Читать книгу -Ismus - Detlef Zeiler - Страница 8
ОглавлениеDrahtzieher und Mitläufer
Nach dem Ersten Weltkrieg waren Italien und Deutschland die beiden Länder, in denen der Faschismus aus eigener Kraft siegte. Sie waren zwar Kriegsgegner, nach dem Krieg aber in einer ähnlichen Lage: Sie hatten große Verluste erlitten und der Bevölkerung ging es schlecht; Italien hatte keinen Nutzen aus dem Sieg gezogen, in den Städten und auf dem Land herrschte eine große Armut, für die man die Demokratie und die liberale Wirtschaftsordnung verantwortlich machte. Und in Deutschland kamen sehr rasch Vorbehalte gegen die Weimarer Demokratie auf. Man gab ihr die Schuld für die Niederlage, die Hinnahme des Versailler »Schand«-Vertrages und die Verluste in der Folge der Währungsreform von 1923, in welcher der Staat alle seine Schulden auf einen Schlag loswurde.
Während Mussolini aber schon am 31. Oktober 1922 Ministerpräsident einer Koalitionsregierung aus Nationalisten und Faschisten wurde, aus der heraus er seine faschistische Diktatur in Italien ausbauen konnte, konnte Hitler seine Chance erst in der Krise 1929 und der darauf folgenden Arbeitslosigkeit ergreifen, als die Zahl der NSDAP-Abgeordneten im Reichstag sprunghaft zunahm, und er schließlich am 31. Januar 1933 vom alten Reichspräsidenten Hindenburg an die Spitze einer Koalitionsregierung gesetzt wurde. Diese benutzte er dann, wie angekündigt, als Sprungbrett zur Abschaffung der Demokratie.
Aber es waren nicht in erster Linie die Arbeitslosen, die ihn an die Macht brachten, es waren Konservative, die ihn salonfähig machten, förderten oder tolerierten, bis er sie nicht mehr tolerierte - und es waren eher unpolitisch-naive Anhänger aus den verschiedensten Teilen der Mittelschicht, die ihn als einen Erlöser verehrten und deren Ängsten und Ressentiments er auf beinahe geniale Weise Ausdruck geben konnte. Vor allem der latente Antisemitismus wurde im deutschen Faschismus, im »Nationalsozialismus«, aufgegriffen und verstärkt, denn damit konnte man ein einfaches Feindbild konstruieren und einen »Sündenbock« für alles Schlechte in der Gesellschaft anbieten. Sündenböcke scheinen in der Geschichte immer wieder eine seelische Entlastung für erlittenes oder eingebildetes Ungemach zu bieten.
Wie so oft in Zeiten des Umbruchs infolge einer massenwirksamen Jugendbewegung hat es auch damals Kritiker gegeben, die auf die Konsequenzen einer offensichtlich kommenden Diktatur hinwiesen.
Aber sie blieben vereinzelt, schienen zu übertreiben - und im heutigen Sprachgebrauch hätte man ihnen »Paranoia« unterstellt oder sie »Verschwörungstheoretiker« genannt. Und wenn dann eine Massenbewegung erst einmal Fahrt aufgenommen hat, gelten Kritiker schnell als Störenfriede oder Nestbeschmutzer.
Der Faschismus hatte keine einheitliche Ideologie, er war zugleich autoritär und antiautoritär. Autoritär im Führerkult und dem ganzen militaristischen Drumherum, antiautoritär als Jugendbewegung, die etablierte und verkrustete Eliten bekämpfen wollte. Zurück zur Natur, zurück zur Horde, die zusammenhielt gegen einen bösen Feind, das war der Traum vieler im Kapitalismus entwurzelter Jungmänner. Gemeinsamer Kampf statt vereinzeltem Leiden! In dieser Hinsicht ähnelte der Faschismus dem Kommunismus - und nicht umsonst sind viele junge Kommunisten in der Weimarer Republik ohne Probleme Faschisten geworden. (Und viele Kommunisten sind nach dem Ende des Kommunismus Nationalisten geworden.) Vielen erschien der Faschismus - auch hierin ähnlich dem Kommunismus - wie eine neue Religion, die in die moderne Zeit passte, wo er sich doch z.B. mit der Aufnahme einiger Elemente des Darwinismus, der damals international verbreitet war und im »Sozialdarwinismus« auf menschliche Gesellschaften übertragen wurde, einen wissenschaftlichen Anstrich gab.
Zugleich war der Faschismus auch offen für neue Erkenntnisse auf technischem Gebiet, vor allem in der Medien- und Waffentechnik, womit er wiederum die Jugend begeisterte. Und es wurde nicht nur trocken belehrt, nein, man konnte als Jugendlicher auch aktiv an Wehrsportübungen im Freien teilnehmen, konnte mit echten Gewehren schießen und sich in der Organisation von Zeltlagern bewähren. Zudem gab es einfache Feindbilder, die unabhängig vom Bildungsniveau jeder verstehen konnte. Dass es oft eine beinahe unpolitischnaive Zustimmung zum Faschismus gab, zeigt auch die Begeisterung vieler Frauen, die eine gewisse Verantwortung in der »Bewegung« bekamen und dem Führer immer wieder mit strahlenden Gesichtern zujubelten, so, als seien sie verliebt oder religiös entrückt.
Wie aber schaffte es die faschistische Elite, all die heterogenen Elemente in ihrer Ideologie so zusammenzuführen, dass sie einer Massenbewegung als Anleitung zum Handeln dienen konnte? Wie schaffte sie es, ein kriegsmüdes Volk in einen zweiten Weltkrieg zu treiben? Diese Fragen muss man sich heute stellen, will man Geschichte nicht nur »antiquarisch« (Nietzsche) betrachten und der Jugend mit dem Blick zurück als Klotz an den Hals hängen.