das genau hat die große Philosophin Hannah Arendt nach den Erfahrungen mit dem Faschismus erkannt: »Die große Bedeutung der Rechtsprechung liegt darin, daß sie ihre Aufmerksamkeit auf die Person des Einzelnen richten muss, und das selbst im Zeitalter der Massengesellschaft, wo jeder der Versuchung unterliegt, sich nur als ein Rädchen in einer Art von Maschinensystem zu sehen - sei es in den gut geölten Maschinen von großen bürokratischen Unternehmen im gesellschaftlichen, politischen oder beruflichen Bereich oder in dem chaotischen, schlecht eingestellten Zufallsmuster von Umständen, unter denen wir alle unser Leben irgendwie leben. […] Ganz egal, was die wissenschaftlichen Moden der Zeit vorschreiben, egal wie sie die öffentliche Meinung durchdrungen und so auch die Praktiker des Rechts beeinflußt haben mögen, die Institution ihrerseits setzt sich über sie hinweg und muß das tun oder aus dieser Welt verschwinden. […]

In einer perfekten Bürokratie - welche, im Rahmen der Staatsformenlehre, die Herrschaft des Niemand ist - wäre die Gerichtsverhandlung überflüssig. Man müßte lediglich untaugliche Rädchen gegen besser taugliche austauschen. Als Hitler sagte, er erhoffe sich den Tag, an dem es in Deutschland für eine Schande gehalten würde, ein Jurist zu sein, sprach er mit großer Folgerichtigkeit von seinem Traum einer perfekten Bürokratie.« (Hannah Arendt, Über das Böse. Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik. S. 21/22)

-Ismus

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